Publication Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Staat / Demokratie Mediennutzung und Problembewusstsein der Bevölkerung in modernisierten Gesellschaften

Chancen und Erschwernisse für linke Politikansätze. von Michael Chrapa Manuskripte 10 der RLS

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Manuskripte

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February 2001

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Chancen und Erschwernisse für linke Politikansätze. von Michael Chrapa

Manuskripte 10 der RLS

Inhalt

1. Problemaufriss

2. Öffentlichkeit, Kommunikation und Medien in modernisierten Gesellschaften

3. Wahrnehmung sozialer Probleme und Meinungsbildung

4. Politische Einstellungen im Wandel

5. Meinungsbildung und linke Politikansätze

6. Ausblick

Anhang:

Ausgewählte Tabellen

Literatur

Autor

Problemaufriss

Die Untersuchung „geistiger Phänomene“ im Rahmen gegenwärtiger Gesellschaftsentwikklung stellt eine sehr komplizierte, aber gleichzeitig politisch immens wichtige Aufgabe dar. Das Hauptanliegen dieser Arbeit, deren zeitlicher Analyserahmen die 1990er Jahre und der Übergang ins neue Jahrzehnt ist, besteht vor allem darin, ausgewählte geistige Prozesse, insbesondere die der Wahrnehmung und Verarbeitung politisch-sozialer Probleme im Bewusstsein großer Menschengruppen, zu beleuchten. Dies soll im Zusammenhang mit den Wirkungen moderner Massenmedien erfolgen und dazu anregen, Orientierungen zu formulieren, die einen kritischen, selbstbestimmten Umgang mit Informationen bei der politischen Meinungsbildung befördern.

Eine so komplexe Thematik macht die Verknüpfung verschiedener Theorie-Linien erforderlich, wobei politische Theorien mit denen moderner Kommunikationswissenschaft und Sozialpsychologie ineinander greifen. Ferner bedarf es des genaueren Blicks auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen für geistige Vorgänge. In dieser Hinsicht war das zurückliegende Jahrzehnt in Deutschland reich an deutlichen Veränderungen, die folgendermaßen skizziert werden können:

– Wirtschaftliche Umbrüche: Im Zuge der Globalisierung Konzentration von Großunternehmen und Ausweitung der Finanzmärkte mit neuen Regulationsmechanismen, verbunden mit der Herausbildung eines „Aktienkapitalismus“ (Klein u.a. 2000);

– Technologisch-mediale Veränderungen: Dynamisierung der Medienwelt und der Informationsvermittlung sowie -verarbeitung auf der Basis solcher technischen Innovationen wie extrem leistungsfähige Rechenbausteine, Satellitensysteme, Breitbandkabel, Digitaltechnik und globale Netzwerke, was insgesamt zu breitem TV-, Telefon-, PC- und Internet-Zugriff führt (Bühl 1997, Holtz-Bacha u.a. 1998);

– Soziale Wandlungsprozesse: Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums, verknüpft mit der Tendenz zur Spaltung der Gesellschaft bei Vermehrung von Unsicherheit und Wechselhaftigkeit in den Lebensverhältnisse für große Bevölkerungsteile; Entstehung neuer sozialer Großgruppen (z.B. im Bereich der „Informations-Arbeiter“) und verschobener Grenzziehungen in der Gesellschaft (Hradil 1999, Glotz 1999, Beck 2000);

– Veränderungen des „Politischen“: Notwendige Neubestimmung der „Reichweite“ und Gestaltungsfähigkeit von Politik bei anwachsender Problematisierung des Verhältnisses der Bürger zur Politik und einer Dynamisierung des Wahlverhaltens (Beck 1998);

– Fortbestehen und Ausformung einer innergesellschaftlichen deutschen Ost-West-Differenz: Strukturell-institutionelle Einheit bei Fortexistenz von zwei Teilgesellschaften mit großer Widersprüchlichkeit auf bestimmten Gebieten und beachtlichen mental-kulturellen Differenzen der Bevölkerungen (Gensicke 1998).

Im Ganzen betrachtet, zeichnet sich das Bild einer Gesellschaft ab, die vor einem Auf- und Umbruch steht. Noch ist nicht genau abzusehen, wer zu den „Gewinnern“ und wer zu den „Verlierern“ künftiger Veränderungen zählen wird. All dies vollzieht sich vor dem Hintergrund de facto ungelöster gravierender sozialer und ökologischer „Großprobleme“, die verschiedenartige Armutsformen, Naturzerstörung, Gefährdungen durch Klima und Krankheiten, die Folgen der Unterentwicklung des Südens, weiterhin nachweisbare Benachteiligung von Frauen, aber auch das Anwachsen von Gewalt, bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen, betreffen.

Betrachtet man gegenwärtig die Mehrzahl der zugänglichen praktisch-politischen Analysen, Positionsbestimmungen und Strategieüberlegungen, so fällt auf, dass Aussagen zu „Bewusstseinsphänomenen“, zum Denken und Fühlen großer Menschengruppen, in Hinsicht auf politische Probleme relativ dünn gesät sind. Im Kontext linker Ansätze wäre sogar von beachtlichen Defiziten zu sprechen. Das Wissen darüber, wie und warum verschiedene Personengruppen zu unterschiedlichen Meinungen kommen, scheint lückenhaft und wird nicht selten durch recht naive „Vorannahmen“ ersetzt. Eine solche Situation ist jedoch höchst problematisch: Der ungenügende Kenntnisstand über tatsächliche Denkweisen und zu den Mechanismen der Urteilsbildung verführt leicht dazu, „über die Köpfe der Menschen hinweg“ zu reden. Ebenso sind „Unterstellungen“ möglich, die sich auf die Meinungen und auf die mentale Befindlichkeit anderer beziehen. Solche Vorurteile beinhalten u.a. die extreme Position, die meisten Menschen seien doch eine „manipulierte gleichgültige Masse“, oder auch die eher naive Ansicht, linke Ideen würden „wie selbstverständlich“ aufgenommen. In ähnlicher Weise gehen die Meinungen zu den modernen Massenmedien auseinander. Für die einen sind es ausschließlich „Herrschaftsinstrumente“, die über Wahrheitsverdrehung und Trivialunterhaltung agieren, für andere stellen sie eher „notwendige Übel“ dar und nur für bestimmte Akteure verkörpern Medien nutzbare Gestaltungsfelder.

In einem solchen Spannungsbogen der Positionen ist die vorliegende Arbeit mehreren aktuellen Schwerpunkten gewidmet und soll einige begründete Antworten zu folgenden Fragen erbringen:

Politische Öffentlichkeit

Wie entwickelt sich „Öffentlichkeit“ im Kontext moderner Gesellschaften? Welche Formen von Öffentlichkeit existieren gegenwärtig? Worin bestehen wichtige Merkmale von öffentlicher Kommunikation in ausdifferenzierten Gesellschaften?

Massenmedien und Medieneffekte

Wie entwickeln sich gegenwärtig die „Massenmedien“ und welche „Medieneffekte“ sind nachweisbar? Was kann über die Mediennutzung in den alten und neuen Bundesländern ausgesagt werden? Auf welche Weise erfolgt Politikvermittlung über die Medien?

Medien und Politik

Wie beeinflussen die Medien-Effekte das politische Interesse und die politische Urteilsfähigkeit der Menschen? Kann von „Manipulation“ durch Medien gesprochen werden?

Soziale Probleme

Was sind „soziale Probleme“? In welcher Form wird die Wahrnehmung sozialer Probleme im Kontext von medienvermittelter Politik realisiert? Was bedeuten in diesem Zusammenhang Alltagserfahrungen?

„Problembewusstein“ als neues Konstrukt

Lassen sich „Muster“ bei der Wahrnehmung von Problemlagen nachweisen? Welche Erkenntnisse und Anregungen kann das Konstrukt „Problembewusstsein“ vermitteln?

Veränderte Einstellungen und Meinungsbildung

Wie haben sich politische Grundeinstellungen in den 1990er Jahren entwickelt? Worin zeigen sich übergreifende Thematiken? Sind weiterführende Trends ablesbar?

Praktische Ansätze

Was ergibt sich aus den Analysen zur politischen Meinungsbildung für linke Politikansätze?

Worin bestehen mögliche Missverständnisse und Fehldeutungen? Welche innovativen Herangehensweisen können vorgeschlagen werden?

Bei derart angelegten Analyse fällt erschwerend ins Gewicht, dass der Untersuchungsgegenstand eine überaus hohe Komplexität aufweist. Geistige Prozesse sind sowohl von ihrem Gegenstand als auch von ihren „Mechanismen“ her außerordentlich vielgestaltig. Eine notwendige Eingrenzung der behandelten Thematik beinhaltet deshalb folgende Aspekte: Betrachtet werden vor allem Phänomene des „Massenbewussteins“, hier in der Hauptsache verbreitete Meinungen und Einstellungen von großen Menschengruppen. Dabei bilden empirisch zugängliche – „messbare“ – Aussagen zu ausgewählten politischen Themen den Schwerpunkt. Es ist kaum bzw. oder nur in Ansätzen möglich, den Verlauf politischer Urteilsbildung auf der individuellen Ebene, gleichsam im Einzelfall, zu beleuchten. Als „Einflussvariablen“ auf die Formierung politischer Einstellungen bzw. Meinungen werden zum einen Faktoren der Politikvermittlung über die Massenmedien, zum anderen Elemente der Alltagserfahrung, des „Alltagsbewussteins“, betrachtet.