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März 2004 auf
www.sozialimus.de "Man kann ein Land wie unseres nicht ohne die Unterstützung des Volkes reformieren", lautet die Schlussfolgerung des Sozialministers Fillon am Wahlabend – eine Schlussfolgerung die Müntefering, Clement und Co. noch bevorsteht. Die französischen WählerInnen ließen sich im zweiten Wahlgang von der Möglichkeit, jetzt erst recht die Regierung abzustrafen, noch stärker für einen Urnengang mobilisieren.
Die Parteien der Linken konnten eine Reihe von Regionen erstmals gewinnen oder zurückerobern. Die vielen aus der ersten Runde entstandenen Dreiecks- und Vierecks-Konstellationen sind durchaus spannend für das Kräfteverhältnis nicht nur in den Regionen, sondern im Land insgesamt. Es gingen deshalb nochmals mehr WählerInnen an die Urnen (Wahlenthaltung geschätzt: 34,5%) und die Listenverbindungen der Linken erreichten gut 50% der Stimmen. Damit bilden sie in 21 der 22 Regionen die Mehrheit, mit der sie Gegengewichte zur nationalen Regierung Raffarin bilden können. Erfreulich: Die Nationale Front hat überall Wahlprozente verloren.
Die Verhältnisse scheinen schneller als erwartet wieder auf die Zeit vor der Präsidentenwahl 2002 zurückgedreht – eine Mehrheit bei Wahlen (zwei Drittel der Abgeordneten in der Nationalversammlung) ist eben nicht unbedingt Ausdruck von hegemonialer Stärke. Die Meinungen der Franzosen über die Fortsetzung der unsozialen "Reformen" bleiben geteilt: 45% (73% der Wähler der Rechten) wünschen, "dass die Regierung die angekündigten Reformen weiterverfolgt", 42% (17% der Wähler der Rechten) wünschen, dass sie darauf "verzichtet"; 13% äußern sich dazu nicht.
Der Front National, der von den weniger bedeutsamen Regionalwahlen immer als Protestpartei profitiert und durch die vielen Mandate (als nicht im Nationalparlament vertretene Partei) immer auch wichtige Finanzmittel bezogen hat, muss zum ersten Mal einen Rückschlag verarbeiten. Aber mehr denn je verhärtet sich die Stimmabgabe für die Nationale Front zu einem überzeugten Votum, mit dem man seine prinzipielle Anhängerschaft ausdrückt. So gehören die Rechtsextremisten zur "Normalität" im Frankreich des untergehenden Fordismus; damit werden die Diskussionen über eine Annäherung der geschlagenen Bürgerlichen wieder zunehmen, zumal die Konkurrenz zwischen UMP und UDF dazu anstachelt. Die Entscheidungen Chiracs zur Regierungsumbildung werden dies mit einkalkulieren.
Es kommt für die Kommunisten darauf an, im Einheitsbrei des linken Lagers sichtbar zu bleiben, der durch die Notwendigkeit der Stimmenübertragungen in den zweiten Wahlgängen immer wieder entsteht. All jene, die jetzt ihr "nützliches Votum" für die Listen der Sozialisten und vereinigten Linksparteien abgegeben haben, sind potenziell noch für die PCF zu überzeugen. Sie handelten nicht aus der Logik des kleineren Übels, sondern aus Reue oder Rache für ihre Stimmabgabe zugunsten Chiracs, als es 2002 galt, Le Pen zu verhindern. Damals wendete sich ein großer Teil der PS-Wähler, vor allem Jüngere, aus dem akademischen Milieu und aus dem Öffentlichen Sektor den trozkistischen Gruppen zu, deren Protesthaltung dauerhaft nicht überzeugen kann angesichts der immensen Aufgabe, das Land wieder aufzubauen. Dieses Pendeln zwischen einer PS, die die Globalisierung nicht gesteuert hat, und einem Verbalradikalismus, der folgenlos bleibt, ist eine unentwickelte politische Haltung. Die Kommunisten stehen erst am Beginn eines Lernprozesses, dessen Hauptfelder anhand von Zahlen einer Nachwahlbefragung zur ersten Runde deutlich werden:
- Der Linken (ohne Linksradikale) ist es zwar gelungen, wieder bei den Arbeitern Fuß zu fassen (bei der Präsidentenwahl 22%, jetzt 42%), aber der Front National blieb mit 27% stärkste Einzelpartei unter den Arbeitern im Privatsektor, den Ungelernten (33%) und den Gruppen mit einem monatlichen Nettoeinkommen zwischen 1144 und 1524 Euro (23%).
- Bei den Nichtwählern (38% in der Stichprobe) sind folgende Gruppen überrepräsentiert: Wähler unter 35 Jahren (ca. 50%), Arbeitslose (50%), Arbeiter im Privatsektor, Einkommensschwache (53% bei denen mit weniger als 762 Euro). Zwar hat die KP ihre Anhängerschaft nahezu restlos mobilisieren können (im Gegensatz zur PS, die 29% nicht an die Urnen brachte), aber eine Ausweitung in das gesamte Potenzial ist erst noch zu leisten.
- 49% der Befragten, die sich der extremen Linken zurechnen, haben im ersten Wahlgang für die Listen der Pluralen Linken gestimmt, was man "nützliches Wählen" nennt, und immerhin noch 25% der KP-Anhänger. Ein Fünftel der gesamten Wählerschaft der Linksparteien wählte "nützlich", ist also nicht fest an die Grünen oder die PS gebunden.
Damit diese breitere Verankerung realisiert werden kann, bedarf es programmatischer Antworten und vertrauenswürdiger Repräsentanten.
Bernhard Sander ist Redakteur von Sozialismus.