Ein Diskussionsangebot für die Konferenz „Europa neu gründen?“ von GUE/NGL und Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 9. bis 11. März 2007.
Von Leo Šešerko
1. Die Frage “wie sozial und ökologisch ist die EU, wie weit kann sie es sein” beabsichtige ich durch das Problem der externen Kosten beleuchten. Für manche gilt dieser Begriff als unklar und zu kompliziert für öffentliche Diskussion, in den Medien wird er kaum behandelt.
2. Was sind eigentlich die “externen Kosten”? Das sind die Kosten, die extern sind, was bedeutet so wie die Kosten, die durch eine kommerzielle oder industrielle Aktivität entstehen, aber vom dem, der sie verursacht, nicht bezahlt werden. Sie sind der Tasche des kommerziellen oder industriellen Verursachers extern, fremd, er braucht sie also nicht zu bezahlen. Bleiben sie unbezahlt? Nein!
3. Ein paar Beispiele der externen Kosten:
a) Ausstoss von CO2 und anderen Treibhausgasen und überhaupt die Nutzung der fossilen Energien ist ein gutes Beispiel. Viele reden von Klimawandel, wobei die Kostenfrage dieser Nutzung nur teilweise aufgeklärt wird: fossile Energien, Atomenergie einbegriffen, verursachen Produktionskosten, die bezahlt werden müssen. Der jeweilige Staat nimmt sich seinen Teil der Steuern, aber nach dem Gebrauch entstehen noch umfangreiche Schäden in Form der schlechter Luft, die eingeatmet wird und Atemnot, Erkältungen, Bronhitis, Asthma und in Extremfall Lungenkrebs verursacht. Am ehesten bei Kleinkindern und älteren Menschen. Für die damit entstandenen Kosten kommen nicht die Produzenten und Verbraucher der fossilen Energien auf, das ist ein individuelles Problem der Kranken jeden für sich. Wenn er versichert ist, kommen Krankenversicherungskosten auf ihn zu, aber nur für die Heilung. Alle anderen Kosten und Probleme, eventueller Tod einbegriffen, sind seine private Sache.
Aber damit sind die externen Kosten in dem Fall noch lange nicht ausgeschöpft. Durch den Temperaturanstieg und den Klimawandel kommt es zur Zerstörung ganzer Biotope, von natuerlichen Gleichgewichten, von ganzen Regionen und Kontinenten, wo die einheimischen Pflanzen und Tiere sich nicht an die erhöhten Temperaturen anpassen koennen und von Tod und Aussterben bedroht sind.
Sie unterliegen den manipulierten Pflanzen und Tieren, die Gletscher verschwinden, früher in Mitteleuropa unvorstellbare Krankheiten wie Malaria breiten sich aus. Damit entstehen Kosten, der Verursacher ist weit weg
und er bezahlt gar nicht dafür.
Gestern sagte Oskar Lafontaine, dass es in diesem Land Kinder gibt, deren Eltern keine 20 oder 50 Euro haben, um ihnen einen Schulausflug bezahlen zu koennen. Das bedeutet gesellschaftliche Ausgrenzung. Soziale Ausgrenzung findet weiterhin vielfach durch Krankheiten statt, durch die oben erwähnten und viele andere.
Es geht dabei um eine Reihe von Verursachern: in der chemischen Industrie, in der Agrarproduktion, in der Transportindustrie usw..
Eine weitere Form der externen Kosten sind verdeckte (oder unverdeckte, also aus dem Staatshaushalt an die “Wirtschaft” gezahlte Subventionen, wo der Staat für die externen Kosten aufkommt. Ein gravierendes Beispiel sind Schwertransporte auf den Strassen. Durch die schweren Laster werden die Autobahnen wortwörtlich zerstört und auch dafür wird aus der öffentlichen Tasche und nicht aus der Tasche der Verursacher gezahlt.
Wenn ich die Thematik der externen Kosten zusammen fasse, gilt es für sie, dass sie völlig unsozial sind.
Aber im Vergleich zu sichtbaren unsozialen Tatsachen wie Arbeitslosigkeit und schlechte Bezahlung, schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen, bezahlbares Schulwesen usw., was alles zur sozialen Ausgrenzung führt, kommen die tiefergesetzte externe Kosten, die auch zur Debatte gestellt werden sollten. Externe Kosten sind gehören zu dem Unsozialem, sie sind eine weitere Definition dieses Assozialen.
4. Wenn Demokratie auch bei ökonomischen Entscheidungen verlangt wird,
dann gehört in die Definition des Sozialstaates in der EU-Verfassung nicht nur, dass der Sinn des Sozialstaates das Recht auf Schutz vor gesellschaftlicher Ausgrenzung ist. Das ist das Mindeste, was verlangt werden muss und ein Massstab dafuer, wie der Sozialstaat definiert werden kann. In den neoliberalen Wirtschaftskonzepten gibt es das Wort externe Kosten ueberhaupt nicht. Es ist ein Problem des einzelnen Bürgers und der einzelnen Bürgerin. Damit die Rechte der Bürgerinnen und Buerger rechtlich besser geschützt werden können und damit sie einklagbar werden, soll der Begriff der externen Kosten in die Verfassung und in die Gesetzgebung aufgenommen werden.
5. Die externen Kosten sind eine schon hinter dem Rücken der Öffentlichkeit, der Bürger und Bürgerinnen durchgeführte Deregulierung und Privatisierung und eine krasse Form des Steuerdumpings und des Kostendumpings. In dem Augenblick, in dem die Frage steht, dass Deregulierung und Privatisierung verhindert werden sollen und dass auch die soziale Ausgrenzung, die durch sie herbeigeführt wird, verhindert werden soll, muessen die
schleichende Deregulierung und Privatisierung angeklagt und in die Öffentlichkeit gerückt werden. Wenn es nicht gelingt, die schleichende Deregulierung und Privatisierung der externen Kosten aufzuzeigen und anzuprangern, wird es noch schwieriger werden, die bestehenden und gesetzlich gesicherten sozialen Rechte zu schützen.
6. Es ist allein schon nicht selbstverständlich, dass die bestehenden und festgeschriebenen gesetzlichen Rechte eingeklagt werden, wenn die verletzt werden. Noch schwieriger ist es, durch die externen Kosten verursachte Schäden und die damit verbundene Ausgrenzung anzuklagen. Dafür braucht man Geld und Zeit und das sind für Bürger und Bürgerinnen begrenzte Grössen. Es geht hier aber auch um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Wissenschaft, die Medien, das Gerichtssystem, die Medien und die politischen Parteien das Problem überhaupt erst wahrnehmen und annehmen. Sie tendieren dazu, es nicht anzuerkennen. Aber seine Anerkennung ist eine Schlüsselfrage des Sozialstaates.
Die andere ist der Umstand, das der Sozialstaat nicht mehr auf der nationalen Ebene zu realisieren ist. Der Sozialstaat in einem Land ist letztendlich mit der Existenz des Sozialstaates auf der ganzen Erde zu abzusichern.
Deswegen ist die Erhaltung oder Einführung des Sozialstaates in China und Indien, egal wie entfernt und heute noch lebensfremd sie auch zu sein scheint, notwendigerweise ein Angelpunkt der europäischen Aussenpolitik, ebenso der Friendenspolitik.
7. Obwohl die Transnationalen Unternehmen, die nur 500 wie sie bei Jean Ziegler aufgezählt werden, und es werden in der Zukunft noch weniger werden, aber mit mehr Macht ausgestattet als die meisten Nationalstaaten, als “Maschinen zur Externalisierung der Kosten” bezeichnet werden, bemühen sie sich weltweit darum, die Bürger und Bürgerinnen zu Schuldigen für jene externe Kosten zu machen, die sie selbst verursachen.
8. Aber wenn die Buergerinnen und Buerger jeden Tag zur Arbeit müssen, und die Buslinie im Prozess des Abbaus der öffentlichen Dienste eingestellt wurde, dann sind sie gezwungen, mit dem Fahrrad oder Auto zu fahren. Im letzteren Fall werden sie beschuldigt, oder können sich selbst beschuldigen, verantwortlich fuer die externen Kosten ihrer Autofahrt zu sein.
Dieses Mechanismus ist überall zu sehen: die internationalen Firmen, die von den Neoliberalen durch den deklarierten Prozess der freien Konkurrenz zu grossen Monopolisten werden, lassen keine Gelegenheit aus, das schlechte Gewissen für externe Kosten auf Bürger und Bürgerinnen zu verlagern und sie zu Verursachern erklären zu lassen.
9. Was die Frage betrifft, wie sozial und wie ökologisch die EU sei, kann gesagt werden:
1. es gibt keine einheitlichen sozialen und ökologischen Rechte oder ein einheitliches Niveau des Sozialstaates, aber allgemein gilt, dass der Sozialstaat überall unter neo-liberalem Druck steht und dass überall in Europa die sozialen Rechte dereguliert werden.
2. verglichen mit anderen Kontinenten hatte Europa einen besseren Stand was den Sozialstaat betrifft, den wir aber in den letzten 15 Jahren unter den Auflagen des Neoliberalismus intensiv abgebaut haben.
3. Die EU und die Europäische Kommission sind von einer kohärenten Sozial- und Oekologiepolitik sehr weit entfernt, aber es muss anerkannt werden, dass in der Umweltpolitik auf manchen Gebieten Schritte nach vorn gemacht werden: zum Beispiel durch einzelne Direktiven und Auflagen, ueber die vor allem mit den hinten hängenden Staaten, wie mit den neuen EU-Mitgliedstaaten ein Schritt nach vorn gemacht wird.
4. Auch die EU Bürokraten machen manchmal Vorstoesse in Richtung von mehr ökologischen Direktiven und andere Auflagen, zum Beispiel bei Feinstaub oder erneuerbaren Energien. Etwas Vergleichbares gibt es auf dem Gebiet des Sozialen nicht. Aber auch bei ökologischen Angelegenheiten gibt es keine geschlossene und lückenlose EU-Politik: das ist ganz krass ersichtlich in der Atomenergiepolitik.
Aber vielleicht ist es doch besser, dass hinsichtlich der EU-Umweltpolitik keine umfassende Harmonisierung mit der Sozialpolitik gibt. Diese könnte ja eine Zurückführung der bestehenden Regulierungen auf Deregulierung bewirken wie sie auf vernichtende Weise in der Sozialpolitik läuft.
Soviel zu der Frage, wie sozial und ökologisch die EU ist. Was aber die Frage anbelangt, wie weit kann sie sozial und oekologisch sein kann, hängt die Antwort nur vom Mut, der Phantasie und der Organisation der jetzigen Generation ab.