Künstliche Intelligenz (KI) ist die jüngste Innovation des digitalen Kapitalismus, mit der seine Protagonist*innen ihre weltweit dominierende Rolle in Ökonomie und Gesellschaft ausbauen, seine Geschäftsmodelle konsolidieren und sein Verwertungsmodell sichern wollen. KI steht an der Schwelle zum Massenmarkt und zur Alltagstechnologie. Nach Big Data und user-generated content (nutzergenerierte Inhalte) ist sie in der Etablierung plattform-kapitalistischer ökonomischer Systeme die logische Schlussfolgerung. Daher sollte sich auch die Linke mit ihr beschäftigen...
Die Plattform-Metapher verdeckt mehr, als sie erklärt: Plattformen sind im digitalen Kapitalismus alles andere als offen und sie sind alles andere als flach. Dies wird deutlich, wenn wir sie anderen in der Diskussion gebräuchlichen Metaphern gegenüberstellen. Als umzäunte Gärten (walled gardens) oder geschlossene Ökosysteme werden z.B. die App-Stores der Digitalkonzerne bezeichnet, womit auf ihren proprietären (in Eigentum befindlichen) geschlossenen Charakter abgehoben wird; in ihnen haben die Eigentümer*innen das Sagen.
Sirenen-Server nennt Jaron Lanier die Monopole der Netzwerkökonomie und spielt damit auf deren Fähigkeit an, Nutzer*innen einzufangen und sie nicht wieder aus dem Würgegriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) zu entlassen, damit sie auf ewig kostenlos verwertbare Daten liefern. Diese Plattformen lassen sich in Analogie zu Walter Benjamin als Passagen beschreiben – Zwischenreiche zwischen privatem und öffentlichem Raum, in denen dem Konsum gehuldigt wird –, sie sind, auch wenn sie erfolgreich Offenheit und Zugänglichkeit inszenieren, doch Privatgelände – Online-Einkaufszentren.
In der Anfangszeit des Webs benutzten viele, die sich zögerlich mit einem Modem an das weltweite Netz herantrauten, zunächst sogenannte Portale – Einstiegsseiten in die neue Online-Welt –, die von großen Telekommunikationsunternehmen betrieben wurden, etwa von AOL oder der Telekom. Google und Facebook haben sich zu solchen Portalen oder gatekeeper entwickelt – entgegen ihrem Selbstverständnis als «reine Vermittler», was immer wieder in juristischen, arbeitsrechtlichen oder den Datenschutz betreffenden Auseinandersetzungen betont wird.
Das sieht auch die Medienwissenschaftlerin José van Dijck so: «Diese Infrastrukturinformationsdienste fungieren als Online-Gatekeeper, über die Datenflüsse verwaltet, verarbeitet, gespeichert und kanalisiert werden.»
Durch ihre zentrale Rolle im Alltagsleben und in der weltweiten Kommunikation seien sie zu einer globalen Informations-Infrastruktur geworden. Der Leipziger Historiker Dirk van Laak schreibt, Infrastruktur umfasse «alles Stabile, das notwendig ist, um Mobilität und einen Austausch von Menschen, Gütern und Ideen zu ermöglichen». Infrastrukturen entfalten ihm zufolge Dynamiken, die über sie selbst hinausweisen. Das Smartphone etwa wird zum «Normalapparat», also zum nicht mehr wegzudenkenden Alltagsgegenstand, der weit mehr ist als ein Telefon und dessen Bedeutung weit über das Gerät und seine unmittelbare Verwendung hinausreicht und in eine Art «kollektive Programmierung einer Gesellschaft» eingewoben ist. Die beiden Kritiker*innen des digitalen Kapitalismus Evgeny Morozov und Francesca Bria beschreiben Plattformen als gesellschaftliche Infrastruktur («Meta-Utilities»), also als Rückgrat öffentlicher Informationsversorgung, die gleichwohl privatwirtschaftlich organisiert ist.
Inhalt
Was ist eine Plattform?
Die Plattform-Metapher
Plattformen und Kapitalismus
Plattformen und künstliche Intelligenz
Überwachungs-Kapitalismus
Plattformen 2.0
Ein CERN für die KI?