Publication Kultur / Medien - Soziale Bewegungen / Organisierung - Geschichte Vielleicht sind wir alle bloß einer

von Henry-Martin Klemt zum 50. Geburtstag von Gerhard Gundermann. Text der Woche 8/2005

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Henry-Martin Klemt,

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February 2005

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Text der Woche 8/2005Der Text ist ein Beitrag zum Kolloquium „Härter als der Rest. Gerhard Gundermann zum 50. Geburtstag“, das die RLS am 19.2.2005 veranstaltet hat.

Manchmal ist es doch nicht so einfach, ein Wort ins Deutsche herüber zu holen. Aber das muss ihm schon gefallen haben, dieses tougher than the rest bei Bruce Springsteen, und was Gundermann gefiel, machte er zu seinem Material.

Härter als der Rest also, und nicht etwa, um aufzutrumpfen, sondern als Strohhalm-Angebot für Brunhilde, eine jener Frauen, mit denen Gundermann besser zurechtkam, als die mit sich selbst, wie er einmal sagte. Etwas Koketterie schwingt mit in diesem wie in so vielen Bildern seiner Lieder. Als malte da jemand auf dem Spiegel herum, in den er hineinschaut. Mit der Ernsthaftigkeit des Experiments. Das wird ja wieder abjewischt

Nicht einmal mein Wörterbuch will sich festlegen, was es mit dem tough auf sich hat. Zäh, unnachgiebig, schwer, hart, schwierig, zählt es auf, aber auch: grob, brutal und übel. Die ganze Palette der Ambivalenzen eines Charakters, der auf Eigenbewegung ausgerichtet ist. Linksabweichler, Radikalgrüner, Ökofaschist. Es muss mit dem Blickwinkel zu tun haben, ob sich Lob oder Verdammnis einhandelt, wer tougher sein will als der Rest.

Aber was ist das überhaupt für eine Gleichung: Ich – und die anderen. Vielleicht sind wir alle bloß einer, sagte Gundermann. Mir klingt´s wie Pfeifen im Walde, und wenn das verstummt: Vielleicht sind wir alle bloß ich? Und wenn ich liebe ... Und wenn ich kämpfe ... und wenn ich einsam bin ...

Ich rede nicht von einem messianischen Anspruch. Wenn einer losgeht, um wie der Ché zu werden, und landet dann bei Companero Namenlos, der erschossen wird, weil er einen anderen Companero Namenlos nicht erschießen wollte für dessen Verbrechen, die Waffe zu senken, dann hat er den Abstieg vom Olymp der Ideologien hinter sich. Seilschaften wissen, dass es schwerer ist, den Fuß des Berges zu erreichen, als den Gipfel zuvor. Noch schwerer aber scheint es, beides im Blick zu behalten, und was sich dort tut. Und Poesie zu schöpfen aus jedem Punkt dazwischen. Die Utopie verschiebt sich auf diesem Weg. Ihre Quellen waren für Gundermann die härteste Reflektion der Lage, Liebe und Verantwortung.

Harteier lassen sich nicht ausbrüten. Den Frieden, den ich mache, halte ich in Lancelots Rüstung nicht durch. Die Missverständnisse lauern nicht nur im Konflikt, sondern viel eher noch im innigen Einverständnis. Es lässt sich vieles hineinprojizieren in die Verse Gundermanns, die oft wie Losungen sind. Aber Kunstwirkung und Menschenwirkung ohne Projektion gibt es wohl nicht.

Gundermann hat mich mitgenommen auf seine Lieder. Nur von mir kann ich reden. Nicht alle Lieder, die ich schreiben wollte, sang er schon. Ein paar aber doch. Ist es unbillig, einen Verwandten in ihm zu sehen?

Allerdings bin ich kein Familienmensch. Das heißt, ich will wissen, dass meine ganze Mischpoke da ist, aber dazu muss sie nicht dauernd mein Zimmer belagern und ich nicht das ihre. Bei einigen, die heute hier sind, und bei einigen anderen auch, genügte es mir manchmal zu wissen, dass sie arbeiten, um selber weiter arbeiten zu können. Und es genügte, die Früchte ihrer Arbeit genießen zu können, um daran zu glauben, dass auch das Eigene irgendwie aus der Erde kriecht. Genauso ging es mir mit Gundermann, wenn Kaltland eigentlich nicht auszuhalten war.

Manchmal war es auch gut, den leibhaftigen Gundermann an der Seite zu haben oder ihm im richtigen Moment zu begegnen, um selber wieder ein Stück weiter zu stolpern in eine Richtung, die ich für vorwärts hielt. Und je näher ich mich fühlte, um so deutlicher spürte ich die Unterschiede.

Das erste, was mir auffiel, war, dass Gundermann mit Sarkasmus nichts anfangen konnte. So viel Abstand konnte er zwischen sich und die anderen gar nicht bringen, um sie lachend zu verleugnen. Vielleicht sind wir alle bloß einer. Da wird manches unmöglich. Und manches erklärt sich: Vielleicht ist alles nur eines. Und Gott ist keine Instanz, ein Zusammenhang aber, nach dem zu suchen sich lohnt.

Gundermanns Zwischentexte, die seit den achtziger Jahren zu seinen Soloprogrammen gehörten, lachten oft genug die Grenzen aus, die bei solcher Suche stören. Ich mache meinen Frieden, das war nicht der Rückzug in die Geborgenheit der eigenen vier Wände mit der fernsehgefilterten Welt, sondern der Aufbruch in eine Geborgenheit, zu der all das andere dazu gehört. Das ist eine Utopie. Dem, was sie abverlangte, war nur zu entkommen mit dem Hund in den Wald, mit Conny auf die Terrasse, mit Linda in den Garten, glaube ich. Denn er wusste ja und beschrieb es selbst auf der Bühne: dass wir den weißen Bogen in den Händen halten und unsere Zeichen darauf krakeln: Lilo bei Oma. Weil wir die Schrift nicht entziffern können, die das magische Blatt längst füllt. Ich in dir. Du in mir. Immer in Hörweite. Dein Auge ich, dein Mund. Mein Ohr, das in dir lauscht.

Gundermann, der Esoteriker. Mir wäre das Wort nie eingefallen für ihn. Auch nicht, als ich erfuhr, dass er von Büchern dieser Art lange nicht genug kriegen konnte, als er die unwahrscheinlichen Geschichten, die dort berichtet wurden, in den Reagenzbottich seiner poetischen Weltbefragung warf.

Es ist wie bei einem Apfel. Das Fleisch war die neue Literatur, waren die neuen Zugänge, und im Gehäuse sitzen die Sätze: Jedes Lächeln und alle Schläge, die du in der Welt verteilst, kriegst du zurück und: Gib niemals auf, erzählte eine Freundin Gundermanns. Das ist kein metaphysisches Weltbild. Was von Anfang an da war, ist aus Gundermanns Texten nie verschwunden.

Erfahrung ist Wahrheit. Das galt als Prinzip von Erkenntnis und Poesie. Philosophie gewinnt Konturen im Spiegel der Naturwissenschaft. Um herauszufinden, was davon etwas taugt, gibt es Märchen.

Ich kenne keinen, der so hartnäckig wie Gundermann die Zügel seines Zauberpferdes festgehalten hätte. Und noch sein Engel über dem Revier ist so weltlich wie jener, den Walter Benjamin 1940 beschrieb: „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

Wenn die Steingesichter einen Traum verderben, bitt ich Gott um den aus deinem tiefsten Herz, also mach die Steingesichter schon zu Scherben oder vegetiere traumlos rentenwärts.

Dass Liederleute den aristotelischen Punkt nicht finden werden, von dem aus sich die Welt aus den Angeln heben ließe, hat sich herumgesprochen. Sogar bei den Liederleuten. Aber die Verhältnisse ein bisschen quietschen lassen, dazu hatte dieser und jener schon Lust. Gewöhnlich wird sie übertönt von einem niemals verstummenden Geplapper. Die, denen die Lust darüber verging, sind verstimmt, verstummt oder aufgegangen im großen Chor. Vielleicht sind wir alle bloß einer. Und dem fällt gerade nichts ein. Kein Märchen, keine Geschichte. Von Philosophie ganz zu schweigen.

Gundermann, als er seine ersten Nachtschichten fuhr in den späten siebziger Jahren, rief die Geister auf sein Raumschiff, seinen Bagger. Verwies sie in die Ecke und hieß sie zuhören. Und zwar ihm. Der Zweifelfrau und ihrer Tochter, der Enttäuschung, hatte er etwas zu sagen. Von den Leuten etwas, seinen Leuten.

Es waren Portraitminiaturen, ungeschönte Lebensberichte mit offenem oder absehbarem Ende, solche, die sich noch einmal drehen konnten, wie der Ausleger des Baggers und solche, die überhaupt gerade erst begannen.

Erfahrung ist Wahrheit, und was Wahrheit werden will, muss sich an Erfahrung messen lassen. Die Latte war aufgelegt. Das Pathos schmolz langsam ab zwischen dem Hoywoy, dessen Kinder für die Revolution trainierten, und dem, wo sie alle bloß Teig fürs Waffeleisen waren.

Einheit und Kampf der Gegensätze heißt ja nicht, dass die Einheit den Abgekämpften Trost spendet und ihnen die Wunden leckt. Jetzt nennt der Drache sich Lancelot. Und Don Quijote hat die rote Ampel an der Weltzeituhr nur überrollt, um ein paar Jahre später, nachts in Dresden, wieder anzuhalten, an einer Kreuzung, die Halt diktiert, innezuhalten: Vielleicht sind wir alle bloß einer. Oder zwölf.

Das Grundbild ist, dass ich glaube, dass die Menschheit sich auf zwölf Grundtypen reduzieren lässt, sagte Gundermann. Die ständig gegeneinander antreten und ihre Interessen ausfechten über viele Jahrtausende, immer in verschiedenen Kreisen. Aber in allen Kreisen ist diese Grundkonstellation zu erkennen. Und der also immer die Nummer Drei ist, der ist mein Mann, wie ich auch ´ne Nummer Drei bin. Deshalb interessieren mich alle Nummern Drei, ob sie nun Carl Schurz oder Kleist oder wie auch immer hießen. Die interessieren mich alle ... und ich bin dabei, mir den Tunnel hinzugraben zu den allen, die meine sind.

Kleist, der sich weggeschossen hat aus Frankfurt, Preußens Gloria und der Hoffnung auf ein Dichterleben in Deutschland? Das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist, schrieb der Frankfurter in seinem Aufsatz „Über das Marionettentheater“. Gundermannscher Diktion folgend, hätte der Kohlhaas- und Hermannsschlacht-Dichter nur noch zwei, drei Jahre durchhalten müssen, um anzukommen. Die unverbrauchte Energie der Nummern Drei aber fließt dem jeweiligen Nachfolger zu, und Gundermann war entschlossen, sich seinen Teil davon zu holen. Deshalb der Timetunnel.

Ich bin keine Nummer Drei. Vielleicht eine Sieben oder eine Neun. Jedenfalls von der Sorte einer, für die Gundermann seine Arbeit machte und, weil sie ihm zu ungetrost, zu feige oder zu lahmarschig waren, deren Arbeit gleich mit. Warten ist nicht die Stärke der Nummer Drei. Schon gar nicht auf Wunder. Denn die sind alle schon da. Und das verlässlichste ist der Trotz der Geschlagenen. Verlässlicher jedenfalls als ungeschlagene Helden. Die Geschlagenen können aus den Schlägen lernen. Die Ungeschlagenen kapieren nichts.

Gundermann hat mich mit auf seine Lieder genommen und manchmal habe ich sie verstört verlassen. Wie bei seinen streunenden Hunden. Sie lieben mich, aber sie beschützen mich nicht.

Dass Liebe und Schutz zerfallen in zwei, war ein Schmerz, der mir bis dahin so schlicht wie unaussprechbar erschien. Und immer wieder zielen die Metaphern ins Existenzielle. Wann ham wir uns zur Nacht gelegt ohne ein Eisen in der Hand? Wann ham wir je aus Spaß getanzt, nein immer nur auf Messers Schneide, dass du noch singen kannst, wir sind doch pleite.

Ich könnte abwiegeln. Es gab nicht nur wehrhafte Furcht. Es gab auch puren Genuss. Die Schneide war nicht immer so scharf, wie sie dem Morgenrot entgegen glänzte. Und ein bisschen Kredit haben wir auch noch.

Ich könnte das Warum mit abwiegeln in gelassener Abwägung. Ich muss ja nicht fragen: Warum das Eisen, der Tanz und das Messer, warum das Lied und warum der Bankrott?

Gundermann aber wiegelt auf, und selbst noch seine Melancholie ist ohne Ergebenheit. Was er auch findet, abfinden kann er sich nicht. Seine Trauer ist eine Agenda offener Wunden. Sie bluten ins Lied. Seine Wut ist nicht die, mit der man ins Taschentuch beißt. Dass sie zu früh kommt oder zu spät, ist nichts, was gegen sie spräche. Aber hinein in den Sprung an des anderen Kehle, in den Teufelskreis der Beißreflexe hinein, fletscht er: Vielleicht sind wir alle bloß einer.

Schreib: ich will mich organisieren, diktierte Gundermann 1989 einer Reporterin in den Block auf die Frage, warum er Lieder machen muss. Zum Beispiel über Notwendigkeit und Unfähigkeit, allein zu kämpfen, wo es keine Interbrigaden an einer Jarama-Front mehr gibt. Etwas später dafür die Koalition der Willfährigen in Belgrad, Bagdad, Kabul.

Organ heißt Werkzeug. In wessen Hand und wozu? Der Vereinigung geht die Selbst-Bestimmung voraus. Wer sich organisieren will, muss zuerst nach dem Eigen-Sinn fragen. Der des Zusammenschlusses ergibt sich daraus. Oder der der Vereinzelung.

Werde ich angenommen oder befriedet? Stehen auf der Liste meiner Rechte auch das Recht auf Angst, auf Feigheit und Schwäche? Ist meine Stärke das Aufbäumen aus der Verzweiflung oder die Demut des Sysiphos? Vielleicht sind wir alle bloß einer, mit den immer gleichen Fragen.

Was lässt sich anfangen mit dem Bedauertwerden, weil noch nicht angekommen in der Bundesrepublik? Das klingt so verständnisinnig, wie die Sprechblase vom Hineingeborensein in den parasitären, faulenden Staatssozialismus. Ick bün allhier, singt Gundermann in seinem Steinland. Aber wo bleibt die res publica, die Sache des Volkes? Ist die schon angekommen, wo sie hingehört? Sitzt sie in einem Haus mit Telefonen oder dort, wo die Kühe mager sind, wie das Glück? Und mit Verlaub: Was ist die Sache des Volkes? Wer ist das Volk? Vielleicht sind wir alle bloß einer, und der Aufstand im Menschen ist doch nur´n Lied, aber mit´m Lied fang ich erstmal an.

Schreib: Ich will mich organisieren.

Die Quittung kriegt Gundermann auch von wohlmeinenden Rezensenten: Grüne Ein-Mann-Partei. Und das ist gar kein Missverständnis. Denn Schwarz-Rot-Grün mit Hammer und Ährenkranz, beschreibt er die Fahne seiner Nation. – Schöne kupferfarbene Menschheit, schrieb der Leipziger Peter Gosse in einem Gedicht. Bell Vedere. Dolce Vita. Während die Angekommenen zur Quote vereint auf die Madenfresser im Dschungelcamp starren und die Genossen sich auf ihrem Parteitag dafür entschuldigen, dass sie in der Werbepause pinkeln waren.

Das muss miteinander zu tun haben, dass einer die Konzertsäle füllte, der Heimatlieder schrieb, und eine Heimat meinte, die vielleicht erst ankommen muss.

Gundermann im Mastkorb der schwarzen Galeere dreht an seinem Okular und das Fadenkreuz dreht sich mit. Aus Rechts und Links wird wieder oben und unten, aber es reicht nicht, vierhundert Leute umzubringen, obwohl sie sich mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes unter den Nagel reißen, das die Menschheit erzeugt. Obwohl ihre Statthalter prahlen vom besten System, das wir jemals hatten, und ihre Mangelverwalter erklären: Wünsch-dir-was ist vorbei. Und so´n blasser Junge drückt sich seine Nase platt ...

Gundermann blättert im Logbuch des Raumschiffes Enterprise. Schöne kupferfarbene Menschheit, steht dort. Vielleicht sind wir alle bloß einer. Und diesem einen gilt das Menetekel: ... die Preise für Rohstoffe, Energie, Wasser und die Arbeit von schwarzen, roten, gelben Menschen werden sich vervierfachen, und die Preise der Arbeit von weißen Menschen auf ein Viertel sinken ... die Mülldeponien von heute werden die Rohstoffquellen von morgen.

Nur haben die weißen Menschen die meisten Atombomben, und an gelben Menschen wurden sie ausprobiert. Die neue Unbescheidenheit – aber alle oder keiner – wächst mit der Not der vielen, nicht mit der Vernunft der Atomisierten.

Man muss den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen, befand ein nicht mehr so oft zitierter Philosoph aus Trier. Um sie zum Tanzen zu bringen. Gundermann war kein singender, klingender Baggerfahrer. Am ehesten ein Kommunikator, der die Kraft seiner Stimme am Krach der Maschine maß und an der Stille des Waldes. Der Mensch macht, dass eines das andere frißt. Ohne ihn geht’s wieder andersrum. Warum nicht mit ihm, Kollege Computer?

Gundermann, auf dem Holodeck seines Raumschiffes, singt, was er von seinen Leuten und ihren Verhältnissen erfahren hat: im Vorgarten, im Fernsehen, in der Kantine, in der Bibliothek. Es könnte ja sein, dass es kein andrer kann, dass hier, verdammt noch mal, kein andres Pferd im Stall ist. Mehr Gründe braucht er nicht.

Er ist nicht wendig genug, aufzuhören mit seinen infantilen Forderungen: Die Bomben sollen wieder in den Flugzeugbauch zurück kriechen. Die Kellertür angelehnt bleiben. Und bevor die kleinen Katzen eingehen, streichelt er sie noch einmal. Den Spaßfaktor Apocalypse versteht er immer noch nicht. Recht haben tut lächerlich weh. Wer spricht noch von Siegen?

Oh, auf dem freien Markt findet sich das ganze Kampfvokabular des Politbüros wieder, leicht modernisiert, in die Sprache der neuen Freunde gekleidet. Die Politpfaffen heucheln schon lange nicht mehr vom Abscheu gegen Kriegsspielzeug, sondern steigern die Exporte von echtem Gerät.

Das Bild vom schaufelnden Bagger gehört Gundermann nicht allein. Aber was dann? Sein Vermögen ist Beharrungsvermögen. Mitten im großen Fressen. An der Schwelle zu einem neuen amerikanischen Jahrhundert, zur Epoche des weltweiten Übergangs zur Demokratie, in der einzig die Mehrheit entscheidet. Die Mehrheit der Bomben, die Mehrheit der Banken, die Mehrheit der Büttel, in summa: die verlässlichste aller Mehrheiten, die Mehrheit der Reißenbergs in den Krabats. Aber vielleicht sind wir alle bloß einer. Das nun sagt ihm der Blick in den Spiegel. Und durch den geht er klirrend hindurch. Komm ins Offene, Freund. Jedes Lächeln, alle Schläge, die du in der Welt verteilst ...

Städteplaner schaffen Sichtachsen, die dem Blick eine Richtung geben und ihn verlängern, bis ins noch nicht oder nicht mehr bebaute Terrain. Wir sehen noch, was längst verschwunden ist, und sehen schon, was noch fehlt. Vielleicht wird es nie gebaut, weil das Grundstück verhökert ist, weil das Geld fehlt oder der Plan nichts taugte. Aber wir gehen die Straße anders entlang, weil wir es sehen. Wir sind heil, wir sind wieder jung. Gundermann hat mich mitgenommen auf seine Lieder. Dass er zurück blieb, war nicht abgemacht. Aber vielleicht sind wir alle bloß einer. Glück auf!

Verschneites Frankfurt im Februar 2005