Hunderttausende demonstrierten am 9. April 2013 in Bogotá für Frieden. Ursprünglich hatten die Bewegung Marcha Patriótica und die Partei Progresistas des links orientierten Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt, Gustavo Petro, zu der Demonstration aufgerufen. Später schlossen sich die Grünen, Basisorganisationen wie der Congreso de los pueblos («Kongress der Völker») und am Ende selbst der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos an. Es entstand ein ungewöhnlich breites Bündnis, das alle politischen Strömungen des Landes aufforderte, ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Die Mobilisierung war ein Symbol dafür, dass die Bevölkerung die im November 2012 in Havanna aufgenommenen Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla unterstützt und stand im Zeichen des Gedenkens an die Opfer. Fand die Demonstration doch am Jahrestag des Attentats auf Jorge Eliecer Gaitán im Jahr 1948 statt, das als Ausgangspunkt des jahrzehntelangen Konflikts gesehen wird.
Von links wurde Präsident Santos Opportunismus vorgeworfen. Aus seiner Unterstützung hat er tatsächlich politisches Kapital gezogen. Kurz nach der Demonstration am 9. April schlug er vor, sich für zwei Jahre wiederwählen zu lassen und generell die Wahlperiode von vier auf sechs Jahre zu verlängern. Alleine die Rechtsaußenströmung um Expräsident Alvaro Uribe skandalisierte die Massendemonstration in den Medien als Rehabilitierung von Terroristen. Die Demonstration wirft ein Licht darauf, wie sehr sich Kolumbien verändert hat. Noch im Jahr 2008 hat die Oligarchie zu einer Massendemonstration gegen die FARC-Guerilla aufgerufen. Wo damals absolute Polarisierung und Militarismus vorherrschten, existiert heute zumindest eine Möglichkeit des Dialogs und der Verhandlung.
Wenige Wochen später, vom 18. bis zum 22. April, tagte in der staatlichen Universität der Hauptstadt der nationale Kongress für den Frieden. Eingeladen hatte der Congreso de los pueblos. Die plurale linke Basisströmung geht auf eine Initiative von Indigenen aus dem Südwesten Kolumbiens im Jahr 2008 zurück. Der Congreso versteht sich als ein Parlament von unten und hat in den vergangenen Jahren bereits zu mehreren Themen sogenannte Mandate verabschiedet. Darin kommt etwa in der Landfrage der gemeinsame politische Wille der versammelten Basisorganisationen zum Ausdruck ausdrücken, der in den einzelnen Regionen Kolumbiens von ihnen so gut wie möglich in die Praxis umgesetzt wird. Der Congreso hat eine hohe Form von Partizipation entwickelt, die sich stark an kommunitären Demokratieformen orientiert, und versammelt meist mehrere Tausend TeilnehmerInnen.
In Bogotá nahmen Delegationen von Bäuerinnen und Bauern, Studierenden, Arbeiterinnen und Arbeitern, Indigenen, Schwarzen und Frauenorganisationen aus fast allen Teilen des Landes zu Tausenden den Universitätscampus in Besitz. Angesichts des sintflutartigen Regens wurde in den Gängen der Universitätsgebäude gezeltet oder unter großen Festzelten, die je einer Region oder Delegation zugeordnet waren. Gekocht wurde in Gemeinschaftsküchen, die lediglich mit Plastikplanen vor den Wassermassen geschützt waren. Die TeilnehmerInnen hatten sich zum Ziel gesetzt, mit allen gesellschaftlichen Sektoren einen Friedensprozess zu erdenken, der soziale Gerechtigkeit schafft und die große gesellschaftliche Vielfalt Kolumbiens berücksichtigt.
Die Friedensverhandlungen in Havanna wurden lediglich bis Mitte Januar von einem einseitigen Waffenstillstand der FARC-Guerilla begleitet. Seitdem gibt es heftige militärische Auseinandersetzungen. In Havanna steht ein Fünfpunktekatalog auf dem Programm, der die Themen ländliche Entwicklung, politische Partizipation, Ende des Konflikts, Beendung des Problems illegaler Drogen sowie Opfer und Wahrheit umfasst und ausschließlich zwischen den Verhandlungsparteien festgelegt wurde. Um sich über den Ablauf der Verhandlungen im fernen Kuba zu informiere, ist die Bevölkerung im Grunde auf die Berichterstattung der Medien angewiesen.[1] Bisher fehlen am Verhandlungstisch zwei weitere Guerillabewegungen, das nationale Befreiungsheer ELN und das Volksbefreiungsheer EPL. Mit dem ELN wird die Regierung jüngsten Informationen zufolge ab Mitte Mai einen parallelen Verhandlungsprozess aufnehmen.[2]
Mangelnde demokratische Beteiligung und mangelnde Transparenz im Verhandlungsprozess ist einer der Gründe, warum der Congreso de los Pueblos sich mit dem Friedenskongress in diesem Prozess zu Wort gemeldet hat. Daneben besteht die Befürchtung, dass zwar ein formaler Frieden erklärt wird, er jedoch die sozialen und politischen Ursachen des Konflikts nicht beseitigt. In der Abschlusserklärung des Kongresses heißt es: «Wir gehen davon aus, dass ein sozial gerechter Frieden eine Angelegenheit der gesamten Bevölkerung Kolumbiens ist. Deshalb haben wir, knapp 20.000 Personen, uns hier zum nationalen Friedenskongress versammelt, um Mandate rund um eine Agenda zu erlassen. (…) Wir glauben immer noch fest, dass der Frieden nicht nur darin besteht, lediglich die Gewehre zum Schweigen zu bringen. (…) Wir sind der Ansicht, dass der Frieden nicht ohne die Teilhabe der unteren Bevölkerungsschichten aufgebaut werden kann, die wir den Krieg erlitten haben. Wir unterstreichen, dass der Ausgang des bewaffneten Kampfs nicht nur der Regierung und den Aufständischen obliegt, sondern dass wir unteren Bevölkerungsschichten ebenso viel zum Friedensaufbau beizutragen haben. Wenn die Konsolidierung einer demokratischen Gesellschaft eine Bedingung für die Beendigung des bewaffneten Konflikts ist, dann ist es notwendig, zunächst die Suche nach dem Frieden selbst zu demokratisieren.»[3]
In Bogotá wurde in Arbeitsgruppen debattiert, wie ein Kolumbien nach dem Friedensschluss aussehen soll: Soziale Umverteilung, die Neuerfindung der Politik, eine strukturelle Justizreform, kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung, eine integrale Agrarreform, aber auch die Rücknahme von Landkonzessionen an ausländische Konzerne und von Landgrabbing, die komplette Rückverstaatlichung des Ölkonzerns ECOPETROL und die Verstaatlichung des Bergbaus, sowie das Aufkommen für die durch diese Formen des Ressourcenabbaus verursachten Umweltschulden sind einige Schlaglichter auf das verabschiedete Programm. Ferner wird dringend ein beidseitiger Waffenstillstand gefordert sowie eine Wahrheitskommission. Außerdem sollen die politischen Gefangenen freigelassen und dezentrale Verhandlungskommissionen auf regionaler und lokaler Ebene mit Guerilla, Staatsvertretern und den Gemeinden vor Ort eingerichtet werden. Die TeilnehmerInnen des Kongresses verpflichten sich ferner, weiterhin aktiv in der Ruta Social Común para la Paz mitzuarbeiten, einem Bündnis, das Congreso de los Pueblos, Marcha Patriotica und andere linke Strömungen in dieser Friedens vereint. Die bloße Existenz eines solchen Bündnisses ist für die gewöhnlich stark zersplitterte kolumbianische Linke ein wichtiger Schritt.
Internationale Gäste aus El Salvador, Guatemala und Südafrika, teils mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung angereist, berichteten von ihren Erfahrungen mit ähnlichen Friedensprozessen. Ihre Bilanz fiel stark ambivalent aus: «In Südafrika haben wir viel zu sehr darauf vertraut, dass alles gut werden würde, wenn der ANC erst einmal an der Regierung wäre. Dann waren wir an der Regierung, sahen uns einem weißen bürokratischen Apparat gegenüber, den wir aufgrund der Friedensverträge nicht entlassen durften, und konnten viel weniger ändern als notwendig gewesen wäre», so Judy Seidman von der Khulumani Support Group.
Die relativ geringe Aufmerksamkeit der offiziellen kolumbianischen Medien steht im Widerspruch zur großen Zahl der Teilnehmenden. Alleine über den nationalen Dialog für den Frieden, der am letzten Kongresstag stattfand, und an dem alle drei aktiven Guerillabewegungen per Schrift- oder Videobotschaft sowie Vertreter der Regierung und der Vereinten Nationen teilnahmen, wurde in den Medien berichtet. Der Kongress endete mit einer Demonstration in die Innenstadt.
Miriam Lang ist Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito, Ecuador.
[1] Im Dezember 2012 riefen die Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen UNDP und die Nationaluniversität zu einem breiten Forum auf, um die Inhalte des ersten Verhandlungsthemas zu debattieren. Ende April soll nun ein ähnliches Forum zum zweiten Thema stattfinden – die Ergebnisse sollen den Verhandlungsparteien in Havanna zugänglich gemacht werden. Das war bisher die einzige Initiative für eine breitere Beteiligung.
[2] Siehe www.elespectador.com/noticias/paz/articulo-417571-dialogos-de-paz-el-eln-empezarian-mayo
[3] Für den gesamten Text siehe: www.congresodelospueblos.org/index.php/comunicados/296-declaracion-final-del-congreso-para-la-paz