Publication Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Soziale Bewegungen / Organisierung - Globalisierung - International / Transnational - Ernährungssouveränität Breite Allianz für Ernährungssouveränität

Beobachtungen zu der 7. Globalen Konferenz von La Via Campesina

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Benjamin Luig,

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Im baskischen Euskal Herria traf sich im Juli 2017 die globale bäuerliche Bewegung zur 7. Konferenz von La Via Campesina. (Foto: Benjamin Luig)

 

Zwischen dem 16. und dem 24. Juli trafen sich in Euskal Herria, nahe Bilbao, über 500 VertreterInnen der globalen bäuerlichen Bewegung. Sie vertraten 170 verschiedene Organisationen aus 73 Ländern. Zusammengenommen zählen diese Organisationen über 200 Millionen Mitglieder. Die Konferenz war nicht einfach ein Schaulaufen, sondern von enormer Bedeutung  für La Via Campesina. LVC ist dezentral organisiert. Die Mitglieder arbeiten unterteilt in neun verschiedenen Weltregionen und in verschiedenen thematischen Arbeitskollektiven. LVC versteht sich als Bewegung vielfältiger Organisationen und nicht als zentralistische Konföderation. Das internationale Sekretariat rotiert alle paar Jahre, um die internationale Struktur nicht zu stark werden zu lassen, und einen dezentralen – aber strategischen – Ansatz sicherzustellen. Der einzige weltweite Knotenpunkt und das höchste Entscheidungsgremium der Organisierung ist damit die Globale Konferenz, die alle vier Jahre stattfindet.

Mit dem Konzept der Ernährungssouveränität ist es LVC in den vergangenen 20 Jahren gelungen, in der Breite gegen eine konzerngetriebene, kapitalistische Globalisierung des Ernährungssystems zu mobilisieren. Die Stärke des Konzepts liegt darin, dass es einerseits offen genug ist, um eine Vielzahl unterschiedlicher lokaler Kämpfe zu verbinden und verschiedene, im lokalen Kontext entstehende Alternativen zueinander in Bezug zu setzen. Zugleich ist es LVC gelungen, auf Basis des Konzepts Ernährungssouveränität international zu kollektiven, übergeordneten Aktionen zu mobilisieren und auf neue Herausforderungen zu reagieren. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verteidigte Via Campesina vor allem gegen die WTO das Recht von Staaten, ihre Ernährungssysteme zu schützen. Ab Mitte der 2000er Jahre stand die Rechte lokaler Gemeinschaften gegen den Zugriff von Konzernen auf natürliche Ressourcen im Vordergrund. In jüngster Zeit treten insbesondere Fragen nach einer demokratischen Ausgestaltung von Ernährungssystemen in den Vordergrund.

All diese Themen bewegten und prägten auch die Diskussionen im Baskenland. Und doch gab es im Plenum und den Arbeitsgruppen wichtige neue Punkte:

  • Die heutige Welt ist eine andere als die vor vier Jahren, und in vielen Berichten aus Regionen nahmen die Auswirkungen zunehmender autokratischer Herrschaft, die politische Verfolgung von MenschenrechtsverteidigerInnen und AktivistInnen sowie die sich verschärfende Militarisierung einen großen Raum ein. Diese Diskussionen führten dazu, dass die Rolle LVCs als transnationaler Akteur, der konkrete Solidarität im Fall von Angriffen auf und der Gewalt gegen einzelne Mitglieder organisieren kann, geschärft wurde.
  • Vor diesem Hintergrund wird der Titel der Euskal Herria Erklärung deutlich: „we build the movement to change the world“. War der Blick auf Verbündete wie andere soziale Bewegungen und progressive NGOs in der Vergangenheit stark von der Betonung der eigenen Autonomie geprägt, so dominierten in Euskal Herria Vorschläge, wie LVC konkret breitere Allianzen, etwa mit urbanen sozialen Bewegungen schmieden kann, und auch konzeptionell das Projekt der Ernährungssouveränität mit anderen Ansätzen der radikalen Transformation verbinden kann.
  • Zugleich ging es um die Stärkung der eigenen Strukturen. Glasklar ist das Bekenntnis der Euskal Herria Erklärung, Vertreterinnen der Jugend in der Bewegung stärken zu wollen, durch Zugang zu Schlüsselpositionen, durch Räume in denen neue, frische Ideen entwickelt werden können, sowie durch Trainings. Auch die Formulierung in der Erklärung, innerhalb Via Campesinas solle eine feministische Bewegung gegründet werden, verdeutlicht die Diskussionen im Plenum und in den Arbeitsgruppen. Einen großen Raum nahmen die Agrarökologie-Schulen ein, die viele der Mitglieder in den letzten Jahren gegründet haben, und die weiter ausgebaut werden sollen.
  • In den letzten Jahren ist innerhalb LVCs ein Arbeitskollektiv zu der Verbindung von Migration und Lohnarbeit in der Landwirtschaft entstanden, und der Zusammenhang von Migration und kapitalistischer Agrarregime insgesamt wird intensiv bearbeitet. Dieses Thema könnte in der Zukunft auch eine wichtige Brücke für eine engere Zusammenarbeit mit Landarbeitergewerkschaften werden.
  • Schließlich fiel auch auf, was kaum zur Sprache kam. Aktuelle Entwicklungen wie der zunehmende Zugriff des Finanzkapitals auf Akteure und Ressourcen sowie die Digitalisierung auf allen Stufen des Ernährungssystems kamen kaum zur Sprache.

LVC hat in den letzten Jahren viel erreicht. Die Bewegung hat den Vereinten Nationen den Prozess zur Erklärung von Peasants Rights aufgezwungen, und ist aus Prozessen wie der Klimapolitik kaum wegzudenken. Vergessen wird dabei aber oft: In erster Linie verbindet Via Campesina Kleinbauernorganisationen und teils Organisationen von Landlosen miteinander, die in ihren lokalen Kontexten extrem marginalisiert und diskriminiert werden. Die Globale Konferenz im Baskenland war daher für die Mitglieder mehr als der Ort der Vierjahrespläne. Er war der internationale Ort der Bilder einer neuen Lebensweise, das Experimentierfeld zur Verbindung traditioneller und neuer Symboliken, eine Woche der Hoffnung für die Ernährungssouveränitätsbewegung.