Publication Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Rassismus / Neonazismus - Geschichte Zwangsarbeit in Berlin-Treptow

Utopie Kreativ Heft 115-116 Mai-Juni 2000

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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May 2000

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UTOPIE kreativ, H. 115/116

(Mai/Juni 2000),

S. 520-52155 Jahre nach dem Urteil des Internationalen Militärtribunals im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß über den zwangsweisen Einsatz von 14 bis 15 Millionen ausländischen Arbeitskräften in der deutschen Kriegswirtschaft und der Verurteilung der Zwangsarbeit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit warten Betroffene, vor allem aus den osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion, noch immer auf finanzielle Entschädigung und die Anerkennung ihrer berechtigten Ansprüche.

Eile tut not, wird doch die Zahl der heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter, die unterdessen 75 bis 80 Jahre und manche auch älter sind, nur noch auf etwa eine Million geschätzt. Aus persönlichen und brieflichen Kontakten wissen wir um ihre Hoffnungen auf finanzielle Entschädigung für die geleistete Arbeit, auf Anerkennung der für sie »verlorenen Jahre« auf ihre Rente und der gesundheitlichen Schäden als Folge der Sklavenarbeit und menschenunwürdiger Lebensumstände. Besonders betroffen sind Bürger aus den Ländern Osteuropas, darunter jene, die mit dem Zeichen »Ostarbeiter« das ganze Ausmaß nazistischen Unrechts erfahren haben.

ANTIFA-TREPTOW e.V. und unsere seit 1990 begonnenen lokalhistorischen Recherchen zu Lebens- und Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeitern, die in Rüstungsbetrieben und Konzernniederlassungen in unserem Stadtbezirk arbeiteten und in Lagern lebten, bestätigen uns in dem Anliegen, alle Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, um uns für eine schnelle und unbürokratische Entschädigung einzusetzen.

Im Ergebnis unserer Arbeit im Zusammenwirken mit Historikern, dem Heimatmuseum Treptow, der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. und anderen interessierten Gruppen verfügen wir über eine Fülle von Zeitdokumenten auf der Grundlage erschlossenen Materials aus Betriebsarchiven ehemaliger Treptower Rüstungsbetriebe sowie Korrespondenzen mit ehemaligen Zwangsarbeitern.

Unsere bisher vorliegende Dokumentation enthält ca. 800 erschlossene Archivalien der Betriebe Schering AG, Krone & Co, Ehrich & Graetz aus den Jahren 1933 bis 1945, die in fünf Katalogen zusammengestellt wurden. Das Quellenmaterial wurde aufbereitet und nach einem bestimmten Algorithmus im PC erfaßt, so daß es in benutzerfreundlicher Form für Historiker, an der Heimatgeschichte Interessierte und nicht zuletzt für die Betroffenen zur Verfügung steht. Neben dieser Dokumentation entstand eine im Umfang begrenzte, aussagefähige Werkstattausstellung, die sich in der Begegnungsstätte »pro« befindet und das Leben der Zwangsarbeiter anschaulich zeigt, von den Methoden der Anwerbung, Einweisung in Lager, Einstellung im Betrieb bis zur Entlohnung, Ernährung, gesundheitlichen Betreuung. Anhand von Briefen erfährt der Besucher, wie sich das Leben der Zwangsarbeiter abspielte.

Wir stehen in Verbindung mit anderen Forschungsgruppen und Organisationen ehemaliger Zwangsarbeiter im Ausland. Wir erhalten Briefe von Betroffenen mit Bitten um Hilfe bei der Beschaffung von Nachweisen ihrer Arbeit, von Angehörigen, die Informationen über Vermißte, Verstorbene oder Ermordete suchen.

Es bestehen ein dringendes Bedürfnis und die Notwendigkeit, die gesammelten Informationen und Dokumente zusammenzuführen und zugänglich zu machen. Deshalb wird von uns das Projekt »Schaffung einer zentralen Information und Dokumentation als Stätte internationaler Begegnungen, Forschung und Erinnerung«, das auf der Kenntnis real vorhandener Möglichkeiten basiert, vorgeschlagen und natürlich unterstützt.

Unter den in unserem Stadtbezirk ermittelten mehr als 80 Lagern befindet sich ein Barackenkomplex in Berlin-Niederschöneweide, der noch fast vollständig in seiner Struktur und Anlage erhalten ist. Auf der Grundlage bauhistorischer Recherchen und fachlicher Gutachten der Planergemeinschaft wurde mit Hilfe unserer Initiative und durch intensive Öffentlichkeitsarbeit dieser Komplex als einmalig existierend unter Denkmalschutz gestellt. Inzwischen wurde dieser Ort, an dem in Zusammenwirken von ANTIFA-TREPTOW e.V. mit einer sehr aktiven Gruppe der Berliner Geschichtswerkstatt eine Open-Air-Ausstellung zu diesem Thema gestaltet wurde, zu einer Stätte, die von Delegationen ehemaliger Zwangsarbeiter und Gästen unserer Stadt besucht und als improvisierte Erinnerungsstätte genutzt wird.

Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, diese Möglichkeit zu nutzen, um hier eine zentrale Informations- und Dokumentationsstätte über das Leiden und Leben von Zwangsarbeitern zu schaffen. Unsere umfangreichen Bemühungen auf kommunaler Ebene stoßen auf viel Verständnis, jedoch überfordern die Realisierungsanforderungen die kommunale Kompetenz, die finanziellen Mittel und die personelle Ausstattung. Deshalb haben wir uns an den Beauftragten des Bundeskanzlers, Herrn Otto Graf Lambsdorff, gewandt und nachdrücklich gebeten, sich für die Verwirklichung des Projektes einzusetzen.

Wir sind bestrebt, die begonnene Dokumentation über das Ausmaß und die Formen der Zwangsarbeit während der NS-Zeit in Treptower Rüstungsbetrieben weiterzuführen, um das bestehende Forschungsdefizit abzubauen, zumal betriebliche Quellen nicht auf Dauer zugänglich sein könnten und Zeitzeugen bald nicht mehr vorhanden sein werden. Im Rahmen der zu erwartenden Entschädigungszahlungen könnte Betroffenen eventuell praktische Hilfe bei der Nachweiserbringung gegeben werden.

Um die Arbeit zum Thema »Zwangsarbeit« effektiver zu gestalten, sollten die einzelnen, bisher unabhängig voneinander bestehenden Projekte, Aktivitäten und Initiativen stärker gebündelt und koordiniert werden

 

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Ulrich Peters – Historiker, arbeitet über den NS-Faschismus.

Dr. Christa Köhler ist maßgeblich an einem Projekt über Zwangsarbeiter in Berlin-Treptow beteiligt. Unterstützt wird diese Arbeit von der ANTIFA-TREPTOW e.V.

 

Die vorliegenden Kataloge geben Auskunft sowohl über die bei ANTIFA-TREPTOW e.V. aufbewahrten Quellen zum Leben von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges in Treptower Betrieben als auch über Archivalien, die vornehmlich zum Bestand des Landesarchivs Berlin, Breite Straße, gehören und dort eingesehen werden können.

Die Aktensammlung besteht aus Angaben zu Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Polen, der Tschechoslowakei, Italien, der Sowjetunion und zu Menschen, die wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurden.

Die Archivalien setzen sich zusammen aus Anwerbungsdokumenten, Lagerverzeichnissen, Unfallversicherungen, Verpflegungshinweisen, Urlaubsscheinen, Bestrafungsvermerken, Personaldokumenten, Briefen der Personalabteilungen der Betriebe an DAF und Gestapo, Gesetzblättern, Erlassen, anderen Materialien sowie Briefen ehemaliger Zwangsarbeiter.