Publication Krieg / Frieden - Soziale Bewegungen / Organisierung Im Europa-Wahlkampf will die SPD das Thema Frieden besetzen

Text der Woche 2/2004. von Jochen Weichold und Gerry Woop

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Gerry Woop, Jochen Weichold,

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January 2004

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Text der Woche 2/2004Ein Rückblick auf die Europadelegiertenkonferenz der SPD am 16. November 2003 in Bochum

Wenn sich Ende des Monats die Delegierten der PDS zu ihrem Europa-Parteitag in Berlin versammeln, zeigt sich die nächste politische Konkurrenz schon gut für die Wahlschlacht gerüstet. Die Grünen nahmen Ende November 2003 in Dresden auf ihrer 22. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz ihr Europa-Wahlprogramm an und stellten ihre Bundesliste mit den prominenten Spitzenkandidaten Rebecca Harms und Daniel Cohn-Bendit auf. Und die Sozialdemokraten verabschiedeten bereits Mitte November 2003 ein Europa-Manifest zur EU-Wahl und bestimmten Martin Schulz zum Spitzenkandidaten, jenen Europa-Abgeordneten, den Italiens rechter Ministerpräsident Berlusconi mit seinem KZ-Aufseher-Vergleich in die Medien gepuscht hatte.

Wer von der Europadelegiertenkonferenz der SPD Überraschungen oder inhaltliche Kontroversen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Vielmehr wurde die bisherige Grundlinie der SPD-Europapolitik beibehalten. Mehr noch: Von der Konferenz ging ein deutliches Signal für die Stärkung des europäischen Integrationsprozesses aus. Man darf erwarten, dass sich die SPD in den anstehenden europapolitischen Auseinandersetzungen als europäische Partei darstellen wird, die im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland den Integrationsprozess voranbringt. Das schließt die soziale Komponente, Demokratisierung, Friedenspolitik und die Nutzung ökonomischer Wachstumschancen durch die Osterweiterung ein.

In den Beiträgen des EU-Erweiterungskommissars Günter Verheugen wie auch des SPD-Parteivorsitzenden Gerhard Schröder wurde auf den engen Zusammenhang von Erweiterung und Vertiefung des Integrationsprozesses verwiesen. Dies schließt die Reform der Institutionen ein, um handlungsfähig zu bleiben. Deshalb müsse auch der Verfassungsentwurf ohne größere Veränderungen verabschiedet werden. Eine Position, die dann auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel Mitte Dezember 2003 bis zum Scheitern durchgehalten wurde.

Auf der Europadelegiertenkonferenz der SPD in Bochum wurde Europa als Friedensprojekt verstanden, das unter den Bedingungen der Globalisierung auch als globaler Akteur seiner wirtschaftlichen und politischen Verantwortung gerecht werden müsse. Schröder verwies darauf, dass Deutschland ökonomisch, aber auch politisch von der Osterweiterung profitiert.

Im bevorstehenden Wahlkampf erwartet die SPD eine Auseinandersetzung um einen EU-Beitritt der Türkei. Aus diesem Grunde wurde von der Parteispitze gegen ein gewisses Maß an Unmut in den Landesverbänden der bekannte Unternehmer Öger auf Platz 10 der Liste gesetzt. Gerhard Schröder verwies zudem darauf, dass eine reale Beitrittsperspektive der Türkei ein wichtiges Signal dafür sei, dass demokratische Werte der europäischen Aufklärung und islamischer Glaube in Einklang zu bringen sind.

Der SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz, der durch seine Kritik an Silvio Berlusconi im Europäischen Parlament einen internationalen Bekanntheitsgrad erreicht hat, präsentierte sich inhaltlich eher links von der derzeitigen Politiklinie der SPD. Er warb für eine Zustimmung zur Verfassung, weil durch sie die demokratische Legitimation der Europäischen Union durch fixierte Grundrechte gestärkt werde und das EU-Parlament größeren Einfluss auf die Gestaltung der Geschicke Europas erhalte. Er sprach sich vehement für die Stärkung der Demokratie in umfassender Weise aus, um nicht durch eine Ansammlung von ökonomischer, politischer und medialer Macht, wie sie in Italien unter Berlusconi zu erleben ist, gesellschaftliche Steuerungsfähigkeit, Transparenz und Legitimation zu verlieren. Kritik formulierte er an der Mehrheit der Konservativen im Parlament, die neoliberale Vorstellungen in der EU und durch die EU umzusetzen versuchten. Dem müsse die Sozialdemokratie ein Sozialstaatsmodell entgegensetzen, das die sozialen Interessen der Menschen aufgreift und global als Vorbild wirksam ist. Die deutsche Friedenspolitik solle zu einem Muster für europäische Friedenspolitik werden.

Im Europa-Manifest werden in sehr allgemeiner Weise die Themen Arbeit, Soziales, Globalisierung, Frieden, Demokratie, innere Sicherheit, Verbraucher- und Umweltschutz, kulturelle Vielfalt und Extremismus behandelt. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt das Manifest auf Zukunftsinvestitionen und Ausbildungsbemühungen. Ziel ist der im Lissabon-Prozess beschlossene Weg zur Entwicklung Europas hin zu einem weltweit wettbewerbsfähigen und dynamischen, wissensbasierten Wirtschaftsraum. Das europäische Sozialmodell wird in seiner Verbindung von Wettbewerb und sozialer Teilhabe allgemein als zukunftsfähig angesehen und soll gemäß den Zielen des Verfassungsentwurfes soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung, sozialen Fortschritt und Nachhaltigkeit erreichen.

Die Europäische Union müsse ihr breites Spektrum an zivilen, ökonomischen, politischen und militärischen Mitteln und Fähigkeiten zur Krisenprävention und zum Krisenmanagement einsetzen. In diesem Sinne solle auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ausgebaut und eine Sicherheits- und Verteidigungsunion entwickelt werden. Einsätze werden eindeutig an das Völkerrecht gebunden und dürften nicht zu Lasten der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit gehen. Unter der Rubrik "Kulturelle Vielfalt bewahren" wird gefordert, dass die EU in den GATS-Verhandlungen dafür sorgen solle, dass "öffentliche Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheit u.a. nicht dem weltweiten Wettbewerb überlassen werden".

Man muss davon ausgehen, dass die SPD im Europawahlkampf das Friedensthema herausstellen und zu besetzen versuchen wird - vor allem in Abgrenzung und Auseinandersetzung mit der CDU/CSU. Das soll durch die Irak-Politik, die in weiten Teilen der Bevölkerung als Friedenspolitik und US-kritisch angesehen wird, untermauert werden. Die unübersehbare Tendenz hin zu einer Integration von Kapazitäten militärischer Gewalt in das Instrumentarium der GASP der Europäischen Union, wie sie auch in dem im Dezember 2003 beim Brüsseler Gipfel beschlossenen Papier zur "Europäischen Sicherheitsstrategie" zum Ausdruck kommt und wie sie von der PDS stets einer radikalen Kritik unterzogen wurde, wird dagegen kaum Gegenstand kritischer öffentlicher Auseinandersetzungen sein. Im Gegenteil: Es ist zu vermuten, dass dieses Thema eher positiv besetzt wird, da eine gemeinsame Außenpolitik mit höherer Wirkung ebenso logisch scheint, wie es eine weit verbreitete Auffassung gibt, dass die EU im Vergleich zu den USA positive Wirkungen als weltpolitischer Akteur entfaltet. Dies wird plakativ durch die von SPD wie Grünen vorgenommene Abgrenzung zum Präventivkriegskonzept gestützt.

Die PDS wird auf ihrem Europa-Parteitag Ende des Monats gut beraten sein, wenn sie sich - neben der Thematisierung des Politikfeldes Frieden und Sicherheit - in die auch von SPD-Seite forcierte allgemeine Debatte zur Alternative europäisches Sozialstaatsmodell versus neoliberale Entwicklung mit eigenen Konzepten und Kritiken zur realen derzeitigen EU-Politik kompetent einbringt. Beschäftigungspolitik, Geldpolitik, Steuer- und Subventionspolitik bieten dazu Spielraum und könnten die pro-integrationistische Position der PDS, ihr "Ja zu Europa", praktisch untermauern.

Berlin, Januar 2004