Für die rund elf Millionen Griechen endete mit den Parlamentswahlen am 6. Mai 2012 vorerst eine knapp siebenmonatige Zeit des Wartens auf einen erneuten Urnengang. Bereits 2009 wurde in Griechenland, welches zurzeit am schwersten von der Finanz- und Wirtschaftskrise im EURO-Raum betroffen ist, zu vorgezogenen Neuwahlen an die Wahlurnen gerufen.
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Zunächst ist festzuhalten, dass sich das griechische Parteiensystem mit den Parlamentswahlen 2012 weiter fragmentiert hat. Nach dem Machtverlust von PASOK im November 2011 und dem Eintritt der Partei in eine Große Koalition verließ ein großer Teil des linken PASOK-Flügels die Partei und schloss sich vornehmlich SYRIZA oder DimAr an. Beide Linksparteien hatten offensiv um die ausgetretenen oder ausgeschlossenen ehemaligen PASOK-Mitglieder geworben.
Zwar hatten die Sozialdemokraten mit herben Stimmenverlusten gerechnet, aber einen derart starken Einbruch hatten nur wenige Analysten im Vorfeld vermutet. PASOK verlor über 30 Prozent ihrer Stimmen im Vergleich zu den Wahlen 2009 und wurde nur noch drittstärkste Kraft, hinter SYRIZA.
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Es ist überraschend, dass SYRIZA derart stark, auf knapp 17 Prozent der Stimmen, zulegen konnte (2009: 4,6 Prozent). SYRIZA wurde vor allem in den urbanen Zentren des Landes überdurchschnittlich stark gewählt und kam sowohl in Athen, als auch in Thessaloniki auf Platz eins. Alle Umfragen hatten SYRIZA zuvor (nur) gute zwölf Prozent vorhergesagt und stattdessen die Demokratische Linke mit 17 Prozent vorne gesehen. Diese dürfte trotz ihres Einzuges in das Parlament ebenfalls als Wahlverliererin gelten. Sie erreichte lediglich sechs Prozent der Stimmen. Obwohl DimAr einer Koalition mit PASOK und ND zuvor eine strikte Absage erteilt hatte, ist diese Option nun nicht mehr gänzlich ausgeschlossen. DimAr dürfte vor allem wegen ihres uneindeutigen Kurses zwischen dem linken Lager und einer Positionierung nah an der PASOK in den letzten Tagen vor der Wahl an Wählervertrauen verloren haben.
Und so kann es durchaus sein, dass im Zuge der schwierigen Koalitionssuche in Griechenland bald wieder Neuwahlen ausgerufen werden und die guten Resultate der radikalen Linken damit wieder dahin wären. Interessant ist aber, dass es der griechischen Linken im Gegensatz zur Linken in Portugal gelungen ist – wie in Spanien der Izqierda Unida – von der Finanz- und Wirtschaftskrise wahlarithmetisch zu profitieren. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Erfolg kontinuierlich fortgesetzt werden kann, oder ob SYRIZA lediglich von einer aktuellen Proteststimmung profitieren konnte, die beim nächsten Mal einen anderen Adressaten finden wird.
Die KKE hingegen konnte ein respektables Ergebnis einfahren, welches aber mit rund neun Prozent der Stimmen vergleichbar mit den Ergebnissen der Partei seit dem Ende der Militärjunta ist. Damit scheint klar, dass die KKE mit ihrer radikalen (Verweigerungs)Haltung auf ein stabiles Wählerreservoir zugreifen kann – wie die Kommunistische Partei in Portugal auch, die ebenfalls als orthodox-dogmatisch gilt – aber keine neuen Wählerschichten mobilisieren kann. Ihr Wählermilieu liegt ausschließlich bei dem klassischen Industrieproletariat und in den strukturschwachen ländlichen Regionen.
Die Wahl der politischen Ränder und der Absturz der beiden Volksparteien zeigen aber vor allem, dass die Griechen nicht mehr bereit sind, den zahlreichen Spardiktaten aus Athen und Brüssel bzw. Berlin und Paris, weiter zu folgen. Zum zweiten ist mit dem Wählervotum auch deutlich geworden, dass die Zeiten der Alleinregierungen in Athen vorüber sind und die Wähler Koalitionsregierungen mehr Vertrauen schenken.
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Dominic Heilig, Diplom-Politikwissenschaftler aus Berlin analysiert aus Sicht der kandidierenden Linksparteien in unregelmäßigen Abständen Parlamentswahlen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Zuletzt erschienen von ihm Analysen der Parlamentswahlen in Spanien, Dänemark und Portugal. Mehr Informationen unter www.dominic-heilig.de