Die Kommunal- und Lokalwahlen haben sich wie allgemein erwartet als ein wichtiger Fingerzeig für das politische Kräfteverhältnis nach einem Jahr PiS-geführter Regierung erwiesen. Auch wenn die zur Wahl gerufenen Bürger des Landes in erster Linie ihre Bürgermeister, Stadtpräsidenten, Stadt-, Kreis- und Gemeinderatsmitglieder und die Vertreter für die Wojewodschaftsvertretungen bestimmten, so haben sie zugleich eine wichtige Weichenstellung vollzogen: Wenig spricht für vorgezogene parlamentarische Neuwahlen, auch wenn das Schicksal der im Oktober zum zweiten Mal ins Leben gerufenen Regierungskoalition aus PiS, Samoobrona und LPR ungewiss sein dürfte.
Sieben Analyseansätze und Schlussfolgerungen:
- Eine relativ gute Vergleichsmöglichkeit mit den Ergebnissen der Parlamentswahlen 2005 geben die zusammengerechneten Ergebnisse der Wahlen zu den 16 Wojewodschaftsvertretungen. Bei einer etwas höheren Wahlbeteiligung von 46% haben die führenden Rechtsparteien PiS und PO ihre Plätze getauscht, im unterschiedlichen Maße Positionen ausgebaut, insgesamt aber den zusammengerechneten Stimmenanteil gehalten. Die oppositionelle PO erweist sich demnach als landesweit stärkste politische Kraft (27,2%), dicht gefolgt von PiS (25,1%). PO darf sich gegenüber 2005 über einen kräftigen Zuwachs an Wählerstimmen freuen (fast 700.000), der im großen Maße jungen Wählern in den Großstädten zu danken ist. PiS verbucht immerhin einen Zuwachs von 60.000 Wählerstimmen. Als dritte politische Kraft möchte sich die Wahlverständigung LiD sehen (14,2%), die aus SLD, SdPl, weiteren linken Gruppierungen und den Freidemokraten der PD im Sommer aus der Taufe gehoben wurde. Sie erreichte aber gut drei Prozentpunkte weniger als die zusammengerechneten Einzelergebnisse von 2005. In absoluten Zahlen verlor nach dieser Rechnung LiD fast 350.000 Wählerstimmen. Der große Gewinner der Wahlen ist die Bauernpartei PSL (13,2%), die gegenüber 2005 über 6 Prozentpunkte zulegen und mit etwa 650.000 dazu gewonnenen Wählerstimmen das Ergebnis von 2005 fast verdoppeln konnte. In die Wojewodschaftsparlamente ziehen auf Grund komplizierter Rechnungsverfahren sogar mehr PSL-Vertreter ein als von der LiD. Deutliche Einbußen mussten die kleinen Regierungspartner hinnehmen. Samoobrona (5,6%) verlor gegenüber 2005 über 5 Prozentpunkte und nahezu 650.000 Wählerstimmen, die national-katholische LPR (4,74%) über 3 Prozentpunkte und 320.000 Wählerstimmen. Der Regierungskoalition sind zwar insgesamt 910.000 Stimmen verlorengegangen, was aber für die eigentlich die Regierungsgeschäfte führende PiS keine negativen Auswirkungen haben dürfte.
- PiS hat mit den Wahlergebnissen in den Großstädten die 2005 bei den Parlamentswahlen erreichten Positionen halten, teilweise leicht ausbauen können (Warschau). Es dürfte den PiS-Strategen klar sein, dass das Wählerpotential dort ausgereizt ist. Folgt man der bei PiS beliebten Einteilung in ein „solidarisches“ und ein „liberales“ Polen, dann stehen in den Großstädten der PiS als einziger Kraft des „solidarischen“ Polen zwei unterschiedlich starke Kräftezentren des „liberalen“ Polen gegenüber: PO und LiD. Nach den jetzigen Wahlen beträgt das Kräfteverhältnis zwischen diesen beiden oppositionellen Gruppierungen im Schnitt der Großstädte etwa 3:1 (Spektrum von 5:1 bis 2:1). Wählerwanderungen in den Großstädte könnten in der nächsten Zeit vor allem Transfers zwischen diesen beiden Lager betreffen. Eine Verständigung etwa zwischen PO und PiS könnte z. B. der PO Zuspruch bei vielen eingefleischten Kaczyński-Gegnern kosten, denen die sich abzeichnenden LiD-Angebote so fern nicht stehen dürften. Sollte also zwischen PiS und PO das „Kriegsbeil“ begraben werden, worauf einiges hindeutet, läge der Ball nach beschriebener Logik bei PO.
- Während für PiS die Position in den Großstädten auf absehbare Zeit vorgezeichnet scheint, haben sich nunmehr neue Möglichkeiten im Terrain eröffnet. PiS ist landesweit in den Kreisvertretungen (ohne kreisfreie Städte) zur stärksten Kraft geworden (18,2%). Da die eher als städtisch geltende PO (12,2%) in diesem Bereich vorerst an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen ist, kehrt sich das Prinzip der Großstädte in der Fläche etwas um. PiS kann bei konsequent vorangetriebener Verankerung der Strukturen hier in den nächsten Monaten/Jahren weiteren Boden gewinnen. LiD (8,7%) fällt aus wählersoziologischen Gründen als ernsthafter Konkurrent aus. Einzig die PSL (11,2%) besitzt Erweiterungspotential, während die beiden kleinen Koalitionspartner in diesem für sie wichtigen Wählergebiet enttäuschende Ergebnisse in Kauf nehmen müssen (Samoobrona 5,2% und LPR 2,3). Damit ist PiS in der Fläche zur stärksten Kraft aufgestiegen und wird nunmehr in die Lage versetzt, die 2005 erreichten Positionen an Wählerzustimmung mit eigenen arbeitsfähigen Strukturen zu untersetzen. Sie dürfte nach diesen Wahlen dem großen Ziel, unter eigener Führung einen volksparteiähnlichen Block zu schaffen, in dem konservativ-nationale Wähler dauerhafte und feste Bindung besäßen, einen großen Schritt näher gekommen sein. Ein erstes Opfer könnte in absehbarer Zeit die LPR werden..
- Stärkste Kraft in den Großstädten ist die rechtsliberale PO geworden. Ihre teilweise enormen Zugewinne kommen meistenteils auf das Konto von Erst- und Jungwählern. In Warschau etwa kommt die Partei in diesem Bereich auf über 60%. Sie hat es in den zurückliegenden Monaten zunehmend verstanden, sich als die einzig wirkliche alternative Kraft zur Regierungskoalition (und erst in zweiter Linie zu PiS) zu etablieren. Allerdings reichen die in den Großstädten erreichten Zuwächse auch weiterhin nicht, um aus eigener Kraft die bestehende Koalition zu gefährden. PO ist bei allen Spekulationen in Richtung künftiger Regierungsbeteiligung perspektivisch entweder auf PiS oder LiD angewiesen. Die in den Kommunal- und Lokalwahlen hier und da angebahnte Partnerschaft mit der Bauernpartei PSL wird auf der Landesebene keine Wirkung haben. Ein Zusammengehen mit PiS könnte insbesondere neugewonnene Wähler in Richtung LiD treiben, ein Zusammengehen mit LiD würde hingegen die PiS-Strategen in die Vorhand bringen, denn schließlich versuchen führende PO-Vertreter seit Monaten gebetsmühlenartig, die PiS-Mannen wegen ihres angeblich nachlassenden oder löchrig werdenden Antikommunismus madig zu machen.
- In einer schwierigen Situation befindet sich LiD, also das im Sommer 2006 geschlossene Mitte-Links-Wahlbündnis zwischen SLD, SdPl, UP und PD. Diesem Bündnis schlossen sich weitere kleinere linksgerichtete Parteien und Gruppierungen sowie die Gewerkschaftszentrale OPZZ an. Die erreichten Wahlergebnisse, wiewohl in einzelnen Regionen unterschiedlich, werden insbesondere den Parteistrategen der SLD einiges Kopfzerbrechen bereiten. Nur in wenigen Fällen ist gegenüber 2005 ein wirklicher Durchbruch, also ein spürbarer Zuwachs an Wählerstimmen erreicht worden. Insgesamt ist man doch recht deutlich unter den zusammengerechneten damaligen Teilergebnissen und damit unter den selbst gestellten Erwartungen geblieben. Zudem müssen nun wichtige Positionen in den Kommunal- und Regionalvertretungen geräumt werden. Verglichen mit den Lokal- und Regionalwahlen 2002 (SLD/UP und Freidemokarten) hat LiD mit 1.700.000 Stimmen fast die Hälfte des damaligen Stands verloren, was sich natürlich in teils dramatischen Verlusten in den Selbstverwaltungskörperschaften widerspiegelt.
- Das neu geschaffene Wahlbündnis LiD befindet sich am Scheideweg: Ein Zurück zu den noch immer bestehenden Parteistrukturen kann es nicht mehr geben, womit also der Aufbruch in einen neuen politischen Zusammenhang auf der Agenda steht. Dieser ist beispielsweise durch den Ex-Präsidenten Kwaśniewski seit langem gewollt: Ein fester Mitte-Links-Block (Centrolew, also mehr als LiD im Augenblick) mit entschieden marktwirtschaftlichem Einschlag, mit freiheitlicher Ausrichtung (bei allerdings strikter Achtung traditioneller Eigenarten Polens), pro-europäisch und pro-atlantisch, unbelastet von unnötigen sozialen Versprechungen. Ein solcher Block wäre in erster Linie eine (links)liberale Herausforderung für die PO in den Großstädten – attraktiv vor allem für junge, sich gesund fühlende, die Zukunft suchende und in sozialer Hinsicht noch relativ wenig eingebundene Wählerschichten. Attraktiv also für jene, die in deutlicher Mehrheit derzeit die Stimmen den Rechtsliberalen geben.
- Die sozial ausgerichteten Kräfte im Bündnis LiD befinden sich augenscheinlich in der Defensive. Ob sie sich künftig mehr Einfluss werden erstreiten können, hängt auch vom Agieren der Gewerkschaftszentrale OPZZ ab, die sich trotz großer Vorbehalte gegenüber den Freidemokraten der PD letztendlich für ein Zusammengehen ausgesprochen hat. Die Tatsache, dass LiD bei Arbeitnehmern und Arbeitslosen deutlich unter dem Schnitt lag, ist als Hinweis zu werten, dass in großen Teilen der Gewerkschaftsbasis eine andere Stimmung vorherrscht. Andererseits haben die Wahlen gezeigt, dass die sich sozial verstehenden Alternativen zu LiD kaum Beachtung fanden. Insbesondere die lange Zeit als eine mögliche Alternative zur SLD angesehene PPP hat bei den Wahlen flächendeckend klare Niederlagen einstecken müssen. So bleibt allen Gruppierungen und Parteien, die eine konsequente soziale Ausrichtung als die bessere Antwort auf die leere Rhetorik der Strategen eines „solidarischen Polen“ sehen, einstweilen nur, sich innerhalb eines programmatisch möglichst breit gefassten Bündnisses zu profilieren und an Gewicht zu gewinnen. Wenn man so will – ein italienischer Weg.
angeführte Parteien:
PiS (Recht und Gerechtigkeit), nationalkonservativ;
PO (Bürgerplattform), rechtsliberal;
LiD (Bündnis aus Linken und Demokraten); Wahlbündnis aus SLD, SdPl, PD und weiteren kleineren Gruppierungen;
SLD (Demokratische Linksallianz), sozialdemokratisch;
SdPl (Polnische Sozialdemokratie), sozialdemokratisch;
PD (Demokratische Partei), liberal;
UP (Union der Arbeit), sozialdemokratisch;
PPP (Polnische Partei der Arbeit), versteht sich als eine aus der linken „Solidarność“-Tradition herkommende Arbeiterpartei;
Samoobrona (Selbstverteidigung), bauernpolitisch orientiert;
LPR (Liga der Polnischen Familien), national-katholisch;
PSL (Bauernpartei), bauernpolitisch;