Publication Geschlechterverhältnisse Das 11. Forum: Neue Chancen – alte Kämpfe

Geschlechterverhältnisse in den Debatten der Linken - 10. und 11. März 2006 in Mainz

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Eva Schäfer,

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May 2006

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Geschlechterverhältnisse in den Debatten der Linken

10. und 11. März 2006 in Mainz

‚Die Linke’ ist in Bewegung. Wie aber steht es um das geschlechterpolitische Profil einer sich neu formierenden Linken – in Parteien und Parlamenten wie auch in sozialen Bewegungsnetzwerken? Das 11. gesellschaftspolitische Forum in Mainz, vorbereitet und durchgeführt vom Gesprächskreis „Frauen und Politik“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung (in Kooperation mit der Jenny-Marx-Gesellschaft Rheinland-Pfalz), versteht sich als Auftakt einer längerfristig angelegten Diskussion um Grundlinien und Profil einer emanzipativen Geschlechterpolitik der Linken. Wie positioniert sich die Linke zu frauen- und geschlechterpolitischen Fragen? Wo wird sie dabei als „Linke“ erkennbar und unterscheidbar? Wo wollen „Linke“ ihre ganz spezifischen geschlechterpolitischen Akzente setzen? Und was brauchen sie selbst – auf dem Weg zu ihrem eigenen geschlechtergerechten Profil?

Radikale Transformation von Gesellschaft – massiv veränderte Bedingungen politischen Handelns
Mit Blick auf die „alten Kämpfe“ der westdeutschen Frauenbewegung stellte Frigga Haug in ihrem Eröffnungsvortrag zunächst einmal klar, dass es zunehmend neoliberale Verhältnisse sind, in denen ‚die Linke’ Politik machen muss – wobei das Neoliberale durchaus widersprüchlich wirkt. Hier verlieren Frauen einerseits (prekäre Arbeitsverhältnisse, Renten), gleichzeitig könne der Neoliberalismus auch durch die Erfüllung feministischer Forderungen „gedeihen“. So ist der von Feministinnen proklamierte Wert der Selbstbestimmung im neoliberalen Diskurs durchaus hegemoniefähig, wenn auch, so sei hier anzumerken, in diskursiver Umdeutung eines individualisierten Freiheitsbegriffes.
Mit dem neoliberalen Gesellschaftsumbau, so Corinna Genschel (Kontaktstelle gesellschaftliche und soziale Bewegungen der Linksfraktion im Bundestag), haben sich auch die Bedingungen politischen Handelns und gesellschaftlicher Teilhabe massiv verändert. Neben einer „Zerklüftung des Sozialen“
haben sich auch die Herrschaftsformen gewandelt, öffentliche Entscheidungsverfahren werden
ökonomisiert und privatisiert. Damit haben sich auch die „Bedingungen der Möglichkeit von Politik radikal verändert“. Wie die Diskussion auf dem Forum zeigte, ist dem allein mit den tradierten Kampfbegriffen und klaren Opfer-Täter-Fixierungen der (west-)deutschen Frauenbewegung aus den 1970er 1980er Jahren nicht mehr so einfach beizukommen.
Als Aktivistin an der Schnittstelle zwischen Geschlechterforschung und linken  (einschließlich feministischen und queeren) Bewegungen deutet Corinna Genschel den „Aufbruch der neuen Linken“ als wichtigen Versuch, mit der Hegemonie neoliberaler Politik und Praxis zu brechen, dieser sei allerdings am Punkt der Geschlechterpolitik durch weiterführende Fragen zu radikalisieren: Wo etwa soll feministische Politik ansetzen, wenn auch die Geschlechterverhältnisse radikalen Transformationen unterworfen und bisherige Geschlechterpositionen nicht mehr eindeutig bestimmbar sind? So sind es bei der massiven Verlagerung öffentlicher Leistungen in die private Sphäre (care economy) zwar nach wie vor Frauen, die einmal mehr für reproduktive Aufgaben verantwortlich gemacht werden, gleichwohl entscheidet die zunehmend differenzierte soziale Lage auch unter Frauen, wie sie das Problem individuell lösen. Wo ansetzen, „wenn ‚Frauenpolitik’ (reduziert auf Gleichstellung und Vereinbarkeit) zum ideologischen Bestandteil von Regierungspolitik wird [...]“ (Vgl. Thesen Corinna Genschel zum Forum Mainz)? Wo positioniert sich da ‚die Linke’. Welches sind ihre programmatischen Antworten?

Die Irritation angesichts des neoliberalen Überholvorgangs, aber auch angesichts einer vermeintlich schwachen Frauenbewegung (zumindest im traditionellen Sinn) ist nicht zu übersehen. Gleichwohl hat eine emanzipatorische Geschlechterpolitik in das Projekt einer Neuen Linken eine Menge einzubringen. Dazu gehört, so Corinna Genschel insbesondere die zentrale Erkenntnis (und diese kann nicht als Allgemeingut linker Theorie und Praxis gelten),
„dass ‚Gesellschaft’ nicht lediglich geordnet [ist] durch materielle Verteilungsfragen [...], sondern eine kulturell-symbolische Ordnung [bezeichnet], die Fragen der Verteilung definiert und ordnet, die festlegt, was zu verteilen ist (z.B. Arbeit) und welche Bedürfnisse wie anzumelden sind (Frage der Anerkennung als legitimes Subjekt).“ (Thesen Corinna Genschel zum Forum Mainz).
Es ist nicht zuletzt dieses feministische Wissen „um die Verknüpfung von Ökonomie und Kultur in der Konstruktion sozialer Ordnung, symbolischer Gewalt und Sozialität“, das eine emanzipative Geschlechterpolitik in den Aufbruch der neuen Linken einzubringen hat.
„Denn die gegenwärtigen Transformationen – so geschlechtslos sie auch immer dargestellt werden – sind vergeschlechtlicht und wirken vergeschlechtlichend (Geschlecht als Ordnungsfaktor und Platzanweiser in Prozessen der Individualisierung, Privatisierung und Ökonomisierung).“
(Thesen Corinna Genschel zum Forum Mainz)
Wie aber kann dieses Wissen wirksam werden? Wie kann es anwendbar, diskutierbar und präsent gemacht werden – als wesentlicher Teil des linken Diskurses und einer politischen Praxis der Neuen Linken? Dass es sich hier um Lernprozesse handelt, die in der Linken – nicht selten unabhängig vom Geschlecht – selbst anzusetzen sind, wurde bei einem Innen-Blick auf linke Zusammenhänge und deren Programmatik deutlich.

Geschlechtersensibler Innen-Blick auf die Linke(n)
Ein Blick auf die PDS/Linkspartei-Programmatik (u.a. Eckpunktepapier) zeigt zunächst, dass hier Frauen nicht als Akteurinnen und Subjekte auftauchen, sondern als diejenigen, für die „man etwas tut“ (Christiane Reymann, LISA, Linkspartei). Das Programm der WASG, so Ulrike Schleier (WASG Niedersachsen) in ihrer Analyse, hinterlasse „den Eindruck, als ließe sich Geschlechtergerechtigkeit durch einige frauenpolitische [...] Reformen erreichen. Begriffe wie „Diskriminierung von Frauen“, „überkommene Rollenbilder“, „gleiche Chancen für beide Geschlechter“ stehen unverbunden im Raum – mit dem zentral gebrauchten Begriff des Neoliberalismus scheinen sie nichts zu tun zu haben.
„Die zentrale Erkenntnis, dass es eine hierarchische Geschlechterordnung gibt, ist offensichtlich im Programm der WASG nicht angekommen.“ (Ulrike Schleier, Beitrag Forum Mainz)
Dies, so Ulrike Schleier, trifft auch auf das Eckpunktepapier zu und setzt sich fort in der personellen Repräsentation. Sowohl im Frauenanteil der WASG (ca. 20 %) wie auch in der Wahrnehmung nach außen (Lafontaine, Ernst) sind Frauen in der Minderheit. Was Frigga Haug in ihrer Eröffnung mit Blick auf die Linke(n) der 1970er und 1980er Jahre als „Formensprache des Fußballvereins“ charakterisierte, schildert Ulrike Schleier als Politikalltag in der WASG:
„Innerparteilich sind die Debatten geprägt durch Machtgehabe, durch Hahnenkämpfe und Ausgrenzung von Frauen (aber auch von Männern in Minderheitenpositionen) bis hin zum Mobbing. Selbst WASG-Frauen, die in männerdominierten Berufen arbeiten, schätzen es so ein, dass sie noch nie so ein ausgeprägtes Macho-Klima erlebt hätten. Für mich deutet das darauf hin, dass die Parteimitglieder mit der Herstellung von Hierarchien beschäftigt sind und somit die patriarchalischen Strukturen der Gesellschaft einschreiben.“ (Ulrike Schleier, Beitrag Forum Mainz)
Als Beispiel für die männliche Durchsetzungsmacht kann hier die für sich selbst sprechende Tatsache gelten, dass eine Redequotierung auf dem einige Tage später stattgefundenem WASG-Bundesparteitag in Ludwigshafen mit einer männlichen Mehrheit abgelehnt wurde. Das Fehlen eines parteipolitischen Engagements zu Geschlechterfragen, die Unkenntnis und mangelnde Sensibilität für aktuelle Geschlechterthemen, eine fast durchweg männliche innerparteiliche Sprache lassen Ulrike Schleier konstatieren:
„Ohne programmatische und personelle Verankerung feministischen Ideengutes in der WASG wird sich die Partei nicht zu einer emanzipatorischen Bewegung für beide Geschlechter entwickeln und wäre als Reformkraft zum Scheitern verurteilt.“ (Ulrike Schleier, Manuskript Beitrag Forum Mainz)
Viele WASG-Frauen seien in der Hoffnung auf einen politischen Aufbruch in diese Partei eingetreten  und sehen sich hier, bei einem oft frauenbewegten Hintergrund, mit „alten Kämpfen“ konfrontiert.

Was braucht ‚die Linke’ zur Umsetzung eines linken geschlechtergerechten Profils?
Was braucht ein Projekt des „Linken Aufbruchs“, um sich als solches definieren zu können? Und welche strukturellen Existenzbedingungen brauchen Frauen und linke Akteurinnen in linken Zusammenhängen und Organisationen?
Gerade weil Parteien hierarchisch organisiert sind, brauchen sie, um sich glaubwürdig als linke Projekte zu etablieren, ein hohes Maß an immer wieder herzustellender Transparenz, Offenheit und selbstgelebter Glaubwürdigkeit, so Gabi Zimmer (Europaparlament) in ihrer selbstreflexiven Analyse des Reformprojektes PDS, der sie als Parteivorsitzende vorstand. Um eine solche Grundqualität linker politischer Kultur durchzusetzen, braucht es zweierlei: den Druck von „außen“ und strukturelle Bedingungen, die das Machtgeflecht von hierarchisch konstruierten Verflechtungen und Abhängigkeiten, immer wieder entzerren und Entscheidungswege und Diskussionsprozesse sichtbar und nachvollziehbar machen. Die Glaubwürdigkeit eines linken Parteiprojektes messe sich in diesem Sinne an dem nachvollziehbaren Willen zur Selbstveränderung und dem Anspruch, das glaubhaft zu leben, was man politisch proklamiert.
Dies betrifft auch den geschlechtergerechten Selbstanspruch. Dass die PDS bis Mitte der 1990er Jahre ein deutlich “weibliches Gesicht“ trug, wertet Gabi Zimmer als Folge der Umbruchzeit 1989, als „die Männer massenweise das sinkende Schiff verließen“. Die dann folgende Abkehr von Frauen von der PDS habe die PDS nicht aufhalten können. Dabei reicht eine zahlenmäßige Repräsentanz von Frauen, selbst bei vorausgesetzter Geschlechtersensibilität und der Vertretung in Führungspositionen, so die Erfahrung von Gabi Zimmer, allein nicht aus. Entscheidend seien vielmehr die Strukturen dahinter. Entscheidend ist der Zugriff auf materielle und ideelle Ressourcen, auf Finanzen, auf Organisationsstrukturen, der Zugang zu Information und Wissen[1] sowie letztlich der Rückgriff auf professionelle Netzwerke.

Welche politische Zielperspektive hat emanzipatorische Geschlechterpolitik?
Der Griff von Frauen zur Macht (auch innerhalb der eigenen Parteien und sozialen Netzwerke) und deren personelle Stärkung als wichtige Aufgabe eines feministischen linken Projektes war auf dem Forum Konsens. Gleichwohl wurde sehr schnell deutlich, dass dies nur eine Seite der Medaille ist. Weder ist das „Frau-Sein“ (von Politikerinnen) an sich Garant für eine geschlechtergerechte Politik (Dadurch würden zudem Männer aus ihrer politischen Verantwortung entlassen), noch verlaufen die Spaltungen der Gesellschaft und damit die Bedingungen der gesellschaftlichen Teilhabe nur entlang der Geschlechterlinien (Corinna Genschel).
In den Beiträgen und der Diskussion wurde deutlich, dass unter den DiskutantInnen selbst höchst unterschiedliche Ansätze dessen, was emanzipatorische Geschlechterpolitik sein soll, vorherrschen. Zwar stimmten die aus vielfältigen Zusammenhängen kommenden Frauen (und Männer) überein, dass es bei dem Geschlechterverhältnis um ein strukturelles Ungleichheitsverhältnis handelt. Unterschiedlich waren allerdings die Erklärungsmuster hierfür, die Strategien und das politische Ziel.
Ging es den einen um die Benachteiligung von Frauen, ging es anderen („Wir bestehen auf der queeren Perspektive!“) um das Geschlecht als Differenzmerkmal selbst, um eine kulturelle symbolische Ordnung und ihre Wirkungsmacht, d.h. ihre sozial wie kulturell ausgrenzende und diskriminierende (Macht-)Funktion. Hier geht es um den Angriff auf vermeintlich natürliche homogene (Geschlechts-)Identitäten (Mann oder Frau), die ein- und ausgrenzen, Normen vorgeben (die ‚richtige’ Frau/der ‚richtige’ Mann) und über Geschlechtsstereotype soziale Hierarchien und Ungleichheiten immer wieder neu legitimieren.
Was also will eine feministische emanzipatorische Geschlechterpolitik der Linken heute? Worauf gründet sie sich? Welche Erklärung findet sie für die strukturelle Benachteiligung von Frauen?
Geht es um eine gerechtere Neujustierung des Verhältnisses von Frau und Mann und/oder um den Angriff auf Identitätskonstruktionen, die als soziale und kulturelle Platzanweiser und Ordnungsfaktoren dienen?

Die Macht der Sprache
Vor diesem Hintergrund wurde auch deutlich: Es scheint keineswegs gleichgültig, auf welche Begrifflichkeiten sich linke feministische Politik beruft. Mit dem symbolischen Faktor Geschlecht (Mann/Frau, männlich/weiblich) werden (partei-)politische Machtkämpfe geführt, Politikfelder besetzt und eine neoliberale Rhetorik gestützt. Politisches Kapital wird heute in hohem Maße über Diskurspolitik geschaffen, politische Auseinandersetzung spielt sich vor allem auch auf der Ebene der Sprache, der Symbole, der Werte ab. Ob sich ’die Linken’ gegen die Dominanz neoliberaler Werte und Leitbilder durchsetzen können, wird in der heutigen Mediengesellschaft auch maßgeblich entschieden durch ein erkennbares Profil in den Begrifflichkeiten, in der Sprache. Sowohl nach innen wie auch nach außen, so das Plädoyer der Eingangsrede (Eva Schäfer, Rosa-Luxemburg-Stiftung), das sich am Schluss bestätigte, braucht ein geschlechterpolitisches Profil demnach vor allem eins: Eine Sprache und Begrifflichkeit, durch die emanzipatorische Geschlechterpolitik wieder eigene Deutungsmacht übernimmt, und die gleichzeitig an die Alltagsbegrifflichkeit und das Alltagsleben der Menschen anknüpft.
Dies ist auch eine Frage der (Selbst-)Bildung. „Gender“ und „Queer“ scheinen sperrige Begriffe, gleichwohl bieten sie das analytische Instrumentarium, um eine über Jahrhunderte entwickelte und nicht zuletzt in die Kapitallogik integrierte Geschlechterlogik zu erklären, und sind als solche hochpolitisch. Es ist ein auch unter Linken weit verbreiteter Irrtum, man könne der Geschlechterfrage mit einfachem „Alltagswissen“ beikommen.
Um Feminismus und Linke in Bewegung zu setzen, empfiehlt Corinna Genschel drei Wege. Zu fragen ist: Wo gibt es praxisrelevante Überschreitungen? Wo gelingt es uns, symbolträchtige Interventionen zu unternehmen? Und wo gibt es Orte für Reflexionen, Streit, Austausch, in der man diese Fragen mit politischer Perspektive diskutieren kann. Das gesellschaftspolitische Forum versteht sich als Raum dafür.


[1] Die von Frauen des WASG-Kreisverbandes Oldenburg-Stadt vom Frauenplenum in Halle aus (April 2006) an den Bundesparteitag in Ludwigsburg gerichteten Anträge für eine deutliche Einbeziehung von Frauen- und Geschlechterpolitik in die aktuelle Programm- und Satzungsdebatte zur Parteienbildung von Linkspartei/PDS und WASG (u.a. ein wissenschaftliches Gutachten zur Frauen- und Geschlechterpolitik) ist ein solcher Schritt. Die Anträge wurden durch den Parteitag angenommen.