Publication Soziale Bewegungen / Organisierung - International / Transnational - Amerikas Montevideo - einige Fragen zu Partizipation, Dezentralisierung und Veränderung

Beitrag zum Seminar "Linksparteien in Lateinamerika" (30.10.-1.11.2005 in Sao Paulo)

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October 2005

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I. Einleitung

Die Themen der Dezentralisierung und Partizipation sind in wachsendem Maße sowohl im akademischen Bereich als auch in der Öffentlichkeit und in den Regierungsinstanzen diskutiert worden. In allen Fällen besteht Einigkeit in der positiven Bewertung, oft allerdings mit sehr unterschiedlichen Begründungen. Dies bringt uns zu dem Versuch, diese Konzepte zu präzisieren, damit der ihnen zugeschriebene Sinn deutlicher wird.
Auf politischer Ebene kommt es zu dem Extrem, dass Akteure sehr verschiedener ideologischer Zugehörigkeit bezüglich der mutmaßlichen Vorzüge von Dezentralisierung und Partizipation als institutionelles Rüstzeug und als praktizierter Regierungsstil überein stimmen.
Heute können wir feststellen, dass es wichtige Erfahrungen von Prozessen gibt, die von diesen Konzepten geprägt sind. Daraus ergibt sich die Gelegenheit, sie zu bewerten und einige Schlussfolgerungen zu ziehen. Mit dieser Arbeit soll diese Reflexion geleistet werden und zwar anhand des Ergebnisbündels, das dem praktischen Umsetzungsprozess in der Stadt Montevideo zu entnehmen ist. 15 Jahre einer Stadtregierung, die Dezentralisierung und Partizipation mit als ihre wichtigsten Verpflichtungen angesehen hat, sind ein interessantes Analysefeld. Dies darf nicht bedeuten, leichtfertige Aussagen für die Extrapolation auf entsprechende Prozesse in anderen Städten und anderen Gesellschaften zu machen.
Wenn die Sozialwissenschaft etwas Sicherers festgestellt hat, dann die Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Prozesse von der sie charakterisierenden Einzigartigkeit her zu analysieren und von allen automatisch wiederholbaren Modellen Abstand zu nehmen. Dennoch bleiben Erforschung und Reflexion eines speziellen Prozesses von Interesse, um den Wissenschatz anzureichern und davon ausgehend andere Wirklichkeiten zu verstehen.


1.    Eine 15 Jahre lang bestehende Erfahrung


1990 beginnt in Montevideo ein neues Modell öffentlicher Stadtverwaltung, ein Ergebnis des Programms der Frente Amplio (FA, Breites Bündnis) Uruguays, der linken Koalition, die erstmals in der politischen Geschichte des Landes die Regierung stellt. Teil dieses Programmes war der Vorschlag demokratischer und partizipativer Dezentralisierung, der bezüglich seiner theoretisch-konzeptionellen Reichweite sehr genau definiert war.
Der Vorschlag wurde ab dem ersten Amtstag der Regierung von Montevideo umgesetzt und es entwickelte sich völlig neue Erfahrung, die - und es konnte nicht anders sein - weit über die entworfenen Annahmen hinaus ging. 15 Jahre später kann eine Reflexion durchgeführt werden, die sich auf eine reichhaltige Realität stützt und die Analyse des Programmes auf der Grundlage seiner konkreten Entfaltung erlaubt.
Auf dem hier begrenzten Raum wird nur auf einige wenige Aspekte dieser reichen Geschichte eingegangen. Einer davon, vielleicht derjenige, der die meiste Aufmerksamkeit erregt, ist die relative Phasenverschiebung zwischen einer gewissen Abschwächung des partizipativen Dezentralisierungsprozesses, die einher geht mit der ständig wachsenden Wählerschaft für die verantwortliche politische Kraft an der Regierung in Montevideo, ausgedrückt in den Wahlergebnissen im Verlauf einer Dekade.
1989 gewinnt die Frente Amplio die Stadtregierung von Montevideo mit 36 Prozent der Wählerstimmen. Fünf Jahre später behält sie die Stadt mit einem Ergebnis von 44 Prozent. Nach der Verfassungsreform, die unter anderem die kommunalen von den nationalen Wahlen trennt und für letztere die Stichwahl einführt, erhält die Frente Amplio im Oktober 1999 der erste Runde der nationalen Wahlen in Montevideo 52 Prozent der Stimmen. Sie wird damit in diesem Distrikt (dem größten des Landes) die mit Abstand stärkste absolute und landesweit die relativ stärkste Kraft. Einen Monat später, in der Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kräften, der Partido Colorado und der Frente Amplio, erhält letztere in Montevideo 56 Prozent.
Am 15. Mai 2000 sind Kommunalwahlen und die Frente Amplio bekommt mit 58 Prozent der Stimmen eine bequeme absolute Mehrheit. Am 31. Oktober 2004 sind Nationalwahlen und die FA erreicht in Montevideo 62 Prozent der Wählerstimmen. Bei den jüngsten Kommunalwahlen vom 15. Mai 2005 gewinnt sie wieder mit großem Vorsprung mit einer Zustimmung von 54 Prozent der Wähler.
Wie abzulesen ist, begleiteten die Bewohner von Montevideo die Vorschläge der Linken bei verschiedenen Wahlen mit wenigen Monaten Abstand mit wachsender Zustimmung. Im Fall der Kommunalwahl im Jahr 2000 darf angenommen werden, dass die Popularität und breite Akzeptanz des Kandidat Einfluss ausübten, Stimmen der anderen politischen Kräfte herüber zu ziehen. Was unumstößlich deutlich wird, ist die allgemeine Zufriedenheit der Bürger von Montevideo mit einem bestimmten Regierungsstil und dessen Hauptvorschlägen.
Natürlich müssen weitere Faktoren für dieses nachhaltige Wachstum betrachtet werden. Viele davon haben mehr mit Aspekten des landesweiten Geschehens als mit Elementen der Stadtregierung zu tun. Die Abnutzung der konservativen Parteien, Überdruss und Enttäuschung bezüglich der neoliberalen Wirtschaftspolitiken, Korruptionsvorgänge, soziale und kulturelle Unzufriedenheit mit der Realität, usw., haben zu diesen Ergebnissen bei getragen. Dennoch ist die im Verlauf einer Dekade gemachte Erfahrung der Stadtregierung ein sehr wichtiger Faktor gewesen.
Die vielleicht bemerkenswertesten Elemente dieser Regierung können wie folgt skizziert werden:

  • Ehrlichkeit und Transparenz beim Umgang mit öffentlichen Mitteln.
  • Wirksames und rationales Amtshandeln, in klar wahrnehmbare Ergebnisse umgesetzt.
  • Mittelverwaltung mit Umverteilungscharakter, mit nachdrücklicher Sorge um historisch vernachlässigte oder marginalisierte soziale Gruppen und urbane Räume.
  • Durchführung urbaner Arbeiten und Eingriffe von großer Sichtbarkeit und sozialer Akzeptanz, vor allem bei öffentlichen Räumen.
  • Ein neuer Regierungsstil, der bei Entscheidungsprozessen viel aufmerksamer und respektvoller gegenüber den verschiedenen sozialen und politischen Akteuren ist.
  • Umsetzung einer institutionellen Reform der Kommunalregierung, die in der begonnenen Dezentralisierung besteht.

Aus programmatischer Sicht handelte es sich angesichts der Eigenschaft der vorgesehenen Transformationen seinerzeit zweifellos um den fortschrittlichsten Dezentralisierungsvorschlag. Der folgende Absatz aus dem Regierungsprogramm von 1989 fasst Sinn und Reichweite der vorgenommenen demokratischen Dezentralisierung zusammen:

"Die lokalen Lösungen für das Demokratie- und Entwicklungsproblem sind begrenzt, denn es handelt sich um Angelegenheiten der Gesamtgesellschaft. Die Lokalregierungen können nur als Teil eines komplexen Prozesses angesehen werden, die Bevölkerung zum Subjekt eines nationalen Projektes zu machen.
In diesem Rahmen kann das Lokale ein geeigneter Raum für die Entwicklung der Bevölkerung sein:
a)    Weil es erlaubt, neue politisch-ideologische Schützengräben für ein von der Bevölkerung getragenes Projekte zu öffnen,
b)    Weil es Prozesse der Selbstverwaltung mit der Perspektive der direkten Demokratie erlaubt und ermutigt,
c)    Weil es ein Diskussionsforum der großen nationalen Probleme ist,
d)    Weil es eine stärkere Partizipation in nahestehenden Angelegenheiten erlaubt und so die reale Möglichkeit der Selbstverwaltung als System begünstigt.
Aber die lokale Macht ist keine Volksmacht, wenn nicht mit der scharfen Trennung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten gebrochen wird, wenn es keine wirksamen Kontrollmechanismen gegenüber den Repräsentanten gibt."
 
Wie man sieht, sprechen sich diese Definitionen klar für eine andere Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft aus, insbesondere für eine Neufestlegung der Eigenschaft der republikanischen Institutionalität aus der Sicht einer Annäherung an die Formen der direkten Demokratie, die sich auf einer andere Bürgerkonzeption stützt. War dies in der mit der Umsetzung dieses Programmes beauftragten politischen Kraft vollständig internalisiert? Verstand die ab Februar 1990 amtierende Regierung diese Verpflichtung in ihren letzten Konsequenzen und machte sie sich zu eigen? Waren sich die Regierungsteams der zweiten und dritten Amtsperiode vollständig über diese Ausrichtung im Klaren?
In der Praxis arbeitete die Regierung im Verlauf dieser zehn Jahre unermüdlich und machte die zuvor heraus gestellten Erfolge möglich. Montevideo ist heute eindeutig eine andere Stadt, die Kommunalregierung hat ein Ansehen wie vielleicht nie zuvor eine andere Regierung und in weiten Teil hat sich ein neuer Regierungsstil konsolidiert. Die Dezentralisierung als transformierendster Schwerpunkt des Gesamtprogramms hat im Verlauf der jüngsten Jahre jedoch langsam an Stärke verloren. Dies drückt sich unter anderem in geringerer direkter Beteiligung der Bewohner, einer gewissen Bürokratisierung der geschaffenen Instanzen, sowie politischem Streit im Innern der institutionellen Instanzen aus.
Unter den Faktoren, die diese Entwicklung verstehen helfen, sind folgende hervor zu heben:

  • Die Struktur der eingerichteten Lokalregierung, Ergebnis einer notwendigen Verhandlung mit den traditionellen Parteien, legte Nachdruck auf den repräsentativen Charakter der Kommunalregierungen mit der Präsenz der politischen Parteien als zentrale Akteure bei der Vermittlung zwischen der Regierungsausübung und dem Willen der Menschen.
  • Die Dezentralisierung bedingte eine Reform der Kommunalverwaltung, die auf starke Widerstände von verschiedener Seite gestoßen ist, vor allem bei der Bürokratie selbst, die sich gegen diese neue Regierungsweise gestemmt hat.

Alle drei aufeinanderfolgenden Regierungen sind konsequent gewesen, was die programmatischen Verpflichtungen angeht, aber die zweite Amtsperiode war mehr auf die Verbesserung der Kommunalverwaltung und urbane Eingriffe ausgerichtet als auf die Entwicklung der sozialen, politischen und kulturellen Transformationen, die das Dezentralisierungsprogramm in sich barg.


2.    Dezentralisierung aus der Tiefe des sozialen Netzwerkes

Die erwähnten interpretativen Hypothesen können sich als mehr oder weniger gültig erweisen und ohne ihre Relevanz in Frage zu stellen, stellen sich offenbar einige tiefergehende Fragen, um die Entwicklung zu bewerten.
Vor allem kann über das Dezentralisierungsprogramm unmöglich abseits der historischen Bedingungen und der Veränderungen reflektiert werden, unter denen es angewendet und entwickelt wurde.
Die uruguayische Gesellschaft hat seit Ende der achtziger Jahre Transformationen erlebt, die grundlegend sind, um die Geschehnisse zu verstehen. Soziale und wirtschaftliche Veränderungen drücken auf der Ebene unserer Gesellschaft die Evolution des Kapitalismus in seiner historischen Phase der sogenannten Globalisierung aus.
Beispielsweise soll nur an Veränderungen erinnert werden, die sich aus der durchgemachten Deindustrialisierung  ergaben; die zunehmend unsicheren Arbeitsverhältnisse; die starken Ausschlusstendenzen im ökonomischen und kulturellen Bereich; die Fragmentierung der Gesellschaft durch den zunehmenden individualistischen Rückzug auf die Privatsphäre; Veränderungen in der Familienstruktur, ausgelöst durch den massiven Eintritt der Frau auf den Arbeitsmarkt; die Krise der persönlichen, familiären und nachbarschaftlichen Beziehungen; der Verfall des relativen Gewichts historisch relevanter Akteure wie Gewerkschaften, politische Parteien, die Kirche, die Studentenbewegung und andere.
Darum scheint es erst einmal wichtig zu sein, sich vor Augen zu führen, dass andere soziale und politische Bedingungen vorherrschten, als das Dezentralisierungsprogramm entworfen wurde. Man kann beinahe versichern, dass hinter dem Programm die Annahme stand, die Spielräume für politische Partizipation müssten nur geschaffen werden, damit die Bevölkerung sie auf "natürliche" Weise besetzte und den so ersehnten Prozess der Demokratievertiefung auslöste.
Die konkrete Geschichte zeigte, dass die Menschen dem Aufruf zur Beteiligung folgten (und dies weiterhin tun), es aber Schwierigkeiten und Enthaltungen gab. Die Realität scheint zu zeigen, dass die Beteiligung an einer politischen Aktivität für demokratische Mitbestimmung nicht etwas ist, was für sich genommen, Interesse weckt. Untersuchungen weisen darauf hin, dass die wichtigsten Triebfedern der Partizipation der Bedarf und die Freude an der Sache sind. Der Bedarf, nicht gelöste materielle Lebensbedingungen zu befriedigen, oder das Vergnügen kollektiver Aktivitäten, bei denen die Belohnung in der Aktion selbst liegt (Kultur, Denksport, Freizeit, usw.).
Im Übrigen befinden sich die Gesellschaft und besonders die Unterschichten in teilweise dramatischen Situationen aufgrund von Instabilität und Unsicherheit. In der zeitgenössischen Gesellschaft, vor allem in den lateinamerikanischen Gesellschaften, erleben die Menschen allgemein die Instabilität als Folge einer nicht vorhersehbaren persönlichen Zukunft und der Schwierigkeiten, ein Einkommen zu erzielen und zu behalten, mit dem die Subsistenz garantiert wird. Die Unsicherheit ist ein Resultat der erwähnten sozialen Fragmentierung und drückt sich in der häufigen Präsenz realer oder symbolischer Gewalt aus, in zahlreichen Aspekten, die von der Straßenkriminalität bis zur häuslichen Gewalt reichen (konfliktive Familienbeziehungen, Konflikte zwischen den Generationen, Lebensunzufriedenheit, usw.).
Dadurch haben sich die sozialen Netzwerke verändert und die familieren, nachbarschaftlichen und stadtviertelbezogenen Räume geschwächt. Vielfältige Ausschlussmechanismen, die zu sozialer und kultureller Marginalisierung sowie zur Zwei-Klassengesellschaft beitragen, haben sich verfestigt.
Die Mehrheit der durchgeführten Studien bewertet die Sichtweise der wichtigsten Protagonisten des Dezentralisierungsprozesses, seien es Mitglieder der Stadtregierung oder aktiv einbezogene Nachbarschaftsvertreter. Untersuchungen, die beabsichtigen, die Meinungen und Eindrücke der im Vorsatz erwähnten Akteure anhand der Gesamtbevölkerung zu verifizieren, stehen am Anfang und kurz vor ersten Ergebnissen.
In diesem Zusammenhang muss eine jüngst von zwei jungen Forschern, Benjamin Goldfrank und Daniel Chavez, zu diesem Dezentralisierungsprozess vorgenommene Umfrage hervor gehoben werden. Es handelt sich um eine 1999 realisierte Umfrage, die auf einem 1992 benutzten Fragebogen aufbaut. Damals wurden drei Zonen Montevideos ausgewählt, die jeweils für Einzelrealitäten repräsentativ sind (eine Zone im Zentrum, eine arme Randzone und eine dritte Zone mit Gruppen der Mittel- und Oberschicht). Für jede dieser Zonen, in denen durchschnittlich etwa 90 000 Menschen wohnen, wurde eine statistisch repräsentative Auswahl von Personen getroffen, die befragt wurden. Sieben Jahre später und der selben Methode folgend, wandten die erwähnten Forscher die Umfrage erneut an. Mit dieser Methode sollte unter anderem gemessen werden, inwie weit die Meinung der Hauptakteure der Dezentralisierung der Meinung der Gesamtbevölkerung entsprach und wie sich diese Bewertung im Verlauf der Regierungszeit entwickelt hatte.
Aus dieser Studie - die noch nicht abgeschlossen ist - lassen sich einige interessante Schlüsse ziehen:

  • Der Akzeptanzgrad bei der Bevölkerungsmehrheit, was die Handhabung der wesentlichen kommunalen Dienstleistungen angeht, ist überzeugend. Unter anderem Transport, öffentliche Beleuchtung, Straßeninstandhaltung, Müllabfuhr, Sanierungsarbeiten stoßen auf breite Zustimmung in den drei Stadtzonen.
  • Das Bevölkerungswissen über die Sitze der dezentralisierten Regierung, die zonalen Kommunalzentren, weist eine leichte Zunahme auf, aber ausgehend von einem Prozentanteil, bei dem die Hälfte der Personen von diesem Wissen ausgeschlossen ist.
  • Die Bewertung der dezentralisierten Arbeit und der Dezentralisierungsprozess selbst, die 1992 von 52 Prozent der Bewohner als sehr positiv, positiv oder mehr oder weniger positiv eingestuft werden, steigt 1999 bei den selben Antwortkategorien auf 81 Prozent.

Das heißt, die erhaltenen Wählerstimmen haben ganz offensichtlich viel mit den konkreten Merkmalen einer Kommunalregierung zu tun. Der Wahlerfolg kann nicht von dieser klaren Meinung über die Amtsführung getrennt werden. Ebenso lässt sich die unbestreitbare Akzeptanz der Dezentralisierung mit der ihr folgenden demokratisierenden und partizipativen Komponente wahrnehmen, obwohl sich die konkrete Partizipation abgeschwächt hat.
Es scheint daher wichtig, die notwendige Reflektion über Eigenschaft und Reichweite der Bevölkerungszustimmung zu betonen. Bedeutet die Akzeptanz des Dezentralisierungsprozesses notwendigerweise das Engagement für seine tiefgreifendsten transformierenden Implikationen? Wie groß ist der Veränderungswillen, der in der nachhaltig wachsenden Zustimmung zu den politisch fortschrittlichen Programmen zum Ausdruck kommt?
Auf diese Fragen kann nicht abschließend geantwortet werden. Es ist klar, dass aufgrund der Form, in der sich die Dezentralisierung abspielte und aufgrund der von dem umgesetzten politischen Modell angenommenen Modalitäten eine gewisse Unbestimmtheit bezüglich des letzten Sinns dieser Partizipation von Seiten der Menschen selbst besteht.


3.    Einige Herausforderungen, die sich stellen

Aus dem Vorhergehenden kann abgeleitet werden, dass ein politisches Projekt, dass die Demokratie vertiefen und der Bevölkerung die Vorreiterrolle geben will, unlösbar mit einer Reflexion über die Kultur und ebenso sicher über den zivilisatorischen Prozess verbunden ist. Dieser Anfang des Jahrhunderts verläuft im Kontext einen tiefgehenden kulturellen und moralischen Krise, die Folge eine Art Abnutzung des Kapitalismus ist, der es nur unter zunehmend kritischen Bedingungen schafft, sich zu halten.
Vorläufig könnte eine erste Einschätzung, die Entwicklung des in Montevideo geschehenen Dezentralisierungsprozesses beobachtend, diejenige sein, dass eine Neubelebung, die eine aktive Partizipation auf immer mehr soziale Gruppen ausweitet und diese einbezieht, ein Programm erfordert, das nicht nur die institutionellen Aktionsräume etabliert, sondern das eine politische und kulturelle Perspektive tiefgreifender Transformationen anbietet, aus der der konkrete Sinn der Partizipation sichtbar wird. Das Nichtvorhandensein dieser Perspektive wird die Beteiligung sicherlich auf einen punktuellen Konsensmechanismus reduzieren, der teilweise nur die gültige staatliche Logik verbessert und es ließe sich eine Stärkung der Vemittlungsmechanismen der repräsentativen Demokratie (die abgeschwächt werden sollte) auf der Ebene der von der institutionalisierten Dezentralisierung geschaffenen lokalen Instanzen vorher sagen.
Von einem politischen Projekt zu sprechen, ist nicht mehr und nicht weniger als weiterhin die Möglichkeiten sozialer Veränderung im Sinne Gramscis zu analysieren, das heißt, im Sinne des Aufbaus einer Gegenhegemonie. Dafür ist es in der Aktualität von ausschlag gebender Bedeutung, die Kommunikation als wesentlichen Erfolgsfaktor zu berücksichtigen.
Die Hegemonie der gegenwärtig verfassten Ordnung fußt wie nie zuvor auf einem zunehmend komplexeren Kommunikationsapparat, der mit großer Wirksamkeit haarfein in die gesamte Gesellschaft dringt und mit einer fesselnden und unanfechtbaren Botschaft eine Konzeption der Welt und des Lebens anbietet. Die Kultur der Massenmedien ist im Westen zuerst der Ersatz für die katholische Kirche und danach für die öffentliche Bildung geworden.
Dies macht es zu einer höchst schwierigen Herausforderung, eine alternative Botschaft für die Bevölkerungsschichten auszuarbeiten, die die gültigen Codes respektiert, dabei aber in Bewusstsein und Vorstellungskraft der Gesellschaft Elemente einer anderen Konzeption deponiert und auf diese Weise um die politische, kulturelle und moralische Ausrichtung der Gesellschaft streitet.
Gegenwärtig wird die politische und moralische Richtung der uruguayischen Gesellschaft offen hinterfragt. Dies drückt sich im abnehmenden Ansehen und der Akzeptanz der politischen Programm und der Kandidaten der konservativen Parteien aus. Die fortschrittlichen Kräfte werden bei den Wahlen stärker und stehen als zukunftsfähige und glaubwürdige Alternative dar. Das progressive Projekt ist schwach, was ein kulturelles Programm angeht, das den Veränderungen tiefgreifenden Sinn geben könnte und folglich in der Lage wäre, die sozialen Mehrheiten aktiv für sich einzunehmen.
Solange die sozialistische Alternative gültig war - von den konkreten Kritikpunkten, die bereits gegenüber den bestehenden sozialistischen Regimen angebracht wurden, abgesehen - bestand für den gesellschaftlichen Einsatz und die politische Partizipation diese Perspektive, die dem Einbringen von Energien und persönlichem Opfer viel mehr Sinn verlieh. Der Wegfall dieser Optionen war zweifellos ein weiterer Frustrations- und Entmutigungsfaktor, der zum Rückzug auf die Privatsphäre beigetragen hat.
Die Krise des konservativen Programms treibt weiterhin dem progressiven Lager Wählerstimmen zu, doch im Wesentlichen bleibt es immer mehr darauf beschränkt. Ironischerweise stärkt dies die repräsentative Demokratie, da es die politische Partizipation in Richtung Stimmabgabe befriedet.
Darum ist es neben der Formulierung kultureller Vorschläge, oder allgemeiner, von Vorschlägen für das Leben, unabdingbar, an ausgefeilte Kommunikationsstrategien zu denken, die es ermöglichen, die gesellschaftlichen Mehrheiten wirksam in ihrer Subjektivität zu erreichen.
Gerade deren Abwesenheit bei der Regierungsführung von Montevideo ist einmütig hervor gehoben worden. Die Information über das, was getan wird, ist gering und unzusammenhängend. Außerdem gibt es von Seiten der Regierung keine Orientierung, die Verhaltensweisen, Lebensstile oder Nutzungsformen der Stadt fördert und so zu einer andere Sichtweise der Dinge ermutigt. Regierung heißt nicht nur, die öffentlichen Mittel korrekt zu verwalten. Wird eine transformierende Position ergriffen, dann geht es darum, von der Regierung aus zu einer anderen Sichtweise der Dinge bei zu tragen.
Dieses enorme Kommunikationsvakuum wurde teilweise durch die exzellenten Attribute der beiden während dieser Zeit agierenden Bürgermeister ausgfüllt. Zuerst Tabaré Vazquez und dann Mariano Arana, bewiesen mit ganz unterschiedlichen Stilen, eine große Kommunikationsfähigkeit gegenüber den Menschen und vermittelten viel von dem Aufgezeigten. Das Problem: Wenn die Kommunikation so auf die Persönlichkeit von Führungspersönlichkeiten wie die erwähnten reduziert bleibt, dann wird die Botschaft personalisiert und folglich auch das Projekt. Dies stützt diese gegenwärtig so starke Tendenz zu personenbezogenen politischen Programmen, die die großen Kollektive als Träger des Veränderungsprojektes ersetzen.
Eine letzte Reflexion, die aus der Zukunftseinschätzung der Dezentralisierung Montevideo entsteht, richtet sich auf die letzte Essenz der Beziehung Staat-Gesellschaft. Wie zu sehen war, entsteht das Dezentralisierungsprogramm in starkem Widerspruch zur institutionellen Struktur des uruguayischen Staates, der von einer stark von einer repräsentativen Demokratie geprägt ist, die sich in der Verfassungsgeschichte des Landes während des 20. Jahrhunderts konsolidiert.
Diesen Widerspruch nahm die Rechte schnell wahr. Wenige Tage, nachdem die Frente Amplio in 1990 die Stadtregierung antrat, fechtet sie das verabschiedete Dezentralisierungsdekret an. Dies bedeutete die Entscheidung über dies Anfechtung im Nationalparlament, in dem das Kräfteverhältnis klar zu Ungunsten der Kommunalregierung ausfiel. Es war daher voraus zu sehen, dass das von der Rechten dominierte politische System sich der Aufgabe annehmen würde, das Dezentralisierungsprojekt zu beerdigen.
Um diesem neuen Beinstellen auszuweichen, hob die Stadtregierung das Dezentralisierungsdekret auf und begann einen Verhandlungsprozess mit allen Parteien, um eine Formel zu finden, die in Nähe zur ursprünglichen Idee, durchführbar war. Tatsächlich dauerten die Verhandlungen mehr als zwei Jahre und schließlich gab es eine Vereinbarung, die darin bestand, lokale Regierungen in den 18 Zonen oder Distriken einzurichten, in die Montevideo unterteilt worden war - mit einer parteipolitischen Spitze, den Lokalräten, sowie einer direkten Repräsentationsinstanz der Anwohner, den Nachbarschaftsräten. Letztere sollten vor allem beratenden Charakter haben. Die eigentliche Regierungsfunktion auf Distriktebene sollten die Lokalräte vornehmen, die sich aus Delegierten der politischen Parteien je nach dem bei den Kommunalwahlen in der jeweiligen Zone entstandenen Parteienproporz zusammen setzen.
Diese Struktur, die in der Praxis als kompliziert und mit zahlreichen operativen Schwierigkeiten behaftet erwiesen hat, ist diejenige, die zu einem Großteil die Bevölkerungspartizipation prägt.
Warum kam es zu diesem Modell? Auf der einen Seite muss eingestanden werden, dass das bestehende negative Kräfteverhältnis im nationalen politischen System in dieser Formel Ausdruck fand und die Logik der repräsentativen Demokratie durchsetzte, die den konservativen Parteien so teuer zu stehen kam. Doch die Frage, die aus selbstkritischer Sicht gestellt werden sollte, ist: Gab es in den fortschrittlichen Reihen wirklich volles Bewusstsein über die zutiefst transformierenden Konnotationen des demokratischen Dezentraliserungsprojektes?
Darauf gibt es sicher keine einheitliche Antwort. Es war sehr deutlich, dass der erste Bürgermeister Tabaré Vazquez, der Hauptverfechter der Dezentralisierung, diese immer mit einer ganzen Reihe von Argumenten und einer Energie zu verteidigen wusste, die keinen Zweifel daran lassen, dass er genau wusste, was auf dem Spiel stand. In der übrigen politischen Struktur der Frente Amplio gab es vielleicht sehr unterschiedliche Haltungen und Sensibilitäten. Ein Beleg dafür ist, wie schwer es der territorialen Struktur der Frente fiel und vielleicht bis heute fällt, sich auf der Stadtviertelebene aus einer Perspektive einzubringen, die das kommunitäre soziale Netzwerk fördert und stützt. Die Präsenz des politischen Apparates ist im Kontext dieses traditionellen Tauziehens um die Besetzung kleiner durch das neue Schema geoffneter Machtparzellen oftmals mehr auf Verteidigung und Erstreitung der Spielräume der Parteienvertretung ausgerichtet gewesen.
Dies sagt viel über das historische Gewicht in der Linken selbst derjenigen Konzepte aus, die eng an die Parteienrepräsentanz als Vermittlerin des Volkswillens angelehnt sind.
Diese politische Geschichte der Dezentralisierung in Montevideo ist ein entscheidender Faktor, um die konkrete Antwort der Menschen zu verstehen und vor allem die aufgetretenen Schwierigkeiten und Probleme der Partizipation.
Mit dem entwickelten Gedankengang verknüpft sollte ein allgemeiner Aspekt angemerkt werden, der hilft, zukünftige Entwicklungen zun verstehen und voher zu sehen. Wir meinen damit die bestimmende Rolle des Staates bei der Ausbildung der unterschiedlichen historischen Modalitäten der politischen Partizipation durch die Menschen.
In der Sozialtheorie und vor allem in den Analysen über lokale Entwicklung und kommunitäre Netzwerke besteht ein Hang, die Leistungsfähigkeit der Zivilgesellschaft beim Aufbau alternativer politischer Modelle zu mythifizieren. Das Bild einer Zivilgesellschaft, mit dem Staat in Konflikt oder von ihm getrennt, die als Transformationsriemen der Gesamtgesellschaft einschließlich des Staates selbst agiert.
Wir sehen in der Wirklichkeit den Beweis, dass es diese potentiell transformierende Autonomie so nicht gibt. Historisch gesehen ist die Zivilgesellschaft ein starker Reflex des gültigen Staatsmodells gewesen. Sei es durch Aktion oder Reaktion, das Verhalten der Bevölkerungsgruppen in ihrem konkreten politischen Agieren antwortet letztendlich immer direkt oder indirekt auf die vom Staat aus produzierten Bewegungen.
Natürlich muss dabei sehr deutlich sein, dass der Staat keine von der Gesellschaft getrennte monolithische Instanz ist, wie es ihm tendenziell zugeschrieben wird. Diese monolithische Vision, die den Staatsapparat verdinglicht und sowohl von der liberalen Staatstheorie als auch den meisten während des 20. Jahrhunderts formulierten marxistischen Analysen aufrecht erhalten wurde, entspricht nicht der Realität.
Es sollte daran erinnert werden, dass der Staat der "Gesellschaftszustand" ist, so wie es ursprünglich im 17. Jahrhundert formuliert wurde und er von daher in der politischen Sphäre die Korrelation der gesellschaftlich entfalteten Kräfte ausdrückt und den Veränderungen unterworfen ist, die sich dort produzieren. Der so aufgefasste Staat ist derjenige, der das Agieren der Zivilgesellschaft skizziert. Und bei dem uns interessierenden Thema bestimmt er letztendlich die Modalitäten der Partizipation.
Untersuchungen erlauben, von etwa 20 000 Personen auszugehen, die in all diesen Jahren aktiv an den wichtigsten Diskussionen teilnahmen. In einer Kommune mit 1,3 Millionen Einwohnern handelt es sich um eine kleine Minderheit. Aber: Wann in der Geschichte des Land partizipierte eine vergleichbare Anzahl direkt in Angelegenheiten des Staates? Und das Wichtigste, das heraus gestellt werden muss und ebenfalls durch die Studien belegt ist: Die schweigende Mehrheit, die sich nicht beteiligt, ist im Wesentlichen mit dem einverstanden, was die aktiven Kollektive, die die Partizipationsspielräume wirklich besetzten, vorgeschlagen und gelöst haben.
Gleichzeitig muss betont werden, dass diese Partizipation auf Schwierigkeiten stieß, sich als vollständige Übung einer gemeinsamen Regierung von Bewohnern und gewählten Autoritäten zu konsolidieren. Manchmal ist ein eingeschränktes Eingehen auf die eigentlich vorgebrachten Bedürfnisse zu beoabachten, ein anderes Mal lässt sich wahrnehmen, dass einige Anwohner "Regierungshaltungen" einnehmen und den fruchtbaren Kontakt zu denen in den Organisationen und Basisgruppen verlieren, die sie vertreten.  
Das angwandte Partizipationsmodell hat eine aktive und sehr dynamische Antwort der Bevölkerung erfahren, aber auch Widersprüche sowie Licht und Schatten des Programms zum Ausdruck gebracht. Wie zuvor erwähnt, spiegelt die Partizipationsform zu einem guten Teil die Eigenschaften des Dezentralisierungsprogrammes wider.
Diese Feststellung bezüglich des spiegelnden Charakter der Parzipation im Hinblick auf die staatlichen Programme kann sicherlich anhand anderer entsprechender Prozesse in anderen Gesellschaften verifiziert werden. Wichtig ist die daraus resultierende Reflexion. Nichts liegt unserer Absicht ferner als mit dieser Versicherung die fatalistische Resignation gegenüber der staatlichen Aktion als fördernder und leitender Partizipationsinstanz zu postulieren. So zu denken, heißt, den Staat weiterhin als verdinglichtes Wesen außerhalb der Gesellschaft zu betrachten, der alle Arten von Veränderungen von der "Übernahme der Staatsmacht" abhängen lässt. Der Staat ist auch die Gesellschaft, er ist gerade einmal der Ort, an dem die politische Macht ausgeübt wird. Darum werden Veränderungen und Dynamiken, die die Gesellschaft durchziehen, unweigerlich auf die Politik und die Struktur des Staates Einfluss nehmen.
Diese Überlegung führt uns zu der Bewertung, wie eine Veränderungsperspektive wie die weiter oben aufgezeigte zu fördern ist. Und mehr als das Wie, wird das Interessante sein, mit Wem.
Die Strömungen der Volksbildung in Lateinamerika haben viel zu den hier zu entwickelnden Reflexionen beigetragen. Man könnte fast sagen, das wesentliche Urteil über die Partizipation und die alternativen Inhalte fußt auf der Volksbildung, die mit größerer Klarheit und Ergiebigkeit voran geschritten ist. Von dieser Warte aus gewinnt auch der Beitrag der Bildungsfunktion der partizipativen Prozesse enorme Relevanz, den wir in unserer Überlegung auf Kommunikationsstrategien konzentrieren wollen.
Aus unserer Sicht ist das nicht gefüllte Vakuum bei dieser Reflexion die fehlende Identifizierung des Subjekts der Veränderung. Die Bildung einer anderen Hegemonie kann nicht von der klaren und wohl gemeinten Handlungsweise universitärer Köpfe, der Volkserzieher, NGOs oder kirchlicher Basisgruppen aus konzipiert werden. Für die Eingliederung in den Transformationsprozess sind sie alle sind außerordentlich wichtig und werden sicherlich eine bedeutende Rolle spielen, wie dies auch schon teilweise jetzt tun. Aber das Ausmaß der Aufgabe überschreitet bei weitem die Möglichkeiten dieser bewunderswerten kleinen großartigen Gruppen von Männern und Frauen, die sich mit Berufung, Reflexion und gelebter Solidarität manchmal in einer Logik des sie weit überfordernden sozialen Geschehens verlieren.
Dies ist eine historische Aufgabe für große Kollektive mit der Fähigkeit, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu umfassen, mit Möglichkeiten, eine einheitliche Strategie zu definieren, die danach in verschiedener Form auf die unterschiedlichen und sich ändernden sozialen Logiken angewandt werden, die die zunehmend heterogene gegenwärtige Gesellschaft charakterisieren. Kollektive, fähig, zur Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu sprechen, aber auch zu Gruppen mit ihren molekularen Problemen.
Ein Akteur dieser Art scheint unersetzbar, wenn ein alternatives politisches und kulturelles Projekt erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden soll. Wer geschichtlich dieser vorgestellten Instanz am nächsten kommt, sind die politischen Parteien. Das große Problem besteht darin, dass diese Einrichtungen derzeit eine tiefe Krise erleben. Das liberale Modell der politischen Partei hat an Bedeutung verloren und sich immer mehr in Richtung einer ineffizienten Parteibürokratie mit immer geringerer schöpferischer Kraft entwickelt. Führungspersönlichkeiten und Massenmedien haben diese nach und nach ersetzt, was in Teilen erklären kann, warum sich in dieser partiell ausgeschlossenen Bürokratie so viele Korruptionsvorfälle beobachten lassen.
Das leninistische Modell der politischen Partei, das während des gesamten 20. Jahrhunderts so viel Ansehen genoss, bewies im Übermaß, dass es in seinen Eingeweiden den Autoritarismus (oder warum nicht: den Despotismus) birgt. Die Regime, in denen dieses Parteimodell sich zum Staat wandelte, belegten dies allzu klar. Schlimmer noch, es handelt sich um eine Organisationstheorie, die in ihrer Essenz die Demokratie leugnet und daher unmöglich demokratische Aktionsräume zu errichten weiß.
Es besteht ein weiteres Problem: Es gibt keine Referenzmodelle für die funktionelle Praxisanwendung. Sicherlich wird es eine Aufgabe vieler sein, diese neuen Kollekte oder warum nicht diese Parteien neuen Typs zu konstruieren, die die Linke des 21. Jahrhunderts braucht. Manchmal wird es möglich sein, auf den Spuren des Bestehenden aufzubauen, machmal wird es Neugründungen geben und manchmal vielleicht graduelle Veränderungen.
Doch die Geschichte geht ihren Weg und ist nicht bereit, auf das Entstehen der Parteien zu warten, die eine Politik für das Leben und den Aufbau einer besseren Gesellschaft möglich machen können. Schon heute existieren fortschrittliche Kräfte, die strategische Positionen in den bestehenden Staaten besetzten. Montevideo ist ein Beispiel dafür.
Darum muss die Aufgabe sich ebenfalls von den staatlichen Strukturen selbst ausgehend entfalten. Die Stimme der Regierenden ist sehr viel hörbarer und klarer. Die politische Kommunalregierung muss neben ihren verfassungsmäßigen Verpflichtungen auch die mithelfende Aufgabe der Erziehung für eine andere Perspektive wahrnehmen.
Leider herrscht in der Linken eine beschämende Haltung vor, sich in diesem Sinn auszudrücken. Vielleicht übt hier das Unverständnis für diese politische und kulturelle Notwendigkeit Einfluss aus, obwohl manchmal auch der Komplex präsent ist, nicht in einfache Demagogie oder die sterile Ideologisierung der Probleme zu verfallen.
Im Fall Montevideos war die erste Regierungsperiode bezüglich dieser Neudeutung des Staates sehr fruchtbar. Im Wesentlichen war dies der Klarheit und überzeugenden Kommunikation von Tabaré  Vazquez geschuldet, der erstmals vor der Bevölkerung Montevideos die Maxime unseres Vorkämpfers José Gervasio Artigas vorlebte: "Meine Autorität geht aus Euch hervor und endet vor Eurer souveränen Präsenz". Seine Einstellung und seine Handlungen boten eine unverwechselbare Botschaft, vor allem für die Unterschichten, die klar von diesen verstanden wurde. Der mit seiner Regierung begonnene neue Regierungsstil erklärt, warum er heute der politische Kandidat mit der meisten Wählerzustimmung und der größten Akzeptanz in der gesamten Gesellschaft ist.
Seit dem 11. März 2005 regieren die fortschrittlichen Kräfte das ganze Land, bei den nachfolgenden Kommunalwahlen erzielten sie signifikante Fortschritte in den Kommunen, in denen sie zuvor nicht regierte. Montevideos Bürgermeister von 1990 bis 1995, der den partizipativen Demokratisierungsprozess mit vollem Einsatz auslöste, ist nun Präsident der Republik.
Im Programm der fortschrittlichen Nationalregierung steht die deutliche und dauerhaufte Verpflichtung für die Vertiefung der Demokratie, die landesweite Dezentralisierung und einen Regierungsstil an der Seite der Menschen.
All dies eröffnet auf der Ebene der gesamten uruguayischen Gesellschaft eine neue Perspektive und vor allem ein anderes Umfeld für Montevideo. Es muss dort nicht mehr von einer gegnerischen Nationalregierung belagert regiert werden, ganz im Gegenteil. Und dazu kommt, dass in den wichtigsten Nachbarkommunen unter gleichem politischen Banner mit gleichem Ideengut Amt geführt wird. Montevideos neuer Bürgermeister Dr. Ricardo Ehrlich hat sich nachdrücklich für eine Revitalisierung des partizipativen Dezentralisierungsprozesses ausgesprochen. Er setzt auf eine umfangreiche Bürgerdebatte, die hilft, den Kurs des Prozess neu zu definieren.
Wie es mit der Mehrheit der gesellschaftlichen Prozesse zu geschehen pflegt, gibt es für die Zukunft der Dezentralisierung daher viele mögliche Wege. Soviele, wie der Beteiligung der Menschen Bedeutungen zugeordnet werden, der Bedeutung von angenommener Bürgerschaft und dem gewünschten Lebenskonzept. Wichtig ist, fest zu stellen, dass die Dezentralisierung weder unmittelbar die Partizipation aktiviert noch eine einzige Art sozialer Reaktion fördert. Die Vielseitigkeit der Optionen hängt - wie wir in diesem Vortrag zu formulieren suchten - von den Horizonten, die sich für das gesellschaftliche Leben in seiner Gesamtheit zu eigen gemacht werden. Andererseits ist die von der etablierten Ordnung vor gezeichnete Logik des sozialen Geschehens weit davon entfernt, die aktive Partizipation, eine neue Bürgerschaft, die Solidarität oder die Neubildung des kommunitären sozialen Netzwerkes zu ermutigen.
Ohne apokalyptisch sein zu wollen, aber vom sozialen Panorama in Lateinamerika geprägt: Die Abwesenheit eines neuen Projektes für die Politik und das Leben, das einen anderen Horizont für die Mehrheiten zeichnet, wird mit Sicherheit die rohesten Ausdrucksformen eines zunehmend ausschließenden Kapitalismus verschärfen.
Dagegen wird ein Aktionskurs, der die Reflexion und den anwendungsorientierten Entwurf einer "anderen möglichen Welt" antreibt, die so sehr von der globalisierungskritischen Bewegung auf den Weltsozialforen postuliert wird, erlauben, diejenigen neuen Horizonte auszumachen, die der Dezentralisierung und der Partizipation einen wahrhaftigen Sinn verleihen. Für sich genommen handelt es sich bei beiden um reine Instrumente, die potentiell für die unterschiedlichsten politischen Absichten benutzbar sind.