Publication Gesellschaftstheorie - Gesellschaftliche Alternativen «Befreiung auf dem Standpunkt der Theorie, welche den Menschen für das höchste Wesen des Menschen erklärt»

Marx und Engels über die weltgeschichtliche Rolle des Proletariats. Ein Rezeptionsversuch von Walter Rösler, Manuskripte Neue Folge 12.

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Series

Manuskripte

Author

Walter Rösler,

Published

December 2014

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In meiner Studie möchte ich versuchen, die Herausbildung der wirklichen Auffassung von Marx und Engels über die weltgeschichtliche Rolle des Proletariats in jenen Jahren zu verfolgen, in denen sie entstanden ist und bis 1848 zum archimedischen Punkt ihrer neuen Anschauungsweise in Gestalt einer Hypothese von einiger Evidenz entwickelt werden konnte. Sie steht im Gegensatz zur «Lehre» von der «historischen Mission der Arbeiterklasse», die diese Klasse überdies nur «unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei» verwirklichen könne.

Die von Marx und Engels erarbeitete Hypothese wurde nicht etwa philosophisch deduziert oder gar normativ proklamiert, sondern aus dem nüchternen Studium der zweiten Produktivkräfterevolution in der Menschheitsgeschichte und ihrer Auswirkungen, also der widersprüchlichen Dynamik bürgerlicher Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise, des existierenden Proletariats, seiner Genesis, seiner Entwicklung, seiner konkreten Lage, und seiner – gerade in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts lebhaften und da und dort revolutionär-aufständischen – Selbstbewegung sowie seiner damaligen Bestrebungen abgeleitet. Es begann frühestens 1839, als Engels in den «Briefen aus dem Wuppertal» die Lage von Proletariern und die Haltung der Unternehmer schilderte. Es endete mit der im «direkt für die Arbeiter bestimmten ‹Manifest›» (14:449)1 enthaltenen, gekürzten und vereinfachten Zusammenfassung der bis dahin erarbeiteten Erkenntnisse über die weltgeschichtliche Rolle des Proletariats.

Abgesehen davon, daß es auch zu partiellen Irrtümern und Fehlschlüssen kommen mußte, impliziert die Marxsche Hypothese vor allem folgenden Widerspruch:

Einerseits die – auf destruktive Züge der kapitalistisch pervertierten Produktivkräfterevolution, auf akute Widersprüche der neuen bürgerlichen Gesellschaft, auf ihre geschichtlich unbekannt gewesene Krisenhaftigkeit von Anfang an, auf die akuten Ursachen heftiger proletarischer Widerstandsaktionen und Aufstände in den 1840er Jahren und auf proletarische Proteste und Emeuten mit utopisch-sozialistischen oder
kommunistischen Bestrebungen gestützte – Naherwartung proletarischer Revolutionen, vor allem 1848/50 und bis zum Ende der 1850er Jahre.

Andererseits und im Gegensatz dazu die von Marx und Engels erkannten menschheitsgeschichtlich weitest ausgreifenden Begründungszusammenhänge und Erwartungshorizonte in dieser Hypothese, vor allem die entscheidenden und erstaunlich genialen Erkenntnisse über die Potenzen und Konsequenzen der großen Industrie und über unerläßliche weltumfassende Voraussetzungen der von Marx prognostizierten «gewaltigsten Revolution aller Zeiten» (13:470), die zum Übergang von der Vorgeschichte zur eigentlichen Geschichte der Menschheit führen würde (vgl. 13:8). Das waren jedoch Voraussetzungen, die zu Marx’ und Engels’ Lebzeiten bei weitem noch nicht reif oder gar überreif, sondern gerade im ersten Entstehen begriffen waren. Marx und Engels haben sich in der Erwartung der Revolution aus noch zu klärenden
Gründen nicht um Jahre und Jahrzehnte, sondern mindestens um ein bis zwei Jahrhunderte verschätzt.