UTOPIE kreativ, H. 108 (Oktober 1999), S. 41-45
Susanne Schunter-Kleemann, Prof. Dr., Hochschullehrerin in Bremen, Forschungen zu Geschlechter-verhältnissen |
In diesem Beitrag soll das »gender mainstreaming« vorgestellt werden, eine neue gleichstellungspolitische Strategie, die in den letzten Jahren von den EU-Gremien entwickelt wurde. Der neue Anlauf in der Chancengleichheitspolitik ist wohl als eine Form der Resonanz der europäischen Behörden auf den anwachsenden weiblichen Skeptizismus zu sehen, der in vielen Eurobarometer-Umfragen der letzten Jahre zum Ausdruck kam. Inzwischen ist der Begriff gender mainstreaming in aller Munde. Eine Konferenz jagt die andere. Es wird von einem neuen Schub in der Gleichstellungspolitik gesprochen. Allerorten ist großer Klärungsbedarf, wie denn dieses neue Konzept in der Beschäftigungspolitik oder in der gemeinschaftlichen Strukturpolitik umzusetzen ist.
Ich werde der Frage nachgehen, welche politischen Hintergründe es gibt, daß gerade jetzt diese neue Strategie propagiert wird, in der so schöne Begriffe wie Geschlechterdemokratie, Partizipation und Zivilgesellschaft benutzt werden eine Strategie, die gleichzeitig beansprucht, eine »neue Partnerschaft« zwischen europäischen Behörden und frauenpolitischen Basisinitiativen, den sogenannten NGOs, zu etablieren und damit zum Abbau des Demokratiedefizits beizutragen.
Das Prinzip des gender mainstreaming als einer neuen Wortschöpfung in der Chancengleichheitspolitik ist 1996 in einer Mitteilung der Kommission mit dem Titel »Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft« als innovative Handlungsmaxime für alle Gemeinschaftsbehörden vorgeschlagen worden.
Was heißt gender mainstreaming?
Der Grundsatz des gender mainstreaming soll zum Ausdruck bringen, daß Geschlechterfragen (gender = Geschlecht) nicht mehr nur ein Randthema einiger unerschütterlicher Feministinnen, sondern als »Hauptströmung«, als elementarer Bestandteil des Projekts Europäische Integration anzusehen ist.
»Mainstreaming« soll, wie der Kommissar für Soziale Angelegenheiten, der Ire Padraig Flynn sagt, »der Tatsache Anerkennung schaffen, daß trotz der wachsenden Präsenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in bezug auf Beschäftigungsmöglichheiten, Entlohnung und Arbeitsbedingungen nach wie vor gravierend sind und sich in einigen Fällen sogar verschlimmert haben«.
Auf höchster Ebene, auf vier Gipfeltreffen in Essen, Cannes, Madrid und Wien haben die Staats- und Regierungschefs neben dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit das gender mainstreaming zur höchsten Priorität erklärt.
Auch im Amsterdamer Vertrag von 1997 ist der Gedanke der Chancengleichheit erheblich aufgewertet und an exponierter Stelle, in Art. 2 und 3 des neuen Vertrags festgeschrieben worden. Vor diesem Hintergrund ist, von der Papierlage her gesehen, der mainstreaming-Gedanke also recht gut verankert.
Wo liegen die Risiken dieser neuen Strategie ?
Als erstes springt ins Auge, daß das gender mainstreaming als neuer Schlüsselbegriff der europäischen Chancengleichheitspolitik in den verschiedenen Dokumenten der EU-Behörden eine recht unterschiedliche Ausdeutung erfährt. Die neue Wortkreation hat den großen Vorteil, daß sie in jeder Hinsicht interpretationsfähig ist, gleichzeitig hat sie nur geringe regulative Kraft, anders als beispielsweise die neun EU-Gleichbehandlungs-Richtlinien, die jeweils in nationales Recht umzusetzen waren.
So hat sich beispielsweise der ehemalige Kommissar für Soziale Angelegenheiten verpflichtet, der zukünftigen Strukturpolitik und hier geht es ja um nicht unerhebliche Finanzmittel eine grundlegend neue Ausrichtung zu geben. Wie Flynn unterstrich, müssen zukünftig alle Förderprogramme darlegen, wie sie die Gleichheit von Frauen und Männern zu fördern planen, bevor sie die Genehmigung der Kommission erhalten.
»Diesmal bin ich entschlossen, dafür zu sorgen, daß Fragen der Chancengleichheit in sämtliche Strukturfondsprogramme einbezogen werden, einschließlich derjenigen zur Förderung von Infrastrukturprojekten und unterstützenden Maßnahmen bei Umstellung in Industrie und Landwirtschaft« (Flynn 1998, 1).
Andere Aussagen der Kommission machen deutlich, daß gender mainstreaming als eine alle Politikfelder durchziehende Querschnittsaufgabe zu verstehen ist, so daß »mit Blick auf die Förderung der Gleichstellung von Frauen sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen an diesem Ziel ausgerichtet werden und bereits in der Planungsphase wie auch in der Durchführung, Begleitung und Bewertung deren Auswirkungen auf Männer und Frauen berücksichtigt werden« (Europäische Kommission 1997).
Eine Reihe von Ausschüssen des EP schlagen noch weitergehend vor, das gender mainstreaming auch für sämtliche Verwaltungen in den Mitgliedstaaten verbindlich zu machen. Der mainstreaming-Grundsatz müsse aber auch eine geschlechteregalitäre Verteilung sämtlicher Finanz- und Fördermittel zur Folge haben.
Inzwischen ist europaweit eine Kontroverse um das richtige Verständnis des gender mainstreaming entbrannt. Nicht wenige Politiker haben inzwischen gemerkt, welche unberechenbare Lawine mit dem mainstreaming-Gedanken losgetreten wurde und entsprechend wird nun versucht, den Geist wieder zurück in die Flasche zu stopfen. So wird seit neuestem erklärt, daß das mainstreaming-Prinzip nicht als Grundsatz der Verteilung von Geldern, sondern nur im Sinne einer »Sensibilisierung der Entscheidungsträger« verstanden werden soll.
Eine gewisse Irritation muß nun hervorrufen, wie dieser angebliche strategische Neuansatz in den letzten drei Jahren von den europäischen Behörden in die Tat umgesetzt wurde. Eine Auswertung der wichtigsten, in den letzten zwei Jahren auf den Weg gebrachten Zukunftsprogramme unter der Frage der Umsetzung des mainstreaming-Konzeptes ist denn auch eher ernüchternd. Sie zeigt, daß die meisten EU-Behörden ihre eigenen programmatischen Zielsetzungen bisher nicht sonderlich ernst nehmen.
Eine vom Ausschuß für die Rechte der Frau des EP (1997) durchgeführte Untersuchung zeigte umgekehrt, daß Kommission, Ministerrat und Mitgliedstaaten bisher den mainstreaming-Grundsatz in allen zentralen, die zukünftige Politik der EU strukturierenden Programmen mißachtet haben.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang:
das 5. Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung;
die Festlegungen zur Osterweiterung in der Agenda 2000;
das Grünbuch zur Entwicklungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten.
mainstreaming in der europäischen Beschäftigungspolitik
Noch schlimmer: Auch bei der Entwicklung der neuen europäischen Beschäftigungspolitik ist das mainstreaming-Prinzip zwar wieder strapaziert und proklamiert, aber so gut wie nicht umgesetzt worden.
Bekanntlich haben sich die EU-Regierungen auf dem Luxemburger Gipfel auf eine Reihe von abgestimmten Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geeinigt. Neben der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit, neben Maßnahmen zur Stärkung des Unternehmergeistes und der Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen sieht ein vierter Schwerpunkt der Beschäftigungsleitlinien die starke Gewichtung von Maßnahmen zur Chancengleichheit vor.
Es spricht für sich, daß den Regierungschefs auf den inzwischen vier Beschäftigungs-Gipfeln zur Förderung der Chancengleichheit in der Beschäftigungspolitik wenig Neues eingefallen ist. Weder wurden spezifische Maßnahmen für den Bereich der Frauenbeschäftigung vorgesehen, noch irgendwelche quantifizierbare Ziele vorgegeben, geschweige denn zusätzliche Finanzmittel für diese Aufgabe reserviert.
Nationale Beschäftigungspläne
Von daher überrascht es auch kaum, daß die 1998 von den fünfzehn Mitgliedstaaten in Brüssel eingereichten nationalen Beschäftigungspläne frauenpolitisch wenig Neues enthalten.
Auch der beschäftigungspolitische Aktionsplan der neuen rot-grünen Regierung für das Jahr 1999 ist über die Worthülse hinaus, daß Gleichstellungsanliegen in allen beschäftigungsrelevanten Politikbereichen berücksichtigt werden sollen, nicht viel weiter gekommen. Weder sind zusätzliche innovative Ansätze erkennbar, noch ist deutlich, wieviel Gelder zusätzlich ausgegeben, bzw. umgekehrt gerade eingespart werden sollen.
Es drängt sich von daher der Eindruck auf, daß der Gedanke des gender mainstreaming bisher ein schönes Versprechen, ein Programmwort ist, das aber bisher von seiten des Ministerrats, der Kommission, aber auch vieler EU-Regierungen selbst so gut wie nicht gefüllt ist.
Den verborgenen Zielen des gender mainstreaming kommt man vielleicht dann näher, wenn man hört, daß sich inzwischen die Beispiele mehren, wo, mit Hinweis auf den mainstreaming-Grundsatz, Finanzmittel, die vorher gezielt für spezielle Frauenfördermaßnahmen reserviert wurden, nun mit dem Argument, daß Frauenanliegen sowieso in allen Politikfeldern mitbedacht werden, gestrichen wurden.
Abschließend will ich zwei Fragen stellen:
Erstens: Ist gender mainstreaming wie behauptet ein Ansatz der Förderung von Geschlechterdemokratie oder soll er ein Deckmantel für die fehlende Legitimation des Projekts Europäische Integration sein?
Zweitens: Ist er wie behauptet ein Ansatz zur Förderung der Zivilgesellschaft oder ein Projekt des dritten Weges, ein Programm des Um- und Abbaus des Sozialstaats?
Dazu sollen drei Thesen formuliert werden:
Erstens: Man geht sicher nicht fehl, den gender-mainstreaming-Ansatz im Zusammenhang mit anderen Bestrebungen der europäischen Sozialdemokratie zu verorten, in denen es darum geht, die neoliberale Ordnungspolitik der Konservativen fortzuführen, aber durch eine modernere und versöhnlichere Rhetorik zu ergänzen. gender mainstreaming ist insofern im Kern ein frauenspezifisches Konsensprojekt, es flankiert eine Reihe anderer Projekte zur Modernisierung der Volkswirtschaft. Es handelt sich um eine Spielart des autoritären Populismus, die korporatistisch ausgerichtet, jedoch im Führungsstil von oben nach unten einem elitären Management verpflichtet ist.
Zweitens: Konzeptionell wird mit der mainstreaming-Maxime Veränderungen in der internationalen Arena Rechnung getragen. Die EU reagiert auf das Erstarken nichtstaatlicher Akteure in allen europäischen Ländern einerseits, andererseits auf die Tatsache, daß überproportional viele Frauen den in der Europapolitik engagierten Eliten zunehmend ihre Zustimmung verweigern. Frauenpolitische Basisinitiativen, sogenannte NGOs, werden nun dazu aufgerufen, sich den Herausforderungen zu stellen, die als »gemeinsame drängende Menschheitsprobleme« definiert werden: Umwelt, Wirtschaftskrisen, Menschenrechte, Frauenrechte. Mit dem mainstreaming-Ansatz schalten die EU-Behörden nun auf einen Transparenzkurs um, wie ihn andere postmoderne politische Akteure und Organisationen (Weltbank u.a.) schon seit längerem verfolgen. Alle geschlechterpolitisch Interessierten werden zu einer »großen Debatte« eingeladen, deren Ergebnis allerdings im wesentlichen vorgezeichnet ist, denn faktisch geht es weniger um neue Aufgaben als um die Bewältigung vorgegebener technokratischer Aufgaben. Frauenbasisinitiativen werden aufgerufen, ihr Knowhow, ihre Professionalität und Kreativität einzubringen und dieses gender-Wissen in Kooperation und Partnerschaft mit den EU-Behörden zu mobilisieren. Es geht also um die Vereinnahmung potentiell emanzipatorischer Kräfte.
Denn das zentrale Problem dieses Ansatzes besteht ja darin, daß unter dem Stichwort »Partnerschaft mit lokalen Akteuren« Machtungleichgewichte und Hierarchien ausgeblendet und soziale Verteilungskonflikte in den Hintergrund gedrängt werden. Dennoch werden viele hunderte frauenpolitisch Engagierte beschäftigt und ihnen wird das Gefühl vermittelt, Einfluß ausgeübt zu haben.
Drittens: Ein konstitutives Element neoliberaler Ideologie ist ihr Antietatismus.
Im Zentrum der Kritik stehen dabei vor allem sozialstaatliche Funktionen, die dem Dogma zufolge wie wir alle wissen des Teufels sind. In dieses Konzept passen sehr gut die NGOs und Basisinitiativen, die sprachlich von den Neoliberalen nicht zufällig als »private organizations« bezeichnet, als innovative Alternativen zum bürokratischen Moloch Sozialstaat erscheinen. Die den NGOs zugeschriebenen Vorteile im Vergleich zu den sozialstaatlichen Bürokratien wie Flexibilität, hohe Professionalität, Unternehmergeist und Kosteneffizienz werden so als Argument benutzt, bestimmte staatliche Aufgaben an derartige Netzwerke zu delegieren und damit zu privatisieren.
Gender mainstreaming in der Strukturpolitik ist beispielsweise ein hervorragendes Instrument, um Regionen, Initiativen und Basisprojekte gegeneinander auszuspielen und in Konkurrenz zu bringen. Alle spekulieren auf europäische Strukturfondsmittel, jedes Beschäftigungsprojekt steht im Wettbewerb mit jedem anderen um die knappen EU-Gelder. Einige gehen als Sieger aus diesem Wettbewerb hervor, bis ihnen nach zwei bis drei Jahren dann der Geldhahn zugedreht wird.
Bilanz
Man geht wohl nicht fehl, wenn man sagt, daß es bei gender mainstreaming weniger um die Förderung der Geschlechterdemokratie als um die Umfunktionierung des Widerstands gegen den Neoliberalimus europäischer Prägung in ein Konsensprojekt für die kapitalistische Modernisierung geht?