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Politische Handlungsfähigkeit in Zeiten von Autokraten und Künstlicher Intelligenz

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Published

September 2018

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Foto: Krystian Woznicki

 

Wir leben in eigentümlichen Zeiten, in denen wir unsere Handlungsfähigkeit delegieren, ohne die Entscheidungsmuster dahinter zu kennen oder zu erkennen. Das gilt gleichermaßen für die Bereitschaft algorithmische Entscheidungssysteme tief in unsere Leben wirken zu lassen, als auch politische Führung an Personen abzugeben, deren konstitutive Eigenschaft autoritäre Willkür ist. Was tun?

Im Computerspiel gibt es Momente, in denen das Spiel sich selbst zu spielen scheint. Du hast dich entfernt, doch das Spiel läuft einfach weiter. Die künstliche Intelligenz des Spiels ist mit sich selbst beschäftigt, nichts Weltbewegendes passiert in der Zwischenzeit. Was der Medientheoretiker Alexander Galloway «Ambience Acts» nennt, sind heute in der wirklichen Welt «Ambient Revolts» – nicht einfach nur Akte, sondern Umbrüche, die weltbewegende Dinge in Gang setzen können, während «das Spiel sich selbst spielt»: landesweite Netzausfälle oder Hasswellen, Börsenzusammenbrüche oder Verkehrschaos. Und du kannst dir niemals ganz sicher sein, ob es passiert ist, während du away from keyboard warst oder online; ob du den Funken ausgelöst hast oder nur ein Halbleiter des viralen Tsumanis gewesen bist. So befindest du dich in einem «Spiel», dessen Regeln und Abläufe du nicht wirklich verstehst. Wenn überhaupt, dann wirst du einer Handlungsfähigkeit der techno-sozialen Umwelt gewahr, die deine individuelle Handlungsfähigkeit tiefgreifend in Frage stellt. Mit diesem Gefühl der Ohnmacht bist du nicht allein. Wir sind viele.Viele, die nicht mehr so genau wissen, was es eigentlich bedeutet, politisch wirksam zu handeln.

Also beobachten wir das Durcheinander und versuchen daraus schlau zu werden. Etwas, das gerade viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist Künstliche Intelligenz. KI, so das Kürzel, ist als Thema allgegenwärtig, ob in Medien (Feuilletons, Online-Foren, Verlagsprogrammen, etc.) oder in der Politik (KOA-Programm, Enquete-Kommission, Datenethikkommission, etc.). Man kann sich diesem Hype kaum entziehen und des Eindrucks kaum erwehren, etwas Neues sei am Horizont aufgeflackert. Dieses Neue wird durch selbstfahrende Autos verkörpert und durch häuserwandgroße «Okay, Google, mach mal!»-Werbeplakate illustriert, die uns suggerieren, selbstlernende Maschinen könnten uns rundum versorgen. Doch was sehen wir hier eigentlich? Wie neu ist das, was da gerade so grell leuchtet?

Workshops zum Thema

Die Berliner Gazette-Konferenz «Ambient Revolts» stellt politische Handlungsfähigkeit in Zeiten von Autokraten und Künstlicher Intelligenz zur Diskussion, im Berliner ZK/U – Center for Arts and Urbanistics, 8.-10. November, 2018. Hier finden auch fünf dreitägige Workshops zum Thema statt, für die man sich bis zum 20. Oktober anmelden kann. Mehr Infos auf der Konferenz-Webseite

Schon ziemlich bald nach dem zweiten Weltkrieg wurde KI das erste Mal hochgejazzt. 1958 etwa in Form des Perzeptrons, das, durch das Office of Naval Research finanziert, die New York Times dichten ließ, es sei «the embryo of an electronic computer that [the Navy] expects will be able to walk, talk, see, write, reproduce itself and be conscious of its existence.» Das Lauffeuer verbreitete sich über die USA hinaus – selbst bis nach Chile – und ist in den letzten Jahren immer wieder neu entfacht worden: im Rahmen von Staats-, Forschungs- oder Wall-Street-Experimenten. Heute, da wir eine Neuauflage des KI-Hypes erleben, ist vor allem eines bemerkenswert: Eine gewisse kritische Masse ist erreicht worden, wie vor etwa fünf Jahren in Sachen Big Data als ein gewisses Genug an Daten verzeichnet werden konnte, um eine weiterreichende Instrumentalisierung und Implementierung von datengetriebenen Technologien zu ermöglichen. Die IT-Riesen, die auf dem KI-Gebiet tonangebend sind, verfügen nun über Rechner, die leistungsstark genug sind, können sich außerdem Zugang zu ausreichend Daten verschaffen, um die neuronalen Netzwerke zu füttern und außerdem haben sie die KI-Forschung in neue Höhen treiben können. Doch der Traum der digitalen Schatzkammer, der damit neu ermöglicht wird, wäre nicht ohne die technologische Durchdringung der Gesellschaft und des Alltags denkbar. KI kann heute potentiell universell wirksam werden, denn selbstlernende Algorithmen können heute nicht nur in der Industrie, im Militär, im Finanzwesen, im Verkehr, in der Online-Werbung etc. zum Einsatz kommen, sondern auch in Alltagsanwendungen. Die «Okay, Google, mach mal!»-Kampagne etwa richtet sich an Smartphone-Nutzer. Auch andere Marktgrößen wollen Schritt halten und bieten ihre intelligenten Assistenten feil: Siri, Cortana, Bixby, Alexa, etc. So hat KI nun auch eine Bedienoberfläche bekommen, die die Technologie eigentlich greifbar macht, da sie sich nun vordergründig in unserem Leben platziert. Doch da wir es längst gewohnt sind, uns quasi blind auf technologische Anwendungen zu verlassen, verschwindet KI als systemisches Feature unmerklich im Hintergrund, dessen Schalten und Walten daher kaum bemerkt wird. Insofern ist KI zugleich überall und nirgends, sprich: ambient, weil fast überall als solches nicht sichtbar, zumindest für viele nicht ohne Weiteres erkennbar.