Warum alles teurer wird
Fragen und Antworten zu Inflation und Mitteln gegen steigende Preise

Stephan Kaufmann ist Wirtschaftsjournalist und schreibt unter anderem für nd.DieWoche, Frankfurter Rundschau und den Freitag.
Das Inflationsgespenst ist besiegt, heißt es derzeit. Denn die Inflationsrate ist gesunken. Grund zur Entwarnung? Absolut nicht! Denn erstens bedeutet eine niedrigere Inflationsrate ja nur, dass die Preise langsamer steigen – aber sie steigen immer noch. Und zweitens haben die hohen Preissteigerungen der vergangenen Jahre Millionen Menschen ärmer gemacht. So ist Gas heute 85 Prozent teurer als 2020, Mehl kostet 40 Prozent mehr und Butter 66 Prozent mehr. Grund genug, das Inflationsphänomen genauer unter die Lupe zu nehmen.
In den Medien und Politik ist es üblich, die steigenden Preise als Naturphänomen darzustellen, das sich der menschlichen Kontrolle entzieht. Verteuerung ist aber kein Naturphänomen. Preise haben kein Eigenleben, sie werden festgesetzt. Ihr Anstieg trifft nicht alle gleich: Einige leiden mehr, andere weniger und wieder andere profitieren, wenn Waren teurer werden. Jeden Tag. Denn Inflation ist Verteilung und Umverteilung. Wer gewinnt und wer verliert, ist auch eine politische Entscheidung.
Fragen und Antworten:
Vorab: Warum gibt es überhaupt Preise?
In einem kapitalistischen Wirtschaftssystem wollen und müssen Unternehmen Profit machen. Zu diesem Zweck konkurrieren sie gegeneinander. Als Waffen in dieser Konkurrenz nutzen sie unter anderem die Preise ihrer Güter, die deswegen mal fallen und mal steigen. Dass Preise ständig in Bewegung sind, ist im Kapitalismus also normal.
Im Preis der Ware enthalten ist ein Gegensatz: Für ein kapitalistisches Unternehmen ist er zuallererst ein Mittel, die Bedürfnisse der Nachfrager*innen auszunutzen, um das eigene Bedürfnis zu befriedigen: Profit. Nur für Profit hat das Unternehmen Güter produziert, nur dafür geht es auf den Markt und nur dafür setzt es den Preis fest: um einen Gewinn zu machen, damit das investierte Kapital vermehrt zurückfließt und anschließend mit dem gleichen Zweck neu investiert werden kann. Aus Sicht der Unternehmen – der Verkäufer – lohnen sich steigende Preise, weil sie höhere Einnahmen bringen.
Aus Sicht der Käufer*innen dagegen ist es wünschenswert, dass die Preise stabil bleiben oder sogar sinken. Denn für die Käufer*innen ist der Preis einer Ware die einzige, aber auch die entscheidende Schranke zwischen dem eigenen Bedürfnis und seiner Erfüllung: Für Geld ist alles zu haben, wer zahlen kann, kann alles haben. Bedürftige Nachfrager*innen, die die geforderten Preise nicht zahlen können, gehen hingegen leer aus. Sie sind nicht Teil des Marktes, ebenso wenig wie Güter, deren Preise nicht bezahlt und die daher nicht verkauft werden. Der Preis beinhaltet also einen Machtkampf zwischen Angebot und Nachfrage. Seine Höhe bestimmt, wer welche Anteile von der gesellschaftlichen Produktion bekommt. Ökonom*innen sprechen daher davon, dass der Preis ein Mittel der Verteilung ist. Steigen die Preise der Güter wie in den vergangenen Jahren schneller als die Löhne, dann werden lohnabhängige Konsument*innen ärmer und die Unternehmen verdienen mehr. In Deutschland lag die Kaufkraft der Tariflöhne – also, was sich zu Tariflohn bezahlte Arbeitnehmer*innen durchschnittlich leisten können – Ende 2024 nur noch auf dem Stand von 2018. Inflation hat für Umverteilung von unten nach oben gesorgt.
Für die Lohnabhängigen kommt es daher darauf an, ob sie höhere Löhne gegen die Unternehmen durchsetzen können. Ob das gelingt, hängt wiederum von den Machtverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt ab. Bei niedriger Arbeitslosigkeit sind die Gewerkschaften in einer besseren Verhandlungsposition. Steigende oder hohe Arbeitslosigkeit stärkt dagegen die Unternehmen. Für sie bedeuten steigende Löhne gleichzeitig unter Umständen steigende Kosten – die sie wiederum mit steigenden Preisen beantworten, damit der Profit wieder stimmt.
Was ist Inflation?
Von Inflation redet man, wenn die Preise vieler Güter gleichzeitig und dauernd im Vergleich zu einem früheren Zeitpunkt steigen, wenn also das gesamte Preisniveau sich anhebt und wir daher mit einer bestimmten Summe Geld weniger kaufen können. Konnten wir zum Beispiel mit drei Euro früher zwölf Eier kaufen und jetzt nur noch acht, redet man von Verteuerung, oder – was auf dasselbe hinausläuft – von Geldentwertung. Diese Geldentwertung ist allerdings kein «Gespenst», kein anonymes Phänomen oder gar ein Schicksal. Sie wird gemacht – von den Unternehmen, die die Preise setzen. Das dürfen sie, weil sie die Eigentümer der Fabriken und Büros sind und damit der Güter, die die Lohnabhängigen dort herstellen. Das System der Marktwirtschaft beruht auf der Freiheit der Preissetzung.
Die Inflationsrate misst, wie stark sich Güter im Durchschnitt verteuern – pro Jahr oder pro Monat. Berechnet wird die Inflationsrate in Deutschland vom Statistischen Bundesamt. Es schickt regelmäßig seine «Preisbeobachter*innen» aus, die jeden Monat die Preisentwicklung Hunderter Güter in ganz Deutschland prüfen. Berechnet wird die Inflationsrate – der Verbraucherpreisindex – anhand der Entwicklung der Preise eines Warenkorbs. In ihm finden sich rund 700 Arten von Gütern, die sämtliche von privaten Haushalten in Deutschland gekauften Waren und Dienstleistungen repräsentieren – von Lebensmitteln über Reisen, Möbel, Miete bis zu Gas und Strom.
Ist eine hohe Nachfrage Ursache von Inflation?
Gemeinhin wird gesagt, der Preis eines Gutes richte sich nach Angebot und Nachfrage. Das bedeutet: Sinkt das Angebot eines Gutes bei gleichzeitig gleichbleibender oder steigender Nachfrage, so steigt sein Preis. Umgekehrt sinkt er, wenn das Angebot hoch ist oder wächst und/oder die Nachfrage nach dem Gut sinkt. Dies wird als Marktmechanismus bezeichnet. Es handelt sich hier allerdings nicht um einen schicksalshaften Mechanismus, dem wir alle unterworfen sind. Tatsächlich ist es so: Ein sinkendes Angebot oder eine steigende Nachfrage sind für ein Unternehmen eine Gelegenheit, die Not der Käufer*innen auszunutzen und mehr Geld von ihnen zu verlangen. Preise steigen nicht, sie werden erhöht.
Inflation mit dem Marktmechanismus zu erklären, erlaubt es, ausgerechnet der Nachfrage die Schuld für steigende Preise zuzuschreiben – sie war einfach zu hoch! Dazu ein Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: «Doch mehr als die Hälfte der deutschen Inflation war offensichtlich durch die Nachfrage getrieben. Den größten Teil davon machten die Deutschen selbst aus, die ganz wild darauf waren, ihr in der Pandemie nicht ausgegebenes Geld endlich wieder für Reisen, Restaurantbesuche und andere Erlebnisse einzusetzen.» Die Logik: Schuld an den steigenden Preisen sind jene, die sie zahlen müssen – die Unternehmen können ja gar nicht anders als so viel zu verlangen, wie irgend geht.
Ist der Profit die Ursache von Inflation?
Allerdings gibt es einen Faktor, der bei der Ursachenforschung nicht so laut genannt wird: Weil Unternehmen höhere Profite wollen, nutzen sie jede Gelegenheit, die Preise zu erhöhen. Lieferengpässe und Krieg in der Ukraine zum Beispiel boten ihnen dafür günstige Umstände. Die Unternehmen müssen gar nicht darauf warten, dass ihre eigenen Kosten steigen, um die Preise zu erhöhen. Sie spekulieren einfach: In der Erwartung, dass Preise steigen könnten, erhöhen sie ihre eigenen schon mal und verdienen dadurch mehr als sonst. Ergebnis: Übergewinne.
Sind Löhne bzw. Lohnsteigerungen die Ursache von Inflation?
Immer wieder werden die Gewerkschaften davor gewarnt, mit «überzogenen Lohnforderungen» die Inflation anzuheizen. Höhere Löhne und Gehälter führten zu steigenden Produktionskosten, die von den Unternehmen auf die Preise draufgeschlagen und an die Konsument*innen weitergeben würden. Von Lohn-Preis-Spirale ist dann die Rede.
Dabei wird Relevantes verschwiegen oder nicht gesehen.
Erstens sind nicht alle Unternehmen, die ihre Preise anheben, wirklich mit höheren Löhnen oder Produktionskosten konfrontiert. Die Mineralölkonzerne beispielsweise nutzten in der Gaspreiskrise 2022 und 2023 ihre Marktmacht und strichen mit abgesprochenen Preiserhöhungen satte Extra-Gewinne ein, die mit den teureren Einkaufspreisen von Energie nicht zu erklären waren. Andere Unternehmen heben die Preise nur in Erwartung höherer Kosten an. Wiederum andere nutzen Lieferengpässe für Preissteigerungen aus.
Zweitens sind die Gewerkschaften selten mächtig genug, um Lohnforderungen durchzusetzen, die über der Teuerungsrate liegen.
Drittens sind für die Unternehmen nicht die absoluten Lohnkosten entscheidend, sondern die relativen: nämlich wie viel Lohn anteilig in jedem einzelnen Produkt (oder jeder Dienstleistung) steckt. Bei hoher Produktivität – also, wenn viel in kurzer Zeit hergestellt wird –, sind steigende Löhne kein Hindernis für Profite.
Viertens brauchen Unternehmen den Lohn. Denn die kapitalistische Logik bedingt, dass Waren gekauft werden müssen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Haben die Menschen nicht genug Geld in der Tasche, bleibt Unverkauftes im Regal liegen. Unternehmen können pleitegehen.
Warum war die Inflation zwischen 2020 und 2023 so hoch?
Zwischen den Jahren 2020 und 2023 sind die Preise in Deutschland sehr stark gestiegen. Laut Verbraucherpreisindex wurden Güter der Kategorie Wohnung, Wasser, Energie um 15 Prozent teurer, Verkehrsdienstleistungen um 24 Prozent und Nahrungsmittel sogar um 30 Prozent. Das hat viele Menschen ärmer gemacht. Dass die Preise schneller stiegen als üblich, hatte mehrere Gründe:
- Zum einen die starke globale Nachfrage nach Waren: Während der Corona-Pandemie hatte sich Nachfrage aufgestaut. Zu ihrem Anstieg beigetragen hatten auch die weltweit billionenschweren staatlichen Unterstützungspakete für Haushalte und Unternehmen. Zudem kam es im Zuge des Post-Corona-Booms zu Lieferengpässen. Gründe dafür waren weitere Lockdowns vor allem in China und dass die Unternehmen in der Pandemie ihre Produktionskapazitäten drosselten und im anschließenden Boom diese Kapazitäten nicht schnell genug wieder hochfahren konnten.
Mit dieser Kombination aus hoher Nachfrage und knappem Angebot wird die steigende Inflationsrate gemeinhin erklärt. Laut Internationalem Währungsfonds gingen in den USA 40 Prozent und in der Eurozone 66 Prozent der zusätzlichen Preissteigerungen auf das Konto von Lieferengpässen und höheren Rohstoffpreisen. Jeweils rund 30 Prozent resultierten aus einer höheren Nachfrage der Haushalte plus staatlichen Hilfsprogrammen. - Zum anderen kappte Russland im Zuge des Ukrainekrieges seine Energielieferungen nach Europa. Das verschärfte die Konkurrenz um die verbliebene Gasproduktion weltweit. Diese Not der Gaskäufer nutzten die Gasanbieter, um höhere Preise zu verlangen. Das hat vielen von ihnen riesige Gewinne beschert. Da der Energiepreis in viele Preise mit einfließt – Chemieprodukte, Dünger, Stahl etc. – führte das teurere Gas zu Preisanhebungen in vielen Güterkategorien.
Anzumerken ist noch: Energie, aber auch landwirtschaftliche Produkte oder Rohstoffe werden an internationalen Börsen gehandelt. Als die Nachfrage stieg, nahmen dies viele Rohstoffhändler zum Anlass, auf steigende Preise zu spekulieren, wodurch an den Börsen die Preise für Rohstoffe tatsächlich stiegen. Auf diese Weise wurde die in Zukunft erwartete Preissteigerung Realität.
Macht die Inflation alle ärmer?
Nein, sie macht nur einige ärmer. Die steigenden Preise der vergangenen Jahre haben die Kaufkraft der Löhne gedrückt, was bedeutet: Im Durchschnitt stiegen die Preise schneller als die Löhne, wodurch die Lohnabhängigen ärmer wurden. Insgesamt lag die Kaufkraft der Tariflöhne Ende 2024 nur noch auf dem Niveau des Jahres 2018. Inflation macht nicht alle ärmer. Unternehmen leiden zum Beispiel nicht darunter und Lohnabhängige sind auch unterschiedlich betroffen.
Wer ist am stärksten von Inflation betroffen?
In der Gruppe der Konsument*innen leiden die Ärmsten am stärksten unter der Inflation. Vor allem Alleinerziehende, Rentner*innen oder Familien mit vielen Kindern sind betroffen. Aber auch Menschen mit mittlerem Einkommen machen sich Sorgen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Wer weniger Geld hat, muss größere Anteile seines monatlichen Einkommens für den Kauf von Grundnahrungsmitteln, Energie, Mobilität oder Miete ausgeben – Güter, die sich besonders stark verteuert haben. So geht man davon aus, dass die untersten Einkommenskategorien 20 bis 30 Prozent ihres Geldes für Nahrungsmittel ausgeben. Bei den Wohlhabenden sind es unter zehn Prozent, obwohl sie teurere Nahrungsmittel statt Billigprodukte kaufen.
Folge: Über einen langen Zeitraum von fünf Jahren (2019 bis 2024) betrachtet lag die Teuerungsrate für einkommensschwache Familien bei 20,8 Prozent, bei Alleinlebenden mit hohem Einkommen waren es nur 18,7 Prozent. Der Unterschied wirkt zunächst nicht dramatisch. Verschärft wird er dadurch, dass Einsparmöglichkeiten gerade für ärmere Haushalte geringer sind als für reichere. Denn Letztere können auf billigere Güter ausweichen, die Ärmeren hingegen nicht, weil sie schon immer zu Billigprodukten greifen müssen. Zudem haben die wohlhabenden Haushalte weitere Spielräume, die Inflation zu verkraften. Erstens leben sie zu 75,7 Prozent in selbstgenutztem Wohneigentum und verfügen über Vermögen. Zweitens haben sie eine Sparquote von durchschnittlich 33 Prozent ihres Einkommens, sodass das Konsumniveau durch verringertes Sparen aufrechterhalten werden kann. Die Ärmeren hingegen haben weder finanzielle Puffer noch nennenswerte Vermögen.
Angemerkt sei noch: Dass um ein paar Prozent steigende Preise für Energie oder Lebensmittel Millionen Menschen in Existenznöte bringt zeigt, wie knapp die Einkommen bereits bemessen sind und wie gering die finanziellen Reserven. Es gehört zu den Eigenheiten von Inflationsdebatten, dass die fortschreitende Verarmung mehr öffentlichen Unmut hervorruft als die bereits eingetretene Armut, die die Inflation bloß offenlegt und verstärkt.
Wer profitiert von Inflation?
Die Eigentümer*innen der Unternehmen und die Aktionär*innen. Und die Rechten.
Nicht alle werden durch die Inflation ärmer. Einige werden sogar reicher. Dazu gehören vor allem die Eigentümer*innen der Unternehmen. Hierbei handelt es sich allerdings um eine kleine Elite: Nur etwa acht Prozent der Deutschen verfügen über Betriebsvermögen. Sie profitieren unter Umständen davon, dass höhere Preise den Firmen Übergewinne bescheren – also höhere Gewinne als ohnehin üblich. Definiert man Übergewinne als Jahresgewinne, die zehn Prozent der gesamten Vermögenswerte eines Unternehmens übersteigen, dann erwirtschafteten im Jahr 2022 Unternehmen weltweit etwa 2,2 Billionen Euro an Übergewinnen– zusätzlich zu den normalen Gewinnen. Wegen der explodierenden Energiepreise haben sich die Gewinne von 65 europäischen Energieunternehmen von 2019 bis 2023 versiebenfacht.
Diese Gewinne werden teilweise an die Eigentümer*innen ausbezahlt, zum Beispiel als Dividenden an die Aktionär*innen. Laut DZ Bank schütteten die 100 größten deutschen Aktiengesellschaften 2021 noch lediglich 40 Milliarden Euro an ihre Anteileigener*innen aus. 2022 waren es 54 Milliarden und 2023 sogar 63,5 Milliarden Euro. 2024 ging es zwar etwas abwärts (59 Milliarden). Laut DZ Bank aber dürfen sich die Aktionär*innen 2025 schon wieder über 66 Milliarden freuen und im Folgejahr gar auf über 75 Milliarden Euro.
Die Profiteure sind allerdings dünn gesät. Die Betriebs- und Aktienvermögen sind stark bei den obersten zehn Prozent konzentriert. Sie sind daher die Vermögensart, die am ungleichsten verteilten ist.
Auch die politische Rechte profitiert von schnell steigenden Preisen und Reallohnverlusten. Laut Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) ist der Erfolg Donald Trumps in den USA als auch der AfD und des BSW in Deutschland so zumindest teilweise zu erklären. Das IfW analysierte 365 Wahlen in 18 Industrieländern zwischen 1948 und 2023 und kam zu dem Schluss: Ein Inflationsschock von zehn Prozentpunkten während einer Legislaturperiode in Verbindung mit unterdurchschnittlich wachsenden Reallöhnen führt zu einem Anstieg des Stimmenanteils populistischer und extremistischer Parteien bei der nächsten Wahl um 2,8 Prozentpunkte. Gleichen Lohnerhöhungen allerdings den Inflationsschock aus, so liege der Stimmenzuwachs nur bei 1,3 Prozentpunkten.
Helfen höhere Zinsen gegen Inflation?
Für die Steuerung der Inflationsrate ist im aktuellen System die Zentralbank zuständig. So zielt die Europäische Zentralbank (EZB) auf eine Inflationsrate von rund zwei Prozent – bei diesem Wert sieht sie die «Stabilität» gewährleistet. Wie versuchen Zentralbanken, die Inflation zu senken?
Sie erhöhen die Zinsen für Kredite, die sie an Geschäftsbanken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank vergeben. Die Erwartung ist, dass die Geschäftsbanken daraufhin ihrerseits ihre Zinsen für Kredite an private Haushalte und Unternehmen erhöhen. Die höheren Zinsen wiederum sollen dazu führen, dass weniger Kredite aufgenommen werden. Damit sinkt die gesellschaftliche Zahlungsfähigkeit (oder sie steigt nicht mehr so rasch) und damit dann auch die gesellschaftliche Nachfrage nach Gütern. Auf die sinkende Nachfrage wiederum reagieren die Unternehmen, indem sie sich mit Preiserhöhungen zurückhalten. Ergebnis: Die Inflationsrate geht zurück.
Das Problem dabei ist erstens: Die Zentralbank zielt auf eine Schwächung der Konjunktur. Mit steigenden Zinsen will sie letztlich Arbeitslosigkeit herbeiführen, damit die Löhne nicht mehr (so stark) steigen und die Leute weniger Geld haben – «demand destruction» nennt das die US-Zentralbank.
Zweites Problem: Das funktioniert erfahrungsgemäß leidlich, was kein Wunder ist. Denn wir leben und arbeiten in einer Wirtschaftsordnung, die von Unsicherheit und Konkurrenz geprägt ist. Das Streben nach Profit treibt die Wirtschaft an, oft auf Kosten von Mensch und Natur. Solange wir uns dieser Logik unterwerfen (müssen), ist die Vorstellung, Regierung oder Wissenschaft oder Zentralbank hätten ökonomische Entwicklungen unter Kontrolle oder «unsere Wirtschaft» sei irgendwann wieder im Gleichgewicht, eine Illusion. Instabilität gehört zum Markenkern des Kapitalismus und eine Inflation lässt sich nicht einfach «abstellen».
Können Preiskontrollen gegen die Inflation helfen?
Der Staat könnte die Preise kontrollieren und für bestimmte Güter Maximalpreise oder maximale Preiserhöhungen festlegen, sogenannte Preisdeckel.
Beispiel Lebensmittel: Der Grundbedarf an Butter, Brot usw. darf nicht mehr kosten als X Euro, darüber hinaus wird's deutlich teurer.
Beispiel Energie: Der Gaspreis für den Basisverbrauch pro Person wird durch den Staat gedeckelt (niedrige Preisstufe). Der über das Grundkontingent hinausgehende Zusatzverbrauch an Gas wird dann deutlich teurer (höhere Preisstufe). Länder wie Spanien, die Slowakei und Frankreich reagierten auf die Teuerung in den vergangenen Jahren mit Energiepreiskontrollen und wiesen deswegen eine relativ geringere Energiepreisinflation auf.
Im März 2023 wurde auch in Deutschland ein vorübergehender Energiepreisdeckel eingeführt. Er hatte eine ökologische Seite: den Anreiz, beim Verbrauch Maß zu halten. Und er hatte eine soziale Seite: Besserverdienende leben im Schnitt mit weniger Personen in größeren Wohnungen. Ihr Zusatzverbrauch muss zum vollen Marktpreis bezahlt werden, während der Verbrauch von Menschen in kleinen Wohnungen unter den Preisdeckel fällt.
Die Bremer Linksfraktion schlug einen regionalen Gaspreisdeckel vor und entwickelte verschiedene Finanzierungsmodelle. Ein Modell sieht vor, dass die wohlhabenden Haushalte den Basisverbrauch aller Haushalte subventionieren, indem ein Teil der Kosten des Deckels auf die höhere Gaspreisstufe draufgeschlagen wird: Wer viel verbraucht, finanziert den niedrigen Verbrauch der anderen mit.
Größtenteils würde die Deckelung aber durch öffentliche Gelder finanziert. Dabei wären die staatlichen Zuschüsse an die Gasversorger kein Automatismus, sondern müssten beantragt werden. Die Unternehmen würden diese aber erst dann erhalten, nachdem sie zum Beispiel ihre versteckten Gewinne aus anderen Geschäftsfeldern aufgebraucht haben. Das verhindert hohe Profite.
Nötig wäre auch ein Preisdeckel fürs Wohnen. Der Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel liegt eine «echte Durchschnittsmiete» zugrunde, über die hinaus die Mieten in Gebieten mit Wohnungsnotlage gar nicht erhöht werden dürfen, und in angespannten und nicht-angespannten Lagen abgestuft nur in einem sehr engen Rahmen.
Bei Preisdeckeln kommt es entscheidend auf die Konstruktion an. Denn sie bestimmt, wer am Ende zahlt. Wenn den Unternehmen/Anbietern ein Maximalpreis vorgeschrieben wird, so begrenzt das ihre Möglichkeiten, Profit zu machen. Sie werden belastet. Die andere Alternative – beispielsweise beim deutschen Gaspreisdeckel – ist: Die Unternehmen dürfen weiter frei ihre Preise setzen, aber der Staat übernimmt für die Konsument*innen einen Teil der Kosten. Hier zahlt die öffentliche Hand.
Würde eine Übergewinnsteuer gegen die Verteuerung helfen?
Wenn Unternehmen durch Preiserhöhungen ihre Gewinne deutlich steigern, könnte man diese Zusatzgewinne abschöpfen und an ärmere Haushalte umverteilen. Zum Beispiel über eine Übergewinnsteuer (siehe Frage 4) Diese Steuer könnte auch progressiv gestaltet werden. Das heißt: Der Steuersatz steigt mit der Höhe der Übergewinne. Auf EU-Ebene könnte eine solche Steuer bis zu 126 Milliarden Euro jährlich einbringen. Derartige Steuern haben im Jahr 2022 viele Länder eingeführt, insbesondere für Energieunternehmen. So erhob Italien eine Übergewinnsteuer von 25 Prozent. Unternehmen aus dem Energiesektor mussten eine «außerordentliche Solidaritätsabgabe» zahlen.
Eine andere Möglichkeit wären Vermögensteuern. Schließlich gehören den reichsten zehn Prozent der Haushalte der Großteil des Betriebs- und Finanzvermögens. Dem reichsten ein Prozent der Haushalte gehört rund ein Drittel des Vermögens. Relativ konservative Modelle, die nur drei Prozent der Bevölkerung betreffen, könnten in der Eurozone bis zu 300 Milliarden Euro bringen.
Würde die politische Verteilung von Gütern gegen Inflation helfen?
Eine radikalere Variante wäre, die Verteilung von Gütern konsequent politisch zu regeln anstatt über Preis und Markt: Bestimmte Güter würden als unverzichtbar erklärt, weswegen sie für alle zur Verfügung stehen müssen, zumindest bis zu einer bestimmten Menge. Der Marktmechanismus träte hinter das Ziel der Versorgung zurück. Wasser, Energie und Wohnfläche sind mögliche Beispiele für solche unverzichtbaren Güter. Das würde eine Vergesellschaftung der entsprechenden Unternehmen erfordern, beispielsweise in der Wohnwirtschaft oder im Energiesektor. Anstelle der Konzernleitung würde die Gesellschaft – Verbraucher*innen, Expert*innen und Beschäftigte – bestimmen, was, wie und zu welchem Preis hergestellt wird.