Publication Kapitalismusanalyse - Arbeit / Gewerkschaften - Südostasien Made in Cambodia

Wer profitiert vom Boom der Bekleidungsindustrie?

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Online-Publ.

Author

Michaele Doutch,

Published

March 2020

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Foto: Patrick Kohl

Michaele Doutch ist Südostasienwissenschaftlerin und Doktorandin an der Universität Bonn mit einem Projekt zur kambodschanischen Arbeiter*innenbewegung als Promotionsstipendiatin der RLS.

Der kambodschanische Textil- und Bekleidungssektor hat sich zu einem der wichtigsten ökonomischen Pfeiler des Landes entwickelt. 8 Milliarden US-Dollar nahm das Land allein im Jahr 2018 mit dem Export von Textilien und Bekleidung ein. Doch nach Jahrzehnten der Gewalt und Zerstörung musste erst einmal ein Weg geschaffen werden, der eine solche Entwicklung ermöglichen konnte. Nach der Einbeziehung Kambodschas in den Vietnamkrieg (~1965-1975) und dem darauffolgenden ultra-nationalistischen und maoistischen Khmer Rouge-Regime (1975-1979), auf das eine langjährige vietnamesische Besatzung folgte (1979-1989), stand Kambodscha mit Ende des Kalten Krieges vor einem nahezu vollständigen Wiederaufbau.[1]

Aufbau und Charakteristika des Sektors

Durch UN-Intervention und eine Übergangsverwaltung United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) (1992-1993) wurden Anfang der 1990er Jahre zügig die Weichen für eine politisch-ökonomische Entwicklung ganz im Sinne des neoliberalen Kapitalismus gestellt. Um die Wirtschaft in Kambodscha so schnell wie möglich ankurbeln und von ihr profitieren zu können, setzten das Land und seine internationalen Unterstützer*Innen insbesondere auf ausländische Direktinvestitionen. Auch der Textil- und Bekleidungssektor in Kambodscha konnte auf diese Art und Weise in kürzester Zeit aufgebaut werden und enorm expandieren. Bis heute baut der Sektor primär auf Kapital aus Ostasien wie etwa aus China, Hongkong oder Taiwan. So sind die meisten Produktionsfabriken in Kambodscha auch nicht im einheimischen Besitz, sondern in den Händen von ostasiatischen Investor*Innen.

In jenen Textil- und Bekleidungsfabriken sind weit über 700.000 Menschen[2] tätig. Rund 80% der Belegschaft sind meist junge Frauen, die aus ländlichen Regionen in die Städte – primär in die Hauptstadt Phnom Penh – migrieren, um Kleidungsstücke für Marken wie etwa H&M, ZARA (Inditex), GAP, Nike oder ADIDAS zu produzieren. Die meisten Fabriken in Kambodscha widmen sich dem so bezeichneten Cut-Make-Trim-Verfahren, welches das Zuschneiden, das Nähen und die Fertigstellung des Kleidungsstückes umfasst. Somit wurde das südostasiatische Land von Beginn an am untersten Ende der Produktionskette integriert. Während über 90% der zu verarbeitenden Materialien aus dem Ausland importiert werden müssen, werden nahezu 100% der Kleidungsstücke wieder exportiert. Es findet keine Diversifizierung der Produktion statt und es wird hauptsächlich die große Zahl gering qualifizierter Arbeiter*Innen herangezogen, die am besten so viele Kleidungsstücke, so schnell wie möglich zu den geringsten Kosten just in time fertigstellen. Damit reiht sich Kambodscha in eine lange Liste so bezeichneter Billiglohnländer ein, die dem zunehmenden globalen Wettbewerb um den besten Produktionsstandort oftmals völlig ausgeliefert sind.

Relevanz von Handelsabkommen

Der kambodschanische Textil- und Bekleidungssektor profitiert jedoch nicht nur von dem Überschuss an billigen Arbeitskräften, sondern auch von spezifischen Handelsabkommen, die einen quoten- und zollfreien Export in bestimmte Länder festlegen. Gegenwärtig stellt das Everything but Arms (EBA)-Handelsabkommen eines der wichtigsten Verträge für den Export von kambodschanischen Textilien und Bekleidung dar. Seit 2001 gewährt es Kambodscha einen quoten- und zollfreien Zugang von „Alles außer Waffen“ in den EU-Markt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die EU der größte und somit wichtigste Hauptabnehmer von kambodschanischen Textilien und Bekleidung geworden ist. Insbesondere Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich sind hier Schlüsseldestinationen. Über 40% der gesamten Exporte des Landes (primär Bekleidung und Schuhe) werden auf dem europäischen Markt verkauft. Doch der bevorzugte Zugang zum EU-Markt soll Kambodscha im Laufe des Jahres 2020 partiell entzogen werden.

Nach einem Jahr der Androhung vonseiten der EU, die Handelspräferenzen im Rahmen des EBA-Abkommens aufgrund der schwerwiegenden und systematischen Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte im Land gänzlich abzuschaffen, fiel am 12. Februar 2020 die Entscheidung: Ab dem 12. August 2020 soll die Aufhebung von Handelsvergünstigungen auf bestimmte Bekleidung und Schuhe sowie auf alle Reiseprodukte (travel goods) und Zucker in Kraft treten. Ein einjähriger Untersuchungsprozess der EU über die Menschenrechtssituation in Kambodscha ging jener Entscheidung voraus. Nach einer Welle von Repressionen insbesondere gegen Gewerkschaftler*Innen und die derzeit offiziell verbotene Oppositionspartei (die kambodschanische nationale Rettungspartei CNRP), hätte die kambodschanische Regierung im letzten Jahr politisch mehr einlenken und maßgebliche Schritte hin zu einem demokratischeren Weg einleiten müssen. Wirtschaftlich drohen dem Land nun hohe Einbußen, da jährliche Exporte in einem Wert von über eine Milliarde Euro von den Restriktionen betroffen sind. Auch das Risiko der Abwanderung von Produktionen, der Schließung von Fabriken und der Verluste von Arbeitsplätzen ist hoch. Welche Akteure tatsächlich von dieser Entscheidung profitieren, kann derzeit nur erahnt werden. Eine derartige Abwendung der EU von Kambodscha begünstigt jedoch ohne Zweifel eine stärkere Hinwendung des Landes zum nunmehr wichtigsten wirtschaftlichen Partner – nicht nur im Bereich Textil und Bekleidung, sondern weit darüber hinaus. China ist mittlerweile der wichtigste Verbündete des Landes und investiert seit Jahren Milliarden in Kambodscha. Allein in den letzten sieben Jahren sollen es über 9 Milliarden US-Dollar gewesen sein. Politisch zeigt sich China auch als großer Unterstützer der kambodschanischen Regierungspartei.