Über den am 17. Juni verstorbenen Bürgerrechtler
Jacek Kuroń ist tot. Neben Staatspräsident Kwaśniewski war er laut Umfragen der letzten Jahre Polens beliebtester Politiker. Obwohl er keinerlei öffentliche oder politische Position mehr bekleidete, war er im öffentlichen Leben des Landes allgegenwärtig. Die Kraft der letzten Jahre widmete er der alterglobalistischen Bewegung, deren wichtigstes Sprachrohr in Polen er gewesen war. Im Ausland wird er vor allem mit der „Solidarność“-Epoche verbunden. Lech Wałęsa ist durchaus beizupflichten, wenn er meint, dass ohne den Einsatz von Kuroń an „Solidarność“ nicht zu denken gewesen wäre. Ein Mann, der an Ideen glaubte und jegliches Engagement an ihnen maß. In dieser Hinsicht erinnerte er stets an das polnische 19. Jahrhundert – an das in der Emigration geborene Prinzip der Einheit von Wort und Tat, an den Typus des für das Gemeinwohl sich aufopfernden Aktivisten. Die letzteren waren in der polnischen Tradition eher grandiose Einzelkämpfer – so auch Jacek Kuroń.
Als andere – neue Freiräume nutzend – eher auf akademische Karrieren schauten, trug er seine Haut zu Markte. Insgesamt 9 Jahre saß er wegen politischer bzw. öffentlicher Handlungen in Haft. Dennoch gab es für ihn keinen Zweifel: Selbst die scheinbar festgefügtesten Verhältnisse lassen sich zum tanzen bringen. Er vertraute durchaus der List der Vernunft, gerade in schwierigen Zeiten. Als er Ende der 1970er Jahre vom bevorstehenden Ende der Sowjetunion sprach, auf welches die Gesellschaften des Ostblocks sich vorzubereiten hätten, gab es mitleidiges Achselzucken nicht nur auf Regierungsseiten.
Zu den Grundsätzen seines Lebens gehörte die Überzeugung, eher den Menschen zu vertrauen und weniger dem ach so geduldigen Papier. Er trug sie auch in die „neue“ Zeit, die für ihn zunehmend problematischer zu werden begann. Ende der 1990er Jahre entschuldigte er sich als einziger ehemaliger Oppositioneller für die Leichtgläubigkeit, mit der er und seine Mitstreiter die Gesellschaft in die Transformationszeit geführt hätten. Ein mutiger Schritt, da damit das eigene politische Engagement in dieser Zeit – etwa als Arbeitsminister – auf den öffentlichen Prüfstand gehoben wird.
Vor zwei Jahren veröffentlichte er das Buch seines Lebens - „Działanie“ (Einwirkung). „Wenn wir nicht unser Leben beherrschen, wird es uns beherrschen“ – so der bezeichnende Untertitel der bereits 1968 im Gefängnis angefangenen Arbeit. Darin zeigte er sich zuversichtlich, dass das heutige kapitalistische System abgelöst werde durch eine im Geiste des humanistischen Sozialismus geschaffene gesellschaftliche Ordnung. Vorausgesetzt freilich, die jetzigen Verhältnisse werden durch menschliches Handeln und weltweit zum tanzen gebracht. Die Problemlage, so seine Diagnose am beginnenden 21. Jahrhundert, erheische geradezu radikale und unkonventionelle Schritte. Keine Frage, dass die alterglobalistische Bewegung ihm besonders am Herzen lag. Im April 2004, als Staatspräsident Kwaśniewski am Vorabend des EU-Beitritts des Landes den „Europäischen Wirtschaftsgipfel“ nach Warschau lud, verfasste er einen öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des „Gegengipfels“. Ein mutiger Schritt, denn die öffentliche Verteuflung der vor allem jungen, engagierten Menschen, die für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung sich einsetzen, war in jenen Tagen bereits mächtig fortgeschritten. Jacek Kuroń – auch daran soll noch einmal erinnert werden - gehörte im vergangenen Jahr zu den wenigen polnischen Intellektuellen, die sich in der Irak-Frage dem Kriegskurs des Landes öffentlich und entschieden entgegenstellten. In einem Aufruf schrieb er, dass nunmehr ein „Krieg der Zivilisationen“ vom Zaune gebrochen sei, der nicht mit der Eroberung Bagdads beendet werde. „Dieser Krieg wird solange dauern, bis der letzte ´Fremde´ zu leben aufhört, der nicht bereit ist, die Werte unserer Zivilisation anzunehmen.“
1. Berichte vom Tod von Jacek Kurońs berichtet und Darstellungen seiner Person:
http://www.st.gallen.ch/news/detail.asp?ID=181563
http://www.swissinfo.org/sde/swissinfo.html?siteSect=143&sid=5010054
http://www.baz.ch/humanrights/index.cfm?ObjectID=3185D48E-60CF-2062-F4579EEA27BAC8A0
http://www.kulturreport.ch/news/detail.asp?ID=181563
http://www.n24.de/ticker/index.php/p2004061713183300002#home
2. Informationen zum Lebenswerk von Jacek Kurońs:
http://derstandard.at/?id=1698539