Die Energiewende ist in aller Munde. Solardächer, Windparks und Biogasanlagen sollen in Zukunft die Stromversorgung klimaverträglich machen. Allerdings ist keineswegs ausgemacht, wie schnell der Umstieg auf erneuerbare Energien vollzogen wird oder wie ein regeneratives Energiesystem aussehen wird. Vor allem aber: Wer sind die gesellschaftlichen Träger eines solchen Transformationsprozesses hin zu einer Green Economy auf Seiten des Kapitals? In der Bundesrepublik ist dessen «grüne Basis» eine sich seit den 1980er Jahren aus dem ökoalternativen Milieu herausbildende neue Kapitalfraktion. Die etablierten kapitalistischen Strukturen, allen voran die oligopolistischen Stromkonzerne, standen ihr lange als Blockierende gegenüber. Erst mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das erstmals im Jahr 2000 verabschiedet wurde, konnten die Anbieter regenerativer Energien aus der Nische heraustreten und sich zu ernsthaften Konkurrenten entwickeln. Nun stellt sich die Frage, inwieweit auch die «fossilistischen» Großkonzerne ihre Strategien verändert haben, selbst grüne Ableger ausbilden und mit ihren alten zentralistischen Strukturen verbinden werden. Darüber hinaus: Welchen Einfluss hat die Europäische Union auf den Umbau der Energieversorgung. Wie gestaltet sich der Umbauprozess in anderen europäischen Ländern im Kontext der gegenwärtigen Krisensituation? Haben sich auch andernorts grüne Kapitalfraktionen etabliert? Und wenn ja, mit welchen Akteuren koalieren diese, um eine beschleunigte Transformation des Stromsektors herbeizuführen? Und auf welche Hindernisse stoßen sie dabei? [...]
In einem ersten Schritt werden wir zunächst die gesellschaftlichen und politisch-institutionellen Rahmenbedingungen der Energiepolitik in Europa skizzieren und darauf aufbauend die zentralen Akteure (Verbände und Unternehmen) vorstellen, die für den Sektor erneuerbare Energien eine Rolle spielen. Im Anschluss daran wird dessen ökonomische Basis anhand wesentlicher Kennzahlen, der Struktur der Branche und ihrer Weltmarktposition veranschaulicht und auf aktuelle Konflikte um den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, im Besonderen der Wind- und der Solarenergie, im Kontext der multiplen Krise eingegangen. Die neuen Unternehmen der regenerativen Energiewirtschaft und ihre gesellschaftlichen UnterstützerInnen werden in der Studie als grüne Koalition bezeichnet, das Netzwerk der etablierten Energiekonzerne, die sich vor allem auf fossile und nukleare Energieerzeugungsstrukturen stützen, als graue Koalition.
Da es sich bei der Energiepolitik in Europa um ein nur rudimentär integriertes Politikfeld handelt, ist in Bezug auf den politisch-regulatorischen Rahmen die nationalstaatliche Ebene von entscheidender Bedeutung, wobei zugleich eine verstärkte Transnationalisierung der Energiekonzerne zu verzeichnen ist (De Graaff 2011: 27; Schülke 2010: 9). Von daher wird die Analyse der europäischen Kapitalfraktionen und Regulationsmodi um drei Länderstudien ergänzt, die jeweils dem für die europäische Ebene entwickelten Analyserahmen folgen.
Wir beginnen mit der Darstellung der Entwicklungen in Deutschland. Mittels des 2000 in Kraft getretenen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) fand ein starker Zubau im regenerativen Energiesektor statt, sodass die grünen Kapitalfraktionen einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren haben. In Reaktion auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Nuklearkatastrophe von Fukushima rief die Bundesregierung die Energiewende aus. Auch wenn sich gegenwärtig zahlreiche Unternehmen aus der Solarbranche in der Krise befinden, beginnen sich in Deutschlands Energiesektor in der gegenwärtigen Konstellation am ehesten Elemente eines grünen Kapitalismus abzuzeichnen.
Spanien hat einen sehr ähnlichen Weg wie Deutschland eingeschlagen. Beide Länder haben im Jahr 2004 gemeinsam die International Feed In Cooperation gegründet. Auch in Spanien hat ein starker Zubau erneuerbarer Energien stattgefunden, wobei im Gegensatz zu Deutschland dort von Anbeginn die großen Stromkonzerne Endesa und Iberdrola auf dem Markt vertreten waren. Allerdings ist die Position der Unternehmen der regenerativen Energiewirtschaft im spanischen Energiesektor prekär, da die konservative Regierung im Zuge der angestrebten Verringerung des Haushaltsdefizits 2012 ein Moratorium für die Förderung aller erneuerbaren Energien beschlossen hat.
Die dritte Fallstudie beschäftigt sich mit der Entwicklung grüner Kapitalfraktionen in Großbritannien, das trotz ambitionierter klimapolitischer Zielsetzungen bislang wenig erneuerbare Energien zugebaut hat. Allerdings ist das Land im Bereich der Offshore- Windenergie weltweit führend. Diese wird von den großen Energiekonzernen kontrolliert. Im Gegensatz zu Deutschland und Spanien hat der britische Staat nicht auf ein Einspeisevergütungsmodell gesetzt, sondern mit einer Quotenregelung in Verbindung mit Grünstromzertifikaten den Ausbau erneuerbarer Energien forciert. Im Jahr 2010 wurde zwar eine Einspeisevergütung für Solarstrom beschlossen, die Förderung wird zurzeit jedoch ähnlich wie in Deutschland erheblich zurückgefahren.
Inhalt:
Einleitung
1 Europa
- 1.1 Gesellschaftlich-politischer Kontext
- 1.2 Zentrale Akteure
- 1.3 Ökonomische Entwicklungen
- 1.4 Aktuelle Konflikte
2 Deutschland
- 2.1 Gesellschaftlich-politischer Kontext
- 2.2 Zentrale Akteure
- 2.3 Ökonomische Entwicklungen
- 2.4 Aktuelle Konflikte
3 Spanien
- 3.1 Gesellschaftlich-politischer Kontext
- 3.2 Zentrale Akteure
- 3.3 Ökonomische Entwicklungen
- 3.4 Aktuelle Konflikte
4 Großbritannien
- 4.1 Gesellschaftlich-politischer Kontext
- 4.2 Zentrale Akteure
- 4.3 Ökonomische Entwicklungen
- 4.4 Aktuelle Konflikte
5 Fazit und Ausblick: Austeritätspolitik versus ökologische Modernisierung
Literatur
Autoren:
Tobias Haas ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen und promoviert zum Thema «Ausbau erneuerbarer Energien in Europa unter Krisenbedingungen».
Hendrik Sander ist Sozialwissenschaftler und lebt in Berlin. Er promoviert zum Thema «Energiewende in Deutschland» und engagiert sich bei Attac und FelS (Für eine linke Strömung). Von ihm ist in der Reihe Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits erschienen: Reclaim Your Public Transport. Linke Kampagnen für einen sozial-ökologischen öffentlichen Nahverkehr (Standpunkte 30/2010: AUTO.MOBIL.ALTERNATIVEN).