Publication Parteien / Wahlanalysen - Soziale Bewegungen / Organisierung - International / Transnational - Amerikas Guatemala schwimmt gegen den Strom

Entgegen dem lateinamerikanischen Trend erlebt die Linke eine schwere Niederlage. Eine Wahlanalyse von Patricia Zapata (RLS-Büro Mexiko).

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Patricia Zapata,

Published

September 2007

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Am 9. September waren knapp 6 Millionen GuatemaltekInnen an die Urnen gerufen. Zur Wahl standen  PräsidentIn und VizepräsidentIn sowie 158 Abgeordnete des Parlaments und 332 Kommunalregierungen. Dabei machten nur knapp die Hälfte der BürgerInnen des mittelamerikanischen Landes von ihrem Wahlrecht Gebrauch (60% abgegebene Stimmen, davon 9,5% ungültige). Keiner der KandidatInnen erreichte im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit. Alvaro Colom von der sozialdemokratischen UNE und Otto Pérez Molina von der rechten PP (Patriotische Partei) lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, aus dem der sozialdemokratische Kandidat mit einer hauchdünnen Mehrheit hervorging. Am 4. November wird eine Stichwahl entscheiden, ob der Unternehmer Colom oder der Ex-General Pérez das von Gewalt und Armut geschüttelte Land für die nächsten vier Jahre regieren wird.
 
Der Ingenieur Álvaro Colom stellt sich bereits zum dritten Mal zur Wahl – 1999 kandidierte er in den ersten Wahlen nach Abschluss des Friedensabkommens als Kandidat der Ex-Guerrilla. Colom, der nie ein linker Aktivist, geschweige denn ein Guerrillero gewesen war, gründete nach der Niederlage seine eigene Partei UNE, die allerdings 2003 vom jetzigen Präsidenten Oscar Berger geschlagen wurde.
 
Sein heutiger Gegner Otto Pérez Molina ist General im Ruhestand der guatemaltekischen Armee. Während des 36-jährigen Bürgerkriegs bekleidete er mehrere hohe Ämter. Er hat zwar als Kommandant zu Zeiten der Politik der „verbrannten Erde“ unter General Rios Montt Anfang der 1980er Jahren schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verantworten, gehörte aber auch zu den Protagonisten der Friedensverhandlungen mit der Guerrilla. Am 29. Dezember 1996 war er einer der Unterzeichner des Friedensabkommens und genießt dadurch einen relativ guten Ruf bei der Bevölkerung. Mit dem Thema Sicherheit gelang es ihm, den großen Vorsprung Coloms aufzuholen. Der Ex-General versprach, mit „harter Hand“ (mano dura) gegen Verbrecher vorzugehen, die Mafia zu entmachten, die Jugendbanden (Maras) zu zerschlagen und dem Drogenhandel die Stirn zu bieten. Ein schlagkräftiges Argument für ein Land, in dem im Schnitt sechzehn Menschen am Tag ermordet werden.
 
Dabei war die Wahlkampfperiode selbst durch überbordende Gewalttätigkeit gekennzeichnet: 60 Mitglieder unterschiedlicher Parteien wurden in den letzten Monaten ermordet. Täter waren hierbei weniger politische Gegner, als kriminelle Verbände, die ihre Interessen durch einen Regierungswechsel gefährdet sahen.
 
Die zunehmende Unterwanderung politischer Institutionen durch das organisierte Verbrechen ist in den letzten Jahren sowohl auf nationaler als auch kommunaler Ebene zu beobachten. Auf diese Weise werden Straflosigkeit und territoriale Kontrolle garantiert, Grundvoraussetzungen für den lukrativen Drogen- und Menschenhandel. Der wachsende Einflussbereich des organisierten Verbrechens in Guatemala ist auch den USA ein Dorn im Auge. Dabei spielt die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko eine wichtige Rolle: weder Drogen noch MigrantInnen sollen die neue „Mauer“ überschreiten. Diesbezüglich funktionieren beide Präsidentschaftskandidaten für die nordamerikanischen Interessen. Auch die Wirtschaftseliten haben keine klare Präferenz - sowohl Pérez Molina als auch Colom bestätigen, dass sie das aktuelle neoliberale und semi-feudale Wirtschaftsmodell fortführen wollen. Dieses Modell wird nicht zuletzt auch durch den Freihandelsvertrag mit den USA, Mittelamerika und der Karibik (CAFTA) festgelegt.
 
Angesichts eines politischen Szenarios, das von der Rechten dominiert wird, tut sich die Linke Guatemalas schwer. Die Wahlen haben dies bestätigt. Drei Parteien des linken Spektrums waren angetreten: die URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca) –Partei der Ex-Guerrilla, die ANN (Alianza Nueva Nación) – eine Abspaltung derselben und die EG (Encuentro por Guatemala) – ein Zusammenschluss zweier linker Strömungen: die der charismatischen Menschenrechtlerin Nineth Montenegro und die indigene Bewegung Winaq, angeführt von der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú. Dabei erhielt die URNG 2,15% der Stimmen für die Präsidentschaft, die ANN 0,59% und EG 3,04%. Während URNG und EG wenigstens einige Abgeordnete stellen können, wird die ANN sogar ihren Status als Partei verlieren.
 
Es ist offensichtlich, dass Guatemala sich gegenläufig zum lateinamerikanischen Links-Trend bewegt. Obwohl das kleine Land eine langjährige revolutionäre Tradition zu verzeichnen hat, kämpfen die Überbleibsel eben dieser Tradition heute auf scheinbar verlorenem Posten. Die URNG erhielt zwei von 158 Abgeordnetensitzen und konnte nur 7 von 332 Kommunen gewinnen. Auf der anderen Seite gelang es auch dem Encuentro por Guatemala mit seiner Kandidatin Rigoberta Menchú nicht, die (meist indigene) Bevölkerung des Landes zu überzeugen, dass sie einen Weg aus Armut, Marginalisierung und Perspektivenlosigkeit aufzeigen können.
 
Aber die GuatemaltekInnen blicken auf eine extrem lange, wenn auch zum Schweigen gebrachte Geschichte des Widerstandes zurück, die in der Zukunft auch wiederbelebt werden könnte. Dafür ist es notwendig, dass die sehr heterogene und zerstrittene Linke ihre Grabenkämpfe beendet und sich als soziale Kraft und Gegengewicht zu der derzeit  hegemonialen Position der Unternehmerverbände und den diesen zugehörigen Parteien entwickelt, sei es die UNE oder die PP. Das Land hat einen enormen Verschleiß an politischen Parteien zu verzeichnen; seit 1983 bis heute haben sich 54 Parteien konstituiert und sind 34 Parteien verschwunden.
Die Linke kann heute nicht nur auf eine intensive Widerstandsgeschichte zurückblicken, sondern hat auch potentielle Verbündete in anderen Ländern der Region. Auch Bolivien ist ein Land mit überwiegend indianischer Bevölkerung und postkolonialen Strukturen, auch in Brasilien existiert eine landwirtschaftlich verwurzelte Oligarchie, auch Chile und Argentinien haben mit der Straflosigkeit ehemaliger Militärdiktaturen zu kämpfen.
 
Patricia Zapata (Projektkoordinatorin RLS-Büro in Mexiko)
Übersetzung: Angela Isphording (Büroleiterin RLS-Büro Mexiko)