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Chancen und Herausforderungen kommunalpolitischer Bildungsarbeit im linken Umfeld

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June 2021

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Chancen und Herausforderungen kommunalpolitischer Bildungsarbeit im linken Umfeld

Ehrenamtliches Engagement in der Kommunal- und Lokalpolitik erfordert mehr als das Ablegen von Bekenntnissen. Das kommunale Geschehen ernsthaft mitzugestalten und sich für die Interessen der Menschen sachkundig einzusetzen, verlangt viel mehr, sich auch das nötige Fachwissen anzueignen und die bereits vorhandenen Erfahrungen zu studieren. Dies zu ermöglichen ist die Kernaufgabe der kommunalpolitischen Bildungsarbeit. Über die Herausforderungen und Chancen, welche damit verbunden sind, informiert dieser Artikel.

Die Gemeindeeinrichtungen sind für die Freiheit, was die Volksschulen für die Wissenschaften sind; sie machen sie dem Volke zugänglich; sie wecken in ihm den Geschmack an ihrem freiheitlichen Gebrauch und gewöhnen es daran. Ohne Gemeindeeinrichtungen kann sich ein Volk eine freie Regierung geben, aber den Geist der Freiheit besitzt es nicht.

Alexis de Tocqueville

Seit fast zweihundert Jahren bringt dieses Zitat des Franzosen Alexis de Tocqueville die wesentliche Bedeutung der Kommunalen Selbstverwaltung auf den Punkt. An keinem anderen Ort der Gesellschaft kommen sich Politik und Alltagsleben so nahe wie in einer Gemeinde. Nirgendwo sonst ist die Möglichkeit der Einflussnahme des einzelnen Menschen auf die Belange seines Lebensumfeldes größer. Tocquevilles Vergleich mit den Volksschulen kommt jedoch nicht von ungefähr. Kein Mensch wird mit den Fähigkeiten ein funktionierendes Gemeinwesen aufzubauen und zu unterhalten geboren. Hierzu bedarf es vielmehr einer breiten Palette von Kenntnissen, welche sich erst aktiv angeeignet, das heißt gelernt, werden müssen. So wie eine Fahrschule die theoretischen und praktischen Kenntnisse vermittelt, welche notwendig sind um ein Fahrzeug sicher von A nach B zu bewegen, kommt der kommunalpolitische Bildungsarbeit die Aufgabe zu, Menschen zu einer kleinteiligen Gesellschaftsteilhabe zu befähigen. Hierzu gehört insbesondere die Vermittlung komplexer gesellschaftlicher Alltagsaspekte in einer Kommune und den dazugehörigen Möglichkeiten der Einflussnahme und Veränderung. Viele Dinge der kommunalen Daseinsvorsorge nehmen wir als gegeben hin und so lange sie funktionieren, macht sich kaum jemand Gedanken darüber, wie zum Beispiel die Müllentsorgung oder der Winterdienst. Thema werden sie meistens erst, wenn es um Gebührenerhöhung geht oder im Winter die Straße nicht schnell genug geräumt ist. Wie aber werden solche Aufgaben in einer Kommune organisiert, was gehört alles dazu, wieviel kostet es, welche Formen und Möglichkeiten gibt es? All dies muss die Gemeinde selbst klären und mit ihr die Einwohnerinnen und Einwohner. Das kann man wohl kaum aus dem Bauch heraus. Viele dürften vermutlich schon mit der Umsetzung des Putzplanes ihrer WG überfordert sein.

Doch wie im Kleinen, so ist es auch im Großen. Die Organisation des Zusammenlebens der Menschen einer Gemeinde bedarf einer Vielzahl von konkreten Strukturen, Aufgaben und Tätigkeiten. Fast jedes politische Thema beinhaltet kommunale und/oder lokale Aspekte: die große Themenvielfalt in der Kommunalpolitik bietet damit die Chance auf individuelle lokale Bedürfnisse und Interessen Einfluss zu nehmen.

Daraus ergibt sich auch der besondere Stellenwert und die Verantwortung der kommunalpolitischen Bildungsarbeit. Vorrangiges Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe für politisch Aktive vor Ort. Es geht nicht um die Vorgabe oder Durchsetzung von Themen oder gar Lösungen für ein politisches Problem, sondern um die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zur eigenständigen Bearbeitung durch die jeweiligen Akteur*innen. Hierbei ist insbesondere in der kommunal- und lokalpolitischen Bildungsarbeit ganz generell zu beachten, dass die Zielgruppe als solche sehr vielfältig ist: hierzu gehören Mandatsträger*innen und Verwaltungsvertreter*innen, lokalpolitisch engagierte Menschen in Vereinen, Menschen aller Altersgruppen, Menschen unterschiedlichster Herkunft, Menschen mit unterschiedlichsten Berufen und Erwerbsbiografien und viele mehr.

Hinsichtlich der inhaltlichen und methodischen Gestaltung von Bildungsangeboten stellt sich auch immer wieder die Herausforderung der ganz realen Erreichbarkeit der Zielgruppen. Viele Politik- und Bildungsansätze sind auf «Moderne», auf «Wachstum» bzw. auf Städte ausgerichtet. Die Frage der Übertragbarkeit von Formaten zwischen den unterschiedlichen Räumen (z.B. zwischen Stadt und Land oder zwischen Groß- und Kleinstädten) sowie die Beachtung der strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Räume (z.B. hinsichtlich der Wahl von Veranstaltungsorten und deren Erreichbarkeit oder der Zugang zu digitalen Angeboten in Gegenden, wo die Internetversorgung nicht hinreichend gegeben ist) ist essentiell für linke kommunalpolitische Bildungsarbeit.

Nicht zuletzt das «Zeitproblem»: kommunal- und lokalpolitische Aktivitäten finden meist ehrenamtlich statt – und stehen damit auch in zeitlicher Konkurrenz zu Familie, Erwerbsarbeit, weiteren politischen Terminen sowie anderen Freizeitinteressen.

So kommt nicht nur linker kommunalpolitischer Bildungsarbeit an erster Stelle die Aufgabe zu, Motivation zu geben oder zu erzeugen, überhaupt lokal aktiv zu werden. Dazu gehört auch das Aufzeigen von Betätigungsmöglichkeiten in der Kommunalpolitik. Dazu gehören die Themen als auch die Strukturen. So gibt es neben dem Bürgermeister*innenposten, und dem Gemeinde-, Stadt- oder Kreisrat noch viele weitere Gremien, welche für eine ehrenamtliche Mitwirkung offen stehen, wie zum Beispiel die sachkundigen Einwohner*innen in den Ausschüssen oder die verschiedenen Beiräte. Hinzu kommen die gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsverfahren in der Bauleitplanung, aber auch, sofern der politische Wille hierzu vorhanden ist, Jugendparlamente, Stadtteilforen oder gar ein Bürgerhaushalte. Darüber hinaus wirken auch Vertreter*innen von Vereinen (Feuerwehr, Flüchtlingsinitiativen, soziale Vereine etc.) und lokalen Initiativen in die Kommunalpolitik hinein – es geht also auch um die Vermittlung, dass Kommunalpolitik nicht nur in Gremien und Verwaltung stattfindet. Es geht auch darum, den Menschen Hemmungen zu nehmen, sich mit den bestehenden Strukturen und Personen in Verwaltung und Politik, aber auch mit Gesetzen und kleinteiligen Fragen auseinanderzusetzen.

Mit Blick auf die oben beschriebene Breite der Zielgruppe kann dies gegebenenfalls heißen, unterschiedliche Ansprachen in den Formaten umzusetzen und/oder dies methodisch so aufzubereiten, dass sich große Teile der Zielgruppe angesprochen fühlen.

Aufgrund der langjährigen Erfahrungen in der linken kommunalpolitischen Bildungsarbeit: Damit Kommunal- und Lokalpolitiker*innen darüber hinaus auch langfristiger die Motivation haben kommunalpolitische Bildungsangebote eines Trägers wahrzunehmen, kommt es nicht selten auf einen gelungenen Erstkontakt mit dem Träger oder ersten guten Erfahrungen im Rahmen der Angebote an. Insbesondere bei Veranstaltungen liegt die Herausforderung, dass diese für die ehrenamtlichen Aktiven ein weiterer, zusätzlicher Termin sind.

Zahlreiche Aspekte (linker) Kommunalpolitik haben wir in einem Interview in der Sendung «Küchenradio - Wir machen Quatsch mit Soße» bei Coloradio, dem freien Radio in Dresden thematisiert (erstmals gesendet am 4. Mai 2019). Hier zum Nachhören: