Über die Camps könnten locker zehn Bücher geschrieben werden, eher mehr.« Christiane Leidinger war die Begeisterung für das Thema anzumerken, über das sie am Mittwoch abend im Bochumer Frauenarchiv »ausZeiten« referierte. Es ging um eine fast in Vergessenheit geratene Phase der feministischen Bewegung: die antimilitaristischen und feministischen Widerstandscamps im Hunsrück 1983 bis 1993.
Feministische Kritik am NATO-Doppelbeschluß zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in der BRD zu formulieren war das Ziel, als im Sommer 1983 zum ersten Mal Frauen in Reckershausen im Hunsrück zu einem Zeltlager zusammenkamen. Zehn weitere Camps mit unterschiedlichen Schwerpunkten folgten. Männern und der Presse war der Zutritt untersagt. Die Frauen übten vielfältige praktische Protestformen ein wie die Besetzung eines Baukrans, das Stürmen eines Militärgeländes, um Soldaten beim Waffentest zu stören. Die Folge waren Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs und groben Unfugs, Bußgelder und sogar Haftstrafen für Aktivistinnen.
Für jeweils insgesamt etwa sieben Wochen trafen sich in der Folge alljährlich etwa 2000 Frauen aus dem ganzen Bundesgebiet und aus den angrenzenden Ländern. Themen waren zu Beginn in erster Linie der Kampf gegen die Militarisierung der BRD-Außenpolitik, aber auch Sexismus und das Ausblenden feministischer Perspektiven in Alltagsdebatten. »Berufstätige Frauen verbrachten sogar ihren Sommerurlaub dort«, berichtete Leidinger. Sexualisierte Gewalt, Imperialismus, Faschismus, Ökologie und Konsumkritik waren weitere Themen. Im Laufe der Zeit gab es jedoch immer weniger Protestaktionen. Vielmehr schufen sich die Frauen im Hunsrück eine Art Schutzraum und die Möglichkeit von Austausch und Vernetzung.
Die Camperinnen kamen aus allen sozialen Schichten, die jüngsten waren Teenager, die ältesten um die 50. Dadurch kam es zwar zu heftigen Kontroversen, doch genau diese Vielfalt der Perspektiven war auch die Stärke der Treffen. Leidinger: »Im Hunsrück gab es ein gegenseitiges Kennenlernen von Frauen mit diametral entgegengesetzten Positionen«. Es habe dort, vor allem zu Beginn, eine starke feministische Bewegung gegeben, wie sie heute leider nicht mehr existiere, so die Politologin.
Leidinger übergab dem Archiv »ausZeiten« den »Nachlaß« der Camps, bestehend aus Flyern, Prozeßordnern, Dokumenten und Fotos sowie der 1983 im Hunsrück aufgenommenen Ton-Dia-Schau, die am 20. November im Schwulen Museum Berlin, Mehringdamm 61, im Rahmen des »Langen Tags der Lesbengeschichte (n)« gezeigt wird.
Von Mareen Heying, erschienen in jungeWelt, 5.11.2010