Publication Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Gesellschaftstheorie - Globalisierung - International / Transnational Den SSW in den Bundestag wählen?

Beitrag zum Workshop "Eingebürgert - und was dann? Wege aus der Diskriminierung von Minderheiten" am 16.9.2000 in Berlin

Information

Series

Online-Publ.

Published

September 2000

Ordering advice

Only available online

zum Workshop

RLS-Workshop „Eingebürgert – und was dann?“

„Wege aus der Diskriminierung von Minderheiten“ zu suchen, das war Gegenstand eines Workshops der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 16. September 2000. Vertreterinnen und Vertreter türkischer, kurdischer, polnischer und dänischer Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland diskutierten mit Politikerinnen und Politikern (Ulla Jelpke/PDS-MdB, Dr. Max Stadler/F.D.P.-MdB, Giyas Sayan/PDS-MdA) und dem Völkerrechtler Dr. Norman Weiß vom Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam über eine nicht-assimilatorische Integrationsförderung, ein Anti-Diskriminierungsgesetz nach niederländischem Vorbild und –kontrovers- über spezielle Minderheitenrechte.

Flemming Meyer, Mitglied des Landesvorstandes des SSW (Südschleswigscher Wählerverband), der Interessenvertretung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, die bei den letzten Landtagswahlen deutlich auf über 4% zulegte (der SSW ist aufgrund eines Abkommens mit Dänemark von der 5%-Hürde befreit), stellte die Sprache und ein breites Kulturverständnis in den Mittelpunkt der Minderheitenfrage und begann seine Ausführungen folgerichtig mit einer dänischen Begrüßung.

Er verstehe sich als Däne, doch als deutsche Staatsbürger nähmen er und die anderen Mitglieder des SSW selbstverständlich aktiv zu allen Fragen der deutschen Gesellschaft Stellung. Eigentlich könne der SSW als einzig wahre Volkspartei betrachtet werden, formulierte Meyer leicht ironisch. Obwohl die Partei dementsprechend ein „bunt zusammen gewürfelter Haufen“ sei, äußere sie sich schon traditionell sehr deutlich zu umstrittenen Fragen wie etwa dem Radikalenerlass, der Atomfrage oder der Flüchtlingspolitik. Die Minderheitensituation der Dänen in Deutschland mache sie vielleicht besonders sensibel für die Belange anderer benachteiligter Gruppen. So sei der über lange Jahre einzige 8mittlerweile sind es drei) SSW-Landtagsabgeordnete, Karl-Otto Meyer, auf deren Wunsch hin auch kurdenpolitischer Sprecher im Landeshaus an der Förde gewesen.

Trotz der besonderen Stellung, die die dänische Minderheit im Vergleich zu anderen Minderheiten in der Bundesrepublik genießt (nur die Sorben haben vergleichbare Minderheitenrechte, zusätzlich betrachtet die Bundesrepublik noch die Friesen und Sinti und Roma als nationale Minderheiten, ohne freilich letzteren ausreichende Anerkennung zu geben), hielt Meyer eine aktive Interessenpolitik unter Einschluss einer eigenen Partei für unabdingbar, da nur so für eine ausreichende finanzielle Unterstützung der dänischen Bildungs-, Kultur- und Sozialeinrichtungen gekämpft werden könne. Diese seien im Unterschied zu den skandinavischen Ländern vielfach keine Pflichtaufgaben des Staates. Diese Einschätzung veranlasste einen Teilnehmer zu der Frage, ob nicht die Präsenz des SSW als einer Minderheitenpartei im Bundestag der Aufmerksamkeit für die Belange aller sprachlich-nationalen Minderheiten in der Bundesrepublik förderlich wäre. Da der SSW auch für die Bundestagswahlen von der 5%-Hürde befreit ist, sofern er einen Stimmenanteil erreicht, der für ein Mandat berechtigt, ist dies ein mögliches Szenario, denn mit dem Ergebnis von 2000 wäre ein Einzug in den Bundestag denkbar.

Wie wichtig die finanzielle Ausstattung von Integrationsmaßnahmen ist, verdeutlichten mehrere Teilnehmer. So verwies Riza Baran von der Kurdischen Gemeinde Berlin darauf, dass es bei der prinzipiellen Anerkennung von MigrantInnensprachen als Schulfach durchaus einige Fortschritte gegeben habe (in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und Hamburg sei dies zum Teil möglich), doch würden die Mittel für die sprachlich-kulturelle Förderung von Minderheiten immer weiter gekürzt und seien deutlich geringer als diejenigen, die deutschsprachige Minderheiten im Ausland bekämen, wie Witold Kaminski vom polnischen Sozialrat hervorhob. Zudem, das kritisierten die Vertreter der kurdischen Verbände, würden die Minderheiten unterschiedlich behandelt: Dänen und Sorben besser als die neuen, zugewanderten Minderheiten, und unter diesen die Kurden wiederum schlechter als Türken und andere. Deshalb stellte Giyas Sayan die Petition verschiedener kurdischer Verbände an den deutschen Bundestag vor, mit der diese eine bessere Berücksichtigung der Kurdinnen und Kurden sowie eine Ausdehnung der Minderheitenrechte auf alle in Deutschland lebenden sprachlich-nationalen Minderheiten fordern. Ulla Jelpke machte ebenfalls auf die spezielle Benachteiligung der Kurdinnen und Kurden, u.a. durch die Repressionen im Gefolge des PKK-Verbots und die Verweigerung einer eigenen kurdischen Namensgebung auf deutschen Standesämtern, aufmerksam. Inwieweit jedoch von einer regelrechten Unterdrückung der Kurden in Deutschland gesprochen werden könne blieb umstritten.

Für eine „poly-ethnische Zivilgesellschaft“ plädierte Kenan Kolat (Türkischer Bund Berlin-Brandenburg, Vorstandsmitglied in der Türkischen Gemeinde Deutschlands). Im Rahmen eines „Transkulturalismus“ forderte er eine aktive staatliche Gleichstellung- und Anti-Diskriminierungspolitik mit Konsequenzen für die Mehrheitsgesellschaft wie die Minderheiten (etwa Förderung der Deutschkenntnisse und Akzeptanz der Religionsregelungen auf dem Boden des Grundgesetzes). Eine Umbenennung und Aufwertung der Ausländerbeauftragten in Staatsekretäre, angesiedelt bei den Ministerpräsidenten und dem Bundeskanzler, für Eingliederung und Zuwanderung sowie eine auf Dauer angelegte Kommission unter Einbeziehung der Minderheiten als Ausdruck der Gleichstellungspolitik könne spezielle Minderheitenrechte überflüssig machen.

Safter Cinar, Leiter der Ausländerberatungsstelle des DGB Berlin-Brandenburg und stellvertretender Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschlands, gab die Positionen des DGB wider, die implizit ebenfalls eher auf eine Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungspolitik als auf spezielle Minderheitenrechte hinaus liefen. In Übereinstimmung mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern betonte er die Bedeutung muttersprachlichen Unterrichts an den Schulen, in den Medien usw. unter Verweis auf Schweden, wo solcher Unterricht in 86 Sprachen abgehalten werde.

Dr. Max Stadler von der F.D.P. hob gegen Ende des Workshops hervor, dass er manche Dinge nun schärfer als zuvor sehen würde. So sei eine Beschränkung vieler Rechte auf deutsche Bürger überholt. Die –von der F.D.P. durch das Optionsmodell durchgesetzte- Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes sei insofern konservativ, als sie noch keine Selbstverständlichkeit der Staatsbürgerschaft bei ethnisch-kultureller Pluralität akzeptiere. Solange dies nicht gegeben sei, müsse ernsthaft über eine Erweiterung der Verfassungsgrundsätze hin zu bestimmten Minderheiten- (also Gruppen-)Rechten diskutiert werden. Möglicherweise sei diese Diskussion ein Beitrag zu einer aktiveren Gleichstellungspolitik, die letztlich Gruppenrechte überflüssig machen würde. Angesichts der Widerstände sei Deutschland davon jedoch noch weit entfernt. Ulla Jelpke forderte, hierin im Ansatz von Stadler unterstützt, eine Übertragung von Rechten auf alle dauerhaft im Lande lebenden Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.

Vor zu großen Hoffnungen, Vereinbarungen im Rahmen von UNO, Europarat, OSZE und EU könnten die Situation der Minderheiten verbessern, warnte der Völkerrechtler Dr. Norman Weiß. Die meisten Staaten legten internationale Vereinbarungen restriktiv aus, so auch die Bundesrepublik. Immerhin gebe es eine Tendenz im Völkerrecht, Menschen- und Minderheitenrechte, die traditionell getrennt betrachtet wurden, enger zusammen zu führen. Verschiede internationale Abkommen, so auch die Sprachen-Charta der EU, seien auslegbar und nicht bindend, könnten aber argumentative Hilfe für die Forderungen von Minderheiten bieten.

Zusammenfassend wurde festgehalten, dass eine aktive Gleichstellungspolitik ohne Assimilationszwang, verbunden mit einer Anti-Diskriminierungspolitik und mehr Freiräumen für sprachlich-kulturelle Gruppen nötig sei. Die Kluft zwischen Gleichstellungs- und Minderheitenpolitik scheint überbrückbar, wenngleich die Ansätze unterschiedlich sind. Fatal wäre es, wenn die verschiedenen ethnisch-sprachlichen Gruppen gegeneinander statt miteinander agieren. So sollte der türkisch-kurdische Konflikt in der Türkei beide Gruppen in Deutschland nicht davon abhalten, gemeinsame Interessen gegenüber der deutschen Politik zu formulieren. Witold Kaminski verwies darauf, dass es in der Weimarer Republik auf Initiative der Polen im Deutschen Reich einen Dachverband der nationalen Minderheiten gegeben habe.

Sollten sich immer mehr dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen einbürgern lassen, wird der Druck auf eine wirkliche Integrationspolitik hoffentlich wachsen, denn mit dem Stimmrecht bei Wahlen wächst auch die Aufmerksamkeit. Und auch der Druck auf die Parteien, sich zu öffnen. Nicht zuletzt auch auf die PDS.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird die Materialgrundlagen des Workshops teilweise auf ihrer Website und zu einem späteren Zeitpunkt auch als Reader veröffentlichen. In Verbindung mit anderen Bildungsangeboten zu Fragen von Identitäten (etwa von Kurden und Juden), zu Integration und Rassismus werden die Fragestellungen des Workshops weiter behandelt.