Wie keine andere Organisation steht Attac in Deutschland für die Kritik an Globalisierung und Neoliberalismus. [...] Zeitweise konnte Attac den gesellschaftlichen Block der anti-neoliberalen Kräfte anführen, fungierte dabei in gewisser Weise als Dachorganisation globalisierungskritischer Initiativen und Institutionen und übernahm eine Scharnierfunktion zwischen Verbänden, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und radikaleren Bewegungen. [...]
In den letzten Jahren hat das Netzwerk Attac seine Rolle als Kristallisationspunkt von Protestbewegungen jedoch zusehends verloren. Für den deutschen Kontext verkörperten die Proteste gegen die G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm den Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung. Zugleich markierten sie das Ende der Bewegung in ihrer ursprünglichen Form und ihre Transformation in neue Protestansätze. Seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2007 machten sich paradoxerweise bei der Organisation selbst Krisenphänomene bemerkbar, obwohl die ökonomische Krise eines ihrer ureigenen Themen anspricht. So ziehen sich ehemals aktive Mitglieder vom Aktivismus zurück oder verlassen die Organisation ganz. Dadurch gehen ihr nicht nur politische Talente verloren; sie erlebt vor allem auch einen intellektuellen Aderlass. Die verbleibenden Kräfte streben zunehmend auseinander. Es mangelt an einem gemeinsamen Verständnis, was die spezifische politische Rolle und das eigene Profil von Attac ist. Die öffentliche Aufmerksamkeit geht zurück, der Brennpunkt der Protestszene verschiebt sich. [...]
Doch wer daraus die Konsequenz zieht, vorschnell das Ende von Attac zu prophezeien, dürfte sich irren. Mit den GlobalisierungskritikerInnen ist weiterhin zu rechnen. Die Zahl der passiven Fördermitglieder steigt beständig an, aktuell liegt sie bei knapp 30.000. In etwa 170 Lokalgruppen und zahlreichen bundesweiten Arbeitsgruppen (AGs) engagieren sich circa 2.000 Attac-Aktive ganz praktisch für Alternativen zur neoliberalen Globalisierung. Keine andere linke Bewegungsorganisation in Deutschland verfügt über eine derartig breite soziale Verankerung. Hier leistet Attac wichtige politische Arbeit in den verschiedenen Themenfeldern und an zahlreichen Orten. Die Stimme der GegnerInnen des Neoliberalismus hat immer noch Gewicht – in Bündnissen und in der Öffentlichkeit. Aktuell kann das Netzwerk seine Stärken wieder in der Bewegung gegen die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, TiSA und CETA zeigen und erlebt einen neuen Aufschwung. In Attac steckt noch viel Potenzial, das es durch einen inneren Erneuerungsprozess und unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entfalten könnte.
HENDRIK SANDER ist freiberuflicher Politikwissenschaftler und lebt in Berlin. Seine Themenschwerpunkte
sind marxistische Hegemonie- und Staatstheorie, Transformationsstrategien, soziale Bewegungen, gesellschaftliche Naturverhältnisse und Energiepolitik. Er ist aktiv bei Attac und der Interventionistischen Linken. Vom Autor ist in der Reihe Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits erschienen: «Grüne Basis». Grüne Kapitalfraktionen in Europa – eine empirische Untersuchung (zusammen mit Tobias Haas, Februar 2013).
Inhalt:
1 Einleitung
2 Grundlagen: Wer ist Attac Deutschland?
- 2.1 Wie alles anfing
- 2.2 Politische Verortung
- 2.3 Die Entwicklung der Organisation Attac von den Anfängen bis heute
- 2.4 Elemente einer Krise – die aktuelle Situation von Attac
3 Hauptteil: Stärken und Probleme der Organisation Attac
- 3.1 Die Aktiven
- 3.2 Die soziale Zusammensetzung
- 3.3 Motivationen zu kommen, zu bleiben und zu gehen
- 3.4 Die Kommunikationskultur
- 3.5 Politische Strömungen innerhalb von Attac
- 3.6 Die Rolle des Konsensprinzips
- 3.7 Die Lokalgruppen
- 3.8 Das Verhältnis zwischen Lokalgruppen und Bundesebene
- 3.9 Die internationale Vernetzung von Attac
- 3.10 Die bundesweiten Gremien und Arbeitszusammenhänge
- 3.11 Assoziierte Institutionen im Attac-Kosmos
- 3.12 Machtstrukturen bei Attac
- 3.13 Zur politischen Handlungsfähigkeit: Attac zwischen NGO und Bewegung
- 3.14 Inhaltliches Profil I: Fokussierung und Themenvielfalt
- 3.15 Inhaltliches Profil II: Die politische Praxis der Arbeitsgruppen und Kampagnen
- 3.16 Die Rolle in der Zivilgesellschaft
- 3.17 Der gesellschaftliche Einfluss
- 3.18 Die widersprüchliche Wahrnehmung von Attac
- 3.19 Der Beitrag zu realpolitischen Erfolgen
4 Synthese: Gegenwart und Zukunft der GlobalisierungskritikerInnen
- 4.1 Bestandsaufnahme
- 4.2 Grundlagen eines Reformprozesses
- 4.3 Konkrete Handlungsempfehlungen
Literatur