Hubert Perschke fotografierte 2012 und 2013 regelmäßig das Dorf Manheim im Rhein-Erft Kreis. Heute ist der Ort zu mindestens 80 % dem Erdboden gleich gemacht - zerstört für den Braunkohleabbau durch den RWE-Konzern.
In dem Fotobuch "Dividende frisst Heimat" dokumentiert Hubert Perschke die Zerstörung von Manheim, von sozialen Strukturen und Natur. Seinen Fotos aus dem Jahr 2012 stellt er Fotografien aus den Jahren 2019/20 gegenüber. Vom selben Standort aus sind Ansichten des noch intakten Dorfes Manheim den Ansichten der Zerstörung gegenübergestellt. Die Veränderung fotografisch exakt festzuhalten, war kein einfaches Projekt, so Perschke: "Häufig war es in einer eingeebneten Dorflandschaft äußerst schwierig, den Standort von 2012 wiederzufinden und von dort aus mit demselben Blickwinkel die neue Perspektive einzufangen. Pfosten ehemaliger Straßenschilder, Kanaldeckel, Hinweisschilder und ähnliches waren Anhaltspunkte."
In dem Buch kommen auch Betroffene zu Wort, die von einer Umsiedlung bedroht sind oder deren Auswirkungen zu spüren bekommen. Sie befinden sich in einem „Schwebezustand“ zwischen Bangen und Hoffen, Wut und Resignation. Viele Menschen in den Umsiedlungsdörfern gehen auch, um die innere Zerrissenheit nicht weiter ertragen zu müssen. Heimat aufzugeben ist ein schmerzvoller Verlust. Im Rheinischen Braunkohlerevier haben inzwischen 40.000 Menschen ihre Heimat verloren.
Menschen, die in Manheim heimisch wurden und z. B. aus Schlesien stammten, erlebten ihre Umsiedlung als zweite Heimatvertreibung. Zerstört wurden Familientraditionen, auch von Familien, die über Generationen auf ihrem Anwesen heimisch waren und nun ihr denkmalgeschütztes kulturelles Erbe dem Gemeinwohl opfern mussten.
Aber es leben noch Menschen hier. Es stehen heute noch einzelne bewohnte Gebäude und Anwesen. Und auch dort, wo abgerissen wurde, blieben Fragmente, wenn z.B. aufgrund des Artenschutzes das Haus während der Brutzeit stehen bleiben musste.
Was aus dem Tagebauprojekt in Manheim wird, ist heute ungewiss. Damit verbindet sich bei den Verbliebenen die Hoffnung, dass Manheim nicht im Loch verschwindet. Doch nach den Plänen von RWE soll der Boden unter Manheim abgetragen und genutzt werden, um anderswo im Tagebau die Böschungen zu stabilisieren. Manheim abzubaggern, ist die preiswerteste Lösung, aber nicht notwendig. Ein Hindernis liegt noch im Weg: Der BUND besitzt ein kleines Grundstück und versperrt damit den Schaufelbaggern den Zugang in den Ort.
Für die Menschen in Manheim-neu bedeutet das, den schweren Weg der Umsiedlung eventuell umsonst gegangen zu sein. 2012 hat kein Manheimer die Notwendigkeit angezweifelt, den Ort umzusiedeln. „Vor 30 Jahren hätten wir uns wehren sollen, jetzt ist es zu spät“, war eine generelle Aussage.
Das Dorf Manheim ist nur ein Beispiel von vielen im Rheinischen Braunkohlerevier, die nach dem Willen von RWE noch abgebaggert werden sollen. Aber die Menschen opfern ihr Lebensumfeld nicht mehr so einfach für die Kohle. Sie haben sich zusammengeschlossen, um für den Erhalt ihrer Dörfer und den Schutz der Natur zu kämpfen.
Das Fotobuch ist ein Beitrag zur Unterstützung dieser Kämpfe. Die Bilder von Hubert Perschke und die Texte von den betroffenen Menschen der Region machen die Lasten und Unwägbarkeiten, die auf umzusiedelnden Bewohner*innen zukommen, emotional greifbar. Zusammen ergeben sie eine eindrucksvolle Dokumentation von den Auswirkungen des klimaschädlichen wie unnötigen Braunkohleabbaus und der zerstörerischen Kraft von profitgetriebenen Konzernen.
Das Buch ist u.a. mit der Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW erschienen.
- Das Buch:
Hubert Perschke: Dividende frisst Heimat. Hahne & Schloemer Verlag, Düren 2020.
102 Seiten, zahlr. Abb., 21,0 x 29,7 cm, geb., ISBN 978-3-942513-54-8.
Das Buch ist hier bestellbar: Link zur Verlagsseite - Der Fotograf:
Hubert Perschke, geboren 1947 in Hannover, ist Dipl. Sozialarbeiter und Dipl. Sozialwissenschaftler. Auch fotografisch gilt sein Interesse den sozialen Themen. 1967 bis 1978 studierte er im Ruhrgebiet, wo er mit seinen ersten systematischen Fotoarbeiten zur Industrielandschaft und zu den Menschen des Ruhrgebiets begann. 1977 wurde er dafür mit dem 1. Preis des damaligen Ruhrmuseums ausgezeichnet. Seit 1982 ist er am Rande des Tagebaus Hambach zuhause. Heute lebt und arbeitet er in Merzenich bei Düren. 2013 veröffentlichte er das Buch „Mein Manheim—Ein Erinnerungsalbum“ und 2014 werden seine Fotos in einer Ausstellung im NRW-Landtag gezeigt. Weitere Fotoprojekte und Ausstellungen zu den Auswirkungen des Braunkohletagebaus in verschiedenen Städten folgten.