Publication Demokratischer Sozialismus - Geschlechterverhältnisse - Gesellschaftstheorie Feministisch arbeiten mit Marx

Utopie Kreativ Heft 109-110 November-Dezember 1999

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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Frigga Haug,

Published

November 1999

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UTOPIE kreativ, H. 109/110 (November / Dezember 1999), S. 125-137

Frigga Haug – Jg. 1937, Prof. Dr., Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg, Mitherausgeberin der Zeitschrift »Das Argument«, Redakteurin des »Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus« sowie des »Forum Kritische Psychologie«; Forschungs-schwerpunkte: Frauensozialisation und -politik, Arbeit

 

Der vorliegende Text wurde auf der Konferenz »Marxismus im Übergang zum 21. Jahrhundert«, Elgersburg, März 1999, vorgestellt, verschiedene vorhergehende Fassungen sind erschienen in der Zeitschrift »Das Argument« (Nr. 123, 1980) und im Buch der Autorin »Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit« (1999).

 

These 3 aus den Feuerbachthesen:

»Die materialistische Lehre v. der Veränderung der Umstände u. der Erziehung vergißt, daß die Umstände v. den Menschen verändert u. der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Theile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondiren.

Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände u. der menschlichen Thätigkeit od. Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt u. rationell verstanden werden.«

MEGA VI,3

 

These 6 aus den Feuerbachthesen:

»Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstractum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:

1) von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahiren u. das religiöse Gemüth für sich zu fixiren, u. ein abstrakt – isolirt – menschliches Individuum vorauszusetzen.

2) Das Wesen kann daher nur als »Gattung«, als innere, stumme, die vielen Individuen natürlich verbindende Allgemeinheit gefaßt werden.«

MEGA IV, 3

 

»Wenn wir von Re-Produktionsarbeit der Frau im Kapitalismus sprechen, so muß der Begriff als Produktion und Reproduktion verstanden werden, damit nicht nur die wiederherstellenden, sondern auch die hervorbringenden, produzierenden Aspekte deutlich werden. Die Re-Produktion umfaßt physische und psychische Regeneration der tagtäglich verausgabten Kräfte der Frau, des Mannes und der Kinder. Dazu gehört ebenso die allgemeine Reproduktion der zukünftigen Arbeitskräfte, also die generative Re-Produktion, wie auch die Sozialisation der Arbeitskraft, damit sie die Fähigkeit erwirbt, sich als Ware zu verkaufen, ihren Tauschwert zu erlangen.«

Anke Wolf-Graaf: Frauenarbeit im Abseits, München 1981, S. 274.

 

»Gesellschaftliche Gewaltverhältnisse wie Ehe, strafrechtliche Verfolgung von Abtreibung, ökonomische Abhängigkeit vom Lohn des Ehemanns verweisen auf das kapitalistische und patriarchalische Interesse, die Frauen nicht autonom über ihre Gebärfähigkeit verfügen zu lassen. Die Frauen müssen in Abhängigkeit gehalten werden, denn die Ausbeutung der unbezahlten Reproduktionsarbeit der Frauen durch den Kapitalismus zur Mehrwertrealisation kann nur mit Hilfe der sexistischen Unterdrückung und der Gewalt des Patriarchats über die Gebärfähigkeit der Frau garantiert werden, wie umgekehrt nur die Macht der Männer über die Frauen – und damit geht in eins die Ausbeutung der Arbeitskraft der individuellen Frau durch den individuellen Mann – durch die Ausgrenzung der Frauen aus den gesellschaftlichen Machtzentren mit Hilfe des kapitalistischen Interesses – und der Durchsetzungskraft des Kapitalismus – an der Ausbeutung der unbezahlten Reproduktionsarbeit gewährleistet wird.«

Ursula Westphal-Georgi: Frauenarbeit –Vorbild für das dualwirtschaftliche Konzept?, in: R. Brun, J. Huber (Hrsg.): Erwerb und Eigenarbeit, Frankfurt/M. 1985, S. 131.

 

Marx zitiert den Satiriker Mandeville: »… aber es ist das Interesse aller reichen Nationen, daß der größte Teil der Armen nie untätig sei und sie dennoch stets verausgaben, was sie einnehmen… (…) Diejenigen, die ihr Leben durch ihre tägliche Arbeit gewinnen, haben nichts, was sie anstachelt, dienstlich zu sein außer ihren Bedürfnissen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit wäre zu kurieren. Das einzige Ding, das den arbeitenden Mann fleißig machen kann, ist ein mäßiger Arbeitslohn. (…) Aus dem bisher Entwickelten folgt, daß in einer freien Nation, wo Sklaven nicht erlaubt sind, der sicherste Reichtum aus einer Menge arbeitsamer Armen besteht.«

Mandeville, 1728, 212-3, 328; zit. nach MEW, Bd. 23, S. 643.

 

»Weil der weiße Mann sich selbst zur entsinnlichten Gesellschaftsmaschine entwürdigt hatte, kolonisierte er die Frau als Sinnlichkeitstier. Sie sollte zuständig sein für alles, was er nicht mehr empfinden und ausleben durfte: für Gefühle und liebevolle Zuwendung, für die Ästhetik des Alltages und für die Mobilisierung des Sinnlichen, eingemauert in den Hochsicherheitstrakt der modernisierten Kleinfamilie mit ihrer abstrakten Privatarbeit.«

R. Kurz: Der Letzte macht das Licht aus, Berlin 1993, S. 68.

 

Die »Regulation der sog. Hausarbeit …als direkter Eingriff in die patria potestas … die elterliche Autorität, ein Schritt, wovor das zartfühlende englische Parlament lang zurückzubeben affektierte. Die Gewalt der Tatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, daß die große Industrie mit der ökonomischen Grundlage des alten Familienwesens und der ihr entsprechenden Familienarbeit auch die alten Familienverhältnisse selbst auflöst.«

MEW, Bd. 23: 513.

 

Eine Erwähnung des Familienarbeits-bereichs außerhalb und in Konflikt mit der außerhäuslichen Erwerbsarbeit findet sich schließlich in zwei Fußnoten. »Hygienisch habe die Krise, abgesehn von der Verbannung der Arbeiter aus der Fabrikatmosphäre, vielerlei andre Vorteile. Die Arbeiterfrauen fänden jetzt die nötige Muße, ihren Kindern die Brust zu reichen, statt sie mit Godfrey’s Cordial (einem Opiat) zu vergiften. Sie hätten die Zeit gewonnen, kochen zu lernen. Unglücklicherweise fiel diese Kochkunst in einen Augenblick, wo sie nichts zu essen hatten. Aber man sieht, wie das Kapital die für die Konsumtion nötige Familienarbeit usurpiert hat zu seiner Selbstverwertung.«

MEW, Bd. 23: 416f. FN 120.

 

Marx behandelt die Frage nach der Ökonomie der Zeit, z.B. mit Bezug auf das Stillen, sehr knapp wiederum als Frage des Lohnes: »Da gewisse Funktionen der Familie, z.B. Warten und Säugen der Kinder usw., nicht ganz unterdrückt werden können, müssen die vom Kapital konfiszierten Familienmütter mehr oder minder Stellvertreter dingen. Die Arbeiten, welche der Familienkonsum erheischt, wie Nähen, Flicken usw., müssen durch Kauf fertiger Waren ersetzt werden. Der verminderten Ausgabe von häuslicher Arbeit entspricht also vermehrte Geldausgabe.«

MEW, Bd. 23: 417, FN 121.

 

In diesem Aufsatz werden an drei Punkten Lehren aus dem Marxschen Werk gezogen, die ich für einen heute aktuellen Feminismus weiter für sehr fruchtbar, ja unentbehrlich halte. 1. geht es um die Bedeutung der Marxschen Thesen gegen Feuerbach für feministische Forschung und Kritik an bürgerlicher Wissenschaft; 2. um die Frage des Marxschen Arbeitsbegriffs, wie er einerseits die feministischen Debatten bis heute bestimmt und andererseits für eine Auseinandersetzung in der derzeitigen »Krise der Arbeitsgesellschaft« genauer erinnert und scharf gefaßt werden sollte; 3. um die Marxsche Fassung der Familien- und Hausarbeit, die nach meinem Dafürhalten in ihrer einseitigen Weise die gesamte Kritik der politischen Ökonomie begleitet und von daher die Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsformation auch in ihrer heutigen Gestalt nicht ausreichend artikuliert.

Marxsche Feuerbachkritik und Feminismus

Marx schrieb in seiner kürzesten und bedeutenden Schrift, den Thesen gegen Feuerbach: »Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbach’schen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts od. der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Thätigkeit, Praxis; nicht subjektiv. Daher die thätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus – der natürlich die wirkliche, sinnliche Thätigkeit als solche nicht kennt – entwickelt. Feuerbach will sinnliche – von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedne Objekte: aber er faßt die menschliche Thätigkeit selbst nicht als gegenständliche Thätigkeit. Er betrachtet daher im Wesen des Christenthums nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig jüdischen Erscheinungsform gefaßt u. fixirt wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der ›revolutionairen‹ der ›praktisch-kritischen‹ Thätigkeit« (MEGA IV,3).

Diese Kritik am vorgefundenen Materialismus war für die Aufnahme Marxschen Denkens in die Arbeiterbewegung kaum von Bedeutung, liest sich jedoch wie eine direkte Anleitung an feministische Theorie und Praxis heute. Die Ablösung von Wissenschaft von den tatsächlichen Praxen der Menschen, die Ableitung menschlicher Aktivitäten aus obersten Kategorien, die Vernachlässigung der sinnlich menschlichen Tätigkeit sind unentbehrliche Kritikpunkte, die eine feministisch sich verstehende Wissenschaft gegen den herkömmlichen Wissenschaftskanon hält. Daß die herrschenden Sozialwissenschaften ohne die Erfahrungen und Praxen von Frauen konzipiert sind, war eine der ersten Kritiken aus der Frauenbewegung, die damit in revolutionärer Weise in vorhandene Denktraditionen eingriff, obwohl sie sich kaum oder gar nicht auf Marx’ Kritik an Feuerbach bezog.

Als Ende der sechziger Anfang der siebziger Jahre die Frauenbewegung allmählich erstarkte, formulierte ich als politischen Eingriff einen knappen Text unter dem Titel »Frauen – Opfer oder Täter?«, der im wesentlichen versuchte, einiges von dem, was ich aus den Feuerbachthesen gelernt hatte, auf die Frauenfrage zu übertragen. Aus den Thesen drei und sechs übernahm ich die folgenden Gedanken, die ich im übrigen auch heute noch für wesentlich für jede Art eingreifenden Denkens halte.

Aus der dritten These schlußfolgerte ich, daß Selbstveränderung ein notwendiges Moment und selbst Bestandteil einer Umgestaltung von niederdrückenden Bedingungen sei, und es also darauf ankäme, daß jeder Eingriff in die Gesellschaft, jede politische Tat von den einzelnen auszuführen sei, um deren Befreiung es ging. Oder mit den Worten von Peter Weiß: »Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen.« Ein wie mir schien, einfacher Gedanke, der es allerdings unabdingbar machte, daß Frauen mithin ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen müßten und nicht auf ihre Befreiung durch andere, Arbeiter etwa, warten konnten. Zudem verband er die persönlichen, subjektiven Fragen mit den gesellschaftlichen Eingriffen politischer Umgestaltung, so daß weder das Interesse und die Bezugnahme auf die gesamte Gesellschaft als Bedingung unseres Lebens, noch die Besinnung auf uns selbst, die wir kämpfende und mittragende Akteurinnen sind, verloren gehen konnte.

Die doppelte Bewegung, Selbstveränderung als eine Dimension revolutionärer Praxis anzunehmen und Frauen als politische Subjekte zu denken, brachte mich zu meiner Überraschung unvermittelt in einen heftigen Gegensatz zu den Organisationen der Arbeiterbewegung. Die Ausrufung der Frauen als politische Subjekte, die sich selbst artikulieren wollten, war offenbar eine Ketzerei gegen den Alleinvertretungsanspruch männlicher Arbeiterorganisation. Es gehörte zu ihrer Politik, die Fesseln in hierarchischer Anordnung zu formulieren, gegen die Befreiung zu erstreiten sei. Das »Kapital als Hauptfeind«, wie es damals umstandslos hieß, mußte zuallererst gemeinsam bekämpft werden, Frauenfragen als »Nebenwiderspruch« mußten da warten, bis die neue Gesellschaft auf der Tagesordnung stünde. Die Kritik aus der Arbeiterbewegung richtete sich schließlich auf die Existenz der Frauenbewegung, die als bürgerlich abgekanzelt wurde und in ihren tatsächlich revolutionären Dimensionen genauso wenig zur Kenntnis genommen wurde, wie der Zusammenhang von Kapitalismus und Frauenunterdrückung auch nur in Ansätzen begriffen war.

Die von den Intellektuellen der Arbeiterorganisationen rechthaberisch und abstrakt geführte Auseinandersetzung mit der neuen Frauenbewegung brachte diese praktisch von ihrem Beginn an in einen Gegensatz zur sozialistischen Bewegung, aus der sie gleichwohl kam. Die Lage spitzte sich schnell zu, so daß viele Frauen in England, Italien, Frankreich, Deutschland aus den Arbeiterorganisationen austraten oder sich zusätzlich organisierten, was mit einem politischen Slogan der italienischen Frauenbewegung als »doppelte Militanz« bezeichnet wurde. Gegen den Alleinvertretungsanspruch, der nur die Ausbeutung durch das Kapital als Herrschaft und Unterdrückung gelten ließ, wurde die Herrschaft der Männer über Frauen als geschichtsmächtig entdeckt.

Für die Auseinandersetzung mit den Protesten aus der Frauenbewegung schien mir gerade im Sinne einer feministischen Theorie und Praxis die These sechs aus der Kritik an Feuerbach von großem Nutzen.

Die Marxsche Wendung gegen das Gerede vom Menschen im Plural, hinter dem die Frage der Geschlechterverhältnisse geradezu zwangsläufig verschwindet, scheint mir bis heute grundlegend für jeden Versuch, die Problematik von Frauen in unseren Gesellschaften zu formulieren. Der Aufbruch aus der Metaphysik, der das Wesen des Menschen auflöst in die Frage nach den gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen, die er sich aneignet, um ein Mitglied dieses menschlichen Verbandes zu werden, in den er hineingeboren ist, erlaubte es sogleich, die Frauenproblematik als ein historisches Phänomen zu begreifen, in der die Frauen selber Akteurinnen waren. Ihre Positionierung in der Gesellschaft war nicht ohne ihr Zutun zu begreifen. Den Zusammenhang der verschiedenen gesellschaftlichen Praxen und der kulturell gestützten Formierung der Geschlechter zu verstehen, erschien als ein Forschungsauftrag, der schärfer noch als bisher die großen Lücken, die die Vernachlässigung des weiblichen Geschlechts bei der Wissensproduktion hervorgebracht hatte, zeigte und zugleich damit erahnen ließ, wie sehr ein Wissen um die Vergesellschaftung von Frauen ein Befreiungswissen sein mußte.

In dieser Weise habe ich versucht, eine empirische Methode zu entwickeln, eine Forschung voranzutreiben, in der Frauen als handelnde Subjekte die Problematik ihrer Positionierung in der Gesellschaft, ihrer Beteiligung an der Reproduktion ihrer Unterdrückung kollektiv erkunden, um selbst bestimmen zu können, wo Veränderung nötig und möglich ist. Ich habe diese Methode ›Erinnerungsarbeit‹ genannt und in dieser Weise praktisch aus den Feuerbachthesen ein Verfahren entwickelt, das das Problem überwindet, Frauen ohne ihren praktisch-subjektiven Einschluß zu Objekten von Forschung zu machen, als wären sie Insekten. Wichtig wurde es, das implizite Wissen um die eigene Vergesellschaftung zu erheben und gemeinsam öffentlich zu machen. Diese Methode arbeitet zugleich gegen den damals im Feminismus aufkommenden Essentialismus über das (bessere) Wesen von Frauen und versucht statt dessen einem Zusammenhang von Selbstveränderung und Gesellschaftsveränderung nachzuspüren.

Marx und ›die Arbeit‹

Der anfängliche feministische Zorn gegen Marx, dem eine Abkehr von marxistischem Denken folgte, richtete sich nicht gegen die Feuerbachthesen, deren Bedeutung für einen wissenschaftlichen Feminismus ich bislang nirgends ausgeführt fand, sondern gegen sein Konzept von Arbeit und die Theorien über die Produktion von Mehrwert.

Der Vorwurf war, Marx habe einen Arbeitsbegriff entwickelt, der Frauen ausschloß und ihn schließlich daran hinderte, Frauenunterdrückung wahrzunehmen. Die Kritik konzentrierte sich auf seine Auffassung vom »Doppelcharakter der Arbeit«. Die Vorstellung, daß Arbeit sowohl Gebrauchswerte als auch Tauschwerte schafft, ist sowohl für seine Analyse des Kapitalismus und dessen Dynamik als auch für seine Revolutionstheorie zentral. Eine Gesellschaft die dadurch vorangetrieben wird, daß sie ›lebendige‹ Arbeit in ›tote‹ verwandelt (um in Marxscher Metaphorik zu sprechen) und dann der toten Arbeit in Form von Kapital (Maschinen, Fabriken, Geld) Macht über die lebendige zu geben – solch eine Gesellschaft wird sich selbst in die Katastrophe manövrieren, wenn kein radikaler Eingriff erfolgt. Eine solche radikale Tat würde die Grundstrukturen gesellschaftlicher Regulation umstürzen müssen.

In seiner Analyse des Doppelcharakters der Arbeit rückt Marx die Lohnarbeit als bestimmende Weise, die Lebensaktivität zu verformen, ins Zentrum. Ein erster revolutionärer Schritt wäre die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Diese Argumentation hatte den Effekt, daß der männliche Arbeiter in seiner historischen Rolle als Ernährer der Familie Zentrum der Analyse wurde wie die Arbeiterbewegung Subjekt der Politik.

Die Proteste der Frauen gegen diese theoretische Anordnung scheinen gerechtfertigt. Denn selbst wenn wir zustimmen, daß diese Situation eine Schöpfung der kapitalistischen Gesellschaft ist und nicht bloß Marxscher Analyse geschuldet, gibt es in seiner Argumentation eine bemerkenswerte Leere, wo über Frauen hätte gesprochen werden müssen. Die ›Hausarbeitsdebatte‹ der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, die in gewisser Weise im Internet, zumindest in den Vereinigten Staaten noch in den späten Neunzigern andauert, erweitert diese Kritik gegen die Konzentrierung auf den männlichen Arbeiter zu einer Diskussion um die Gültigkeit der Marxschen Wertlehre überhaupt.

Die frühe Diskussion im Feminismus entzündete sich mithin an der Frage der vergessenen Hausarbeit in der Marxschen Wertlehre. Im Anschluß an Maria Rosa dalla Costa (1973) wird die Wertlehre um die als »produktiv« behauptete Hausarbeit erweitert, weil diese in der Form von persönlichen Dienstleistungen die Arbeitskraft als Ware reproduziere und damit hinter dem Rücken der industriellen Produktion für die Vergrößerung des Mehrwerts sorge. Die Rolle der Frau dabei sei in der Form der Familienarbeit unsichtbar gemacht. Auch Frauen produzierten mehr Wert als zu ihrer eigenen Reproduktion nötig sei, dessen kostenlose Aneignung in den Kapitalprofit eingehe und von Marx nicht berücksichtigt sei. Die Familie wird in dieser Analyse ein Zentrum gesellschaftlicher Produktion. Hausarbeit wurde ferner als »blinder Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie« (v. Werlhof 1978) herausgestellt. Schwerwiegender sei aber noch, daß Frauenlohndiskriminierung in der Wirklichkeit gerechtfertigt sei, weil Frauen weniger Wert schafften. Dies wird damit erklärt, daß Frauen Männer reproduzieren, ihre eigene Reproduktion aber von ihren Kräften abzuziehen sei. Insofern besäßen Männer faktisch mehr Wert für die Unternehmer bzw. diese kauften mit der Ware Arbeitskraft ›Mann‹ einen unsichtbaren und für sie kostenlosen Anteil Frauenarbeit ein. Die Vernachlässigung der von Frauen zu Hause geleisteten Arbeit bei der Reproduktion der Arbeitskraft mußte einen wesentlichen Bestandteil des von Kapitalisten angeeigneten Mehrwerts außer acht lassen. Wenn es das Geheimnis der Ware Arbeitskraft sein sollte, daß sie mehr zu produzieren in der Lage war, als sie zur eigenen Reproduktion brauchte, so mußte dies auch für Frauen gelten und bestimmt werden, wie diese zusätzliche Arbeitskraft auch in die kapitalistisch verfertigte Ware einging (Pohl, 1984). Eine praktische Konsequenz solcher Analysen war die Forderung nach Lohn für Hausarbeit, eine andere, diese Sphäre der weiblichen Umsonstarbeit einfach abzuschaffen. Einen weiteren Akzent brachte Christel Neusüß (1984) in diese Debatte, indem sie herausarbeitete, daß die Ware Arbeitskraft überhaupt nicht umstandslos als Ware, die dem Arbeiter gehört, in die Analyse der Warenproduktion und Wertform eingehen könne, da so die Arbeit der Produzentinnen, der Mütter und die Hausarbeit unsichtbar würden (vgl. Neusüß 1984: 25).

Vielleicht kann man solcher Argumentation einige Plausibilität nicht absprechen, problematisch scheint mir jedoch, daß diese Diskussionen weitgehend rein akademisch und folgenlos geführt wurden, da die Leidenschaft, die in den Streit um den Wert der häuslichen Arbeit einging, kaum ein Äquivalent in einer entsprechenden politischen Strategie fand.

Politischen Einfluß hatte dagegen die ebenfalls in der Hausarbeitsdebatte explizierte Argumentation, nach der auch Hausarbeit produktiv sei und entsprechend der Lohnarbeit gesellschaftlich anerkannt und bezahlt werden sollte. Die Forderung nach Entlohnung der Hausarbeit wurde von eher konservativen Parteien in Deutschland übernommen, da sie gleichzeitig dazu dienen konnte, den Wert der Familie und des bei zunehmender Arbeitslosigkeit immer vorteilhafter scheinenden Verzichts von Frauen auf Berufstätigkeit abzufedern. Unter der Hand wurde mit dem berechtigten Protest gegen die Mißachtung häuslicher Arbeit, durch ihre umstandslose Einschreibung in eine Art Gleichwertigkeit zur Lohnarbeit fast alles aufgegeben, wofür die Frauenbewegung zu kämpfen begonnen hatte – die Kritik an der Familienform, die an der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die Kritik an der entfremdeten Form der Lohnarbeit und die am Kapitalismus. Die Behauptung, auch Hausarbeit sei produktiv, konnte, wenn auch nur durch Begriffszauber, den Makel von einer Form der Arbeitsteilung nehmen, der Frauen, sobald sie dies ausschließlich taten, die Möglichkeit verweigerte, ohne männlichen Ernährer überhaupt zu existieren.

Wie steht es jedoch um den Vorwurf, Marx habe der Hausarbeit ihren produktiven Charakter abgesprochen und arbeite also mit an der Entwertung weiblicher Arbeit?

Marx hat auch darüber gesprochen, daß es ein Pech sei, produktiver Arbeiter zu sein und kein Glück. Bevor ich daher einen anderen Zugang zur Frage der Funktion der unbezahlten Hausarbeit für die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft als Kritik an Marx vorschlagen will, möchte ich eine Reihe der Kritikpunkte aus der ›Hausarbeitsdebatte‹ zum Marxschen Arbeitsbegriff zurückweisen. Sie beziehen sich nach meinem Dafürhalten nicht auf Marx, sondern auf den ›Marxismus der Arbeiterbewegung‹. Das wäre an sich wiederum noch kein Problem, wäre nicht von Marx gerade für die Frage der Arbeit für Feministinnen wichtiges zu übernehmen.

Marx fand in der philosophischen Tradition und den neueren Entwicklungen der politischen Ökonomie (Smith, Ricardo) schon einen Arbeitsbegriff vor, der widersprüchlich bestimmt war. Arbeit, das war zunächst Tätigkeit der Armen; sie war mühselig, erschöpfte die Lebensgeister oder war für viele gar an die Stelle des Lebens getreten. Aber Arbeit war auch Quelle des Reichtums und aller Werte.

Marx arbeitet in diesem Spannungsfeld – Arbeit als Bindeglied zwischen Armut und Reichtum als widersprüchliche Grundlage beider – seinen Arbeitsbegriff aus. Er begreift Arbeit zunächst als Dimension von Herrschaft. In der Perspektive der Arbeiteremanzipation ist die allgemein menschliche Emanzipation enthalten, weil »die ganze menschliche Knechtschaft in dem Verhältnis des Arbeiters zur Produktion involviert ist und alle Knechtschaftsverhältnisse nur Modifikationen und Konsequenzen dieses Verhältnisses sind« (MEW, Bd. 40: 521).

Noch ganz in Anlehnung an Hegel denkt Marx in seinen Frühschriften Arbeit als Verkehrung und Entwirklichung. Die Verkehrung erstreckt sich auf das gesamte Leben durch eine Mittel-Zweck-Vertauschung. Dabei wird die produktive Teilnahme am Gattungsleben zum bloßen Mittel, das Leben zu fristen, statt es zu verwirklichen (vgl. MEGA I,2, 369; MEW, Bd. 40: 516). Diese Vorstellung, daß Arbeit selbst Herrschaft ist, unterscheidet noch nicht die stoffliche Seite von den ökonomischen Formen und kommt daher zum logischen Schluß, daß Arbeit selbst abgeschafft gehöre. »Es ist eines der größten Mißverständnisse« schreibt Marx in seinen Notizen zu List, »von freier menschlicher, gesellschaftlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die Arbeit ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung von Arbeit gefaßt wird« (zit. nach List 1982, 459f). Während »in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um (…) eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte«, soll nun »die Arbeit beseitigt« werden (vgl. MEW, Bd. 3: 69f).

Marx hält also auch in den Frühschriften nicht Arbeit im Sinne des produktiven Stoffwechsels Mensch – Natur für aufhebbar, sondern indem er Arbeit als Verkehrung produktiver Tätigkeit denkt, zwingt er dazu zu rekonstruieren, was in die Form der Arbeit geriet und deformiert wurde, was es also hier zu befreien gilt. In entfremdeter Form findet Marx: freie Lebensäußerung; Lebensgenuß; Selbstbetätigung, Teilhabe am menschlichen Gemeinwesen, humanisierte Bedürfnisbefriedigung, Liebesfähigkeit (vgl. MEW, Bd. 40: 462f.), allseitige Entwicklung der Individuen, Verkehr der Individuen als solcher (vgl. MEW, Bd. 3: 68); bewußte, freie Lebenstätigkeit als Gattungswesen (MEGA I,2; MEW, Bd. 40: 516f.).

Wenn wir von solchen Bestimmungen ausgehen, können wir »Selbstbetätigung als erstes Lebensbedürfnis fassen«, als Genuß. Wir könnten die Gemeinschaft als produktiven Rahmen denken; und wir könnten auch über die Entwicklung der Individuen durch eigene freie Betätigung sprechen – wir gelangten aber niemals zu der modernen soziologischen Abwehr, daß Arbeit nicht länger im Zentrum von Gesellschaftstheorie stehen solle, sondern durch Kommunikation oder Lebensweise (Lebenswelt) ersetzt werden solle. Es ist ganz klar, daß Marx nicht zwischen ›Lebenswelt‹ und ›Arbeitswelt‹ unterschied, sondern daß er vielmehr das, was heute ›Lebenswelt‹ heißt, umstürzen wollte. Er begriff sie in der Perspektive als den genußvollen tätigen Zusammenhang der Individuen eines Gemeinwesens. Hier sind die »Interaktion«, die Liebe und das Leben eingeschlossen, wenngleich Marx unter Leben immer tätiges Leben versteht.

Selbstbetätigung als Befreiungsperspektive ist bezogen auf die Produktion des materiellen Lebens – diese Beziehung ist wesentlich, um ein Leben ohne Herrschaft überhaupt denken zu können. Die Produktion des Lebens durchläuft mehrere Stufen – eine Form ist die der Arbeit. Sie ist die direkteste Form der Verkehrung, »negative Form der Selbstbetätigung«. So ist das Leben entzweit. In dieser negativen Form entfaltet Marx analytische Kategorien, die er auch später im Kapital beibehält. Die »Entäußrung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeutung, (…) daß das Leben, was er dem Gegenstand verliehn hat, ihm feindlich und fremd gegenübertritt« (MEW, Bd. 40: 511ff.).

Die pauschale Verurteilung von Arbeit wird vom reiferen Marx ersetzt durch eine Differenzierung ihrer Formbestimmtheiten zum einen und ihre Naturnotwendigkeit zum anderen. Über Arbeit sagt Marx jetzt: Als »nützliche Arbeit« ist »die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln« (MEW, Bd. 23: 57, ähnlich 192; fast gleichlautend MEW, Bd. 13: 23f.). Arbeit hat also immer auch eine anthropologische Dimension: indem das arbeitende Individuum die Natur außer ihm verändert, verändert es zugleich seine eigene Natur (vgl. MEW, Bd. 23: 192).

In ihrer entfremdeten Form ist Arbeit von zwieschlächtiger Natur. Auf der einen Seite produziert sie Gebrauchswerte, ist konkret-nützlich – und ist in dieser Weise unabhängig von aller Gesellschaftsformation. Auf der anderen produziert sie Tauschwerte, ist Verausgabung von abstrakt-menschlicher Arbeitskraft und bildet so den Warenwert. Dies geschieht nur unter bestimmten gesellschaftlichen, privat-arbeitsteiligen Verhältnissen. Die Verkehrungen oder Entfremdungen aus diesem Zusammenhang sind sorgfältig im Kapital analysiert. Die Erkenntnis vom Doppelcharakter der Arbeit ist für den Kapitalismus als warenproduzierende Gesellschaft grundlegend.

Immer aber bleibt die Produktion der materiellen Existenz als eine Form freier Betätigung bestimmende Perspektive auch für die kritische Analyse. Sie enthält die Vorstellung von herrschaftsfreier Produktion und von daher die Abschaffung des Privateigentums (als Akkumulation von Tauschwerten) als regelndes Prinzip, und auch die Versöhnung mit der Natur aus der Kenntnis der Naturgesetze. Die Emanzipation der Menschen liegt demnach in der entwickelnden Verausgabung von Kraft zum gemeinschaftlich selbstbestimmten Zweck.

Entfremdete Arbeit muß gewaltsam überwunden werden in einem Prozeß, in dem sich der Mensch schließlich die von ihm geschaffenen Produktivkräfte gewaltsam aneignet. Alle Produktionsverhältnisse müssen umgestürzt werden, da diese Verhältnisse die menschliche Gattung bis zu dem Punkt verkehrt haben, an dem alle Entwicklung, aller Reichtum, Kultur und die gegenständlichen Arbeitsbedingungen sich gegen die Arbeitenden versachlichen und zur Macht über sie werden. Dieser Widerspruch kann nur durch einen Bruch in eine neue Form gebracht werden.

In der Kritik des Gothaer Programms begegnen wir dem Satz über die ›Arbeit als erstes Lebensbedürfnis‹. »… nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist«, wird Arbeit für die Individuen nicht mehr »nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis« (MEW, Bd. 19: 21). Diese Bemerkungen haben zu einem weitverbreiteten Mißverständnis geführt. Unter Berufung auf Marx konnten einzelne beschuldigt werden, »arbeitsscheu« zu sein, um dann zu Menschen »erzogen« zu werden, denen »Arbeit ein erstes Lebensbedürfnis« war. Schlimmer noch war der in diesem Kontext geäußerte Satz: »Jedem nach seinen Bedürfnissen«, der Hoffnungen und Befürchtungen wachrief, Marx könne eine Gesellschaft herbeigesehnt haben, in der die durch kapitalistische Überflußproduktion geformten Bedürfnisse allesamt befriedigt würden und umgekehrt auch eben solche, die durch jetzige Armut bestimmt seien. Dabei ist der Zusammenhang unzweideutig: Wenn es den Menschen gelingt, sich dank einer angemessenen Organisation der Produktion aus materieller Not und Herrschaft zu befreien, dann ist die Erzeugung des materiellen Lebens ihnen produktiver Genuß und Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Dieses Bedürfnis werden sie leben können und insofern ihr Menschsein verwirklichen. Dies schließt die Aufhebung der Arbeitsteilungen ein, welche die Entzweiung der menschlichen Arbeit als Grundlage von Gesellschaftsformationen hervorbrachte: die Teilung in Hand- und Kopfarbeit, in Männer- und Frauenarbeit, in Stadt- und Landarbeit und schließlich auch die herrschaftliche Pseudo-Arbeits-Teilung, die Klassenspaltung der Gesellschaft in Arbeitende und Nicht-Arbeitende.

Wenden wir uns mit diesen Ausführungen den zuvor aufgeworfenen Fragen zu.

Es versteht sich von selbst, daß wir nicht ohne Umschweife von ›Arbeit‹ sprechen können, sondern immer ihre Formbestimmtheit in Rechnung stellen müssen. Der Mangel an Unterscheidung beim Sprechen über ›Arbeit‹ ist überhaupt die Quelle der meisten Mißverständnisse. Wir reden zum Beispiel über ›Lohnarbeit‹ und kritisieren die Rede von ›der Arbeit als erstem Lebensbedürfnis‹. Die Erziehung von Menschen zu diesem ›ersten Lebensbedürfnis‹ ist nicht nur sinnlos, sie bedeutet zumeist auch nicht mehr, als Lohnarbeit zu akzeptieren, eine Erziehung, die von der Unterwerfung unter die Betriebsdisziplin nicht unterschieden werden kann. Wenn wir dagegen über den ›Gehalt‹ sprechen wollen, der in unseren Gesellschaften in die Form der Lohnarbeit geraten ist, schlage ich vor, den Begriff »Selbstbetätigung bei der Produktion materieller Existenz« zu benutzen.

Im folgenden werden die Marxschen Argumente mit den feministischen Vorwürfen aus der Hausarbeitsdebatte und unter zugleich feministischem Blick verglichen. Dafür habe ich einige der eher vergessenen Vorstellungen von Marx wieder hervorgeholt, um ihm für unsere Fragen mehr Gewicht zu geben. Statt Marx rasch auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, trete ich also einen Schritt zurück und prüfe, ob die Frauenbewegung keinen besseren Gebrauch von seiner Aussage über die »genußvolle freie Betätigung bei der Produktion des materiellen Lebens« machen könnte.

Tatsächlich positioniert Marx selbst die Frage der Frauenunterdrückung in den Kontext entfremdeter Arbeit: »Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das übrigens hier schon vollkommen der Definition der modernen Ökonomien entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeitskraft ist« (MEW, Bd. 3: 32).

Ich habe große Schwierigkeiten, für die Vorwürfe aus der Frauenbewegung eine Grundlage in den Marxschen Ausführungen zu finden. Zwar kommt er (in den Frühschriften) eher auf den Gedanken, die gesamte Arbeit abzuschaffen, als nicht-lohnförmige Frauenarbeit einzuschließen, aber es steht doch außer Frage, daß er die Verkehrung, die einem Teil der menschlichen Arbeitstätigkeiten durch die Überführung in die Lohnform angetan wird, als Grundlage für die Analyse kapitalistischer Gesellschaft betrachtet und nicht alle gesellschaftliche Arbeit. Und ist dann nicht, was Marx sich als perspektivische menschliche Gesellschaft und die in ihr lebenden Individuen dachte, so konstruiert, daß die Frage von Frauenunterdrückung in ihrer Mischung von »natürlichen« und sozialen Grundlagen eine explosive Dynamik erhält? Die geschlechtliche Arbeitsteilung ist in geradezu teuflischer Weise in die Arbeitsteilung von Lebensproduktion und Lebensmittelproduktion eingeschrieben und ebenso in die weitere Teilung in Arbeit und freie gemeinschaftliche Tätigkeit. Der Bereich des wirklichen Lebens ist vom Standpunkt der Lebensmittelproduktion an den Rand gedrängt und mit ihm die Menschen, die ihn hauptsächlich bevölkern – Frauen. Gleichzeitig ist die Arbeit im Zentrum von Gesellschaft entfremdet, so daß alle Hoffnung auf Befreiung illusionär verschoben ist in Richtung auf die lebendige Tätigkeit an den Rändern der Gesellschaft. Von Frauen, die immer weiter unterdrückt werden, wird irrationalerweise erwartet, die gesellschaftliche Hoffnung auf ein besseres Leben zu verkörpern, auf Freude und sinnlichen Genuß.

Wäre es nicht eine revolutionäre Tat, in dieses System einige Unordnung zu bringen als Basis für eine andere Ordnung? Wenn wir die randständigen Bereiche des Lebens befreien wollen, müssen sie verallgemeinert und daher neu bewertet werden. Gleichzeitig muß der Bereich der gesellschaftlichen Arbeit, der derzeit privilegiert ist, von Frauen besetzt werden. Sobald sich die beiden Geschlechter die verschiedenen Betätigungsfelder teilen, wird ein Herrschaftselement, das bislang die alte zerstörerische Ordnung gefestigt hat, ins Wanken gebracht. Damit wird die Frauenbewegung für die Vermenschlichung der Gesellschaft entscheidend.

Die Unruhe, die die ›Hausarbeitsdebatte‹ trotz aller Problematik und auch unfruchtbaren Zurückweisung von Marx in den etablierten Marxismus gebracht hat, sollte besser genutzt werden, um Rolle und Funktion von Frauenunterdrückung für die Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften neu zu denken. Dabei kann sowohl die frühe Hoffnung, die Marx in die Arbeit setzte, wie auch seine scharfe Analyse des Schicksals der Lohnarbeit als zentrale Quelle des Profits und daher des kapitalistischen Fortschritts von aktuellem Nutzen sein. Ich glaube nicht, daß wir die Lage der Frauen dadurch verbessern können, daß wir die Hausarbeit in die Lohnarbeit und ihre Gesetze einschmuggeln und auf diese Weise die Marxsche Analyse um die Problematik nicht bezahlter Hausarbeit ergänzen. Nach meinem Dafürhalten müssen wir in unserer Kritik andersherum vorgehen.

Familienarbeit und Hausarbeit

Der Beginn feministischer Auseinandersetzung mit Marx war dalla Costas Intervention (1973) zur Bedeutung der Trennung der Sphären von Haus- und Fabrikarbeit für die Frauenunterdrückung. Die daran anschließende ›Hausarbeitsdebatte‹ bezog sich auf Marx’ Analyse der Lohnarbeit. Ein Anschluß an seine und auch Engels Ausführungen zur Hausarbeit geschah eigentümlicherweise nicht. Dies soll hier kritisch nachgeholt werden.

Marx und Engels benutzen den Begriff Hausarbeit zumeist für die im Haus verrichtete Erwerbsarbeit und behandeln das im 20. Jahrhundert gewöhnlich unter Hausarbeit gefaßte unter ›Familienarbeit‹. Diesem Umstand versuche ich im folgenden durch die Verdoppelung des Begriffs Familienarbeit/Hausarbeit Rechnung zu tragen. Ferner werden die Ausführungen von Engels in die Darstellung und Kritik einbezogen.

In seinem Vorwort zum Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats skizziert Engels, was unter »Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens« (MEW, Bd. 21: 27) zu verstehen sei: »Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung.« (MEW, Bd. 21: 27f.). Er nennt beides »Produktionen« und liefert dadurch einen Ausgangspunkt für eine Theorie von Frauenunterdrückung, deren Ausarbeitung er selbst jedoch durch folgende Bestimmungen verstellt: Er definiert die beiden Produktionsarten in der weiteren Entwicklung als »einerseits … Arbeit, andrerseits … Familie« (MEW, Bd. 21: 28). Indem er solcherart eine Trennung vornimmt in Arbeit, der Nahrung, Kleidung, Wohnung etc. zugehörig sein sollen und Familie, bleibt ihm für letztere und damit auch für eine Theorie von Frauenunterdrückung nichts als die Organisation biologischer Prozesse und ihre Verrechtlichung und Verstaatlichung. Familienarbeit kann nicht gedacht werden. Folgerichtig untersucht er in Ursprung der Familie die Organisationen der Fortpflanzung, nicht, in welchem Verhältnis die in der Familie verrichteten Arbeiten zur Gesamtarbeit und zur Reproduktion von Gesellschaft stehen. Dabei war Engels an anderer Stelle – im Zusammenhang mit der Fortentwicklung von Gesellschaft – durchaus klar, daß in der Familie auch gearbeitet wird.

Anders Marx. Im ersten Band des Kapital kennt er durchaus, wenn auch nur am Rande, Familienarbeit. So beschreibt er jene für die Manufaktur typische Organisation von Arbeit, die in kleinen, durch Familien betriebenen Werkstätten geschah, und die wir bis heute aus der Landwirtschaft kennen. Für sie ist die Verwandlung aller Lebenszeit aller Familienmitglieder einschließlich der Kinder in Arbeitszeit charakteristisch.

Marx’ Gegenstand ist die Zersetzung der Familie durch Warenproduktion und damit der Zusammenstoß zweier unterschiedlicher Produktions- und Lebensweisen: die Marktlogik, die den freien Warenbesitzer voraussetzt und die Familienarbeit mit der relativen Rechtlosigkeit von Frauen und Kindern. An anderer Stelle schreibt er: »Der Arbeiter verkaufte früher seine eigne Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person verfügte. Er verkauft jetzt Weib und Kind. Er wird Sklavenhändler« (MEW, Bd. 23: 418) und in der Fußnote: »… findet man … wahrhaft empörende und durchaus sklavenhändlerische Züge der Arbeitereltern mit Bezug auf den Kinderschacher« (MEW, Bd. 23: 418). Am Ende seiner Betrachtungen kommt Marx zu dem bekannten perspektivischen Satz: »So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter« (MEW, Bd. 23: 514).

Marx’ Blick ist nach vorn auf die Organisation der gesellschaftlichen Produktion gerichtet und auf die notwendige Beseitigung überkommener Formen. Tatsächlich rückt hier überhaupt nicht in seine Betrachtung, was in der Familie außer der Produktion von Waren noch gearbeitet wird und demnach auch nicht, in welcher Weise diese Arbeiten der Hege und Pflege von Mensch und Natur in den Vergesellschaftungsprozeß eingehen. Unter Hausarbeit versteht er hier die innerhäusliche Erwerbsarbeit, das »häusliche Gewerbe« (so auch MEW, Bd. 23: 316, 363f., 405, 489-493, 533, 629, 699, 733, 776).

Im Zusammenhang mit der Analyse der Arbeitsteilung finden wir Ansätze zu einer Theorie von Familienarbeit: »Für die Betrachtung gemeinsamer, d.h. unmittelbar vergesellschafteter Arbeit brauchen wir nicht zurückzugehn zu der naturwüchsigen Form derselben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker begegnet. Ein näherliegendes Beispiel bildet die ländlich patriarchalische Industrie einer Bauernfamilie, die für den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn, Leinwand, Kleidungsstücke usw. produziert. Diese verschiednen Dinge treten der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, aber nicht sich selbst wechselseitig als Waren. Die verschiednen Arbeiten … sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen, weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwüchsige Teilung der Arbeit besitzt so gut wie die Warenproduktion … Die durch die Zeitdauer gemeßne Verausgabung der individuellen Arbeitskräfte erscheint hier aber von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten selbst, weil die individuellen Arbeitskräfte von Haus aus nur als Organe der gemeinsamen Arbeitskraft der Familie wirken« (MEW, Bd. 23: 92)

Es ist erstaunlich, daß Marx diesen Befund, daß die einzelnen Produkte nicht primär nach der verausgabten Zeit gemessen und von daher als mehr oder weniger wert erachtet und gesellschaftlich relevant verglichen sind, nicht weiter in seiner Bedeutung für die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und für das gesamte Zivilisationsmodell untersucht hat. Schließlich macht das Kalkül der verausgabten Zeit den Wert auch zu einem Fluch, vor dem die Produkte geschützt werden müssen, so daß gesellschaftlich sich schließlich nur bewähren kann, was möglichst wenig lebendige Zeit verschlingt – dies beschreibt ein Modell des Fortschritts und der Verarmung in einem. Zugleich erhalten wir hier auch einen Hinweis auf die Sehnsucht, die der Familie noch heute gilt und ihr Dauer verleiht als dem Ort, an dem nicht nur kostengünstig und arbeitsparend kalkuliert produziert werden muß.

In den ausführlichen Analysen zur Arbeit im Kapitalismus kommt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nurmehr am Rande vor. Ihr Zustandekommen skizziert er als zunächst »naturwüchsig«, eine Teilung auf »rein physiologischer Grundlage«, die durch den Austausch in voneinander abhängige Zweige gerät (vgl. MEW, Bd. 23: 372). Er untersucht die Anordnung dieser Bereiche, die für das kapitalistische Zivilisationsmodell zentral ist, nicht weiter. Daß Marx seine vor allem in der Deutschen Ideologie skizzierten Überlegungen zum Herrschaftscharakter der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nicht weiter verfolgte, ist um so merkwürdiger, als sich auf dieser Grundlage eine Gesellschaftsformation entwickelte, in der gesellschaftlich im wesentlichen produziert wird, was Profit bringt, so daß alle Arbeiten, die dieser Zeitlogik nicht folgen können, nicht rationalisierbar, automatisierbar, beschleunigbar sind – wie das Hegen und Pflegen von Mensch und Natur –, liegengelassen, zerstört oder der unentgeltlichen Pflege von Frauen überlassen werden. Wir können heute wohl davon ausgehen, daß die Krisen der unbeherrschten und ungehemmten Produktivkraftentwicklung und des Raubbaus an der Natur mit dieser Logik und Bereichsordnung, der sich die Frauenunterdrückung verdankt, zusammenhängen. Insofern, so können wir – unsere Marx-Kritik zuspitzend – festhalten, führt die einseitige Analyse der Lohnarbeit statt des Zusammenhangs gesellschaftlich-notwendiger Arbeit und ihrer Über- und Unterordnung zu einer unzureichenden Analyse der Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften, damit ihrer Dauer und der sie stützenden Kräfte. Hier also ist vom feministischen Standpunkt einiges nachzuarbeiten und umzubauen.

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Literatur:

dalla Costa, Maria Rosa (1973): Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, in: S. James (Hg.): Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin/W.

Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in: MEW, Bd. 21, S. 25-173.

Fraad, Harriet/Stephen Resnick/Rick Wolff (1994): Bringing it all back home. Class, Gender & Power in the Modern Household, London.

Haug, Frigga (1980): Frauen – Opfer oder Täter?, in: Das Argument, Nr. 123.

Haug, Frigga (1990): Erinnerungsarbeit, Berlin/Hamburg.

Ivekovic, Rada (1984): Noch einmal zum Marxismus und Feminismus, in: Geschlechterverhältnisse und Frauenpolitik, Argument-Sonderband 110, Berlin/W.

List, Friedrich (1841/1982): Das nationale System der politischen Ökonomie, Berlin/W.

Marx, Karl: Thesen über Feuerbach, in: MEGA IV.3; MEW, Bd. 3.

Marx, Karl: Frühschriften, in: MEGA I,2; MEW, Bd. 40.

Marx, Karl: Manuskripte 1844, in: MEGA I,2;MEW, Bd. 1.

Marx, Karl; Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, in: MEW, Bd. 3.

Marx, Karl: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 13.

Marx, Karl: Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Bd. 19.

Marx; Karl: Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23.

Meillassoux, Claude, (1975/1983): Die wilden Früchte der Frau. Über häusliche Produktion und kapitalistische Wirtschaft, Frankfurt/M.

Mies, Maria (1983): Subsistenzproduktion, Hausfrauisierung, Kolonisierung, Köln.

Neusüß, Christel (1985): Die Kopfgeburten der Arbeiterbewegung oder: Die Genossin Luxemburg bringt alles durcheinander, Hamburg 1985.

Pohl, Sigrid (1984): Entwicklung und Ursachen der Frauenlohndiskriminierung. Ein feministisch-marxistischer Erklärungsansatz, Frankfurt/M.

Projekt Ideologietheorie (1979): Theorien über Ideologie, Berlin.

Werlhof, Claudia von (1978): Der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis 1, Köln,