Publication Wirtschafts- / Sozialpolitik - International / Transnational - Globalisierung - China - Die Neuen Seidenstraßen Die Neue Seidenstraße

maldekstra #9: Über ein Megaprojekt, das Welt macht

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maldekstra

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common Verlagsgenossenschaft e.G. ,

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December 2020

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In der «Neuen Seidenstraße» spiegeln sich die Kämpfe der Gegenwart um wirtschaftliche Vormachtstellung und Alternativen zur Globalisierung.

Die «Seidenstraßen» sind ein großes Thema: Was planen die Chinesen denn da? Das kann doch nicht gut sein! Der westlich-wettbewerbsorientierte Blickwinkel konzentriert sich dabei auf geopolitische und wirtschaftsstrategische Aspekte. Welche Wirkungen die Infrastrukturprojekte in den rund 100 Staaten haben, die das Pekinger Projekt umfasst, und welche ökologischen, sozialen und politischen Wirkungen bestehen – solche Fragen gehen oft unter. Ebenso wie jene globalen Bewegungen, die für klimagerechte, soziale Veränderungen kämpfen und dabei nicht selten eine Position zu dem weltumspannenden Projekt «Neue Seidenstraße» finden müssen.

Versuch einer Annäherung

Diese Ausgabe befasst sich mit dem Thema «Seidenstraße». Mit einem Megaprojekt, das Welt macht und in dem sich die Kämpfe der Gegenwart um wirtschaftliche Vormachtstellung und Führungsanspruch in Sachen Globalisierung spiegeln. Es ist ein wichtiges Thema. Denn China ist zum einen Projektionsfläche für immer wieder aufgerufene Feindbilder, die einen autoritären Monsterstaat beschreiben, der mit der «Seidenstraße» seinen Machtanspruch gegenüber der ganzen Welt deklariert. Zum anderen steht die Frage im Raum, ob es überhaupt ein «kapitalistisches» Projekt ist – dieser Staatssozialismus mit Marktwirtschaft. Und welche Möglichkeiten sich eröffnen, wenn dem nicht so ist.

China schillert und ist schwer zu fassen. Ein Land, dessen Bevölkerung rund 1,4 Milliarden Menschen umfasst, in dem Minderheitenrechte wenig gelten und Opposition einen schweren Stand hat, dem es aber gelungen ist, die Armut im eigenen Land zu besiegen und sich als wirtschaftliche Weltmacht an die Spitze zu arbeiten. Die Geister scheiden sich an vielem, auch bei den Linken.

Diese Ausgabe beleuchtet die verschiedenen Perspektiven und ist der Versuch einer Annäherung an die Widersprüchlichkeit – jenseits der oft so redundanten Vereinfachungen und plakativen Bewertungen.

Die «Neue Seidenstraße» betrifft inzwischen rund zwei Drittel der Weltbevölkerung auf die eine oder andere Art und Weise und ist zunächst einmal ein gigantisches Handelsrouten- und Infrastrukturprojekt. Kapitalistisch bis in die Knochen, zugleich aber aufgrund einer vom chinesischen Staat effizient in die Tat umgesetzten Planwirtschaft geradezu konkurrenzlos. Die großen Investitionen im Rahmen des Projektes werden durch staatseigene Betriebe getätigt. Damit kann der Kapitalismus alter Schule, dem die Planwirtschaft als vermeintlich dichotomisches Gegenüber zur Marktwirtschaft ein Gräuel ist, nicht konkurrieren. Bislang. Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, brachte es mit folgendem Satz auf den Punkt: «Wir kommen gegen chinesische, vor allem staatliche Konkurrenten in vielen Bereichen weltweit nicht mehr an.» 

China – ideologisch verteufelt, zur Gefahr für die freie Marktwirtschaft stilisiert, als Gespenst einer neuen Weltmacht, die uns alle überrollen wird, an die Wand gemalt – zeigt mit der «Belt and Road Initiative» (BRI) dem Kapitalismus zugleich seine Grenzen wie auch die Möglichkeit einer Überlebensstrategie auf. Die BRI ist sowohl ein Hohelied auf die Globalisierung als auch ein Abgesang auf einen Kapitalismus, der den Staat und seine planwirtschaftlichen Eingriffe bislang höchstens als Wasserträger eigener Verwertungsstrategien geduldet, ihn aber bei jedem darüber hinausgehenden Zugriff in seine Schranken verwiesen hat.

Was des einen Feind, könnte doch des anderen Freund sein, ließe sich schlicht verfügen. Wenn die kapitalistischen Staaten alter Schule jammern, ist die BRI vielleicht ein gutes Projekt für globale Bemühungen und Kämpfe, die Welt besser zu machen. Wäre es so einfach, ließe sich hier Schluss machen.

Die Linke und die über den Begriff «links» hinausgehenden globalen Bewegungen gegen ein Wirtschaftssystem, das sich mit seinem hemmungslosen Wachstumsparadigma anschickt, den Planeten für Menschen unbewohnbar zu machen, sind sich ganz und gar nicht einig, ob China mit seinem weltumspannenden Megaprojekt geeignet ist, einen alternativen Entwicklungspfad einzuschlagen, ein besseres Ordnungsmodell gegenüber der realkapitalistischen Moderne und deren Folgen zu schaffen. Die Verunsicherung im Westen ist zugleich eine Verunsicherung der globalen antikapitalistischen Bewegungen. Die Kontroverse schlägt nicht nur schwer überbrückbare Schneisen, sie führt auch dazu, dass Proteste gegen die mit der BRI einhergehende Zuspitzung ökologischer und sozialer Verwerfungen nicht global sind. Sie finden hier und da statt, sind überlagert durch von Staats wegen ausgetragene nationalstaatliche Konflikte und lassen jene Bevölkerungen, die am Ende als Verlierer*innen dastehen werden, kaum zu Wort kommen. Hier liegt die Verantwortung linker Kritik und antikapitalistischer Bewegungen.

Die aber sind erst einmal gehalten und damit befasst, sich ein Verständnis davon zu erarbeiten, wie Chinas Aufstieg zu bewerten ist. Kann China als marktsozialistische Alternative und demzufolge als postkapitalistische Hoffnung betrachtet werden? Und wenn man es so betrachtet, käme dies komparatistischer Schönfärberei gleich? Ist doch China zudem ein großes demokratisches Defizit mit seinen Bestrebungen, im Land für eine Ordnung zu sorgen, die von Staats wegen als einzig richtige postuliert wird.

Seit den 1990er Jahren strebt China nach einer «ökologischen Zivilisation», was sich in seiner Umweltgesetzgebung niederschlägt. Von einem Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und ökologischer Nachhaltigkeit kann jedoch bei weitem noch nicht die Rede sein. Ein Bericht des World Wildlife Fund (WWF) besagt, dass von den durch die BRI weltweit geschlagenen «Korridoren» insgesamt 1.739 Schlüsselgebiete biologischer Vielfalt betroffen sein werden. Es ist mit einer verstärkten Umweltverschmutzung, mit der Ausbreitung invasiver Arten, dem Verlust von Lebensräumen, einer wachsender Nutzung fossiler Brennstoffe und mehr Treibhausgas-Emissionen zu rechnen. Trotzdem liegt in der BRI zumindest die Chance, dass China vor allem Weltmacht wird, indem es die Führungsrolle bei der Förderung von Nachhaltigkeit übernimmt.

Weder Verteufeln noch Schönreden sind geeignet, für diese Chance zu kämpfen. Global. Gemeinsam. Und klug. 

Kathrin Gerlof

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