Migration: «Die Mutter aller Probleme»?

Fragen und Antworten zu Flucht und Einwanderung

Eine Illustration von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft versammlen sich unter einem Banner in orange mit der Aufschrift: "Migration ist die Mutter aller Gesellschaften"
«Migration ist die Mutter aller Probleme», sagte Bundesheimatminister Horst Seehofer 2018 und brachte damit die rassistische und menschenverachtende Debatte um Flucht und Zuwanderung in Deutschland auf eine neue Ebene. Die Migrationskonferenz «Haymat» setzte 2019 dieser Hetze eine «Gesellschaft der Vielen» entgegen. Illustration: Nina Eggemann

Gian Mecheril studierte Politik­wissen­schaft, Soziologie und inter­diszi­plinäre Anti­semi­tismus­for­schung in Frankfurt a.M. und Berlin. Schwerpunkte seiner wissen­schaftlichen und aktivis­tischen Praxis sind Grenz- und Migrationsregime, Berechtigungs­ord­nungen, Rassismus und Anti­semitismus.

Die mediale und politische Debatte wird überschwemmt mit einer Panikmache gegenüber Migrant*innen. Unterlegt werden diese Diskurse mit unzähligen Behauptungen über die negativen Auswirkungen von Migration, sei es im Bereich der Wohnungsnot, der fehlenden Arbeitsplätze, der Kriminalität oder kultureller Stereotype. Aber stimmt das alles so? Oder ist die Debatte nicht vielmehr geprägt von Ressentiments, doppelten Standards und Fake News? Unser Autor Gian Mecheril geht den gängigsten Behauptungen auf den Grund und liefert fundierte Argumente gegen rassistische Hetze.

Fragen und Antworten:

Warum müssen Menschen fliehen?

Weltweit stellen gewaltvolle Konflikte und Kriege die zentralen Gründe für Fluchtbewegungen dar. Allein aus gewalt- und kriegsgebeutelten Ländern wie Syrien, Afghanistan oder der Ukraine stehen laut UNHCR 2024 18,5 Millionen Menschen unter einem UNHCR Flüchtlingsmandat. Kriege fordern nicht nur viele Todesopfer, sondern zerstören auch zivile Infrastruktur wie Schulen, Straßen, Krankenhäuser oder landwirtschaftlich genutzte Flächen. Die Zerstörung von Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen durch Kriege hat oft nachhaltige Folgen und führt zu langfristigen Fluchtbewegungen. 

Doch auch die vermehrt spürbaren katastrophalen Folgen des Klimawandels werden zu immer wesentlicheren Ursachen für Fluchtbewegungen. Die Weltbank geht von bis zu 216 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050 aus (Groundswell Report Part 2, S. 80) und schon jetzt spricht das UNHCR von 220 Millionen Binnenflüchtlingen, die aufgrund von extremen Wetterlagen ihren Heimatort verlassen mussten. 70 Prozent der Schutzsuchenden weltweit kommen aus Ländern, die besonders vom Klimawandel betroffen sind (UNHCR-Report, S. 7). Anders als oftmals angenommen, führt extreme Armut hingegen weniger zu Migrationsbewegungen.

Wo suchen die meisten Geflüchteten Schutz?

Laut UNHCR gibt es 122,6 Millionen vertriebene Menschen weltweit. 58 Prozent der Menschen auf der Flucht sind Binnenflüchtlinge, das heißt sie suchen Schutz in weniger gewaltvollen oder auf andere Weise gefährlichen Regionen ihres Herkunftslandes. 69 Prozent der Geflüchteten, die international migrieren, finden Zuflucht in ihren jeweiligen Nachbarländern und das heißt meistens im globalen Süden. In absoluten Zahlen haben folgende fünf Länder die meisten Geflüchteten aufgenommen (alle Zahlen von Mitte 2024):

  • Iran (3.764.517)
  • Türkei (3.148.663)
  • Deutschland (2.667.191)
  • Uganda (1.656.440)
  • Pakistan (1.586.287)

Was tut Deutschland zur Bekämpfung von Fluchtursachen?

Deutschland hat im Jahr 2023 10,6 Milliarden Euro für Maßnahmen zur «Fluchtursachenbekämpfung» veranschlagt. Fluchtursachenbekämpfung ist ein Querschnittsbereich im Bundeshaushalt, der sich auf verschiedene Ministerien verteilt. Darunter fallen u.a. Punkte wie Entwicklungszusammenarbeit, Friedenssicherung und Krisenprävention, Investitionsinitiativen, Gelder für die europäische Grenzschutzagentur (Frontex) oder die Finanzierung von Abkommen wie der sogenannte Migrations-Deal mit der Türkei. Auch die immer weitere Verlagerung von europäischen Migrationsabwehr-Strukturen in Länder ohne demokratische Kontrollmechanismen wird unter Fluchtursachenbekämpfung gefasst.

Die Verknüpfung der Zahlung von Entwicklungsgeldern an einen ausgelagerten Grenzschutz oder die direkte finanzielle Unterstützung von Migrationsabwehr erhöht die Gefahr der direkten Unterstützung rechtswidriger und gewaltvoller Behandlung von Schutzsuchenden und Migrant*innen, wie bspw. ein UN-Bericht von 2023 mit Blick auf den von der EU mitfinanzierten lybischen Grenzschutz zeigt.

Nicht-Regierungsorganisationen kritisieren die avisierten Maßnahmen der Fluchtursachenbekämpfung insgesamt als weitgehend auf die Bekämpfung der Fluchtbewegungen selbst bezogen (z.B. PRO ASYL). Doch auch viele der Maßnahmen, die im Sinne von Investitionsinitiativen und Entwicklungszusammenarbeit auf die Bedingungen in den Herkunftsländern selbst gerichtet sind, führen oftmals nicht zu einer Verbesserung der Lebensrealität der vor Ort lebenden Menschen. Investitionen, die an neoliberale Strukturanpassungen gebunden sind oder asymmetrische Handelsabkommen verschärfen globale Ungleichheitsstrukturen und entziehen Menschen oftmals ihre Lebensgrundlagen.

Eine tatsächliche Fluchtursachenbekämpfung müsste zum Schutz der ökologischen und ökonomischen Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort beitragen, statt diese Maßnahmen an eigenen, nationalen Wirtschaftsinteressen auszurichten.

Sind die Kommunen mit der Aufnahme von Geflüchteten überlastet?

Der tatsächliche Zusammenhang von (Flucht-)Migration und kommunaler Überlastung ist komplex: So sind viele Überlastungssituationen von kommunalen Infrastrukturen in chronischer Unterfinanzierung, komplexen Aufgabenstellungen, Fachkräftemangel und sozialpolitischen Problemstellungen begründet. Erhöhte Fluchtaufkommen, wie durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, treffen dann oftmals auf ohnehin schon überlastete Strukturen. Die Überlastung dann der Migration und besser noch den Migrant*innen selbst in die Schuhe zu schieben, ist eine populistische Antwort auf sozialpolitische Fragestellungen.

Kommunen die auch nach dem «Sommer der Migration» 2015 ihre Strukturen langfristig und dauerhaft aufstellten, können ihre Integrationsaufgaben deutlich besser bewerkstelligen als Kommunen, die unvorbereitet auf hohe Migrationszahlen treffen. Zudem sollten die Kommunen langfristig finanziell und organisatorisch besser ausgestattet werden, um nicht planbare Migrationsbewegungen bewältigen zu können. 

Die Überlastung der Kommunen stellt im aktuellen Migrationsdiskurs eines der vermeintlich sachlichsten Argumente für eine Begrenzung der Fluchtmigration nach Deutschland dar. In einer der wenigen Analysen der tatsächlichen kommunalen Überlastungssituation von 2024 gaben fünf Prozent der knapp 600 befragten Kommunen an, «im Notfallmodus» – also überlastet zu sein – etwa ein Drittel spricht von einem «Krisenmodus» und rund 47 Prozent sehen die Situation als «herausfordernd, aber machbar» hinsichtlich der Unterbringung von Geflüchteten an (Umfrage von mediendienst integration). In der gleichen Studie wird von den Kommunen auf die generelle angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt verwiesen, die die Unterbringung von Geflüchteten erschwere. Eine einzelne Umfrage kann die Frage nach der kommunalen Überlastung natürlich nicht abschließend beantworten.

Die Studie verweist jedoch einerseits auf eine tatsächliche Überlastungssituation einiger Kommunen und zeigt andererseits indirekt auch Lösungsmöglichkeiten für die Problematik der kommunalen Unterbringung von Geflüchteten auf: Dezentrale Unterbringung, Freizügigkeit, eine Abwendung von Massenunterbringung würde auch kleine Kommunen in ihren Aufgaben entlasten. Die Ermöglichung der privaten Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine hat gezeigt, dass mit politischem Willen andere und die Kommunen entlastende Unterbringungsmöglichkeiten existieren können.

Ist der Sozialstaat mit der Aufnahme von Geflüchteten überfordert?

Der Sozialstaat ist durch Kürzungen, Schuldenbremse und eine mangelhafte Steuerpolitik und nicht durch Migration in Gefahr. Klar ist jedoch, dass der deutsche Staat für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten Geld in die Hand nehmen muss. Der Bund veranschlagte 2023 27,6 Milliarden Euro an flüchtlingsbezogenen Ausgaben (das sind rund 6 Prozent des Gesamthaushaltplanes), wobei ca. 10,6 Milliarden Euro davon für Fluchtursachenbekämpfung veranschlagt waren. Die Länder gaben nochmals knapp 6,3 Milliarden Euro an Sozialausgaben für Geflüchtete aus.

Statistiken zum Bezug von Bürgergeld zeigen, dass 47 Prozent der Bürgergeld-Bezieher*innen deutsche und 53 Prozent ausländische Staatsbürger*innen sind. Viele dieser Menschen sind Geflüchtete oder kommen aus kriegs- und gewaltgebeutelten Ländern. So machen Menschen aus der Ukraine (12,9 Prozent), Syrien (9,1 Prozent) und Afghanistan (3,1 Prozent) über ein Viertel des Anteils der Menschen aus, die insgesamt Bürgergeld beziehen – zum Vergleich: der Anteil von Menschen mit deutschem Pass, die Bürgergeld beziehen liegt bei 52,8 Prozent. Zwar wird deutlich, dass die Bürgergeldquoten bei Geflüchteten hoch sind. Aber: Je länger sich Geflüchtete in Deutschland aufhalten, desto eher gehen Sie Lohnarbeitsverhältnissen nach.

So zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass die Erwerbstätigenquoten von Geflüchteten im ersten Jahr nach Ankunft in Deutschland bei 7 Prozent liegen, nach sechs Jahren in Deutschland auf 54 Prozent und auf 62 Prozent sieben Jahre nach dem Zuzug steigen. Flüchtlingsbezogene Ausgaben können hier also als eine Form der «Investition» verstanden werden, die sich langfristig durch sozialstaatliche Einnahmen bspw. im Sinne des Rentensystems wieder auszahlen. Dabei ist jedoch zu betonen, dass das Asylsystem nicht auf ein nationales Kosten-Nutzen-Verhältnis zu reduzieren ist, sondern Ausdruck menschenrechtlicher Verpflichtungen ist.

Zusätzlich sind Länder des globalen Nordens die großen Profiteure globaler Ungleichheitsstrukturen und in Zeiten von Krieg und Gewalt ganz konkret finanzielle Gewinner mit Blick auf die florierende Rüstungsindustrie. Das Elend, das Menschen in die Flucht treibt, macht Länder wie Deutschland reich und ermöglicht einen Rest sozialstaatlicher Modelle unter kapitalistischen Bedingungen. Die Aufnahme von Geflüchteten darf vor diesem Hintergrund nicht unter der Perspektive einer Belastung für den Sozialstaat diskutiert werden.

Die Schuldenbremse, die 1997 ausgesetzten Vermögenssteuer (von 1 Prozent), die seitdem einen Wegfall von mindestens 380 Milliarden Euro Steuereinnahmen bedeutete (Oxfam 2024: S. 7) oder der jährliche Verlust von 41,8 Milliarden Euro an Steuereinnahmen durch Steuervermeidungspraktiken in Deutschland (Tax Justice Network 2024: S. 74) können Hinweise darauf geben, wie der Sozialstaat besser ausgestattet werden könnte, um Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten ihre Grundbedürfnisse weiterhin zu befriedigen.

Wie viele Menschen halten sich widerrechtlich in Deutschland auf?

Olaf Scholz sagte 2023 im Spiegel: «Wir müssen endlich konsequent abschieben!» und bezog sich dabei auf die vermeintlich hohe Zahl ausreisepflichtiger Menschen. Dieser Appell reiht sich ein in einen Chor der Rufe, von den Grünen bis AfD, nach hartem und konsequentem Vorgehen gegen ausreisepflichtige Menschen ohne deutschen Pass, die sich vermeintlich «illegal» in Deutschland aufhielten.

Oftmals werden zur statistischen Untermauerung der Größe des Problems Zahlen von 200.000 und mehr Ausreisepflichtigen aufgerufen. Werden diese Zahlen jedoch differenzierter betrachtet, ergeben sich andere Schlüsse und ein gänzlich anderes Bild: So stellt der Terminus «ausreisepflichtig» eine amtliche Bezeichnung einerseits für Menschen mit abgelaufenem Visum (z.B. Tourist*innen) oder abgelaufener Aufenthaltsgenehmigung (z.B. ehemalige Studierende) dar. Andererseits werden so auch Menschen bezeichnet, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Unter diese Gruppe werden jedoch ebenso Menschen mit einer Duldung gefasst, d.h. Menschen deren Ausweisung aus rechtlich streng definierten Gründen (wie gesundheitliche Einschränkungen, Familienzusammenhängen etc.) ausgesetzt ist. Bereinigt man die Daten zu Ausreispflichtigen also dementsprechend, kommt man für das Jahr 2023 auf eine Zahl von 18.646 Menschen mit einem abgelehnten Asylantrag, die unmittelbar ausreispflichtig sind (Jahresgutachten 2024 des Sachverständigenrats Migration und Integration). Jede weitere Maßnahme der Abschottung ist in diesem Zusammenhang ein weiteres Zahnrad der Entrechtung Geflüchteter und produziert damit immer mehr «irreguläre» Migrant*innen und damit potentiell «ausreisepflichte Menschen».

Sind Geflüchtete ein Sicherheitsrisiko für die deutsche Gesellschaft?

Nein. Umgekehrt wird allerdings ein Schuh daraus: Die deutschen Zustände hinsichtlich der erstarkenden rassistischen und rechten Gewalt sind Sicherheitsrisiken für Geflüchtete. Das zeigen nicht nur die immer weiter steigenden Zahlen rechter und rassistischer Gewalt und Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte, sondern auch die Normalisierung rechter Aussagen oder die steigenden Zustimmungswerte zu rassistischen und rechtsextremen Aussagen innerhalb der Bevölkerung (z.B. Autoritarismus-Studie 2024).

Zwar wird in den letzten Jahren immer mehr mit den «Erkenntnissen» der polizeilichen Kriminalitätsstatistik Politik gemacht und Migration und Migrationsgesellschaft angegriffen; die eigentlichen Ursachen für Kriminalität und Gewalt werden jedoch nicht angegangen bzw. weiter verschärft: Kriminologische Studien verweisen immer wieder auf soziale Faktoren, die Kriminalität begünstigen und entkräften Argumente, die Herkunft oder Kultur für Kriminalitätsdelikte verantwortlich machen.

Wenn Menschen entrechtet werden und in Armut getrieben (Bezahlkarte, Streichung von Leistungen) oder in Perspektivlosigkeit gezwungen werden (Arbeits- und Ausbildungsverbot, Verwehrung von Sprachkursen, Verweigerung politischer Partizipation), sind dies kriminalitätsfördernde Umstände. Auch (gewaltverherrlichende) Männlichkeitsnormen sind aus kriminologischer Perspektive ein entscheidender Faktor für das große Problem der (männlichen) Gewalt. In erzwungenen und von der Gesamtgesellschaft isolierten Männerbünden (bspw. durch Massenunterkünfte für Geflüchtete) sind solche Normen viel eher wirksam.

In diesem Sinne gilt es, die sozialen Ursachen von Kriminalität und Gewalt gesamtgesellschaftlich anzugehen, anstatt kulturalistischen und rassistischen Diskursen Vorschub zu leisten, die aus wissenschaftlicher Sicht keine Erklärungskraft für Kriminalitätsphänomene besitzen.

Verursachen Geflüchtete die Wohnungsnot?

Nein, es gibt keine Belege für die Aussage, dass Geflüchtete die Wohnungsnot in Deutschland verursachen. Im Sprechen über die Notlage auf dem deutschen Wohnungsmarkt, insbesondere hinsichtlich bezahlbarer Wohnungen, werden Geflüchtete oftmals für Wohnraum-Mangel verantwortlich gemacht. Dieses Argument geht völlig an der Realität vorbei:

So ist nicht nur eine immer weitere Kapitalisierung des Wohnungsmarktes zu beobachten. Auch der Bestand an Sozialwohnungen ist von 1990 bis 2023 von 2,9 Millionen auf 1,1 Millionen Sozialwohnungen gesunken. Laut dem Bündnis «Soziales Wohnen» fehlen mindestes 910.000 Sozialwohnungen in Deutschland. Zwar scheint auch die Politik dieses Problem mittlerweile erkannt zu haben und die Regierung hat angekündigt pro Jahr 100.000 neue Sozialwohnungen zu schaffen. Für das Jahr 2023 wurde diese Zahl jedoch deutlich verpasst: Deutschlandweit wurden lediglich 33.000 neue Sozialwohnungen gebaut (Handelsblatt, 7.5.2024).

Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist also eine zentrale sozialpolitische Problemstellung in Deutschland. Und so fördert eine solche politische Mangelverwaltung von sozialem Wohnraum zwangsläufig Konkurrenzdebatten um den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum. Diese Konkurrenzdebatten befördern eine rassistische Umwälzung der fehlerhaften sozialpolitischen Wohnpolitik auf den Rücken geflüchteter Menschen in Deutschland. Studien zeigen immer wieder, dass nicht Bevorzugungen, sondern (rassistische) Benachteiligungen von Geflüchteten auf dem deutschen Wohnungsmarkt zu beobachten sind.

Von den Mietstreiks in Frankfurt am Main der 1970er Jahre bis zu den Mietkämpfen der Mietergemeinschaft Kotti&Co in Berlin-Kreuzberg: Geflüchtete und andere Menschen mit Migrationsgeschichte waren immer wieder an politischen Kämpfen für mehr und besseren bezahlbaren Wohnraum beteiligt und haben diese oftmals initiiert. Diese Arbeit und Kämpfe zu würdigen, statt die Ursachen für Wohnraummangel bei Geflüchteten zu suchen, wäre einer demokratischen Kultur würdig.

Ähnlich wie bei den sozialstaatlichen oder kommunalen Überforderungsdiskursen sind nicht die Geflüchtete, sondern politische Entscheidungen für die prekäre Lage sozialstaatlicher Modelle und Mechanismen verantwortlich. Eine Lösung dieser Probleme kann nicht durch Migrationsabwehr, sondern nur durch eine sozialstaatliche Politik, die ihren Namen verdient, erreicht werden.

Ist das Recht auf Asyl in Gefahr?

Ja, das Recht auf Asyl ist im Zuge der sich verschärfenden Debatten um die Begrenzung von Fluchtmigration einer immer stärkeren Aushöhlung ausgesetzt und im Zuge dieser Angriffe auch in Gefahr.

Selbst Forderungen wie eine erneute Grundgesetzänderung und die Streichung des letzten Restes des individuellen Rechtes auf Asyl in der Bundesrepublik sind vernehmbar. Auch auf europäischer Ebene sind mit der Durchsetzung der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) Fakten geschaffen worden, die das individuelle Recht auf Asyl deutlich einschränken und die einen «historische[n] Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa» (PRO ASYL) und «die größte Einschränkung des europäischen Asylrechts seit seiner Etablierung» (Medico/Kritnet) darstellen.

Dabei werden die Asylrechtverschärfungen von affektiven und rassistischen Debatten begleitet, die immer weitere «Notstände» hinsichtlich des Asylsystem herbeireden und die Politik so vor sich hertreiben. In dieser Situation erscheint eine gewisse Ähnlichkeit zu den Asyldebatten und politischen Maßnahmen der 1990er Jahre: Am 26. Mai 1993 verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes, die das Asylrecht in seiner vorherigen Funktion faktisch abschaffte.

War das Asylrecht, als Reaktion auf die Situation von Flüchtlingen während des Zweiten Weltkrieges, eine der wichtigen postnationalsozialistischen Konsequenzen und Säulen für die Behandlung schutzsuchender Menschen, stellte die damalige Situation diese Errungenschaft konsequent infrage: Artikel 16 (heute Artikel 16a) des deutschen Grundgesetzes wurde dahingehend geändert, dass politisch Verfolgte kein Asyl mehr beantragen können, wenn sie zuvor einen «sicheren Drittstaat» durchquert haben. Da Deutschland ausschließlich von solchen Staaten umgeben ist, wurde der Zugang zum Asylrecht bei einer Einreise auf dem Landweg praktisch ausgeschlossen.

Dieser sogenannte «Asylkompromiss», also die benötigte parlamentarische Zweidrittel-Mehrheit für die Grungesetzänderung, war das Ergebnis monatelanger, rassistisch und menschenverachtend geführter Diskussionen. Die hetzerischen Aussagen innerhalb der politischen Debatten fanden ihren Ausdruck auch in dem Erstarken rechter und rassistischer Gewalt.

So gingen dem «Asylkompromiss» im August 1992 der rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und im November 1992 der rassistische Brandanschlag auf zwei von türkischstämmigen Familien bewohnte Häuser im schleswig-holsteinischen Mölln, bei dem drei Menschen starben, voraus. Wenige Tage nach der tatsächlichen Grundgesetzänderung starben fünf Menschen durch einen rassistischen Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç. Deutlich wurde so der Zusammenhang zwischen medialer Stimmungsmache, migrationspolitischen Entscheidungen und rechter Gewalt.

Dieser Zusammenhang spielt auch in aktuellen migrationspolitischen Entscheidungen und Debatten eine zentrale Rolle. Eben diesen Zusammenhang zu reflektieren und eine andere Rhetorik und Politik zu etablieren, würde auch all jene zivilgesellschaftlichen Stimmen repräsentieren, die das Recht auf Asyl verteidigen und rassistischer und rechter Hetze entgegentreten.