Gerechtigkeit oder Barbarei.
Interkontinentales Forum vom 5. bis 6. Oktober 2000
Jairo Estrada Alvarez, geb. 1957, Professor für Wirtschafstpolitik und Wirtschaft und Staat an der Fakultät für Rechts- Sozial- und Politikwissenschaften der Nationalen Universität Kolumbiens in Bogota; Diplomwirtschaftler und Doktor der Wirtschaftswissenschaften in Berlin, Studium des Staats- und Arbeitsrechts in Kolumbien; (Gast-) Professor an mehreren staatlichen Universitäten Kolumbiens; Foschungsproyekte auf dem Gebiet der Politischen Oekonomie, der Wirtschafts- und Sozialpolitik und der Arbeits- und Sozialkämpfe; Politische Bildungs- und Beratungstätigkeit an Gewerkschaftsorganisationen; zahlreiche Veröffentlichungen zur Politischen Oekonomie, Wirschafts- und Sozialpolitik und Arbiets- und Sozialkämpfe. Neuere Veröfentlichungen: Politische Oekonomie der neuen Akkumulationsphase, in: Estrada/ Caycedo (Hg.), Marx lebt. 150. Jahrestages des Kommunistischen Manifests, Nationale Universität Kolumbiens, 1999. Kapitalistiche Neustrukturierung und Regulierungstendenzen der Arbeitsbeziehungen, in: Arango/ López (Hg.), Globalisierung, wirtschaftiche Oeffnung und Industriebeziehungen in Lateinamerika, Nationale Universität Kolumbiens, 1999. Die Erziehungs- und Bildungspolitik im nationalen Entwicklungsplan, in: Zeitschrift Kultur und Erziehung, Nr.49, 1999. Letzte Arbeit: Die neue Wirtschafts-, politische und Militärordnung. Eine Annäherung ausgehend von der kolumbianischen Erfahrung. |
Zur sozialen und Wirtschaftsmisere des Neoliberalismus und die Lage der Menschenrechte in Lateinamerika |
Kurzfassung |
Während der neunzigen Jahren hat sich die Lage der Menschenrechte in Lateinamerika dramatisch verschlechtert. Obwohl die politische Demokratiesierungsprozesse (Im Sinne des Abschieds von den Militaerdiktaturen und der Rueckker zur buergerlichen „Wahldemokratie“.), die bereits in den achziger Jahren angefangen hatten, weiterhin vorangingen, ist die soziale und wirtschaftliche Misere bedeutend gewachsen. |
Der Üebergang zu einer neunen Akkumulationsphase in Rahmen neoliberaler Strategie und Politik, die als einzig möglicher Ausgang aus der Krise des auf dem inneren Marktes und der Importsubstitution begründeten Wachstums- und Entwiclungsmodells hochgespiegelt wurden, brachte tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft mit, rief einen kapitalistichen Reformprozess de Staates hervor und provozierte eine infame Umverteilung des produzierten Einkommens zu ungunsten der werktätigen Massen und der armen Mehrheiten. Gleichzeitig erfuhren die Länder Lateinamerikas neue Formen der Einbindung in die kapitalistische Weltwirtschaft auf der Grundlage einer extremen Liberalisierung des Handels-, Dienstelistungs-, und Finanzkapitalfluesse und der Oeffung der Nationalwirtschaften zu den Direktinvestitionen der transnationalen Konzerne. Der neoliberale Diskurs zur Globalisierung und zum "Weltmarkt - Sachzwang" wurde ausgenutzt um die Abhängigkeitsbeziehungen zu vertiefen und eine neue Phase neokolonialer Herrschaft zu legitimieren. |
Der Neoliberalimus begrenzt sich nicht auf Wirtschafstreformen und neue Formen der Einbeziehung in die kapitalische Weltwirtschaft. Seine Strategie begleitet sich mit einer Politik der partizipativen Demokratie als Antwort auf die Krise der repräsentativen Demokratie und einer Art der Fokalisierung (Focalización) der Sozialpolitik auf die Armsten innerhalb der Armen. Im Gang ist auch der Aufbau eines Kulturproyektes zur Individuen- und Privatinitiativengesellschaft, in der das sogennante Humankapital den Vorrang hat. Gleichheit und Gerechtigkeit werden mit neuen Inhalten verzerrt: Gleichheit als Initiative, Gerechtigkeit als Gelegenheit. |
Trozt der Bemühngen Wirtschafts- und soziale Erfolge zu feiern, sind die Wirkungen der neoliberalen Strategie auf die werktätigen Massen und die armen Mehrheiten in Lateinamerika pathetisch: Armut und Arbeitslosigkeit sind enorm gestiegen; Erziehungs-, Gesundheits- und Wohnungsproblematik bleiben ungelöst und verschlechtern sich; skandalose Konzentration des Reichtums und Verarmung von Mittelschichten sind offensichtlich; begrenzter Zugang zur Information und zur Verbreitung der Ideen, Unterdrückung ethnicher und sozialer Miderheiten, Frauendiskriminierung, Kinderarbeit u.a. gehören zur Alltäglihkeit; untergeordnete Formen der politischen Partizipation, repressiver Umgang gegenüber dem politischen und sozialen Protest und, in einigen Länder wir Kolumbien, Mord auf Grund politischer, sozialer oder religiöser Ideen, sind Ausdrücke der Ausübung des Staatsgewalts. Natürlich müsste man sagen, dass es, national gesehen, Besonderheiten und Differenzierungen bestehen. Hier handelt es sich nur um die vorherrschende Tendenz. |
Kurzgesagt: Die Stategie des Neoliberalismus hat zu einer Krise der Menschenrechte geführt. Zivile und politische Rechte, ökonomische, soziale und kulturelle Rechte werden ständig verlezt oder in der Praxis der Politik nicht anerkannt. Und dies, obwohl die juristische Form des Staates als "Sozialer Staatsrecht" definiert wird und sogar der Schütz der Menschenrechte als Staatspolitik erhoben wurde. |
Dieses erläurterte, präokkupierende Bild darf jedoch nicht zum Fatalismus führen: In Lateinamerika sind interessante Bewegungen im Gange, die vom Widerstand und Defensivpositionen angefangen, bishin zu verchiedenen Formen der Alternativen führen; mit vielfältigen politischen Einsichten, von demokratischen Reformpositionen bishin zu sozialistischen Programmen; mit neuen sozialen Subjekten, die, wie die "historischen" Subjekten, auch den Neoliberalismus bekämpfen; mit mannifaltigen Formen des Kampfes, der bewaffnete Kampf eingeschlossen; mit differenzierten Formen der Autonomie gegenüben dem Staat; mit einer verschiedenen räumlichen (nationalen, regionalen, lokalen) Gestaltung ihres Einflusses. |
Für die Zukunft der Alternativen in Lateinamerika bleiben u.a. folgende Fragen offen: Wie können die Segmentierung und die Zersplitterung der Bewegungen überwinden und zumindest zur Koordinierung entwickeln werden?, Wie sind lokale, regionale oder nationale Kämpfe mit globalen (transnationalen) Kämpfen um eine Demokratisierung der Weltordnung zu verbinden? |
Jairo Estrada Alvarez |