Publication Bildungspolitik - Gesellschaftstheorie - Globalisierung - Kultur / Medien - Geschichte Die Transformation des Politischen - Analysen, Deutungen, Perspektiven

von Tim Engartner, Diana Kuring, Thorsten Teubl (Hrsg.). Siebentes und Achtes DoktorandInnenseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Reihe Manuskripte der RLS, Bd. 66

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Series

Manuskripte

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Thorsten Teubl, Diana Kuring,

Published

January 2007

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Siebentes und Achtes DoktorandInnenseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Manuskripte der RLS, Bd. 66

Inhalt


Vorwort

TIM ENGARTNER: Ökonomisierung ohne Normativität – oder: Die lautlose Konversion zum Neoliberalismus

SOPHIA ROST: Ursachen des islamistischen Terrorismus in westlichen Gesellschaften aus der Perspektive der Politischen Theorie

DIANA KURING: Die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung. Berührungspunkte und politische Verantwortung in Deutschland?!

JOSEPHINE A. EMAGE: Sustainable Development in the Information and Communication Technology Industry (ICT) in Cameroon. A Case Study of ICT in Cameroon

THORSTEN TEUBL: Musiktheater in der Krise – oder: Muss Theater sein? 10 Gedankensplitter

PETER ULLRICH: Das explorative ExpertInneninterview. Modifikationen und konkrete Umsetzung der Auswertung von ExpertInneninterviews nach Meuser/Nagel

JENS DOBLER: Wilhelm Stieber, der erste Apologet der polizeilichen Homosexuellenverfolgung. Eine biographische Skizze

FILOMAIN NGUEMO: Stem Cells research and therapy: most fascinating areas and “hot” topics in biology and medicine of today

AutorInnen


Vorwort
Die kritische Perspektive, das politische Moment und die zeitgeschichtliche Bedeutsamkeit sind die einenden Elemente des vorliegenden Sammelbandes, der exemplarisch einzelne Arbeitsfelder der StipendiatInnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung dokumentiert. Trotz thematischer Divergenzen ist allen Beiträgen gemein,

dass sie sich mit der Darstellung, Deutung und Kritik politischer Prozesse auseinandersetzen – seien sie realpolitischer, analytischer oder theoretischer Art. Entgegen dem weit verbreiteten Politikbegriff, der sich an Akteuren und Prozessen im Sinne staatlicher Normierungen und Machtstrukturen orientiert, bewegen sich die vorliegenden Beiträge darüber hinaus im Spannungsfeld von Wirtschaft, Medizin, Kultur, Forschung und Soziologie – weisen insofern eine weit(er) gefasste politische Dimension auf.

Die Ausarbeitungen sind Ergebnis des siebten und achten DoktorandInnenseminars der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das im Oktober 2005 bzw. im Mai 2006 in Berlin stattfand. Wie bereits in den vergangenen Jahren bot sich dabei einmal mehr die Gelegenheit zu einem interdisziplinären und interkulturellen Austausch, der jenseits der Grenzen des eigenen Forschungsbereichs wertvolle Einblicke in neue Themenfelder und Arbeitstechniken ermöglichte.

Der Beitrag von Tim Engartner befasst sich mit dem hierzulande erfolgten Aufstieg des Neoliberalismus, der seit Mitte der 1970er Jahre zunächst schleichend, mit der „geistig-moralischen Wende“ unter Helmut Kohl 1982/83 dann verstärkt und Anfang der 90er Jahre endgültig zum vorherrschenden polit-ökonomischen Deutungsmuster heranwuchs. Letztlich gerieten fest im gesellschaftlichen Bewusstsein verankerte sozialstaatliche Leitideen, Grundpfeiler der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie zentrale Sektoren staatlicher Wirtschaftstätigkeit in das Fadenkreuz parteiübergreifender Kritik. Dabei beleuchtet der Autor nicht allein die historische Entwicklung des Prozesses, sondern geht insbesondere der Frage nach, welches die Triebfedern waren, die der neoliberalen Wirtschaftspolitik zur Akzeptanz jenseits der tradierten (partei-)politischen Grenzen verhalfen.

Sophia Rost analysiert die Ursachen des islamistischen Terrorismus in westlichen Gesellschaften aus der Perspektive der Politischen Theorie. Ihr Beitrag geht der Frage nach, warum sich Menschen muslimischen Glaubens derart radikalisieren, dass sie bereit sind, Zivilisten unter Inkaufnahme des eigenen Todes zu töten. Bei der Analyse der bisherigen Anschläge (wie dem 11. September 2001 in den USA und dem 7. Juni 2005 in London) fällt auf, dass sich die jungen Männer nicht fernab ihrer Anschlagsziele radikalisierten, sondern dort, wo sie studierten, arbeiteten und lebten. Die Suche nach den Ursachen des islamistischen Terrorismus konzentriert sich daher in den vorliegenden Ausführungen auf die soziokulturellen Bedingungen sowie die politischen Strukturen in den westlichen Staaten.

Der Beitrag von Diana Kuring setzt sich mit dem sensiblen, komplexen und häufig fehlinterpretierten Phänomen der weiblichen Genitalverstümmelung auseinander. Entgegen den üblichen Bearbeitungen des Themas stellt die Autorin die Genitalverstümmelung in Deutschland in den Mittelpunkt ihrer Analyse und Bewertung. Mit dem provokanten Titel „Die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung – Berührungspunkte und politische Verantwortung in Deutschland?!“ zielt Diana Kuring darauf ab, ein neues, brisantes und bisher unzureichend beleuchtetes Problemfeld der Politik publik zu machen. Das geschieht einerseits unter dem Blickwinkel einer historischen Betrachtung der Prävalenz der Genitalverstümmelung in Deutschland. Ziel ist dabei, einen Perspektivwechsel anzuregen, da die meisten Deutschen die weibliche Genitalverstümmelung als einen grausamen Brauch in Afrika sehen. Andererseits versucht der Artikel die aktuelle Situation von hierzulande betroffenen und gefährdeten Migrantinnen aufzuzeigen. Im Mittelpunkt stehen neben der Prävalenz bestehende rechtliche Regelungen im Umgang mit Fällen der Genitalverstümmelung sowie politische und soziale Forderungen für eine angemessene Bearbeitung der aktuellen Entwicklungen zur Genitalverstümmelung in der BRD.

Josephine A. Emage wirft in ihrem Beitrag „Sustainable Development in the Information and Communication Technology Industry (ICT) in Cameroon. ACase Study of ICT in Cameroon“ einen Blick auf die Potentiale und Hindernisse, die aus der Revolutionierung des Telekommunikationsmarktes in Kamerun erwachsen. Im Mittelpunkt ihres Beitrags stehen die politischen Handlungsoptionen und -prozesse sowie die aus der Nutzung der Informationstechnologie erwachsenden gesellschaftlichen Vorteile. Die Autorin fordert eine staatlich verantwortete Handlungsstrategie, die den Informationszugang durch öffentliche Internet- und Telefoncenter für alle Menschen gleichermaßen gesetzlich zusichert.

Thorsten Teubl stellt die Frage, wie Musiktheater als Betrieb und auf der Produktionsebene gestaltet werden muss, um nicht der „Sparwut“ (oder sollte man sagen dem Zeitgeist?) bzw. der Musealisierung zum Opfer zu fallen. Sicherlich lässt sich eine solche Fragestellung im Sinne von „in dubio pro arte“ beantworten. Allerdings steht auch der Kulturbetrieb des 21. Jahrhunderts vor einem Rechtfertigungszwang und im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit und der Notwendigkeit von Kultur. In zehn Gedankensplittern zeigt Thorsten Teubl die Bedeutung der weltweit einzigartigen deutschen „Theaterlandschaft“ sowie des Musiktheaters auf, definiert, warum in der Oper – welche eigentlich als Musiktheater zu bezeichnen ist – gesungen wird und stellt Fragen nach einer etwaigen selbstverschuldeten Krise  der Theaterschaffenden. Ferner beleuchtet der Autor den Rückzug des Staates aus seiner kulturellen und finanziellen Verantwortung kritisch und spricht sich in ökonomischer wie auch ästhetischer Hinsicht für die „aussterbende“ Kunstgattung des Musiktheaters aus. Abschließend wagt er einen Ausblick auf die Zukunft des Musiktheaters und skizziert ein neues Strukturmodell für den Musiktheaterbetrieb.

Peter Ullrich schreibt über das vornehmlich in der qualitativen Sozialforschung angewandte explorative ExpertInneninterview und zeichnet dieses anhand des im Jahre 2002 erschienenen Standard-Textes von Meuser und Nagel Das ExpertInneninterview – vielfach erprobt, wenig bedacht nach. Eine konkrete Umsetzung erfährt das ExperInneninterview in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Rezeption des Nahostkonflikts bei den britischen und deutschen Linken sowie der Fragestellung, warum sich trotz einer nahezu universalistischen Orientierung der Linken unterschiedliche Rezeptionsmuster ergeben. Mit Hilfe des ExpertInneninterviews sollen bestimmte Grundmuster im Umgang mit der Thematik aufgedeckt und generiert werden. Der Autor erweitert die sechs von Meuser und Nagel vorgeschlagenen Schritte zum Einsatz des explorativen ExpertInneninterviews vor dem Hintergrund seiner eigenen Forschungsarbeit.

Jens Dobler befasst sich in seinen Ausführungen mit Wilhelm Stieber (1818-1882), dem Gründer der Berliner Kriminalpolizei, der als Bismarcks erster Geheimdienstchef zugleich ein gefürchteter Kommunistenverfolger war. Seine Äußerungen über Homosexualität und seine Szenarien zur Ermittlung von Homosexuellen sind die ersten polizeilichen Quellen zur Homosexuellenverfolgung. Um Stieber ranken sich Mythen und Legenden. Die biographische Skizze stellt Kontinuitäten und Brüche seines Lebensweges dar und will Motivationen ergründen.

Filomain Nguemo geht in dem letzten Beitrag dieses Sammelbandes der Stammzellenforschung und -therapie aus medizinischer Sicht nach. Er schlussfolgert, dass bei einem beharrlichen Vorantreiben der Forschung auf diesem Feld eine Revolution der praktischen Medizin zu erwarten ist – mit positiven Auswirkungen auf Lebensdauer und -qualität.

Tim Engartner, Diana Kuring und Thorsten Teubl
Berlin, im November 2006