Oft trügt der erste Eindruck, mitunter bewahrheitet er sich aber auch: Wer an diesem Freitagnachmittag Mitte Oktober 2006 das Foyer der Universität Dufour in Genf betrat, um sich für die Teilnahme am 2. Parteitag der Europäischen Grünen Partei (EGP) registrieren zu lassen, dessen Blick fiel auf einen Stand des „Europäischen Netzwerks der Grünen Senioren“ (ENGS). In einer älter werdenden Gesellschaft müssten die grünen Senioren ihre gesellschaftspolitischen Positionen gut organisiert einbringen, meinte ein freundlicher älterer Herr am einzigen Stand, der zu diesem Zeitpunkt besetzt war. Der Blick später auf die Reihen der Parteitagsteilnehmer zeigte, dass die älteren Jahrgänge eindeutig dominierten.
Die EGP war im Februar 2004 in Rom als Nachfolgeorganisation der Europäischen Föderation Grüner Parteien (EFGP) mit dem Anspruch gegründet worden, die erste politische Strömung zu sein, die sich als europäische Partei nicht auf die EU-Mitgliedsstaaten und die Beitrittskandidaten beschränkt, sondern in der Tat ganz Europa umfasst – unter Einschluss der Grünen in Norwegen und der Schweiz ebenso wie in der Ukraine, in Russland oder in Georgien. Nach Ansicht ihrer Initiatoren hat sich die neue Partei offensichtlich (namentlich bei den Europa-Wahlen 2004) bewährt, so dass eine der ersten Aktivitäten des 2. Parteitages der EGP darin bestand, die EFGP auch formell aufzulösen.
Am Parteitag in Genf nahmen rund 500 Grüne, darunter 229 Delegierte mit Stimmrecht, teil, die 35 Parteien aus 31 europäischen Ländern vertraten. Schon mit dem Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 2009 beschlossen sie das programmatische Dokument „Eine grüne Zukunft für Europa“, dessen Debatte im Zentrum des Kongresses stand, und die „Charta der Europäischen Grünen“, die als gemeinsames Programm die Leitprinzipien der European Green Party fixiert. Nach dem Nein zum EU-Verfassungsentwurf bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden wollten sie nun einen Weg zu einer „grünen Zukunft“ für Europa aufzeigen. In einer Zeit, in der sich der Klimawandel beschleunige, in der die Energiekrise „an unsere Türen klopft“, das europäische Sozialmodell auf dem Spiel stehe und mehr denn je eine Antwort auf die Globalisierung gegeben werden müsse, wollten sie den Blick erweitern und ihre Kooperation hinsichtlich einer aktionsorientierten Politik verstärken. Ziel sei, so EGP-Co-Präsident Philippe Lamberts aus Belgien, „2009 die viertstärkste Partei innerhalb Europas zu werden und danach die drittstärkste“.
In dem mit mehr als 90 Prozent der Stimmen angenommenen programmatischen Papier „Eine grüne Zukunft für Europa“ einigten sich die Grünen über eine gemeinsame Vision in Fragen der Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Sie fordern den Ausstieg Europas aus der Atomenergie und die Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Erdöl und Erdgas. Stattdessen setzen sie auf Erneuerbare Energien, auf Energiesparen und auf Energieeffizienz. Hierin sehen sie auch das Potential für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. In diesem Kontext verlangen die Grünen zudem eine ökologische Landwirtschaft, eine neue Verkehrspolitik und einen verbesserten Klimaschutz.
Die Europäische Union müsse demokratischer und sozialer gestaltet werden. Ein europäisches Sozialmodell sei nötig, um die gestiegene Innovation, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit auszubalancieren. Zu den Vorschlägen zu einem neuen europäischen Verfassungsvertrag gehören eine Aufwertung des Europäischen Parlaments und ein europäisches Referendums- und Initiativrecht. In einem paneuropäischen Referendum zur EU-Verfassung sollen die Bürger der 25 EU-Staaten schließlich am selben Tag über eine überarbeitete EU-Verfassung abstimmen.
Strittig debattiert wurden auf dem Parteitag der EGP vor allem die folgenden vier Punkte:
Erstens die generelle Bewertung der Europäischen Union (EU). Während die überwiegende Mehrheit der grünen Delegierten die EU grundsätzlich positiv bewertet, machten vor allem die dänischen Grünen ihre Ablehnung der EU deutlich, unterstützt von den englischen und der Mehrheit der schwedischen Grünen. Diese Delegierten stimmten letzten Endes dem Programm-Dokument „A Green Future for Europe“ nicht zu. Die Vertreter der dänischen Partei De Grønne unterbreiteten in diesem Sinne zudem grundsätzliche Änderungsanträge zur „Charta der Europäischen Grünen“. Erst nach zähen Verhandlungen im Hintergrund gaben sie diese Anträge als einseitige Erklärung zu Protokoll, verzichteten aber darauf, gegen den Text der Charta zu stimmen, so dass diese ohne Gegenstimmen angenommen wurde.
Zweitens die Frage der Art und Weise der Erweiterung der Europäischen Union. Während die Co-Präsidentin der EGP, die Österreicherin Ulrike Lunacek, hervorhob, dass die Erweiterung der EU von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten dazu beigetragen habe, den Frieden in Europa sicherer zu machen und dass auch die Aufnahme Bulgariens, Rumäniens und in der Perspektive der Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens – bei allen Problemen in diesen Ländern – Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent fördern werde, goss Pierre Jonckheer Wasser in diesen Wein: So einfach sei die Frage nicht zu beantworten. Der belgische Europa-Abgeordnete wies darauf hin, dass die früheren Erweiterungsschritte der Union immer mit erheblichen Transferleistungen an die neuen Mitgliedsstaaten einhergegangen waren, die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern befördert und damit für Stabilität und Wachstum gesorgt hätten – die Grundlage für dauerhaften Frieden. Bei der Erweiterung der EU von 15 auf 25 Staaten wurde jedoch bereits der EU-Haushalt gedeckelt. Die im Vorfeld der Aufnahme geweckten Erwartungen seien weit größer, als sie erfüllt werden könnten. Beim Beitritt weiterer neuer Staaten gebe es immer weniger zu verteilen. Wenn aber in den neuen und künftigen Beitrittsstaaten weder wirtschaftliche Prosperität noch Wohlstand im erwarteten Maße einkehren, werde die These der Friedenssicherung durch Beitritt brüchig. Es bedürfe also entsprechender Anstrengungen der alten Mitgliedsstaaten, den neuen auf die Beine zu helfen, machte Pierre Jonckheer deutlich.
Drittens der Stellenwert des Sozialen in der Europäischen Union. Mit dem Blick auf das Nein beim Referendum zur EU-Verfassung in Frankreich machten sich vor allem die französischen Grünen für eine stärkere soziale Ausrichtung EU-Europas stark. Nach ihrer Auffassung sei es gegenwärtig eine wichtige Aufgabe der europäischen Grünen, dazu beizutragen, eine Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern. Dagegen waren für die meisten Grünen Osteuropas, die in Opposition zum realsozialistischen System entstanden sind und zum Teil unter dem Dach der Kirche gearbeitet haben, Sozialpolitik, soziale Forderungen und Anliegen „sozialistisches Teufelszeug“, mit dem sie nichts zu tun haben möchten. Die Föderation der Jungen Grünen Europas focht gleichwohl im Sinne eines sozialeren Europas auf dem Parteitag für ein Basiseinkommen für jeden Bürger, das ihm die Mittel für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse sichern müsse. Zudem sollte nach ihrer Auffassung, in Kombination mit einem Mindestlohn, die EU anordnen, die Arbeit durch Reduzierung der Arbeitszeit von 38 auf 30 Stunden pro Woche (bei vollem Lohnausgleich) neu zu verteilen. Ein Anliegen, das Juan Behrend, der Generalsekretär der EGP, für „sehr sympathisch, aber leider nicht realistisch“ hielt – eine Position, die die große Mehrheit der Delegierten offensichtlich teilte.
Viertens – mit dem vorigen Punkt zusammenhängend – die Frage, ob man sich neoliberaler Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Güter entgegenstellen soll oder ob man diese Entwicklung als quasi „gottgegeben“ ansieht oder gar befördern will. Hier sind es vor allem die belgischen Grünen, die dieser Entwicklung Einhalt gebieten wollen. Ihrem Antrag, nicht nur Wasser generell, sondern auch kulturelle und audiovisuelle Angelegenheiten und Postdienstleistungen in die Liste jener Güter aufzunehmen, die nicht privatisiert werden sollten, stimmte in Genf rund die Hälfte aller Delegierten zu. Der Antrag verfehlte allerdings die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit, um Bestandteil des Programm-Dokuments zu werden. Andere Delegierte hielten zumindest bei den Postdienstleistungen den Zug für längst abgefahren, ganz abgesehen von jenen osteuropäischen Grünen, die mit dem neoliberalen Zeitgeist segeln. Und so blieb es bei der Formulierung, dass die Grünen der Auffassung sind, „dass öffentliche Güter wie Erziehung, Gesundheit, öffentlicher Transport und Trinkwasser nicht Gegenstand des Marktmechanismus werden sollten“.
Unter dem Strich bleibt nach dem 2. Parteitag der EGP in Genf zumindest dreierlei festzuhalten:
Zum Ersten entwickelt sich die EGP zu einer ganz „normalen“ Partei mit programmatischen Dokumenten, Resolutionen, Anträgen und Abstimmungen, mit Mehrheits- und Minderheitspositionen. Zu einer Partei, die einerseits mit diesen Minderheitspositionen umgehen kann und deren Protagonisten nicht aus ihren Reihen verdrängt und in der andererseits Vertreter der Minderheitsposition auch nach einer Abstimmungsniederlage weiterhin ihre politische Heimat sehen.
Zum Zweiten haben sich die europäischen Grünen erstmals zur Wirtschaft und zur Wirtschaftspolitik geäußert, einem Thema, das sie nach den Worten der österreichischen Co-Präsidentin der EGP, Ulrike Lunacek, bisher „praktisch gemieden“ hatten. Damit haben sie begonnen, ein zentrales Politikfeld zu besetzen, was ihrer Rolle in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stärkeres Gewicht verleihen wird.
Zum Dritten erwächst der (sozialistischen) Linken im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 mit der EGP eine starke Konkurrenz, auf die sich die Europäische Linkspartei rechtzeitig einstellen sollte.Oft trügt der erste Eindruck, mitunter bewahrheitet er sich aber auch: Wer an diesem Freitagnachmittag Mitte Oktober 2006 das Foyer der Universität Dufour in Genf betrat, um sich für die Teilnahme am 2. Parteitag der Europäischen Grünen Partei (EGP) registrieren zu lassen, dessen Blick fiel auf einen Stand des „Europäischen Netzwerks der Grünen Senioren“ (ENGS). In einer älter werdenden Gesellschaft müssten die grünen Senioren ihre gesellschaftspolitischen Positionen gut organisiert einbringen, meinte ein freundlicher älterer Herr am einzigen Stand, der zu diesem Zeitpunkt besetzt war. Der Blick später auf die Reihen der Parteitagsteilnehmer zeigte, dass die älteren Jahrgänge eindeutig dominierten.
Die EGP war im Februar 2004 in Rom als Nachfolgeorganisation der Europäischen Föderation Grüner Parteien (EFGP) mit dem Anspruch gegründet worden, die erste politische Strömung zu sein, die sich als europäische Partei nicht auf die EU-Mitgliedsstaaten und die Beitrittskandidaten beschränkt, sondern in der Tat ganz Europa umfasst – unter Einschluss der Grünen in Norwegen und der Schweiz ebenso wie in der Ukraine, in Russland oder in Georgien. Nach Ansicht ihrer Initiatoren hat sich die neue Partei offensichtlich (namentlich bei den Europa-Wahlen 2004) bewährt, so dass eine der ersten Aktivitäten des 2. Parteitages der EGP darin bestand, die EFGP auch formell aufzulösen.
Am Parteitag in Genf nahmen rund 500 Grüne, darunter 229 Delegierte mit Stimmrecht, teil, die 35 Parteien aus 31 europäischen Ländern vertraten. Schon mit dem Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 2009 beschlossen sie das programmatische Dokument „Eine grüne Zukunft für Europa“, dessen Debatte im Zentrum des Kongresses stand, und die „Charta der Europäischen Grünen“, die als gemeinsames Programm die Leitprinzipien der European Green Party fixiert. Nach dem Nein zum EU-Verfassungsentwurf bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden wollten sie nun einen Weg zu einer „grünen Zukunft“ für Europa aufzeigen. In einer Zeit, in der sich der Klimawandel beschleunige, in der die Energiekrise „an unsere Türen klopft“, das europäische Sozialmodell auf dem Spiel stehe und mehr denn je eine Antwort auf die Globalisierung gegeben werden müsse, wollten sie den Blick erweitern und ihre Kooperation hinsichtlich einer aktionsorientierten Politik verstärken. Ziel sei, so EGP-Co-Präsident Philippe Lamberts aus Belgien, „2009 die viertstärkste Partei innerhalb Europas zu werden und danach die drittstärkste“.
In dem mit mehr als 90 Prozent der Stimmen angenommenen programmatischen Papier „Eine grüne Zukunft für Europa“ einigten sich die Grünen über eine gemeinsame Vision in Fragen der Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Sie fordern den Ausstieg Europas aus der Atomenergie und die Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Erdöl und Erdgas. Stattdessen setzen sie auf Erneuerbare Energien, auf Energiesparen und auf Energieeffizienz. Hierin sehen sie auch das Potential für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. In diesem Kontext verlangen die Grünen zudem eine ökologische Landwirtschaft, eine neue Verkehrspolitik und einen verbesserten Klimaschutz.
Die Europäische Union müsse demokratischer und sozialer gestaltet werden. Ein europäisches Sozialmodell sei nötig, um die gestiegene Innovation, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit auszubalancieren. Zu den Vorschlägen zu einem neuen europäischen Verfassungsvertrag gehören eine Aufwertung des Europäischen Parlaments und ein europäisches Referendums- und Initiativrecht. In einem paneuropäischen Referendum zur EU-Verfassung sollen die Bürger der 25 EU-Staaten schließlich am selben Tag über eine überarbeitete EU-Verfassung abstimmen.
Strittig debattiert wurden auf dem Parteitag der EGP vor allem die folgenden vier Punkte:
Erstens die generelle Bewertung der Europäischen Union (EU). Während die überwiegende Mehrheit der grünen Delegierten die EU grundsätzlich positiv bewertet, machten vor allem die dänischen Grünen ihre Ablehnung der EU deutlich, unterstützt von den englischen und der Mehrheit der schwedischen Grünen. Diese Delegierten stimmten letzten Endes dem Programm-Dokument „A Green Future for Europe“ nicht zu. Die Vertreter der dänischen Partei De Grønne unterbreiteten in diesem Sinne zudem grundsätzliche Änderungsanträge zur „Charta der Europäischen Grünen“. Erst nach zähen Verhandlungen im Hintergrund gaben sie diese Anträge als einseitige Erklärung zu Protokoll, verzichteten aber darauf, gegen den Text der Charta zu stimmen, so dass diese ohne Gegenstimmen angenommen wurde.
Zweitens die Frage der Art und Weise der Erweiterung der Europäischen Union. Während die Co-Präsidentin der EGP, die Österreicherin Ulrike Lunacek, hervorhob, dass die Erweiterung der EU von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten dazu beigetragen habe, den Frieden in Europa sicherer zu machen und dass auch die Aufnahme Bulgariens, Rumäniens und in der Perspektive der Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens – bei allen Problemen in diesen Ländern – Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent fördern werde, goss Pierre Jonckheer Wasser in diesen Wein: So einfach sei die Frage nicht zu beantworten. Der belgische Europa-Abgeordnete wies darauf hin, dass die früheren Erweiterungsschritte der Union immer mit erheblichen Transferleistungen an die neuen Mitgliedsstaaten einhergegangen waren, die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern befördert und damit für Stabilität und Wachstum gesorgt hätten – die Grundlage für dauerhaften Frieden. Bei der Erweiterung der EU von 15 auf 25 Staaten wurde jedoch bereits der EU-Haushalt gedeckelt. Die im Vorfeld der Aufnahme geweckten Erwartungen seien weit größer, als sie erfüllt werden könnten. Beim Beitritt weiterer neuer Staaten gebe es immer weniger zu verteilen. Wenn aber in den neuen und künftigen Beitrittsstaaten weder wirtschaftliche Prosperität noch Wohlstand im erwarteten Maße einkehren, werde die These der Friedenssicherung durch Beitritt brüchig. Es bedürfe also entsprechender Anstrengungen der alten Mitgliedsstaaten, den neuen auf die Beine zu helfen, machte Pierre Jonckheer deutlich.
Drittens der Stellenwert des Sozialen in der Europäischen Union. Mit dem Blick auf das Nein beim Referendum zur EU-Verfassung in Frankreich machten sich vor allem die französischen Grünen für eine stärkere soziale Ausrichtung EU-Europas stark. Nach ihrer Auffassung sei es gegenwärtig eine wichtige Aufgabe der europäischen Grünen, dazu beizutragen, eine Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern. Dagegen waren für die meisten Grünen Osteuropas, die in Opposition zum realsozialistischen System entstanden sind und zum Teil unter dem Dach der Kirche gearbeitet haben, Sozialpolitik, soziale Forderungen und Anliegen „sozialistisches Teufelszeug“, mit dem sie nichts zu tun haben möchten. Die Föderation der Jungen Grünen Europas focht gleichwohl im Sinne eines sozialeren Europas auf dem Parteitag für ein Basiseinkommen für jeden Bürger, das ihm die Mittel für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse sichern müsse. Zudem sollte nach ihrer Auffassung, in Kombination mit einem Mindestlohn, die EU anordnen, die Arbeit durch Reduzierung der Arbeitszeit von 38 auf 30 Stunden pro Woche (bei vollem Lohnausgleich) neu zu verteilen. Ein Anliegen, das Juan Behrend, der Generalsekretär der EGP, für „sehr sympathisch, aber leider nicht realistisch“ hielt – eine Position, die die große Mehrheit der Delegierten offensichtlich teilte.
Viertens – mit dem vorigen Punkt zusammenhängend – die Frage, ob man sich neoliberaler Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Güter entgegenstellen soll oder ob man diese Entwicklung als quasi „gottgegeben“ ansieht oder gar befördern will. Hier sind es vor allem die belgischen Grünen, die dieser Entwicklung Einhalt gebieten wollen. Ihrem Antrag, nicht nur Wasser generell, sondern auch kulturelle und audiovisuelle Angelegenheiten und Postdienstleistungen in die Liste jener Güter aufzunehmen, die nicht privatisiert werden sollten, stimmte in Genf rund die Hälfte aller Delegierten zu. Der Antrag verfehlte allerdings die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit, um Bestandteil des Programm-Dokuments zu werden. Andere Delegierte hielten zumindest bei den Postdienstleistungen den Zug für längst abgefahren, ganz abgesehen von jenen osteuropäischen Grünen, die mit dem neoliberalen Zeitgeist segeln. Und so blieb es bei der Formulierung, dass die Grünen der Auffassung sind, „dass öffentliche Güter wie Erziehung, Gesundheit, öffentlicher Transport und Trinkwasser nicht Gegenstand des Marktmechanismus werden sollten“.
Unter dem Strich bleibt nach dem 2. Parteitag der EGP in Genf zumindest dreierlei festzuhalten:
Zum Ersten entwickelt sich die EGP zu einer ganz „normalen“ Partei mit programmatischen Dokumenten, Resolutionen, Anträgen und Abstimmungen, mit Mehrheits- und Minderheitspositionen. Zu einer Partei, die einerseits mit diesen Minderheitspositionen umgehen kann und deren Protagonisten nicht aus ihren Reihen verdrängt und in der andererseits Vertreter der Minderheitsposition auch nach einer Abstimmungsniederlage weiterhin ihre politische Heimat sehen.
Zum Zweiten haben sich die europäischen Grünen erstmals zur Wirtschaft und zur Wirtschaftspolitik geäußert, einem Thema, das sie nach den Worten der österreichischen Co-Präsidentin der EGP, Ulrike Lunacek, bisher „praktisch gemieden“ hatten. Damit haben sie begonnen, ein zentrales Politikfeld zu besetzen, was ihrer Rolle in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stärkeres Gewicht verleihen wird.
Zum Dritten erwächst der (sozialistischen) Linken im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 mit der EGP eine starke Konkurrenz, auf die sich die Europäische Linkspartei rechtzeitig einstellen sollte.