Publication Bildungspolitik - Globalisierung Elitenkonzept oder Horizonterweiterung?

Europäische Bildungspolitik vor neuer Weichenstellung

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April 2004

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Bernd Schneider ist Politologe im Vorstand der PDS Hannover und Mitautor der 1999 im Dietz-Verlag erschienenen "Reformalternativen".Europäische Bildungspolitik vor neuer Weichenstellung

Das europäische Parlament wird sich in den kommenden Monaten mit einer Vorlage der Kommission beschäftigen, wie im Zeitraum 2007 - 2013 die Bildungsprogramme der Europäischen Union gestaltet werden sollen. Dabei wird von zwei Seiten an der Ausgestaltung der Bildungspolitik gezerrt. Die einen sehen im gezielten Aufbau einer neuen Elite von europäischer Dimension den Schlüssel, um die EU bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Ökonomie des Planeten zu machen. Die anderen, darunter die PDS, fordern eine aktive Politik gegen das wachsende Risiko von Ungleichheiten zwischen den Studierenden und des Ausschlusses von Studierenden aus ärmeren sozioökonomischen Verhältnissen.

Die EU gibt gegenwärtig 0,8 Prozent ihres Budgets für ihre vier verschiedenen Bildungs- und Mobilitätsprogramme LEONARDO (allgemeine Bildung), SOKRATES (berufliche Bildung), TEMPUS (zunächst Beitrittsländer, später Nichtmitglieder in Osteuropa und dem südlichen Mittelmeer) und JUGEND aus. Von 2000 - 2006 konnten gefördert aus den jeweiligen Programmen 3 Prozent der SchülerInnen und LehrerInnen und 1 Million Studierende wichtige Auslandserfahrung sammeln. Mit Abstand die gefragtesten Zielländer waren dabei Britannien und Irland.

In ihrem am 9. März vorgelegten neuen Konzept schlägt die Kommission vor, die bestehenden Programme in zwei Programmlinien zusammenzufassen und die zu vergebenden Mittel künftig so zu dezentralisieren, dass 80 Prozent der Fördermittel auf nationaler Ebene vergeben werden können. Dabei steckt sie sich das ehrgeizige Ziel, die Zahl der Menschen, die von dieser Förderung profitieren werden, immerhin zu verdreifachen.

Politisch flankiert werden die Programme vom so genannten Bologna-Prozess (Hochschule) und dem Kopenhagen-, bzw. Brügge-Prozess (berufliche Bildung). 1999 verpflichteten sich die europäischen Bildungsminister auf einer Tagung in Bologna, bis 2010 einen "europäischen Hochschulraum" zu schaffen. Ziel ist die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, das auf einem mindestens dreijährigen Studium mit einem Bachelor-Abschluss und einem Graduiertenstudium (Master) basiert.

Eine zweite Säule bildet in diesem Konzept die Anrechnung von Studienleistungen im Ausland gemäß dem ECTS (European Credit Transfer System), dass nun um eine Regelung zur Anerkennung "europäischer" Diplome erweitert werden soll, sowie die Förderung der Mobilität. Neben der Mobilität soll im Hochschulbereich besonders der Aufbau europäischer Kooperationen von Studiengängen und Hochschulnetzen gefördert werden.

Auch in der Qualitätssicherung wurde eine europäische Zusammenarbeit vereinbart. In die Hochschulbildung sollte eine europäische Dimension einziehen und ein Studium in Europa sollte bei Studierenden aus aller Welt an Attraktivität gewinnen. Letzteres wird seit 2002 durch das Programm ERASMUS World gezielt unterstützt.

Tatsächlich hat der in Bologna eingeleitete Prozess inzwischen weitreichende Auswirkungen auf die Hochschulbildung in den Mitglieds- und Beitrittsstaaten der Union. Dazu gehören aktuelle Anstrengungen der Länder, ihre Studienabschlüsse an ein gemeinsames Modell anzupassen. Die Kommission finanziert dabei ausgewählte Pilotprojekte zur Anrechnung von Studienleistungen und für die Errichtung europäische Master-Studiengänge.

Auf den ersten Blick klingen diese Regelungen und Ziele viel versprechend und nach einer sinnvollen Unterstützung der geschröpften nationalen Bildungsetats. Doch schon beim zweiten Hinsehen ergeben sich Fragestellungen, wie viele Menschen eigentlich auf diesen europäischen Weg mitgenommen werden sollen und welche Aufgabe die künftige europäische Bildungspolitik eigentlich im Rahmen des gesamten Konzeptes der Europäischen Union erfüllen soll. Zudem konterkarieren nationale Entscheidungen besonders zum Thema Studiengebühren wie jüngst durch die Regierung Blair häufig gerade unter Berufung auf die Homogenisierung durch den Bologna-Prozess und eine angestrebte Handelbarkeit der Dienstleistung (Aus-) Bildung im Rahmen der GATS-Verhandlungen den Traum von einem verwirklichten Recht auf gleichberechtigten Bildungszugang für alle BürgerInnen der künftigen Europäischen Union.

Ganz unmittelbar erfolgt ein Ausschluss vom Zugang zu europäischen Studienprogrammen durch die Höhe der ERASMUS-Stipendien. Im Durchschnitt werden 150,- Euro pro Monat als Förderung vergeben. Studierende aus Ländern, in denen keine zusätzliche Förderung wie das Auslands-BaföG bestehen, oder deren heimische Kaufkraftparitäten extrem von denen des Ziellandes abweichen, werden ohne entsprechend betuchte Eltern zuhause bleiben müssen. Zwar fordert die Kommission eine Aufstockung der Förderung auf durchschnittlich 250,- Euro, die Bewilligung in den allgemeinen Haushaltsverhandlungen erscheint ohne starke Linksfraktion im Parlament jedoch fraglich.

Wer wie die Bundesregierung nun zudem Elite-Universitäten von europäischem Rang einführen will, schafft damit automatisch eben auch "zweitklassige" Hochschulen, deren Studierende auf Europaebene außen vor zu bleiben drohen. Für die PDS lehnte Katja Kipping diese Pläne mit deutlichen Worten ab: "Der Vorschlag der SPD für eine deutsche Eliteuniversität wird auch nicht dadurch besser, dass es nun deren zehn werden sollen, sondern ist ein Rückgriff auf überholte Bildungskonzepte. Wissenschaft und Studium dürfen nicht auf elitäre Vorstellungen zugerichtet werden und erst recht nicht von sozialer Herkunft und Geldbeutel der Eltern abhängig sein." Wäre das Arbeiterkind Schröder heute Bundeskanzler, wenn vor dreißig Jahren die Hochschullandschaft zugunsten von Elite-Unis ausgedörrt worden wäre? "Statt einer oder zehn Elite-Universitäten brauchen wir eine angemessene Förderung für alle Hochschulen. Jede der Hochschulen sollte in die Lage versetzt werden, Spitzenleistungen in Lehre und Forschung anzubieten."

In der Praxis sind es bislang jedoch weniger humanistische Bildungsideale, die eine Bereitstellung von Mitteln für europäische Studienförderung ermöglichten, sondern der klar formulierte Bedarf an einer gewissen Bildungselite von europäischem Format. Doch auch wenn die EU bis zum Jahr 2007 auf eine Bevölkerung von fast 500 Millionen anwachsen wird, so kalkulieren die heute Regierenden dennoch nur einen Bedarf von ca. 0,6 Prozent dieser Bevölkerung an europäisch gebildeter Elite.

Darin steckt eine große soziale Gefahr. Danuta Hübner, die erste EU-Kommissarin Polens, warnte im einem Interview am 26. März: "Euroskeptizismus und die Kluft zwischen der Elite und den Bevölkerungen Europas betrifft auch Polen. Angesichts der enormen Veränderungen in Polen während der letzten 15 Jahre ist es natürlich, dass die politischen, intellektuellen und ökonomischen Eliten in Polen in diesem Rennen viel schneller unterwegs waren als die Öffentlichkeit. Doch es ist ein Fehler unserer heutigen Demokratie, dass wir nicht transparent sind und nicht genug kommunizieren. Die Dinge ändern sich so schnell, dass niemand Zeit zur Reflektion findet. Das schafft zunächst einen Grad an Verwirrung und einen Mangel an Vertrauen und später dann Ängste."

Mit dem neuen Bildungskonzept weiter verankert wird zudem das Konzept des lebenslangen Lernens. Ziel ist hier jedoch nicht das alte linke Ideal eines lebenslangen Zugangs zu Bildung, sondern die Verantwortung der einzelnen "Humanressource", sich selbst "beschäftigbar" zu halten.

Ein Konzept, dass übrigens seit 1990 vom European Roundtable of Industrialists (ERT), der einflussreichsten Lobbyorganisation der Großindustriellen, äußerst erfolgreich in die europäische Diskussion eingebracht wurde und inzwischen täglich im Jargon der neoliberalen politischen Klasse gebraucht wird. In der im Lissabon-Prozess festgehaltenen Sprache der EU heißt das, "dass die Bürger ihre Kenntnisse und Fähigkeiten permanent auf dem neuesten Stand halten müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft auf weltweiter Ebene zu gewährleisten und um der Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen sozialen Ausgrenzung vorzubeugen.

Übersetzt heißt das: wer im Bildungswettlauf persönlich nicht mehr mithalten kann, wird arbeitslos und sozial ausgegrenzt.

Da sich individuell empfundene Not und Sorge ausgezeichnet marktwirtschaftlich erschließen lässt, drängen einflussreiche Kräfte immer stärker auf eine Liberalisierung des Handels mit der Bildung. Hochschulen werden vermehrt als im globalen Wettbewerb befindlich begriffen. Im Rahmen des Bologna-Prozesses mit mehr Autonomie ausgestattet, sollen sie künftig vermehrt ihr Studienangebot verkaufen. Euphemistisch heißt das dann Studiengebühren. Seit die Deckelung auf 20 Prozent der tatsächlichen Kurskosten in diesem Jahr in England aufgehoben wurde, rechnen Oxford und Cambridge künftig mit "Gebühren" von ca. 15.000 Pfund pro Jahr und Wales erwartet eine neue "Studiermigration" ärmerer englischer Menschen in das weiterhin günstigere Gebiet.

Wer in Griechenland studieren möchte, muß an den Hochschulen Eingangstests überwinden, die deutlich über dem Wissensniveau liegen, dass die allgemeinbildenden Schulen bis zum Abschluss vermitteln. Das Ergebnis? Nie zuvor haben so viele Eltern ihre traditionellen Landstücke und Olivenhaine verkauft, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen, denn die nötige Vorbereitung auf die Tests durch Privatschulen kostet viel Geld.

Vermehrt wird auch von ArbeitnehmerInnen erwartet, sich außerhalb der Arbeitszeit und auf eigene Kosten privat weiterzubilden, um "beschäftigbar" zu bleiben. Ginge es nach der CDU, ab 50 künftig sogar ohne Kündigungsschutz.

Wäre die EU nicht verpflichtet, Bildungsdienstleistungen im Rahmen der GATS-Verhandlungen nur auf der Basis einstimmiger Beschlüsse zu verhandeln, wären inzwischen sicher bereits noch mehr nationale Schutzdämme für Bildungseinrichtungen gebrochen. Ein Grund mehr, künftig entschieden links zu wählen.

Die PDS tritt in den kommenden Europawahlen dafür an, für alle einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildungseinrichtungen zu sichern. Die Förderung von Austauschprogrammen wie ERASMUS trägt durch die unmittelbare Erfahrung der Lebensrealität in einem anderen Land ungleich mehr zur Verständigung bei als Seminare oder Kampagnen. Wir wollen, dass dieser Bereich zielgerichtet ausgeweitet wird, um es weit mehr jungen Menschen als bisher zu ermöglichen, ökonomisch abgesichert ein Bildungsjahr im Ausland zu verbringen. Daher plädieren wir für die Einführung eines EU-Bafög-Anspruchs.

In der Schaffung eines europäischen Hochschulraumes sehen wir eine Chance. Dies darf jedoch nicht bedeuten, Bildung inhaltlich zu vereinheitlichen und die Vielfalt von Bildungsangeboten zu beschränken. Bildungsangebote aller Niveaus müssen generell für alle zugänglich bleiben, unabhängig vom Einkommen der einzelnen Studierenden. Studiengebühren müssen ausgeschlossen werden, weil sie eine soziale Auslese und eine Ökonomisierung der Hochschulen und der Wissenschaftsinhalte zur Folge haben. Wir sehen uns hier im Einklang mit ESIB, dem Dachverband der europäischen Studierendenverbände: Studierende dürfen nicht als Kunden der Dienstleistung Ausbildung betrachtet werden, sondern als Partnerinnen und Partner in der Schöpfung neuen Wissens.