Publication Kultur / Medien - Digitaler Wandel - Globalisierung - Digitalisierung und Demokratie Algorithmische Staatsbürgerschaft und digitale Staatenlosigkeit

Welche Staatszugehörigkeit und damit verbundene Rechte haben wir im Internet?

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Online-Publ.

Author

James Bridle,

Published

October 2017

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So zersplittert könnte eine digitale Identität aussehen, berücksichtig man die Standorte von Datenzentren und Servern.

Ein Text von James Bridle

Historisch betrachtet, gibt es zwei Möglichkeiten, bei der Geburt eine Staatsbürgerschaft zu erwerben – zumindest für jene, die das Glück haben, in einem Gebiet mit einer stabilen Regierung beziehungsweise Staatssystem geboren worden zu sein. «Ius soli» – das Recht des Bodens, das Geburtsortsprinzip – verleiht denen, die innerhalb des Hoheitsgebietes eines Staates geboren wurden, die Staatsbürgerschaft, ungeachtet des Passes der Eltern. Üblich ist dieses Recht in Nord- und Südamerika, selten anderswo (und seit 2004 findet man es in Europa nirgendwo mehr). Öfters bestimmt «Ius sanguinis» – das Recht des Bluts, das Abstammungsprinzip – die Staatsbürgerschaft einer Person, auf der Grundlage der Rechte, die den Eltern zustehen. Die Staatsbürgerschaft kann einem also am Geburtsort vorenthalten werden, während sie einem an einem anderen Ort gegeben wird.

Es zeigt sich: Staatsangehörigkeitsrecht ist eigenartig und komplex, mit einer Reihe von Ausnahmen und Auslassungen, die die gemeinhin gültige Ansicht, dass eine Staatsbürgerschaft im Globalen Norden etwas Stabiles und Absolutes ist, untergräbt. So ist zum Beispiel im Vereinten Königreich die Staatsbürgerschaft erst seit dem frühen 20. Jahrhundert juristisch definiert, und die Geschichte ihrer Definition ist in erster Linie eine des Ausschlusses und der Aberkennung. Denn zunächst trachtete der britische Staat danach, seine Grenzen zu stärken. Danach wurden die früheren (und nun nicht mehr britischen) Untertanen vom Festland vertrieben. Und schließlich «entledigte» man sich jener Menschen, deren scheinbar abscheuliches Verhalten dazu führte, ihnen rechtsstaatliche Verfahren zu versagen. Wie Hannah Arendt in einem berühmt gewordenen Satz sagte: Staatsbürgerschaft sei «das Recht, Rechte zu haben»(1). Eine Garantie, auf der alle anderen Schutzmaßnahmen beruhen. Daher lohnt es sich, das Staatsbürgerschaftsrecht und seine Anwendungen genauer zu betrachten – als Lackmutest für demokratische Freiheiten.

Neue Formen der Staatsbürgerschaft im Netz

Heute gerät das Konzept der Staatsbürgerschaft zunehmend unter Druck. Einer der Orte, an denen man das besonders gut beobachten kann, ist das Internet. Im Netz mit seinen scheinbar grenzenlosen Weiten, fließen Information und Daten fast ohne Einschränkungen über die Grenzen hinweg, von Staat zu Staat. Als Staatsbürger werden unsere Rechte und Absicherungen immer weniger unseren physischen Körpern zugeordnet, sondern unseren digitalen Profilen. Also jenen Datensätzen, die unsere Stellvertreter geworden sind hinsichtlich unserer Beziehungen zu Staaten, Banken und Firmen. Somit entstehen an transnationalen, digitalen Knotenpunkten neue Formen der Staatsbürgerschaft.

James Bridle ist einer der Keynotespeaker bei der diesjährigen Berliner Gazette-Jahreskonferenz FRIENDLY FIRE, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wird. In der Abendveranstaltung am 2. November «Are Digital Non-/Citizens the Status Quo?» geht er gemeinsam mit Eleanor Saitta Fragen zu digitaler Staatsbürgerschaft nach. Weitere öffentliche Abendveranstaltungen gibt es am 3. November «Who claims global citizenship?» und am 4. November «How is citizenship changing in war times?»

«Ius algoritmi» ist ein Begriff, den John Cheney-Lippold(2) prägte, um damit eine neue, vom Überwachungsstaat hervorgebrachte, Staatsbürgerschaft zu beschreiben. Die Kontrolle der Subjekte erfolgt hier mittels Identifikation und Kategorisierung – ganz so, wie wir es auch von anderen Staatsformen davor kannten. «Ius algoritmi» – das Recht des Algorithmus – verweist darauf, dass Software immer öfter dazu eingesetzt wird, den Status der Staatsbürgerschaft eines Individuums zu bewerten. Auf dieser Grundlage wird dann entschieden, welche Rechte diese Person hat und welche (Überwachungs-)Maßnahmen eingesetzt werden dürfen.

Diese Art der Staatsbürgerschaft findet ihren zumindest nachweisbaren Ursprung in den Überwachungsprogrammen der National Security Agency (NSA) der USA– obwohl es unwahrscheinlich ist, dass dies die einzige staatliche Überwachungsbehörde ist, die solche Tests einsetzt. Unter den Dokumenten, die Edward Snowden 2013 leakte, befindet sich auch eine Datei mit dem Titel «Procedures used by the National Security Agency for targeting Non-United States Persons reasonably believed to be located outside the United States»(3). Diese Verfahren sind notwendig, weil die NSA nach US-amerikanischem Gesetz US-Bürger oder Menschen, die in den USA lokalisiert werden, nicht überwachen darf. In der Prä-Internet-Ära, war es leichter, sich an diese Maßgabe zu halten: Es gab Hinterzimmer, in denen die Post geöffnet wurde, abhörsichere Räume, um Telefone anzuzapfen. Heute jedoch, fließt ein Großteil des weltweiten Datenverkehrs durch die Vereinigten Staaten – wie sollen die Behörden da sichergehen, dass sie nicht aus Versehen, doch US-Bürger*innen überwachen?

Die Antwort der NSA auf dieses Problem ist ein punktebasiertes System. Fall für Fall, Byte für Byte stellen sie fest, ob ein Ziel, abhängig von der Struktur seiner Kommunikation, für eine Überwachung in Frage kommt. Aus diesen Festlegungen ergeben sich alle Rechte: So wird die Staatsbürgerschaft bestimmt.

Das Projekt Citizen Ex

Im Jahr 2015 entwickelte ich Citizen Ex, ein frei downloadbares Browser-Plug-in, das die Online-Bewegungen von User*innen verfolgt. Jeder Webseitenbesuch und jeder ungefähre Standort des Users werden aufgezeichnet. Im Laufe der Zeit baut sich eine Karte auf, die die Orte zeigt, an denen die Datenprofile der User*innen sich aufgehalten haben: Datenzentren und Server, in anderen Ländern und innerhalb anderer juristischer Systeme. Jeder dieser Orte wird gewichtet und bewertet und geht in eine Prozentsatzwertung der Länder, die man virtuell besucht, ein. So entsteht deine algorithmische Staatsbürgerschaft!