Publication Soziale Bewegungen / Organisierung - Demokratischer Sozialismus - International / Transnational - Amerikas Demokratie, Partizipation, Sozialismus

Lateinamerikanische Wege der Transformation. Manuskripte Bd. 96

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Series

Manuskripte

Author

Miriam Lang,

Published

June 2012

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Autorinnen und Autoren aus Bolivien, Ecuador und Venezuela analysieren, inwieweit der Machtwechsel dort effektiv zu mehr Demokratie und Partizipation geführt hat und welche konkreten Formen der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« in den letzten Jahren annimmt. Da Sozialismus in Lateinamerika nicht ohne die kubanische Erfahrung denkbar ist, befassen sich zwei Beiträge auch mit Lehren aus der jüngeren Geschichte der Insel.

Miriam Lang in der Einführung:

«Die progressiven Regierungen Lateinamerikas haben (nicht nur) in Europa zu Recht Begeisterung und neue Hoffnung ausgelöst. Sie sind seit Jahrzehnten die ersten Regierenden, die für ihre Länder etwas anderes im Sinn haben als systematische Ausplünderung im eigenen Interesse – wie sie die Eliten der lateinamerikanischen Oberschicht, die sich in den bisher etablierten Zweiparteiensystemen die Macht weiterreichten, historisch praktiziert haben. Die neuen, progressiven politischen Konstellationen haben für Millionen historisch Ausgeschlossener Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen gebracht – und diese in einem gewissen Ausmaß auch materiell konkretisiert. In der Tat haben sich Bolivien, Ecuador und Venezuela seit der linken Machtübernahme grundlegend verändert, einerseits symbolisch, aber in vielerlei Hinsicht auch praktisch. Bessere Gesundheitsversorgung, bessere Bildung, bessere Infrastruktur sind Stichworte, die exemplarisch für diese Veränderung stehen. Dies anzuerkennen, ist eine Sache. Denn in allen drei Ländern handelt es sich um sehr widersprüchliche und fragile Prozesse, in denen von verschiedenen Akteuren ständig um die Richtung gerungen wird, und die außerdem einem starken äußeren Feind gegenüberstehen. Wenn Solidarität nur die Staatsräson stärkt oder gar historische politische Bewegungen ignoriert bzw. zum Staatsfeind erklärt, trägt sie zur Schließung experimenteller Räume bei, die durch Kritik und Debatte entstehen, und damit zur Schwächung dieser Prozesse an sich.
In allen drei hier behandelten Ländern stehen genau diese Fragen auf der Tagesordnung. Die Beiträge von Dunia Mokrani, Pablo Ospina, Floresmilo Simbaña und Edgardo Lander legen hiervon Zeugnis ab. Sie behandeln die faktische Teilhabe sozialer Organisationen und Bewegungen an der Gestaltung der Prozesse, die Legitimität von Kritik oder ihre Unterdrückung, die Schließung politischer Räume zugunsten des Machterhalts, das schwierige Erbe einer politischen Kultur, die nach einer starken Führungsfigur verlangt, und eines Staates, der dazu einlädt, sein Gewaltmonopol und seine Regeln einfach gegen die politischen Gegner einzusetzen. Sie beschreiben auch, wie leicht die alte politische Kultur erfolgreich umgesetzte Veränderungen einfach wieder überwuchert. Diese äußert schwierigen Fragen ernst zu nehmen und angesichts der getroffenen Weichenstellungen im Sinn der Emanzipation Partei zu ergreifen, sich also in den inneren Widersprüchen zu engagieren, die in konkreten von links gesteuerten Prozessen auftreten, anstatt sich mit äußeren Labels zufriedenzugeben, ist meines Erachtens Grundvoraussetzung eines gelingenden Internationalismus.

[...]

Die Debatten, die hier angeregt werden, verstehen sich als Beitrag zu einer Vertiefung der Transformation des Weltsystems, die ohnehin ohne Verschiebungen im globalen Norden wenig Chancen hat. Das ist der Sinn von Reziprozität. Es geht um mehr als nur um voneinander zu lernen, es geht darum, im jeweils eigenen Kontext Transformationen voranzutreiben, die zueinander komplementär sind und dem Vormarsch des Rohstoff-Neokolonialismus Einhalt gebieten. Das geht nur aus einem tieferen Verständnis der Prozesse im Süden und ihrer Probleme heraus, zu dem dieses Buch beitragen möchte.»

Inhalt:

Miriam Lang:
Linke in Europa und Lateinamerika heute: Solidarität, Reziprozität und Internationalismus. Einleitung

Boaventura de Sousa Santos:
Plurinationalität – ein entscheidender Beitrag zur Demokratie

Eduardo Gudynas:
Buen Vivir. Das gute Leben jenseits von Entwicklung und Wachstum

BOLIVIEN

Raul Prada:
Kommunitärer Sozialismus und plurinationaler Staat

Dunia Mokrani:
Konfliktszenarien in der zweiten Amtszeit von Präsident Evo Morales

Patricia Chavez:
Die Kolonialität des Staates. Das Beispiel des plurinationalen Parlaments in Bolivien

ECUADOR

Pablo Ospina:
Politische und Wirtschaftsdemokratie in der Bürgerrevolution

Floresmilo Simbaña:
Ecuadors indigene Bewegung zwischen Langzeitstrategie und Tagespolitik

VENEZUELA

Andrés Antillano:
Volksmacht und Sozialismus im bolivarischen Prozess

Edgardo Lander:
Das venezolanische Dilemma: Staatszentrismus und Personenkult oder mehr Demokratie und Partizipation?

KUBA

Aurelio Alonso:
Von einem gescheiterten zu einem nachhaltigen Sozialismus

Boaventura de Sousa Santos:
Warum ist Kuba für die Linke zu einem schwierigen Problem geworden?

Miriam Lang arbeitet seit 2009 als Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Andenländer. Sie hat an der Freien Universität Berlin in Soziologie promoviert und hat lange als Publizistin und Übersetzerin zu lateinamerikanischen Themen gearbeitet. Sie ist seit den 1980er Jahren in internationalistischen Initiativen tätig und hat in Lateinamerika insbesondere mit Indigenen und Frauenorganisationen kooperiert. 2004 hat sie beim konkret-Verlag den Band »Salsa Cubana – Tanz der Geschlechter. Emanzipation und Alltag auf Kuba« herausgegeben.