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Vermietungskonzerne nutzen Modernisierung, um im Ruhrgebiet die Mieten auf ein ganz neues Niveau zu heben

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Knut Unger,

Published

September 2017

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Abzweig Katernberg
Abzweig Katernberg (Essen, 2012), CC BY-SA 2.0, Casey Hugelfink, via Flickr

Mit als Wohnungsmodernisierungen abgerechneten Sanierungsmaßnahmen, willkürlichen Mieterhöhungen und undurchsichtigen Betriebskostenabrechnungen treiben börsennotierte Großvermieter die Wohnkosten nach oben. Betroffen sind nicht nur «Schwarm»- und Universitätsstädte, sondern auch Arbeiterviertel im Ruhrgebiet. Das Ergebnis ist hier weniger eine «Entmietung» zu Gunsten zahlungskräftigerer Neuankömmlinge als die flächendeckende Steigerung der finanziellen Ausbeutung immobilisierter Arbeitskraft. Wie lange noch?

Der ehemalige Bergarbeiter-Stadtteil Katernberg im Essener Norden zählt nicht zu den trendigen Stadtteilen mit hippen Lokalen und ist bislang kaum betroffen von Gentrifizierung. Trotz über 20 Jahren sozialer Statteilerneuerung, Internationaler Bauausstellung und dem Weltkulturerbe «Zeche Zollverein» herrscht hohe Arbeitslosigkeit. 30 Prozent der ethnisch gemischten Bevölkerung sind auf existenzsichernde Sozialleistungen angewiesen.[1]

Dabei gibt es sie noch, die Bodenschätze. Sie liegen allerdings nicht tief unter, sondern sie stehen auf der Erde. Börsennotierte Immobilienfirmen bereichern sich mittels der Mietzahlungen der RentnerInnen, NiedrigverdienerInnen und Erwerbslosen, die in den von ihnen aufgekauften ehemaligen Werkswohnungen leben. Vor allem das größte deutsche Vermietungsunternehmen, die Vonovia, setzt ihre Größe, ihre Dominanz auf dem lokalen Markt und ihren privilegierten Zugang zu billigem Kapital systematisch ein, um ihre Mieterlöse zu steigern.

Die Modernisierungsoffensive der Vonovia

Die Vonovia, so berichtet Petra Leonartz vom lokalen Mieternetzwerk Nord, betreibt zur Zeit etwa 400 Modernisierungen im Stadtteil. Einige Maßnahmen sind bereits abgeschlossen, andere sind im Bau oder angekündigt. Überall werden die Fassaden, an denen seit Jahrzehnten nichts verändert wurde, in Wärmedämmverbundsysteme aus Styropor eingepackt. Im Zuge dieser Arbeiten werden Balkone erneuert und zum Teil erweitert. Auch alte Zweischeiben-Verbundfenster werden ausgetauscht. Unter Berufung auf diese Maßnahmen erhöht die Vonovia dann saftig die Mieten. In den ersten Bauabschnitten waren es noch vorsichtige 45 bis 47 Euro im Monat. Inzwischen betragen die Mieterhöhungen meist über hundert Euro. Das ist sehr viel Geld für SozialrentnerInnen oder MinijobberInnen. Und wahrscheinlich ist es erst der Anfang.

Weit über tausend Vonovia-Wohnungen gibt es in Katernberg, 12.000 in ganz Essen, fast 20.000 in Dortmund und 70.000 im Ruhrgebiet. Meistens handelt es sich um in die Jahre gekommene Werkswohnungen von Kohle-, Stahl- und Chemieindustrie, die schon bei Errichtung nicht die beste Bausubstanz hatten. Sie bieten jede Menge Stoff für wertsteigernde Modernisierungen. Aber erst nach dem Ende der Finanzkrise und nachdem die Private-Equity-Investoren ihre Aufkäufe an der Börse versilbert hatten, sind die Wohnungskonzerne flüssig genug, dieses «Betongold» auch zu pflegen. Bundesweit befanden sich im Jahr 2016 etwa 125.000 Wohnungen im Vonovia-Programm für energetische Gebäudemodernisierungen. Im Jahr 2013 gab der Konzern  71 Mio. Euro für Modernisierungen aus, 2016 waren es 472 Mio. Euro. 2017 sollen es weit über 700 Millionen werden.

Es handelt sich dabei aber nicht um Wohltaten für das Klima oder die Wohnungsversorgung, sondern um knallhart kalkulierte Investitionen in die industrielle Aufwertung von Wohnungen. Bezahlen müssen das die MieterInnen. elf Prozent der Investitionssumme darf ein Vermieter auf die jährliche Miete aufschlagen. Angesichts von Zinsen nahe Null ist das eine staatliche Lizenz zur unkontrollierten Mieterausbeutung.

Seit der letzten Mietrechtsreform im Jahre 2013 sind MieterInnen energetischen Modernisierungen rechtlich weitgehend machtlos ausgeliefert. Wenn der Vermieter eine Maßnahme plant, die der Einsparung von Energie dient – und sei diese auch noch so geringfügig – haben die MieterInnen nur wenige Chancen, dagegen anzukommen. Was – theoretisch – bleibt, ist der Umzug in eine billigere Wohnung.

Im Ruhrgebiet mit seinen angeblich üppigen Leerständen galt bislang die Vermutung, die Vermieter würden sich bei den Mieterhöhungen zurückhalten, weil sie sonst ihre Mieter schnell los sind. Aber für Konzerne wie Vonovia, deren Wohnungsbestände ganze Stadtteile prägen, gelten solche Marktgesetze nicht. Sie haben begonnen, mit billigem Geld ein großes Rad zu drehen und die Mieten territorial auf ein neues Niveau zu heben.

«In den ersten Modernisierungsabschnitten haben sie getestet, wie viele Leute ausziehen und ob die Wohnungen zu den erhöhten Mieten noch vermieterbar sind», erklärt Siw Mammitzsch von der Mietergemeinschaft Essen. «Jetzt legen sie eine Schippe drauf.»

Plansoll: Sieben Prozent Rendite

Anders kann das zentrale Plansoll des Vonovia-Vorstandes nicht erfüllt werden: Jeder Bezirk im bundesweiten Vonovia-Reich soll im Durchschnitt eine Nettorendite von mindestens sieben Prozent auf die eingesetzten Modernisierungsinvestitionen erzielen. Dabei werden die Mieteinnahmen vor der Durchführung der Maßnahmen mit den Einnahmen nach Abschluss verglichen.

Eine Zeit lang konnten Bezirke mit hohem Leerstand geringere Mieterhöhungen durch Neuvermietung kompensieren. Aber je mehr dieser Leerstand abgebaut ist, desto weniger Spielraum gibt es nach unten. Gelingt es, kampfstarken Mietergruppen in einem Komplex die Mieterhöhungen auf fünf Prozent abzusenken, muss sie anderswo im Bezirk entsprechend höher ausfallen. Eine Praxis gegen die lokale Mieterinitiativen ebenso wenig ankommen wie die auf Einzelberatung ausgerichteten Mietervereine.

Die Modernisierungs-Mieterhöhungen der Vonovia variieren zwischen knapp 1 €/m² in den Testphasen im nördlichen Ruhrgebiet bis über 3 €/m² in Garmisch-Patenkirchen. Aber überall geht es steil bergauf. Auch im Ruhrgebiet liegen Mieterhöhungen schon über 2,50 €/m².

In einer Stahlarbeitersiedlung in Witten-Annen werden etwa 140 Euro Mieterhöhung erwartet, im Dortmunder Kreuzviertel sind es 180 Euro. Darin sind Verbesserungen des Heizsystems noch nicht enthalten. Allein der Austausch zwanzig Jahre alter Gaskessel durch neue Geräte und ein damit verbundener «hydraulischer Ausgleich» kann mit 45 bis 70 Euro zusätzlich zu Buche schlagen.

Mit Einsparungen an Energiekosten kann das nie und nimmer ausgeglichen werden. In Essen liegen die Einsparungen selbst nach den umstrittenen Schätzungen der Vonovia bei höchstens 25 Euro im Monat. In Dortmund betrugen die Mieterhöhungen wegen Modernisierung bis zum Zwölffachen der erwarteten Energiekostenreduktion. Dieses Missverhältnis würde sich auch bei massiven Ölpreissteigerungen nicht ausgleichen lassen. Aber das liegt nicht an den realen Kosten für Material und Arbeit, sondern an den Gewinnmargen, die die Konzerne erzielen.

Eine Genossenschaft in Witten verfügt über Häuser, die mit denen der Vonovia baugleich sind. Nach einer Vollmodernisierung mit Dämmung, Baderneuerung und Balkon anbei liegen bei ihr die Mieten bei etwas über 5,50 €/m², bei der Vonovia sind es leicht 2,50 €/m² mehr. An diesem Unterschied kann man ermessen, wie extrem die Rendite der Vonovia in Wirklichkeit ist. Schließlich zahlen auch die Genossenschaften ihren Mitgliedern eine Dividende auf ihre Einlagen.

Das nackte Leben

Kann man sich angesichts solcher Unterschiede nicht beruhigt zurücklehnen und abwarten, bis die Vonovia erkennt, dass sie nach ihren überhöhten Forderungen MieterInnen an die Konkurrenz  verliert? Leider nein. Dafür ist ihr Anteil an den Wohnungsmärkten in den Ruhrgebietsstädten zu hoch. Und außerdem ist die Vonovia nicht der einzige Konzern, der diese Masche praktiziert.

Auch die aus der Privatisierung einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft hervorgegangene LEG Immobilien AG, der größte Wohnungsanbieter in Nordrhein-Westfalen, langt kräftig zu. In der Dortmunder Innenstadt verlangt sie bis zu 48 Prozent Mieterhöhung nach einer Modernisierung. In Witten-Annen will sie nach einer Standardwärmedämmung 92 Euro mehr Miete. Im gleichen Stadtteil fordert die Vonovia über 50 Prozent Mieterhöhung für eine Standardmodernisierung mit Balkonanbau.

Solche Quoten konnten bislang nur erreicht werden, wenn die modernisierten Wohnungen in begehrten Lagen nach der Verdrängung der alten MieterInnen neu vermietet wurden, oder wenn es sich um Luxusmodernisierungen handelte. Davon aber kann in diesen Fällen keine Rede sein. Es handelt sich hier um ein Arbeiterhaus, in das seit den 1930er Jahren nichts Substantielles investiert wurde.

In diesen Nachbarschaften werden inzwischen schlecht instandgehaltene Konzern-Wohnungen zu Kosten angeboten, die noch vor wenigen Jahren einem gehobenen Standard entsprochen hätten. Wo früher ein einzelner Bezieher von ALG II wohnte, müssen heute zwei einziehen, wenn das Amt die volle Miete übernehmen soll.

Viele MieterInnen versuchen da gar nicht mehr mit zu halten. Sie arbeiten «schwarz», übernehmen mehrere prekäre Jobs, lassen sich von Verwandten aushalten, leben nur noch von der «Tafel». Jede Mieterhöhung bedeutet eine Steigerung der «finanziellen Enteignung», wie der griechische Ökonom Lapavitsas[2] das nennt. Sein Kollege Marazzi formuliert es so: «Das nackte Leben wird in eine unmittelbare Quelle des Profits verwandelt».[3]

Modernisierungserhöhung als Geschäftsmodell

Diese finanzielle Enteignung findet nach Regeln statt, die der Staat festgesetzt hat. Die Modernisierungs-Mieterhöhung ist politisch erwünscht. Sie ermöglicht den Vermietungskonzernen einen mehrfachen Profit. Erstens können Vermieter die Kosten anstehender Erhaltungsmaßnahmen auf die MieterInnen abwälzen. Denn faktisch ist es den MieterInnen meistens unmöglich, den Vermietern gerichtsfest nachzuweisen, dass ihre «Modernisierungen» im Wesentlichen der Instandhaltung dienen. Und außerdem sieht die Rechtsprechung bislang nicht vor, dass das Alter und der Verschleiß alter Bauteile bei dem an sich vorgeschriebenen Abzug der Erhaltungsaufwendungen von den umlagefähigen Investitionskosten berücksichtigt werden.

Zweitens erhöhen die Konzerne mit der Modernisierung den Wert ihrer Immobilien gleich doppelt: durch bilanzielle Aktivierung der Kosten und durch die Mieterhöhungen. Damit demonstrieren sie, dass die in die Bilanz aufgenommen Erwartungen in Zukunft immer weiter steigender Mieten erfüllt werden.

Drittens verdienen die Konzerne auch direkt an der Ausbeutung der bei ihnen beschäftigten Arbeitskraft. Insbesondere die Vonovia arbeitet längst nicht mehr nur mit Fremdfirmen. Ein Teil der Arbeiten wird von eigenen Tochterunternahmen erledigt, die ihre Beschäftigten nicht zu den Tarifbedingungen der Immobilienwirtschaft bezahlen. Andere Firmen beschäftigen Kolonnen ausländischer ArbeiterInnen auf Zeit.  Auch Materialien, zum Beispiel Fenster, werden günstig auf dem Weltmarkt eingekauft. Intern berechnet werden aber marktübliche Preise. Und diese fließen auch in die Mietberechnung ein.

Und viertens können die Konzerne über all diese profitträchtigen Anreize hinaus auch noch die Mieten weit über den Finanzierungskosten der Maßnahme erhöhen. Dass anlagesuchendes Kapital so versessen auf deutsche Immobilien ist, wundert da überhaupt nicht mehr.

Verunsicherung und Wut

«Schon bei der ersten Ankündigung der Modernisierung denken die Leute darüber nach, auszuziehen», berichtet Petra Leonartz aus Katernberg. «Viele halten die Mieterhöhungen für einen behördlichen Akt. Aber wo wollen sie hin?»

In Katernberg herrscht Verunsicherung, aber auch Wut. Bei einer Mieterversammlung mit Vonovia-Vertretern im Mai wurde es so laut, dass die Veranstaltung nach einer Stunde abgebrochen werden musste. Aus dieser Wut spricht nicht nur die Angst vor hohen Mieten und  Verdrängung. Es gibt auch den Frust mit jahrelange aufgeschobenen Reparaturen, Falschabrechnungen und unsinnigen Mahnschreiben.

In den Büros der Mietervereine türmen sich die Akten der Mieterkonflikte mit den Vermietungskonzernen. Seit Jahren sind viele Betriebskostenabrechnungen falsch, die Mieter halten Nachforderungen deshalb mit Recht zurück. Aber die Konzern-Vermieter schicken trotzdem immer wieder Mahnschreiben mit Forderungen, die sich auf mehrere tausend Euro belaufen können. Zum Teil sind diese Forderungen längst verjährt. Aber solche juristischen Feinheiten interessieren in den automatisierten Standardabläufen der Konzernvermieter nicht. Anstatt Personal dafür einzusetzen, sich die Lage vor Ort anzusehen und zu klären, lohnt es sich für sie viel mehr, die MieterInnen mit rechtlich unbegründeten Serienmahnungen aus ihren automatisierten Buchungssystemen unter Druck zu setzen. Auch wenn nur ein einziger Mieter, eine einzige Mieterin, dieser Zermürbung nachgibt, hat sich der Einsatz von Portogebühren für sie schon gelohnt.

Auch bei Mieterhöhungen wird nach diesem bewährten Schema vorgegangen. Die LEG Immobilien AG verschickt immer wieder Mieterhöhungen zur Anpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete, die formell und inhaltlich falsch sind. In Witten beruft sich die LEG dabei auf drei Vergleichswohnungen mit besonders hohen Mieten aus dem eigenen Wohnungsbestand. Oft sind die Vergleichswohnungen wegen Modernisierungen nicht vergleichbar, fast immer sind die verlangten Mieten weit höher als in Witten bislang üblich. Widersprechen die MieterInnen mit Hilfe des MieterInnenvereins, geschieht fast immer gar nichts.  Die LEG versucht zumeist auch gar nicht, ihre Forderung gerichtlich durchzusetzen. Lieber schickt sie ein paar Monate später die nächste Mieterhöhung.

Inzwischen setzt in Witten auch die Vonovia auf diese Methode, die viele MieterInnen extrem verunsichert. Viel Zeit haben die Konzerne allerdings dafür nicht mehr. Ab 1. Januar 2018 soll ein neuer qualifizierter Mietspiegel in Witten gelten. Der wurde erstmals mit öffentlichen Mitteln finanziert. Die Stadt hat eingesehen, dass sie der Mieterhöhungswillkür der Konzerne nicht tatenlos zusehen kann. Leider bildet der Mietspiegel aber auch die auf die beschriebene «krumme Tour» erwirkten Mieterhöhungen ab.  Und gegen die Mietensprünge nach Modernisierungen ist die Stadt machtlos.

Abgestimmte Strategie der Renditesteigerung

Insgesamt ergibt sich das Bild einer systematischen und – bewusst oder unbewusst – abgestimmten Strategie der Vermietungskonzerne. Es geht dabei im Wesentlichen nicht um eine mehr oder weniger ungerechte Aufteilung der realen Kosten der gesellschaftlichen Aufgabe Klimaschutz. Es geht auch nicht um die Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit der Wohnungen. Es geht darum, die auf die Erwartung endloser Mietsteigerungen basierenden Geschäftsmodelle der finanzialisierten  Wohnungswirtschaft zu schützen. Die Gesetze der Güter- und Dienstleistungsmärkte, insofern diese für Wohnungen überhaupt gelten, werden dabei systematisch außer Kraft gesetzt. Es gibt keinen Grund dafür, dass die Gesellschaft dieses Modell weiter akzeptiert. Es ist höchste Zeit das Wohnungswesen jenseits der Finanzindustrie zu reorganisieren.


[1] Stadt Essen, Amt für Statistik, Stadtforschung und Wahlen: Ein Blick auf ...  Stadtteile in Essen, Katernberg 2016, Essen2017

[2] Costas Lapavitsas: Profiting without Producing, How Finance Exploits Us All, Verso, London 2013

[3] Christian Marazzi: Verbranntes Geld, Zürich 2011