Publication Geschlechterverhältnisse Herausforderungen an eine Neue Linke

Ein Bericht zu »Was ist neu an der Neuen Linken? Gesellschaftsanalyse aus Geschlechtersicht«, Gesellschaftspolitisches Forum der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 28.4.2007

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Sünne Andresen, Susanne Lettow,

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July 2007

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Sünne Andresen / Susanne Lettow

Was ist neu an der Neuen Linken? Gesellschaftsanalyse aus Geschlechtersicht
Gesellschaftspolitisches Forum der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 28.4.2007

Herausforderungen an eine Neue Linke

Aus der Geschichte wissen wir, dass – wie in anderen politischen Strömungen auch – bei der Linken die Geschlechterfrage keineswegs selbstverständlich auf der Agenda steht, bzw. sie häufig ignoriert oder  dann als Zusätzliches angehängt wird. Immer noch wird Gesellschaftsanalyse nicht konsequent aus Geschlechtersicht betrieben, d.h. Geschlechterverhältnisse werden nicht als zentrale Dimension aller gesellschaftlichen Verhältnisse und somit als integraler Bestandteil jedes linken Politikprojekts begriffen. Die Frage ist, ob es im gegenwärtigen Neuformierungsprozess einer Linken gelingen wird, diesen ignoranten bzw. bloß additiven Umgang mit der Geschlechterfrage zu überwinden. Um Ansatzpunkte hierfür auszuloten, veranstaltet die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin seit 2006 eine Reihe Gesellschaftspolitischer Foren, die den Parteibildungsprozess der neuen Linkspartei auch aus feministischer Perspektive kritisch und konstruktiv begleiten.
Ausgangspunkt der Diskussionen ist die Frage, welche veränderten Konstellationen und mithin neuen Widersprüche sich im neoliberalen Kapitalismus in den Geschlechterverhältnissen herausgebildet haben. Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist der fordistische Geschlechtervertrag, der den männlichen Familienernährer und die Hausfrau, bzw. den Familienvater und die „doppelt belastete“ erwerbstätige Hausfrau als Norm setzte, zum Auslaufmodell geworden. An die Stelle dieser sozialen Rollen ist die Anrufung von Frauen und Männern als individualisierte selbstverantwortliche Marktsubjekte getreten, womit zum einen neue Handlungsspielräume entstanden sind, zum anderen sich aber der Druck gerade auf Frauen als Erwerbstätige wie als Reproduktionsarbeiterinnen erhöht hat. Die neoliberale Reprivatisierung, bei der vormals öffentliche Aufgaben sowohl in den kapitalistischen Markt wie auch in häusliche Privatheit überführt werden, ist dabei allerdings nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch ein politisch kulturelles. Denn es ändern sich damit auch die Bedingungen für politische Partizipation, für die öffentliche Artikulation von Bedürfnissen und Interessen. In diesem Zusammenhang erhalten der alte Slogan, dass das Private politisch ist, und die Einsicht, dass Privatisierung einen zentralen Mechanismus ungerechter Geschlechterverhältnisse darstellt, eine neue Bedeutung. Zudem muss Gesellschaftsanalyse aus Geschlechtersicht davon ausgehen, dass die aktuellen Widerspruchslandschaften im Neoliberalismus von Prozessen der Globalisierung, Transnationalisierung und Migration bestimmt sind. Dies hat u.a. zur Folge, dass die gesamtgesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse durch eine Mehrzahl kultureller Geschlechterordnungen geprägt sind, in denen sich die Probleme für Frauen und Männer jeweils anders stellen. Die Herausforderung für eine neue Linke besteht daher darin, Analysen und Politikformen zu erarbeiten, die die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse erfassen könne.

Ergebnisse des Forums

Nachdem auf dem Gesellschaftspolitischen Forum im Dezember 2006 die Reorganisation von Geschlechterverhältnissen in neoliberaler Ökonomie (vgl. etwa Brodie 2004) sowie die Auseinandersetzung um strategische Begriffe wie etwa „Geschlechtergerechtigkeit“ (vgl. Schlegel 2006) im Zentrum standen, ging es auf dem Frühjahrs-Forum im April um die Themen Privatisierung und öffentliche Güter, die Notwendigkeit einer intersektionalen, postkolonialen Perspektive auf soziale Gerechtigkeit sowie eine kritische Analyse der von WASG und PDS beschlossenen „Programmatischen Eckpunkte“, die die Basis für ein gemeinsames Programm der Linkspartei darstellen.

Iris Nowak, Sozialökonomin aus Hamburg, eröffnete ihr Impulsreferat „Selbstbestimmung braucht öffentliche Güter“, indem sie die im Titel enthaltende Behauptung, die eine alte linke Gewissheit ausdrückt, zunächst einer kritischen Befragung unterzog: Welche öffentlichen Güter sind überhaupt nötig, damit allen Menschen eine selbst bestimmte Lebensweise möglich wird? Welche Form von Selbstbestimmung ist gemeint? Taugt ein solcher Begriff überhaupt noch, um linke feministische Analysen und Perspektiven so zu erneuern, dass sie der Entwicklungsdynamik und dem Veränderungspotential der gegenwärtigen Verhältnisse tatsächlich gerecht werden? Dabei problematisierte sie zum einen die „herrschaftsdurchsetzte Form“, die die Gewährung der öffentlichen Güter im Fordismus charakterisierte. Soziale Sicherheit war hier insgesamt an das Hausfrau-Ernährer-Modell und an die nationale Staatsbürgerschaft gebunden. Zum anderen machte Nowak deutlich, dass auch in der gegenwärtigen linken Debatte um öffentliche Güter die geschlechterpolitischen Dimensionen des Themas meist ausgeblendet werden. Dies birgt die Gefahr, dass weiterhin nur das als öffentliche Angelegenheit betrachtet wird, was sich als solches etablieren konnte. Im Effekt wird damit unkritisch die alte Form der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit reproduziert, wenn etwa gegen die Privatisierung von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen protestiert, nicht aber auch nach neuen Formen für die traditionell in privaten Haushalten geleisteten Arbeiten gesucht wird. Oder wenn öffentliche Güter lediglich als Kompensation für ‚eigentlich’ im Privaten zu Leistendes angesehen werden. Dabei müsste es angesichts der individuellen Bedürfnisse hinsichtlich z.B. Gesundheitsversorgung oder Assistenz und Pflege bei Krankheit, Behinderung und Alter zentral um die Frage gehen, wie die im Privaten geleistete Sorgearbeit gegenwärtig organisiert ist und welche Alternativen die Linke hierzu anbieten will.

Das bedeutet aber, dass die Debatte um öffentliche Güter, so Nowak, sowohl mit einer Politik um Arbeit als auch mit Fragen der Partizipation verknüpft werden müsste. Schließlich kann es auf die Frage, was ein öffentliches Gut ist bzw. sein sollte, keine für alle Bürger/innen gleiche Antwort geben. Vielmehr geht es darum, unterschiedliche und teilweise konfligierende Bedürfnisse miteinander zu vermitteln. In Anlehnung an Nancy Fraser (1994)  definiert Nowak die Kämpfe um öffentliche Güter entsprechend als zugleich „Kämpfe um eine bestimmte Form der Bedürfnisinterpretation“. Damit sich diesbezüglich Alternativen zur neoliberalen Sichtweise und Regulierung entfalten können, bedarf es gesellschaftlicher Räume, in denen Bedürfnisse artikuliert werden können und in denen über die Möglichkeiten und Formen ihrer Befriedigung gestritten werden kann. Die Vermittlungsarbeit zwischen den Bedürfnissen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, so ihr Fazit, muss einen „dauerhaften Bestandteil eines alternativen Gesellschaftsprojekts darstellen“. Zugleich muss ein solches Projekt den Mythos des Sachzwangs, der der herrschenden neoliberalen Politik zugrunde liegt, entlarven, indem es diese Politik selbst als eine  durch und durch partikulare Bedürfnisinterpretation und Interessenwahrnehmung kritisiert.

Wie Bedürfnisse und Perspektiven, die aus der Gleichzeitigkeit und dem Ineinander unterschiedlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse resultieren, überhaupt zusammengebracht werden können, bzw. wer sich mit welchen Interessen und Alternativen Gehör verschaffen kann, ist eines der Grundprobleme jeder um Gegenhegemonie und wirkliche Demokratie ringenden Politik. Maria do Mar Castro Varela, Professorin an der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit in Berlin, führte dies in ihrem Beitrag zur postkolonialen Theorie (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005), die Elemente aus Marxismus, Poststrukturalismus und feministischer Theorie zu verbinden sucht, aus. Dabei geht es zunächst um eine prinzipielle Perspektivenverschiebung hin zur Wahrnehmung der Widersprüche, die sich aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Diskriminierungsformen ergeben, konkreter aber auch darum, dass auch linken und feministischen Politiken spontan Rassismen eingeschrieben sein können, wenn etwa MigrantInnen als homogene Gruppe konstruiert und Klassenverhältnisse unter ihnen entnannt werden. Hier bedarf es zunächst einer ausgeprägteren Kultur der Selbstreflexivität. Wichtig für die Reproduktion kultureller Hierarchisierungen, so machte Castro Varela weiter deutlich, ist insbesondere die kulturell-symbolische Dimension von Gesellschaft. Insofern werden Politiken der Repräsentation bedeutsam. Denn Normalisierungsdiskurse, zu denen Formen des othering – der Grenzziehungen zwischen „Wir“ und „Anderen“ – gehören, wirken strukturierend in den gesellschaftlichen Verhältnissen, indem sie die Beziehungen der Menschen untereinander mitbestimmen und die Handlungsfähigkeit von Einzelnen und Kollektiven begrenzen oder erweitern. Vor allem in der Diskussion wurde deutlich, dass durch die Aufnahme postkolonialer Kritik in das Projekt einer Neuen Linken zunächst einmal viele neue Fragen aufgeworfen werden. Klar wurde, dass es neben Zeitressourcen vor allem gesellschaftlicher Räume bedarf, in denen unterschiedliche Standpunkte und Zielsetzungen  zusammengebracht werden können. Die Ungeklärtheit und Ungelöstheit von Fragen und Problemen gälte es in solchen Kontexten produktiv zu wenden. Anstatt die unvermeidlich auftretenden Irritationen abzuwehren, müssen diese als Impulse für die Herausarbeitung neuer Ideen aufgegriffen werden.

Gleichzeitig muss es jedoch auch darum gehen, den in feministischen und postkolonialen Analysen entwickelten Wissensstand zu verallgemeinern und sich mit Widerständen dagegen auseinander zu setzen. Dies machte die kritische Analyse des Programmatischen Eckpunktepapiers (vgl. hierzu auch Reymann 2006) deutlich, die Ulrike Schleier, Mathematikprofessorin an der Fachhochschule in Oldenburg sowie Mitglied der WASG, vorstellte. Durchweg werden die zentralen Politikfelder in diesem Papier geschlechtsblind abgehandelt: So gibt es keine Auseinandersetzung mit neoliberaler Frauenpolitik, und wo es um strukturelle Fragen der Ökonomie geht, wird diese durchgängig ‚geschlechtsneutral’ konzipiert. Auch in den Bereichen internationale Politik, EU und Militarisierung finden Geschlechterverhältnisse keine Erwähnung. Zwar wird an vielen anderen Stellen die Geschlechterperspektive aufgenommen, doch geschieht dies häufig in unzulänglicher Form. Dies ist z.B. der Fall, wenn Selbstbestimmung über den Körper auf die Abschaffung des § 218 reduziert wird, während die mediale Vermarktung von Frauenkörpern unerwähnt bleibt. Ober wenn „Frauen und Kinder“ viktimisierend gewalttätigen Männern gegenüber gestellt werden.

Selbstredend ist von Programmpapieren nicht zu erwarten, dass sie in sich geschlossene Abhandlungen der Themen liefern, zu denen sie Stellung beziehen. Vielmehr impliziert der Kompromisscharakter, der Programmpapieren eigen ist, immer auch begriffliche Unschärfen, handelt es sich doch um eine Textsorte, deren einigende Funktion ohne Inkohärenzen wohl nicht zu haben ist. Dennoch kann das Eckpunktepapier als Symptom für den Diskussionsstand zu Geschlechterverhältnissen innerhalb der Linkspartei gelesen werden. Als solches verweist es auf deutliche Leerstellen und auf ein Nicht-Verstehen, das selbst das Resultat der geschlechtshierarchischen Relevanz- und Kräfteverhältnisse sein dürfte, die auch in der Linken noch längst nicht überwunden sind. Abschließend wurde daher über Formen der Einmischung, nicht zuletzt auch die Mitarbeit bei der feministischen Frauenarbeitsgemeinschaft der Linkspartei „LISA“ oder die Nutzung von Massenmedien für die Verbreitung links-feministischer Positionen nachgedacht. Dabei geht es nicht nur um die Einflussnahme auf den Parteibildungsprozess im engeren Sinne, sondern darüber hinaus um Möglichkeiten, wie der Geschlechterperspektive als einem integralen Bestandteil in der breiten und heterogenen linken politischen Kultur mehr Anerkennung und Gewicht verschafft werden kann. Die Gesellschaftspolitischen Foren der RLS stellen nur einen Ort dar, an dem hieran gearbeitet und mitgewirkt werden kann. Weitere müssten geschaffen werden.

Im Frühjahr 2008 ist ein größerer Kongress der Rosa-Luxemburg-Stiftung geplant, der die Möglichkeit bieten soll, die bisherigen Diskussionen zu vertiefen und weiterzuführen.

Weiterführende Literatur:

Brodie, Janine, 2004: Die Re-Formierung des Geschlechterverhältnisses. Neoliberalismus und die Regulierung des Sozialen. In: Widerspruch 46, Zürich

Castro Varela, María do Mar, Dhawan, Nikita, 2005: Postkoloniale Theorie. Eine Einführung. transcript

Dies., 2007: Das Dilemma der Gerechtigkeit: Migration, Religion und Gender. In: Das Argument 266,  Hamburg

Fraser, Nancy, 1994: „ Der Kampf um die Bedürfnisse: Entwurf für eine sozialistisch-feministische kritische Theorie der politischen Kultur im Spätkapitalismus“. In: Dies: Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs und Geschlecht. Frankfurt/Main, 249-291

Müller, Julia (2006): Synopse der Diskussion um die Programmatischen Eckpunkte zur Bildung einer neuen Linkspartei. rls papers, September 2006

Nowak, Iris, 2005: Selbstbestimmung braucht öffentliche Güter. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Manuskripte 55. Dietz Verlag, Berlin

Reymann, Christiane (2006): Die (neue) Linke und die Frauenfrage. In: Widerspruch 50, Zürich

Schlegel, Uta (2006): Begriffe einer linken Geschlechterpolitik – Diskussionsvorschläge. Unveröffentlichter Beitrag des Forums vom 3.12. 2006

Die „Programmatischen Eckpunkte“ bilden den zentralen inhaltlichen Bestandteil der Gründungsdokumente der Partei DIE LINKE. Sie sind der Vorläufer des Parteiprogramms, das nach Gründung der neuen Partei im Juni 2007 in Berlin zu entwickeln sein wird. Bisher liegen zwei Fassungen vor; die erste Fassung ist ein von der gemeinsamen Programmkommission beider Parteien vorgelegter, am 22.10.2006 in Erfurt von den Vorständen beider Parteien verabschiedeter Entwurf. Dieser wurde parteiintern diskutiert und in leicht veränderter Form auf den Parteitagen der WASG und der Linkspartei.PDS am 24./25. 3. 2007 als vorläufige gemeinsame Basis beschlossen.

Autorinnennachweis:

Sünne Andresen, 1958, Soziologin, wiss. Angestellte an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

Susanne Lettow, 1965, Philosophin, Berlin