Publication International / Transnational Die Rolle der Frau in der palästinensischen Gesellschaft: Beobachtungen einer Reise

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Online-Publ.

Author

Silke Veth,

Published

February 2001

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„The right of participation“

Vom 2. bis 8. Februar 2001 weilten Fritz Balke (Bereich Ausland) und Silke Veth (Bereich Politische Bildung/Geschlechterverhältnisse) in Palästina, um das Projekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Die politische Rolle der Frau in einem demokratischen palästinensischen Gemeinwesen“ zu besuchen und Gespräche mit VertreterInnen palästinensischer NGOs zu führen.

Die Fernsehbilder der letzten Tage und Monate zeigen eines ganz deutlich: die im Oktober vergangenen Jahres begonnene Intifada ist eine Männersache. Schaut man hinter die Kulissen dieser Bilder, ist zumindest zu konstatieren, dass sich die Rolle der Frau in diesen Auseinandersetzungen verändert hat und geschwächt wurde. Im politischen und sozialen Gestaltungsprozess der Gesellschaft sind Frauen noch immer marginalisiert. Die Gründe für diese Entwicklung reichen bis zur Entstehung der palästinensischen Frauenbewegung Anfang dieses Jahrhunderts zurück.

Der Streit um nationale und Frauenfrage

Anfänglich lag deren Arbeit – getragen von Frauen aus der Oberschicht – im karitativen und sozialen Bereich. Diese Tradition gibt es bis heute bei etwa der Hälfte der palästinensischen Frauenorganisationen. Ihr Dachverband, die Palestinian Women Union (PWU) untersteht heute praktisch der Autonomiebehörde. In den 70er Jahren entstand eine progressive Frauenbewegung, deren Vertreterinnen über die nationale Frage hinaus soziale Veränderungen forderten. Sie scheiterten jedoch bald an ihren jeweiligen Organisationen sowie an der Realität der Frauen, insbesondere der Bäuerinnen und Frauen in den Flüchtlingslagern. Dadurch war jedoch eine Generation politischer Frauen herangewachsen, die zu Beginn der ersten Intifada 1987 sichtbar waren und politische Aufgaben übernahmen, die nicht dem Frauenbild einer islamischen Gesellschaft entsprachen. Doch bald zogen sich Frauen aus Enttäuschung über die minimale Vertretung ihrer Interessen zurück. Der Druck auch der eigenen Freunde und Verwandten wurde stärker. Ein Grund ist nicht zuletzt die rasche Entwicklung der islamistischen Hamas seit Mitte/Ende der 80er Jahre. Die Einschätzung von Frauen über ihre Beteiligung an der ersten Intifada ist geteilt: es haben sich persönliche und politische Freiheiten seitdem verringert, aber die Thematisierung von Geschlechterungleichheit und -diskriminierung auch in den eigenen Strukturen hat an Substanz gewonnen.

“We are allowed to talk, but nobody listens to us“ (Teilnehmerin eines Workshops am 5. Februar 2001 in der Nähe von Nablus, Westbank)

Heute gibt es zwei gegenläufige Bewegungen: zum einen ist ein starker Rückgang der sog. grassroot-Frauenbewegung und ein Anstieg der strukturellen Diskriminierung von Frauen zu beklagen. Sie warten auf den Frieden: Frauen – aber nicht nur sie – verschieben die Verantwortung für die Veränderung sozialer Verhältnisse auf Diplomatie und die Palästinensische Autonomiebehörde – die jedoch durch und durch patriarchalisch strukturiert ist. Zahlen über die sozioökonomische Lage der Frauen sprechen für sich: Nur gut 11 Prozent arbeiten entlohnt außerhalb des Hauses, die durchschnittliche Geburtenrate liegt bei 6,1 Kindern, knapp die Hälfte der unter 19-jährigen ist verheiratet. Andererseits hat sich für bestimmte Frauen, die Zugang zu ökonomischen und sozialen Ressourcen haben, unterstützt durch die Arbeit der großen Frauenorganisationen, die Lage durchaus verbessert. Die soziale Schieflage auch unter Frauen wird immer deutlicher. Es fehlt an einer Zusammenarbeit zwischen etablierten NGOs und lokalen Initiativen bzw. mit Frauen außerhalb der großen Städte.

„We are living under two occupations – Israelis and men“ (Teilnehmerin eines Workshops am 4. Februar 2001 in der Nähe von Ramallah, Westbank)

Mit dem Projekt „Die politische Rolle der Frau in einem demokratischen palästinensischen Gemeinwesen“, das im Juni 2000 seine Arbeit aufnahm und vom Palestinian Center for Peace and Democracy (PCDP) realisiert wird, versucht die Rosa-Luxemburg-Stiftung, diese Situation des Stillstands aufbrechen zu helfen. Das Konzept der politischen Bildungsarbeit zielt auf einen Selbstorganisationsprozess, die Entwicklung von „citizen partizipation“. Frauen an der Basis sollen ermutigt werden, ihre Rolle im politischen und sozialen Leben wahrzunehmen und die dafür notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln. Gleichzeitig soll durch die Auseinandersetzung mit den Männern die Möglichkeit für sie geschaffen werden, durch Veränderung der innerfamiliären Arbeitsteilung und kultureller Normen dies auch praktisch umzusetzen. Dafür wurden in den letzten 7 Monaten bisher knapp 40 Workshops mit Frauen in verschiedenen Städten und Dörfern der Westbank durchgeführt. Trotz oder vielleicht gerade durch die Bedingungen der Intifada gibt es – so die Koordinatorin Nadia Hamdan – einen gewissen Politisierungsprozess gerade unter jüngeren Frauen. Schwierig ist und bleibt auch in diesem Projekt, den Ansatz einer gemeinsamen Arbeit mit Frauen und Männern in der Praxis zu verwirklichen: traditionelle Rollenvorstellungen spiegeln sich geradezu vorbildhaft in den workshops wieder, Frauen wollen diese oft einzige Möglichkeit, mit anderen Frauen diskutieren zu können, nicht von Männern gestört wissen.

Als weitere Arbeit für die Zukunft ist dafür wahrscheinlich ein mehrstufiges Konzept vonnöten, das im ersten Schritt getrennt mit Männern und Frauen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung inner- und außerhalb des Hauses, die marginalisierte Rolle der Frau sowie die dominierende Rolle des Mannes im öffentlichen Leben diskutiert. Im zweiten Schritt könnten dann Lösungsansätze dafür auf einer bewussteren, stärker gleichberechtigten und damit auch produktiveren Ebene erarbeitet werden. Danach müssten die bisher geknüpften Kontakte und Kooperationen mit den Frauen und Männern vor Ort weitergeführt und sogenannte local leader motiviert werden, vorhandene Probleme für spezifische Gruppen von Frauen zu vertiefen. Damit wäre ein Ziel dieses Projekts erreicht, nämlich wie eine Workshopteilnehmerin spontan auf die Frage nach der Relevanz einer politischen Betätigung für ihr Leben antwortete: „It´s very important to have a political role in the life, because life is political”.

Wichtig ist, diese politische Rolle auch inhaltlich zu füllen. Um in Zukunft auch die in den 90er Jahren begonnene Zusammenarbeit mit (Frauen)-Gruppen in Israel wieder aufnehmen zu können, müsste aber zuerst die Legitimität der Situation, der Rechte und Ansprüche des Gegenüber zum Thema - auch unter Frauen – werden, und zwar auf beiden Seiten des Konfliktes. Aber bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein.