Publication Krieg / Frieden Pazifismus im 21. Jahrhundert

Beitrag für den Internationalen Workshop "100 Jahre Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner – 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005", Prag 8./9. September 2005

Information

Series

Online-Publ.

Published

September 2005

Ordering advice

Only available online

Der Mensch existiert in der Welt und existieren bedeutet tätig sein. Der Mensch ist kein unterjochtes Element der Gemeinschaft. Bei einem jeden von uns liegt die Verantwortung für die Gestaltung der Gegenwart, somit auch der Zukunft, die doch verwurzelt ist in dem, was gegenwärtig ist. Kein anderer als der herausragende deutsche Rechtsphilosoph des 20. Jahrhundert Gustav Radbruch hat so deutlich bloßgelegt, dass die Menschennatur in Aktivitäten ihren Ausdruck findet, die auf ideale Werte ausgerichtet sind. Unsere Gebrechlichkeit rührt daher, dass wir zerrissen zwischen den verwirklichten und den idealen Werten bleiben. Und aus dem Gefühl der Unvollkommenheit und der Sehnsucht danach, was sein soll, erwächst immer aufs neue die Notwendigkeit der menschlichen Aktivität.
Der durch die zahlenmäßig großen christlichen Religionsgemeinschaften fortwährend ignorierte Pazifismus sollte nicht deshalb zurückgewiesen werden, dass er anscheinend utopisch ist. Die Pazifisten fordern das Verbot von Kriegen und die Auflösung der stehenden Streitmächte. Sie protestieren gegen alle Gewalt, fordern zugleich die Abschaffung der Todesstrafe und die Einführung des Rechts (als Menschenrecht) auf Verweigerung des Wehrdienstes. Auf natürliche Weise ist Pazifismus mit ökologischen Ideen verflochten, denn Umweltschutz ist Ausdruck der Sorge um die Existenzbedingungen des Menschen. Nicht alle Ökologen sind Pazifisten. Eine neue Erscheinung des Pazifismus ist der Vegetarismus. Das Nichtessen von Fleisch verbindet sich sehr eng mit dieser Idee, geht es doch um die Beseitigung von Gewalt gegen Tiere, um die Achtung für sich vom Menschen unterscheidenden Lebewesen. Es zeigt sich übrigens, dass die Tierschlachtung schlecht und Leid hervorrufend durchgeführt wird. Berechnungen weisen nach, dass der Hunger auf Erden beseitigt werden könnte, wenn die Nutzflächen für Schlachtvieh umgewandelt werden würden in Anbauflächen für Kartoffeln, Reis, Mais oder Getreide. Mitleid mit anderen Wesen, das Streben nach Beseitigung des Hungers drücken die pazifistische Einstellung aus. Das will nicht heißen, dass jeder Vegetarier zugleich Pazifist sein muss.
Die Rüstungsindustrie, die jenen hohe Einkünfte sichert, die am profitablen Geschäft beteiligt sind, stellt eine fürchterliche Gegenmacht für die pazifistischen Bewegungen dar, die im allgemeinen ohne finanzielles Hinterland auskommen müssen. Die Verbindungen nicht weniger Politiker mit dieser Industrie stehen außer Frage. Aus Waffenverkäufen für Terroristen zogen verschiedene Länder nutzen.
Die Missachtung der pazifistischen Forderungen könnte zu einem dritten Weltkrieg führen. Das Weiterleben der Menschheit stünde angesichts der angehäuften Massenvernichtungsmittel in Frage. Die u. a. durch unterschiedliche Religionen geteilte Menschheit ist überaus leicht manipulierbar durch jene, die Krieg wollen, um sich selbst zu bereichern. Das Leben zu opfern für eine Idee, hinter der allzu oft nur schmutziges Interesse steckt, ist eine tragische Situation. Wie seit Generationen schon gibt es immer jemanden, der über Krieg oder Frieden entscheiden will – dabei könnten wir ohne weiteres im dauerhaften Frieden leben. Was sind verschiedene Auszeichnungen, darunter der Friedennobelpreis aber wert, wenn ihre Träger sich nicht um jeden Preis für die Ächtung des Krieges einsetzen.
Besonders fälschlich sind die Motive jener Kriege, deren Begründung die Einführung von Demokratie in Ländern mit einem anderen politischen System sein soll. Es sollte daran gedacht werden, dass die europäischen wie wohl auch die US-amerikanische Verwirklichung des Rechts- und Sittenverständnisses nicht allgemeines Glück heraufbeschworen hat. Im Gegenteil. Mit welchem Recht also sollte es den Menschen anderer Kulturen und anderer Kontinente aufgezwungen werden.
Mir ist unverständlich, weshalb aus der Konzeption der Nächstenliebe nicht die sich einfach aufdrängende Schlussfolgerung, wie sie der Pazifismus darstellt, gezogen wird. Es mangelt auf unserem Globus trotz der theoretisch vorhandenen Religiosität breiter gesellschaftlicher Massen sogar an gegenseitigem Wohlwollen.
Der nicht ganz ernst genommenen Rockkultur verdanken wir heutigentags die Verbreitung pazifistischer Losungen. Irgendwie ist das paradox. Rockballaden unterstreichen den Wert der Existenz des Menschen und machen das Trachten nach Aufopferung des Lebens für welche Idee auch immer lächerlich. Sie demaskieren die Intentionen jener, die Feindschaft zwischen die Menschen sähen.
Nicht die Vernunft führt zu immerfort neuen Kriegen. Nicht Vernunft bewirkt, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte von Hass, von Aggressionen, von Religionskriegen usw. ist. Quelle der Kriege und des Terrorismus ist vor allem der Fanatismus, aber auch der Trieb, sich schnell zu bereichern. Ich möchte die unauflösbare Bindung zwischen Pazifismus und Toleranz unterstreichen. Wann werden jene Institutionen und Medien mit einem Verbot belegt, die Intoleranz verbreiten?
Und die internationale Gemeinschaft zieht leider immer nur die Verlierer vor die Tribunals. Was aber passiert mit den Produzenten der immer wirkungsvolleren Tötungswaffen?