Publication Geschichte - Deutsche / Europäische Geschichte Die Regierung Modrow - Utopien, Chancen und Grenzen eines historischen Versuchs

Beitrag von Siegfried Prokop zum RLS-Symposium «20 Jahre nach der Modrow-Regierung» (17.11.2009, Berlin).

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November 2009

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Die bedeutendste bisher vorliegende Publikation zur Regierungszeit von Hans Modrow veröffentlichte der im Jahre 2007 verstorbene Politikwissenschaftler der Universität Lüneburg Uwe Thaysen. Er legte im Jahre 2000 die Wortprotokolle aller 16 Sitzungen des Runden Tisches vor.

Eine erste Untersuchung zur Modrow-Regierung bewertete den Grundzug damaliger Entwicklungen als „Implosion“. Es ist dies die Monographie von Gabriele Lindner. Stefan Bollinger kam in seinen Publikationen über das Jahr 1989 zu der Schlussfolgerung, dass eine „abgebrochene Revolution“ zu verzeichnen gewesen sei. In der wissenschaftlichen Literatur werden noch manch andere Sichtweisen angeboten, die insgesamt nur belegen, wie sehr die Forschung noch am Anfang steht.

Die Akten der Regierung Modrow sind seit 2007 erschlossen. Sie stehen zur Benutzung im Bundesarchiv bereit. Im Findbuch DC 20; Bd. 115, Teil 1, kann jeder sich selbst den Weg zu den Quellen bahnen. Auch Bestände des Archivs der Linkspartei sind zu berücksichtigen, die für die Zeit 1989/90 teilweise schon ediert sind. Wir sollten aber nicht zu optimistisch sein. Mit einer schnellen und gründlichen Erforschung der Archivbestände ist nicht zu rechnen.

Aber es kann davon ausgegangen werden, dass die Erforschung dieser „kurzen, aber geschichtlich wichtigen Periode“ begonnen hat. Dem Historiker, der sich mutig ans Werk macht, wird dabei hilfreich sein, dass Repräsentanten der Regierung Modrow wie Hans Modrow selbst und auch Christa Luft ihr Zeitzeugenwissen umfangreich und nachdrücklich dokumentiert haben. Ebenso hinterließen Egon Krenz, Günter Maleuda und Manfred Gerlach ihre Erinnerungen an den Herbst 89 und zur Rolle von Staatsrat und Volkskammer in der Zeit der demokratischen Volksbewegung.

Sicher wird auch das heutige Symposium einen Impuls für die weitere Forschung vermitteln. Für die Traditionspflege im linken Milieu dürften Fortschritte in dieser Richtung von Bedeutung sein, schließlich barg die Zeit der Regierung Modrow einen ersten, marginalen Ansatz in Richtung zu einem demokratischen Sozialismus.

Der Start der Regierung Modrow stand unter keinem günstigen Stern. Politische Dilettanten des ancien Regime hatten mit der unklug eingefädelten Maueröffnung jeglichen Neuanfang in eine Zwangslage gebracht, die nichts Gutes verhieß und keine Zeit ließ, über den weiteren Gang der Dinge lange nachzudenken. Das ganze Dilemma der DDR offenbarte sich dem Ministerpräsidenten Modrow bei dessen Regierungsantritt. Das Industrieland DDR hatte sich unter dem Stichwort „Importablösung“ aus der internationalen Arbeitsteilung zunehmend abgekoppelt. Die DDR hatte gegenüber westlichen Ländern Nettoschulden in Höhe von etwa 14 Mrd. Dollar, wie auf der Basis der Angaben von Gerhard Schürer damals angenommen wurde. Sie waren, wie die Bundesbank bald herausfand, niedriger. Die Verschuldung war also nicht so hoffnungslos, dass allein deshalb die Existenz der DDR hätte aufgegeben werden müssen.

Die am 17. November stattfindende 12. Tagung der Volkskammer nannte als wichtigsten Tagesordnungspunkt die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Modrow schlug nach Konsultation mit den Parteien - SED, CDU, DBD, LDPD und NDPD - der Volkskammer eine Regierung der Koalition, eines neu verstandenen kreativen politischen Bündnisses vor. Als wichtigste Aufgabe sah der Ministerpräsident an, die Wirtschaft aus der Krise zu führen. Bei der Umgestaltung des politischen Systems ging es ihm vor allem um die Verwirklichung von Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit. Modrow griff damit über das deutlich hinaus, was Egon Krenz als „Wende“ angeboten hatte. Wesentlich war auch, dass sich Modrow in der nationalen Frage einen ganzen Schritt weiter bewegte als Krenz. Er schlug eine neue Stufe der Beziehungen zwischen DDR und Bundesrepublik vor: „Wir sind dafür, die Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten durch eine Vertragsgemeinschaft zu untersetzen, die weit über den Grundlagenvertrag und die bislang geschlossenen Verträge und Abkommen zwischen beiden deutschen Staaten hinaus geht.“ Aber über ein radikales Reformkonzept, das eine gangbare Alternative zur Sackgasse des realen Sozialismus bot, verfügte auch Modrow nicht. Modrow gestand dies offen ein: „Die offizielle Forschung an den wissenschaftlichen Einrichtungen der SED hatte für tiefgreifende Reformen nichts zu bieten... In kürzester Zeit, in Tag- und Nachtarbeit, musste die Regierungserklärung entworfen und mit allen Koalitionspartnern abgestimmt werden.“ Die weiteren Enthüllungen über Machtmissbrauch und Korruption der SED-Führungsspitze sowie von SED-Bezirks- und Kreissekretären beschleunigten den schon begonnenen Zerfallsprozess dieser Partei. Hatte die SED im Oktober etwa 200 000 Mitglieder verloren, so waren es im November schon 300000 . Bis Februar verließen nochmals über eine Million Mitglieder die SED/PDS. Gabriele Lindner spitzte in ihrer Monographie die Frage um die weitere Rolle der SED auf markante Weise zu: „Jeder Reformversuch, der nicht schon das praktizierte Parteimodell aufkündigte, war Ende 1989 wertlos.“

Ende November war der Demokratische Block zerfallen. Die Aufhebung der „führenden Rolle“ der SED durch die Volkskammer am 1. Dezember 1989 auf Antrag aller Fraktionen hatte bereits zum stillschweigenden Ende des Kadernomenklatursystems der SED geführt. Auch unter dem Druck der Strasse kam es zum „Beschluss über Grundsätze zur Besetzung ausgewählter Leitungsfunktionen in den Staatsorganen durch den Ministerrat“ vom 8. Februar 1990. Dieser Beschluss setzte die „Ordnung für die Arbeit mit der Kadernomenklatur des Ministerrates“ von 1977 und die Kadernomenklatur des Ministerrates von 1987 außer Kraft. Die SED hatte ihr Machtmonopol verloren. Hans Modrow, der auch Mitglied im letzten Politbüro der SED war, hatte auf Trennung von Partei und Regierung bestanden. Darüber äußerte Modrow im Rückblick: „Es gab in der gewiss kurzen, aber doch sehr ereignisreichen Zeit meiner Zugehörigkeit zum Politbüro der SED keinen persönlichen Meinungsaustausch mit Egon Krenz. Von meiner Seite aus gab es keine Initiative, ich wollte mir so schnell wie möglich meine Eigenständigkeit als Ministerpräsident schaffen und diese auch unter allen Umständen bewahren.“ Diese Position von Modrow war goldrichtig. Krenz blieb auf das alte, längst überlebte Parteimodell fixiert. Welche komischen Formen dies annahm, wurde im Entstehungsprozess des Runden Tisches sichtbar. Bereits am 22. November 1989 hatte das Politbüro im Tagesordnungspunkt 2 eine Orientierung erarbeitet, die im Beschlussprotokoll unter Punkt 8 fixiert wurde: „Das Politbüro hält es in Verbindung mit der Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages für geboten, den Vorschlag zu unterbreiten, dass die in der Koalitionsregierung vereinten politischen Parteien sich gemeinsam mit anderen politischen Kräften des Landes an einem ‚Runden Tisch’ zusammenfinden. Dort könnten die Vorstellungen über das neue Wahlgesetz, die Durchführung freier Wahlen und eine Verfassungsreform sowie andere Fragen erörtert werden. Die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen sind per Fernschreiben über diesen Vorschlag zu informieren.“ Die Festlegung des Politbüros und die nachfolgende Interpretation im Zentralorgan „Neues Deutschland“ als „Anregung der SED“ entbehrten nicht einer gewissen Komik, wurde doch dieser wesentliche Schritt zum vollständigen Machtverlust mit der Weihe der „führenden Rolle“ umgeben. Das Politbüro war bereits zu einem vergessenen Organ des gesellschaftlichen Geschehens geworden. Modrow tat recht, seine Regierung nicht mehr mit diesem unzeitgemäßen Gremium zu belasten.

Der Sonderparteitag im Dezember 1989 führte weg von der alten SED und hin zur SED-PDS, deren weitere Profilierung nach vorn offen war. Michael Schumann sprach einen Satz, der schon seit 1956 überfällig war: „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.“

Der Sonderparteitag entschied gegen die Rücktrennung in SPD und KPD. Zurecht warf Manfred Uschner die Frage auf: „Eine saubere Trennung der zwei Parteien in der ‚Einheitspartei’ hätte sicher eine starke Ost - SPD als legitime Interessenverstreterin eines großen Teiles der ostdeutschen Bürger hervorgebracht. Sie hätte von größerer Bedeutung als die SED/PDS und vor allem die SDP sein können.“ Selbstverständlich war diese Frage vor allem auch ein Problem der SPD, die sich gegen die oppositionellen Kräfte in der SED stellte und für die überwiegend von jungen, sektiererischen Pfarrern am 7. Oktober 1989 in Schwante gegründete SDP als alleinigen politischen Partner in der DDR entschied. Diese Entscheidungen im Dezember 1989 waren schwerwiegend. Sie sind wesentlich verantwortlich für die nachfolgenden politischen Niederlagen der linken Kräfte in Deutschland.

Der Politiker, der die qualitativ neue Situation im Verhältnis der beiden deutschen Staaten sofort und trotz anfänglichen heftigen Widerspruchs der SPD erkannte, hieß Helmut Kohl. Sein Stern war, wie die Landtagswahlen nach der Barschel- Affäre gezeigt hatten, bereits im Sinken begriffen. Jetzt bot sich für den Kanzler eine geschichtliche Chance. Am 28. November 1989 unterbreitete er dem Bundestag ein Zehn- Punkte - Programm, das an Konföderationsvorschläge der DDR in der zweiten Hälfte der 50er Jahre und an Modrows Vorschlag für eine Vertragsgemeinschaft beider deutscher Staaten anknüpfte.

Der gesamte Prozess war auf etwa ein Jahrzehnt angelegt. Die beiden deutschen Staaten würden in dieser Zeit gleichberechtigte Partner sein.

Lediglich im Punkt 10 ging Kohl einen Schritt weiter: „Mit dieser umfassenden Politik wirken wir auf einen Zustand des Friedens in Europa hin, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann. Die Wiedervereinigung, d. h. die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands, bleibt das politische Ziel der Bundesregierung.“ Der Zehn-Punkte-Plan brachte dem Kanzler in West und Ost nicht nur Zustimmung und Jubel ein. Margret Thatcher, die britische Regierungschefin, mokierte sich darüber, dass dieses Vorgehen nicht mit den Verbündeten abgestimmt worden sei. Sie hielt Kohls Aktion für einen „eindeutigen Verstoß gegen den Geist des Pariser Gipfeltreffens.“ Michail Gorbatschow soll ganz ungehalten gewesen sein, weil er die zehn Punkte für „ultimativ hielt“. Bei seinem Gespräch mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 5. Dezember sagte Gorbatschow: „Herr Kohl versicherte mir, die Bundesrepublik wolle die Situation in der DDR nicht zusätzlich destabilisieren und würde ausgewogen handeln. Die praktischen Schritte des Bundeskanzlers indes stimmen mit seinen Beteuerungen nicht überein.“ Da Gorbatschow sich unter dem Zwang der fundamentalen sowjetischen Staatskrise seit Oktober 1988 für die Annahme hoher DM-Kredite entschieden hatte, hielt er es für geboten, das weitere Geschehen hinzunehmen.

Widerstand gegen Kohl machte sich eher an der Basis in der DDR bemerkbar. Am 28. November 1989 fand von 13.00 Uhr bis 14.30 die Pressekonferenz zur Vorstellung und Erläuterung des Aufrufs „Für unser Land“ statt, den Stefan Heym vortrug.

Der Aufruf „Für unser Land“ erreichte mit 1167048 Unterschriften für eine eigenständige DDR und etwa 12500 Ablehnungen ein beachtliches Echo. Hans Modrow hat den Aufruf am 29. November unterzeichnet. Die Physikerin Dr. Angela Merkel und heutige Bundeskanzlerin positionierte sich in schriftlicher Form gegen den Aufruf. Später ist wiederholt gefragt worden, warum nicht die Zustimmung der Mehrheit der DDR-Bürger erreicht wurde. Es gab vielfältige Erklärungsversuche. Es hieß, der Aufruf sei zu spät gekommen. Die Entweder-Oder-Formulierung habe „nicht den wesentlich differenzierteren Vorstellungen aller beteiligten Akteure entsprochen.“ Immer wieder wurde auf die Unterschrift von Egon Krenz hingewiesen, die der Aktion außerordentlich geschadet habe. Die Initiatoren haben jedoch auch später keine klare Analyse vorgenommen, was die eigentliche Fehlpositionierung des Aufrufs war. Der Aufruf hätte vermutlich die Masse der DDR-Bürger eher dann erreicht, wenn in der nationalen Frage mit der alten SED-Sicht radikal gebrochen worden wäre. Die deutsche Einheit als Perspektive hätte der Aufruf offen halten und realistische Bedingungen auf dem Weg dorthin benennen müssen. Die Aktion „Für unser Land“ ließ jedoch die in der Mitte zwischen den beiden Alternativfragen liegende Lösung, auf die es eigentlich hätte ankommen müssen, eine Wiedervereinigung bei Gewährleistung der Rechte und Achtung Würde der DDR-Bürger, nicht zu. Dieser Aufruf brach noch nicht mit der separaten nationalen Politik der SED, weshalb ihm ein wirklicher Erfolg nicht beschieden sein konnte.

Dennoch hat der Aufruf eine nicht zu unterschätzende historische Bedeutung. Für Generalsuperintendent Günter Krusche war der Aufruf „ein bleibendes Zeugnis von etwas DDR-Eigenständigem“. Ulrike Poppe, 1989 Mitglied des Sprecherrates von „Demokratie Jetzt“ und Erstunterzeichnerin des Aufrufs „Für unser Land“, sah die Bedeutung in adäquater Richtung: „Es ging immer darum, dass die DDR nicht als Konkursmasse, sondern eben als gleichberechtigte Partnerin in die Einheit geht.“ Christa Wolf wehrte sich später gegen den Vorwurf, mit dem Aufruf restaurative Absichten verfolgt zu haben: „Ich habe nicht das Land ‚DDR’ gewollt. Ich habe ein Land gewollt, das wir alle nicht zu sehen bekommen werden. Also nicht ein Land, das ferne leuchtet, sondern ein Land, das damals für einen ganz kurzen Moment, vielleicht zum ersten Mal in der deutschen Geschichte aufzuscheinen schien.“

Das war sehr gut gesagt, und könnte vielleicht auch als Wesensbestimmung für die beste Zeit der Regierung Modrow stehen. Die Vision des anderen Deutschland ist wohl das Bleibende, das von dieser Aufruf-Aktion des Herbstes als einem bedeutenden Vorgang bleiben wird. Das ist nicht wenig. Walter Jankas Wertung kann zugestimmt werden: „Wichtig ist nur, dass es überhaupt noch versucht wurde.“

Die Regierung Modrow, die nur die kurze Zeit von 126 Tagen zur Verfügung hatte, war mit einem riesigen Problemberg konfrontiert. Was allein von der Finanzministerin Uta Nickel am 1. Dezember 1989 z. B. zum Thema „Subventionen“ ausgebreitet wurde, verdeutlichte, dass die Stoph-Regierung in mehreren Fünfjahrplanzeiträumen ihre Schularbeiten nicht gemacht hatte. Wie viel Verluste der DDR allein aus diesen Versäumnissen erwuchsen, kann nur vermutet werden. Das ist nur ein Beispiel, der Reformbedarf betraf viele weitere Bereiche. Gut beraten war Christa Luft, dass sie als Wirtschaftsministerin eine mehrsektorielle Wirtschaftsstruktur erstrebte, wie sie die DDR in ihrem erfolgreichsten Jahrzehnt, den 60er Jahren, hatte. Das bedeutete z. B., die Beendigung der 100prozentigen Verstaatlichung der Industrie durch Reprivatisierung über eine Treuhand anderen Typs, als ihn später Birgit Breuel praktizierte.

(aus Zeitgründen gehe ich auf den Runden Tisch nicht weiter ein. Lediglich ein Gedanke sei dem Verfassungsentwurf gewidmet. )

 Der vom zentralen Runden Tisch erarbeitete Entwurf für eine Verfassung erhielt von Experten eine hohe Bewertung. Auch wenn später konservative Kräfte und auch Reinhard Höppner (SPD) die Inkraftsetzung verhinderten, ist dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches in der deutschen und europäischen Verfassungsgeschichte ein Platz gesichert.

 Die Regierung Modrow, die im November 1989 mit Reformabsichten angetreten war, hatte für deren Verwirklichung nicht die notwendige Zeitspanne zur Verfügung. Sie nutzte aber ihre Möglichkeiten für die Sicherung von Lebensinteressen der DDR-Bürger, die bis heute unter dem Namen „Modrow-Gesetz“ bzw. „Modrow-Gesetze“ bekannt sind und die ein Ruhmeszeichen der Regierung Modrow werden sollten. Was es damit auf sich hat, wird auch in dem Buch von Thorsten Purps „Vom Staat enterbt. Die Bodereformaffäre – eine Skandalchronik aus dem Land Brandenburg“ belegt.

 Die seit Oktober 1989 in der DDR bestehende revolutionäre Situation neigte sich mit der zweiten Hälfte des Januar dem Ende zu. Eckhard Müller-Mertens schreibt darüber treffend: „Auch der letzte große Konflikt zwischen den organisierten oppositionellen Kräften und der Regierung von SED/PDS und Blockparteien führte zu keinen, eine Machtergreifung, einen Machtwechsel vollziehenden revolutionären Akten. Das Ultimatum der Opposition am Runden Tisch vom 8. Januar, die Demonstrationen vor der Volkskammer vom 11./12. Januar und die kurzfristige Besetzung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße am 15. Januar können nicht als solche qualifiziert werden. Unter diesen Bedingungen und in diesen Umständen kann in der DDR nicht mehr von einer revolutionären Situation die Rede sein.“ Am 1. Februar 1990 unterbreitete Ministerpräsident Hans Modrow der Positionierung von Michail Gorbatschow folgend, den Vorschlag für eine Vereinigung „Für Deutschland, einig Vaterland“. Damit warf die Regierung Modrow, den übermächtigen Realitäten Rechnung tragend, das Handtuch. Sie hatte es nicht vermocht, ihr Reformprogramm für eine erneuerte DDR zum Erfolg zu führen.

 Bereits am 9. Februar 1990 unterbreitete die Bundesregierung öffentlich den Vorschlag zur schnellen Bildung einer Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Damit wurde der 10-Punkte-Vorschlag vom November verlassen. Der Kurs ging nun in Richtung einer intoleranten Osterweiterung der Bundesrepublik; von Fritz Vilmar später als „Kolonialisierung der DDR“ analysiert. Modrows Vision der Herstellung deutschen Einheit in mehreren Etappen, fand nach Helmut Kohls Besuch in Moskau am 10. Februar auch von der UdSSR keine Unterstützung mehr. Der Zug in Richtung „deutsche Einheit“ - fest im Bonner Griff — war nicht mehr aufzuhalten.