UTOPIE kreativ, H. 118
(August 2000),
S. 805-807Die großen Themen der politischen Linken beschäftigten Reinhard Opitz sein Leben lang: der Faschismus, liberale und monopolkapitalistische, kolonialistische und imperialistische Herrschaftsstrategien, die Europastrategien des deutschen Kapitals, politische Theorien wie die Totalitarismustheorie, Ideologiekritik. Dazu kam die Tagespolitik seit den fünfziger Jahren: Neofaschismus und Notstandsgesetzgebung, Berufsverbotspraxis und Friedenspolitik. Sein veröffentlichtes Werk umfaßt über 100 Titel. Nach seinem Tod 1986 fanden sich über 6000 nachgelassene, unveröffentlichte Manuskriptseiten, von denen ein großer Teil nun in drei Bänden mit ca. 1500 Seiten im BdWi-Verlag veröffentlicht worden ist.
Der Faschismus und seine Bekämpfung standen im politischen Zentrum des Werkes von Reinhard Opitz. Im wissenschaftlichen Zentrum stand, was Opitz bereits Mitte der sechziger Jahre das »kapitalistische Integrationsproblem« nannte, »das Problem also: wie bekommt man für das Ausbeutungssystem eine ausreichende politische Massenbasis im eigenen Lande«. Diesem »Geheimnis« des Mechanismus politischer Herrschaft der kapitalistischen Gesellschaft spürte er nach – in den in dieser Edition erstmals veröffentlichten umfangreichen Manuskripten zum Thema »Liberalismus und kapitalistische Integration«, den Schriften zum Thema »Formierung – Faschismus und Neofaschismus« und im letzten großen Buchprojekt »Die politischen Richtungskämpfe im deutschen Großkapital der dreißiger Jahre und das Blutbad vom 30.6.1934«, an dem er bis zu seinem Tod arbeitete, ohne es vollenden zu können, sowie schließlich in seinen zahlreichen Referaten, Aufsätzen und Kolumnen, die in der Edition erstmals gesammelt vorgestellt werden.
Aus Anlass der Publikation der Bände sprachen wir mit dem Politikwissenschaftler und Journalisten Roland Müller (Marburg), der den »Röhm-Band« edierte und sich auch um die Abschlussredaktion kümmerte.
Redaktion: Du hast den Nachlass von Reinhard Opitz bearbeitet, ohne ihn selbst erlebt zu haben. Was für einen Zugang hattest Du?
Roland Müller: Opitz gehörte nicht nur vom Alter her zu einer anderen Generation, er repräsentierte auch eine andere Generation der Linken. Dass ich ihn nie in Vorträgen oder Gesprächen selbst erlebt habe, habe ich mit jeder Zeile, die ich editiert habe, mehr bedauert. Er war ein glänzender Erzähler. Bei Vorträgen von ihm herrschte absolute Stille, weil sich alle beim geduldigen Warten auf das Verb höllisch konzentrieren mussten. Fiel es endlich, löste sich für kurze Zeit die Spannung, die er dann wieder aufzubauen wusste. Das habe ich zwar vom Hörensagen, aber das lässt sich auch gut vorstellen, wenn man seine Vortragsmanuskripte liest. Beim Lesen muss man sich an die Satzungetüme, in die er manchmal alles packen wollte, erst gewöhnen. Hat man mit der Zeit den Rhythmus gefunden, lässt sich leicht erahnen, wie das durch mündliche Betonungen zu einem genussvollen Ereignis wird, und dann macht auch das Lesen Spaß. Um auf Deine Frage zurückzukommen: Opitz genähert habe ich mich schlicht durch Einlesen – in die Manuskripte, in die Briefe im Zusammenhang mit Veranstaltungen und Artikeln – und natürlich durch viele Gespräche mit Freunden von ihm.
Redaktion: Und welches Bild von ihm hast Du Dir dabei gemacht?
Roland Müller: Opitz war ein politischer Wissenschaftler, genauer: Kommunist und Historiker. Wissenschaftler war er wie in der Karikatur, ein bisschen alltagsuntauglich. Wenn ihn ein Thema gepackt hatte, saß er mit Bleistift und Büchern am Schreibtisch, rauchte und schrieb; zwischendurch machte er sich eine Dose Ravioli auf. Das einzige, was ihn umgehend vom Schreibtisch wegbrachte, war eine Veranstaltungseinladung. Das lässt sich aus seiner Korrespondenz gut herauslesen. Jedes Projekt ließ er stehen und liegen, sobald es irgendwo durch einen Artikel, Vortrag oder Streitgespräch darum ging, sich in eine aktuelle Diskussion einzumischen. Er verstand sich als politischer Publizist. Dafür blieben auch Sachen liegen, die ihm Geld eingebracht hätten. Da hatte er seine eigene Prioritätensetzung. Die dann öfters dazu führte, dass er sich einen sehr genauen Haushaltsplan schreiben musste, in dem die Zigaretten, die ihm bis zum Monatsende noch blieben, einzeln aufgeführt wurden. Opitz war arm. Wenn man in einem Manuskript vertieft auf einmal einen solchen Kalkulationszettel findet – das bringt ziemlich hart auf den Boden zurück. Liest man dann noch Briefe, wo er sich von einer Studentengruppe gebeten spontan bereit erklärt, sich in irgendeine lokale Auseinandersetzung an der Münchner Universität einzumischen und dafür eine gut dotierte Auftragsarbeit liegenlässt, dann schwankt man zwischen Hochachtung und ›der tickte nicht richtig‹.
Redaktion: Du hast gesagt, Opitz war eine andere Generation der Linken. Ist das, was Opitz schrieb, dann Schnee von gestern oder hatte Dir das noch etwas zu sagen?
Roland Müller: Opitz ist verblüffend aktuell. Er war Kommunist, hat sich aber als Wissenschaftler oder Publizist nie mit den sozialistischen Staaten beschäftigt. Die kamen in seiner Auseinandersetzung mit der Totalitarismusthese nur als Projektionsfläche der Interessierten in der westlichen Welt vor. Man schaue sich heute das Spektakel um das Schwarzbuch des Kommunismus an und weiss, dass die bisher siegreiche Gesellschaftsform die Projektion auch noch braucht, wenn die Fläche bereits verschwunden ist. Wer Opitz liest, weiss auch warum. Opitz war ein verdammt guter Kritiker bürgerlicher Ideologien. Seine historischen Arbeiten vom 19. Jahrhundert an und dann insbesondere alle Varianten, die mit dem Nationalsozialismus in Verbindung standen, hat er in Zusammenhang mit aktuellen Erscheinungen gesetzt. Und dabei sehr originell Linien und Brüche herausgearbeitet. Die Zeit, in der ich politisch sozialisiert wurde – Anfang der achtziger Jahre – mit Friedensbewegung und undogmatischen Gruppen und Grüppchen, war sehr betroffenheitsduselig, das Denken vielfältig ahistorisch. Hätte ich es noch gebraucht, als ich mich mit dem Nachlass zu beschäftigen begann, wäre Opitz ein schnellwirkendes Heilmittel gewesen. Solange es Kapitalismus gibt, gibt es bürgerliche Schutzideologien und solange ist eine Ideologiekritik, wie sie Opitz bietet, auch aktuell. Sollte es irgendwann auch mal wieder kritische Gegenbewegungen geben, so tun sie gut daran, sich ab und an mit Opitz' Schriften darüber Gedanken zu machen, wem sie demnächst auf den Leim gehen könnten.
Redaktion: In Eurer dreibändigen Edition werden Schriften zu Liberalismus und Faschismus veröffentlicht. Was habt Ihr aus welchem Grund weggelassen?
Roland Müller: Die Edition deckt alle Themenfelder ab, mit denen sich Opitz beschäftigt hatte. Im Nachlass fanden sich einige hundert Manuskripte. Davon waren etliche doppelt (Durchschläge, Kopien, Handschriftenfassungen) und/oder bereits an leicht zugänglicher Stelle veröffentlicht; die schieden von Anfang an aus. Es blieben etwa 6000 Seiten übrig. Die entscheidenden Fragen waren: Was geht inhaltlich über das bereits Veröffentlichte hinaus und ist das heute noch von Interesse. Davon abweichend wurden noch wenige Artikel und Reden aufgenommen, die nur von tagespolitischer Bedeutung waren, teilweise heute eher krude ankommen, aber unserer Ansicht nach beispielhaft drinnen sein müssten, weil sie Opitz und seine Entwicklung charakterisieren. Die Deutsche Friedensunion, der SDS, die VVN oder der BdWi haben viel von Opitz Leben und seiner Arbeit ausgemacht. Dass dies jetzt zum grössten Teil doch nicht veröffentlicht wird, hat finanzielle Gründe. Nachdem ein Mäzen abgesprungen war, haben wir den vierten Band gestrichen. Anderes, was spannend gewesen wäre, war in einem so unfertigen Zustand, dass es zuviel Arbeit gemacht hätte und das Ergebnis vermutlich trotzdem keine zufriedenen Leserinnen und Leser gefunden hätte. Eine solche Arbeit haben wir nur bei den auch unfertigen Röhm-Manuskripten für ertragreich gehalten.
Redaktion: Meinst Du, Ihr findet bei dem stolzen Preis von so 80,– DM pro Band zufriedene Leserinnen und Leser?
Roland Müller: Der Preis ist Ausdruck von Not, nicht des Wunsches nach einem erlesenen Kundenkreis, gar als posthume Wertschätzung von Opitz. Er selbst hätte sich seine Nachlassschriften nicht leisten können. Wir hoffen, dass es ein paar Opitz-Liebhaber gibt, für die das Geld nicht zu viel ist, dass es andere gibt, die sich die Bände schenken lassen können und dass es Bibliotheken gibt, die die Bände anschaffen und damit zugänglich machen und dass die Rede von den politisch-historisch uninteressierten Intellektuellen eine Lüge ist.. Eines kann ich allerdings versprechen: Die Leserinnen und Leser werden eine ganze Menge Spannendes für sich finden. Bei rund 1500 Seiten haben sie auch ein Weilchen etwas davon.
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Reinhard Opitz (1934–1986) war marxistischer Politikwissenschaftler, Faschismustheoretiker, politischer Polemiker und Musik- und Kunstliebhaber mit enzyklopädischen Interessen. Für die Stationen seines politischen Lebens standen Namen wie VVN, Konkret, SDS, DFU oder BdWi. Er publizierte in Zeitschriften und Verlagen wie Röderberg und Pahl-Rugenstein, im Argument, dem Forum Wissenschaft, der DVZ/die tat, den Marxistischen Blättern und den Blättern für deutsche und internationale Politik, deren langjähriger Herausgeber er war. Reinhard Opitz war einer der bedeutendsten marxistischen Publizisten der Bundesrepublik und vielleicht der scharfsinnigste Faschismustheoretiker der deutschen Linken. |
Reinhard Opitz: |