Publication Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Geschlechterverhältnisse - International / Transnational - Westasien - Asien - Feminismus - Westasien im Fokus «Sexual Politics»

Von der politischen Notwendigkeit, sexualisierte Gewalt sichtbar zu machen

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Sara Mourad,

Published

March 2018

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Seit Ende des libanesischen Bürgerkrieges 1990 gab es im Libanon eine Zunahme an neuen politischen Diskursen und politischem Aktivismus, die die Wiederbestätigung des konfessionellen politischen Systems im Nachkriegslibanon in Frage stellen und alternative Formen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für den Libanon anvisieren. Zu diesen Diskursen und Formen politischer Mobilisierung gehören auch Fragen von Geschlechtergleichheit, sexueller Gewalt, patriarchalen Strukturen sowie LGBT-Rechten, die vor allem von neuen Nichtregierungsorganisationen sowie unabhängigen Kollektiven und Aktivist*innen angesprochen werden. Sara Mourad, Professorin für Media Studies an der Amerikanischen Universität in Beirut, fragt nach der möglichen Wirkung von «Sexual Politics»im gegenwärtigen Libanon.

Sichtbarkeit und moralische Ängste: Der Diskurs um sexuelle Gewalt im Nachkriegslibanon

In einer Episode der Fernsehshow «Mouthi‘ al-Arab» («Der arabische Moderator»)[1] im Jahre 2005 interviewte eine*r der Kandidat*innen eine libanesische Frau zu ihren Erfahrungen als Opfer von häuslicher Gewalt.[2] In der Show beschrieb die Frau die körperliche Misshandlung durch ihren Ehemann sowie das Trauma ihres Sohnes, der die Misshandlungen seiner Mutter mitbeobachten musste. Im Anschluss nutzte der libanesische Moderator Tony Khalife, einer der drei Jurymitglieder, die den Auftritt der Kandidat*innen bewertet, die Gelegenheit, die Arbeit von Frauenrechtsorganisationen im Libanon zu verurteilen:

«Ich lehne die ständige Darstellung der libanesischen Gesellschaft als eine maskuline Gesellschaft ab - als würden wir Araber nichts anderes tun, als Frauen zu schlagen, zu erniedrigen und zu beleidigen. Frauen – das sind unsere Mütter, unsere Schwestern und unsere Töchter. Ich bin gegen die Ausbeutung der Misere von Frauen – und damit meine ich vor allem durch zivilgesellschaftliche Organisationen – eine Ausbeutung, die das alleinige Ziel hat, kommerzielle Organisationen zu gründen, die das Leiden der Frau ausnutzen, um ausländische Funds zu erhalten. Geld wird damit gemacht, das Leiden einer Frau in einem Film zu zeigen (das Publikum klatscht und jubelt). ‹Madam, dein Sohn ist erniedrigt und traumatisiert, weil du vor Millionen von Zuschauern gesprochen hast, und nicht, weil dein Ehemann Dich vor seinen Augen misshandelt hat. (Er steht auf) Als dein Sohn heute gehört hat, wie du vor Millionen von Zuschauern erzählt hast, wie sein Vater dich geschlagen hat, wurde er erniedrigt, nicht, als sein Vater dich vor seinen Augen geschlagen hat› (das Publikum klatscht und jubelt).“

Dieser Auszug aus einem panarabischen Fernsehsender enthüllt die moralischen Ängste, die der öffentliche Diskurs über sexuelle Gewalt hervorruft. Er zeigt außerdem die Rolle von Frauenrechtsorganisationen, die diese Diskurse produzieren und in der Öffentlichkeit verbreiten. Lokale libanesische Organisationen wie «Kafa»[3] und «Abaad»[4] unterstützen nicht nur Opfer von häuslicher Gewalt z.B. durch rechtlichen Beistand, sie haben auch bisher individuell betrachtete Fälle von häuslicher Gewalt in ein soziales Problem verwandelt, das nicht länger ignoriert werden kann. Khalife bezichtigt genau diese zivilgesellschaftlichen Organisationen, eine Kultur der Enthüllung und Aufdeckung zu verbreiten, beispielhaft am Zeugnis der Frau im Fernsehen. Das Opfer wird nicht nur angeklagt, für das Leiden seines Sohnes verantwortlich zu sein, sondern auch das Ansehen der arabischen Gesellschaften dadurch zu trüben, dass es sein persönliches Trauma in ein öffentliches Spektakel verwandelt. Khalife, ein prominenter Fernsehmoderator, der Millionen von Zuschauer*innen in der arabischen Welt anspricht, wiederum verkörpert die Bemühungen innerhalb einer Gesellschaft im Namen von familiärer und nationaler Ehre, das Leiden von Frauen – und die Gewalt gegen sie – zu verheimlichen. Sein abfälliges Statement erkennt dennoch gleichzeitig die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen an, diese Gewalt überhaupt erst sichtbar zu machen. 

Der Begriff «Sexual Politics» bezieht sich auf das gleichnamige Buch von Kate Millet (1970). Er bezeichnet den unsichtbaren politischen Aspekt von Sex sowie die politischen Auswirkungen des Patriarchats. Auf Deutsch wurde der Titel mit «Sexus und Herrschaft» übersetzt. Um den Bezug auf Millet zu behalten, wurde hier der englische Begriff beibehalten.

«Sexual Politics» – Differenzen jenseits der konfessionellen Linse

In ihrem Buch «Living a Feminist Life» schreibt die feministische Theoretikerin Sara Ahmad (2016): «Wenn die Welt aus dem besteht, was wir nicht wahrzunehmen sollen, dann wird der Akt etwas wahrzunehmen zu einem politischen Akt.» Im Folgenden möchte ich dieser Beziehung zwischen politischer Arbeit und Wahrnehmung nachgehen, um eine Politik der Sichtbarkeit zu konzeptualisieren. Im Libanon haben in den letzten Jahren zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Grassroot-Initiativen eine wichtige Rolle darin gespielt, bislang einzeln betrachtete Vorfälle in Medienereignisse zu verwandeln. Sie haben damit die öffentliche Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt, was vorher ungesehen und ungenannt war.

Etwa seit 2005 gibt es im Libanon eine Zunahme von «Genderaktivismus»: Organisationen für die Rechte von Frauen und LGBT sowie feministische und queer-Kollektive und Gruppen haben Themen wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung, Staatsbürgerschaftsgesetze, Rechte von migrantischen Hausangestellten und die Freiheit von sexueller Orientierung in die öffentliche Diskussion gebracht. Im Laufe der Zeit haben diese Initiativen schrittweise ein Feld gestaltet, das «sexual politics» genannt werden kann. Ich benutze den Begriff «politics» hier, um machtstrukturierte Beziehungen und soziale Ordnungen zu beschreiben, in denen eine Gruppe von Personen von einer anderen dominiert und kontrolliert wird. Über «sexual politics» nachzudenken, heißt zu erkennen, dass «Sex eine Statuskategorie mit politischen Implikationen» ist, wie es die verstorbene Feministin Kate Millet (1970) beschrieben hat.[5] «Sexual Politics» schafft eine Beziehung zwischen zwei vermeintlich getrennten Dimensionen menschlicher Existenz, dem Sexuellen und dem Politischen. Die Trennung dieser beiden Dimensionen gründet in der Dichotomie von Körper und Geist, die sich wiederum in dem Prinzip des sozialen Lebens widerspiegelt: Die Trennung zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre.

Indem Aktivist*innen sich auf dem Gebiet der «sexual politics» engagieren, entkräften sie diese Trennungen und Dichotomien als willkürliche, und fordern die Meinung heraus, dass unsere intimen persönlichen Lebenswege isoliert von soziopolitischen Strukturen sind und sich unsere subjektive Körpererfahrung außerhalb  von Macht entfaltet. Im Libanon haben diese Aktivist*innen vor allem die Legislative als primäres Instrument für sozialen Wandel adressiert, und habenden Staat und seinen Herrschaftsapparat gezwungen, sich mit diesen Politiken zu beschäftigen. [6] Aktivist*innen, die innerhalb und außerhalb des institutionellen Rahmen von NROs arbeiten, haben sich für Rechtsreformen stark gemacht, um verletzliche Gruppen der Gesellschaft, vor allem Frauen, LGBT Individuen und migrantische Arbeiter*innen zu schützen. Durch die Verbindung von vorher isoliert betrachteten Ereignissen von Misshandlung haben Aktivist*innen das Gesetz als eine Struktur identifiziert, die Gewalt und Ungerechtigkeit aufrechterhält. Sie haben Probleme wie Sexismus, Rassismus und Homophobie erkannt und benannt und damit die Frage des sozialen Unterschiedes im Libanon in ein neues Licht gerückt.

Wie können wir in einem durch religiöse und konfessionelle Unterschiede bestimmten politischen Diskurs der Nachkriegszeit im Libanon unsere Vision eines gemeinsamen sozialen und politischen Raumes und eines gemeinsamen Lebens neu formulieren und auf Fragen von sexueller, nicht nur religiöser Differenz ausweiten? Die Frage ist eine Einladung, Gender und sexuelle Unterschiede wieder «lautzuschalten» in einer nationalen Öffentlichkeit, die primär bestimmt ist durch konfessionelle Politik. [7] Im libanesischen Kontext ist die Konfessionszugehörigkeit das Hauptmerkmal von Differenz. Es ist die primäre Linse, durch die die Öffentlichkeit eingeladen wird, Fragen von Identität, Differenz und Gemeinschaftsleben zu betrachten. Das Konzept der «religiösen Toleranz» bildet hier die kulturelle Logik des konfessionellen Systems der Machtteilung und sein äußerstes moralisches Gebot. 

Sich für «sexual politics» zu engagieren stellt demnach das hegemoniale Verständnis von einem anderen Leben auf den Kopf. Es führt zu einer lebendigen öffentlichen Debatte über sexuelle und gender Unterschiede und Diversität. Die gesellschaftliche Bedeutung von Maskulinität und Feminität sowie der relative Status von Männern und Frauen werden definiert und angezweifelt. Ungleichheiten werden demnach nicht länger als natürlich gegeben betrachtet, sondern ideologischen Konstrukten wie dem Patriarchat zugeordnet. Sexuelle Vielfalt wird nicht länger als pathologisch betrachtet, vielmehr wird die Kritik der heterosexuellen Normalität schrittweise zugelassen.

Razzia und #DekAbuse: Beispiel einer schrittweisen Veränderung des herrschenden Diskurses

Im 21. April 2013 gab der Leiter der Stadtverwaltung von Dekwaneh, einem Arbeitervorort von Beirut, der Polizei die Anweisung, eine Razzia in einem Nachtclub durchzuführen, der als «homosexuellenfreundlich» galt. Drei Männer und eine transgender Person wurden verhaftet, geschlagen und gezwungen, sich auszuziehen, um ihre sexuelle Identität zu verifizieren.[8] Der Club mit dem Namen «Ghost», wurde einige Tage später geschlossen. An seine Tür wurde ein Brief gehängt, auf dem alle Namen und Geburtsdaten der inhaftierten Personen sowie die Verbrechen, derer sie angeklagt wurden, u.a. Prostitution und Drogenkonsum, aufgelistet waren. Die inhaftierten Personen waren allesamt syrische Staatsbürger*innen und Kriegsgeflüchtete. Die Ereignisse der Razzia wurden kurze Zeit später in den sozialen Medien dargestellt sowie unter dem Hashtag #DekAbuse kritisiert.

Als der Leiter der Dekwaneh Stadtverwaltung, Antoine Chakhtoura, die Razzia in einem Fernsehinterview rechtfertigte, bezeichnete er die Inhaftierten als «Pseudomänner» und warf dem Club vor, unmoralische sexuelle Handlungen zu unterstützen sowie Drogenhandel und «schmutzige Geschäfte» zu verbreiten. Laut seiner Aussage habe die Stadtverwaltung die moralische Pflicht, Kinder nicht solchen «Freaks» in ihrem Wohngebiet auszusetzen und es sei demnach auch ihre Pflicht, herauszufinden, wer diese Menschen seien: «Natürlich haben wir ihnen befohlen, sich auszuziehen. Wir wurden Zeuge einer skandalösen Situation und wir mussten herausfinden, wer diese Menschen sind. Ist es eine Frau oder ein Mann? Es kam heraus, dass die Person Halb-Frau und Halb-Mann war und ich akzeptiere das nicht in meinem Stadtviertel.»[9] In der darauf folgenden Woche versammelten sich ungefähr 40 Aktivist*innen vor dem Justizministerium in Beirut, um gegen die Razzia zu protestieren und die Strafverfolgung von Chakhtoura für Verstöße gegen die Privatsphäre sowie willkürliche Verhaftungen zu fordern.[10] Obwohl Polizeirazzien gegen homosexuellen-freundliche Einrichtungen nichts Neues im Libanon sind, so zeigte der #DekAbuse-Fall doch die schrittweise Veränderung in den Reaktionen der Mainstream Medien.

Nach der Razzia auf das Cinema Plaza im Juli 2012, als die Sicherheitskräfte 36 Männer festnahmen und sie analen Untersuchungen aussetzten – umgangssprachlich «Eiertest» genannt – um homosexuelle Aktivität zu beweisen und zu verfolgen,[11] eröffnete die «Lebanese Broadcasting Corporation» ihre Abendnachrichten mit der Meldung: «Dies ist die Republik der Schande.» Als «Schande» wurden nicht die sexuellen Veranlagungen der inhaftierten Männer, sondern die Reaktion des Staates bewertet. Der Fernsehsender unterstützte damit sexuelle Freiheit und individuelle Rechte. Die vermeintliche «Schande» bezog sich daher nicht länger auf den Körper der verdächtigten Homosexuellen, sondern auf den repressiven Sicherheitsapparat des Staates. Kurze Zeit später erließ die «Lebanese Psychiatric Association» und die libanesische Ärztekammer eine Stellungnahme, in der die «Eiertests» verurteilt und als illegal bezeichnet wurden. Die lauten Reaktionen von Aktivist*innen auf die Razzia im «Ghost» muss daher in einem Kontext betrachtet werden, in dem Homo- und Transsexualität schrittweise normalisiert werden, selbstverständlich mit erheblichem Widerstand.

Parallelen zwischen den Statements von Khalife und Chakhtoura sind bemerkenswert, da sie beide eine patriarchale und homophobe Ablehnung von sozialer Veränderung zeigen. Sie verdeutlichen die Ängste, die öffentliche Diskurse über sexuelle Gewalt und sexuelle Freiheit in konservativen Teilen der Gesellschaft hervorrufen. Schande und Ehre werden in Fernsehen sowie in öffentlichen reaktionären Diskursen mobilisiert, um Körper und Sprache zu kontrollieren. Die Unantastbarkeit von Familie und Wohngegend sowie darüber hinaus der nationalen Gemeinschaft werden beschwört: um die öffentliche Meinung gegen die steigende Sichtbarkeit von Gewalt gegen Frauen aufzubringen – wie es der Fall von Khalife zeigt - oder um die Gewalt gegen sexuell nicht konforme Menschen zu rechtfertigen – wie im Fall von Chakhtoura. In beiden Fällen ist es die Darstellung von etwas, was nicht gesehen oder gehört werden soll, das einen Bruch mit der sozialen Ordnung darstellt.

Das führt uns zurück zu Sara Ahmad und der Frage nach der Wahrnehmung als einem politischen Akt: «Einem Problem einen Namen zu geben, kann nicht nur verändern, wie wir etwas wahrnehmen, sondern auch, dass wir es überhaupt zur Kenntnis nehmen», schreibt Ahmad. «Einem Problem einen Namen zu geben, kann ein Problem vergrößern, es kann dazu führen, dass etwas eine soziale und physische Dichte erlangt, (…) was normalerweise fragmentiert bleiben würde.» Feministischer, LGBT und Queer Aktivismus heißt vor allem, Problemen einen Namen zu geben; Sexismus, Rassismus und Homophobie werden erkannt, und zwar nicht als außergewöhnliche und isolierte Ereignisse, sondern als unakzeptabel und ungerechtfertigte Formen von systematischer Unterdrückung, die angesprochen und verändert werden müssen. Indem sexuelle Gewalt sichtbar gemacht wird, werden Machtbeziehungen verändert.

Ich habe diese beiden Ereignisse oder Momente gewählt, weil sie die politische Arbeit zeigen, die erforderlich ist, um Gewalt gegen Frauen und Queers in der Öffentlichkeit wahrnehmbar – und daher anfechtbar - zu machen. Sie zeigen aber auch, dass der Zugang zur Öffentlichkeit – die Fähigkeit, öffentlich wirksam zu werden und die versteckte Kraft des Patriarchats sichtbar zu machen – ein notwendiger Kampf auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit ist.
 

Sara Mourad ist Professorin für Media Studies an der American University of Beirut. Sie arbeitet am Schnittpunkt von Media Studies, Feministischer Theorie, Postkolonialer Theorie und Queer Studies. Momentan forscht sie zur Rolle der Medien in der Entstehung und dem Ausdruck von sexuellen Subkulturen und Identitäten im Nachkriegslibanon.

Der Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.


[1] «Mouthi‘ al-Arabi» ist eine Wettbewerbsshow für junge Talente aus der arabischen Welt, die eine Karriere im Fernsehen anstreben.

[2] Die Rede von Khalife auf Youtube

[3] Kafa (enough violence and exploitation) ist eine libanesische Nichtregierungsorganisation, die im Jahre 2005 gegründet wurde, um gegen die Ausbeutung von und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.

[4] Abaad ist eine libanesische Nichtregierungsorganisation, die im Jahre 2011 gegründet wurde, um sich für Gendergleichheit im Nahen und Mittleren Osten einzusetzen.

[5] Kate Millet (1970). Sexual Politics. Doubleday & Company: New York, S. 24.

[6] Im Jahre 2009 hat die «National Coalition for Legislating the Protection of Women from Family Violence» einen Gesetzesentwurf mit dem Namen «The Law to protect Women from Family Violence» im Parlament eingereicht. Im April 2013 hat das Parlament eine veränderte Version des Gesetzes mit dem Namen «The Law on the Protection of Women and other Family Members from Domestic Violence» bestätigt. Im August 2017 nach einer Kampagne, die von Abaad angeführt wurde, hat das Parlament darüber abgestimmt, Artikel 522 des Strafgesetzbuches aufzuheben. Der Artikel enthält eine Regelung, die es Vergewaltigern erlaubt, einer Strafverfolgung zu entgehen, wenn sie ihr Opfer heiraten. In einem denkwürdigen Gerichtsbeschluss hat ein Richter im Jahre 2009 entschieden, dass homosexueller Sex nicht gegen die Natur sei. Einen ähnlichen Beschluss gab es im März 2014, als der Richter Naji El Dahdah des Jdeideh Gerichts in Beirut einen Fall zurückgewiesen hat: eine transgender Frau wurde vom Staat angeklagt, gleichgeschlechtlichen Sex zu haben. Diese Entscheidung basierte auf einem Beschluss des Richters Mounir Suleiman vom Jahre 2011, der besagte, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht gegen die Natur seien und demnach nicht unter Artikel 434 angeklagt werden können (Human Rights Watch, March 6, 2014).  Im Jahre 2016 hat ein Berufungsgericht einem transgender Mann das Recht bestätigt, seine Ausweispapiere zu ändern (Safdar, February 6, 2016).

[7] Obwohl der libanesische Staat, das «Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)» im Jahre 1996 unterzeichnet hat, hat die Regierung Bedenken gegen Artikel 9 und 16 geäußert. Beide Artikel beziehen sich auf Familienstandsgesetze und die Staatsbürgerschaftsgesetze von Staatsbürgerinnen. Das heißt, obwohl der libanesische Staat die CEDAW unterzeichnet hat, verweigert er weiterhin Frauen dieselben Rechte wie Männer in Fällen wie Heirat, Scheidung, sowie allen weiteren Familienangelegenheiten. Es ist weiterhin libanesischen Frauen nicht erlaubt, ihre Staatsbürgerschaft an ihren Ehemann und ihre Kinder weiterzugeben. Das Personenstandsgesetz ist daher weiterhin unter dem Mandat des religiösen Gerichts, nicht des Zivilgerichts.

[8] El-Ali, April 25, 2013; Legal Agenda, December 2, 2013.

[9] Auf das Interview kann über Yotube zugegriffen werden: LBCI, April 23, 2013.

[10] Am 30. April 2013 haben «Helem», eine NRO in Beirut, die sich seit 2005 für LGBT und Menschenrechte einsetzt und «Legal Agenda» bei der Staatsanwaltschaft gegen Chakhtoura Anzeige erstattet.

[11] Mutmaßliche Homosexuelle werden mit Bezug auf Artikel 534 des libanesischen Strafgesetzbuches, der Sex gegen die Natur kriminalisiert, verfolgt.