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Besprechung „Filmmusik im Dritten Reich“ am 13. April 2000, aus Saarbrücker Zeitung vom 15./16.4.2000

Im Dienst perfekter Scheinwelt:

Filmmusik im Dritten Reich: Zwischen Naivität und Berechnung

„Filmmusik im Dritten Reich“ zielte direkt aufs Unterbewusstsein und harmonierte meist in großer Perfektion mit dem Rhythmus der Bilder. Der Autor Konrad Vogelsang hat auf diesem Gebiet geforscht und gibt sein Wissen in Vorträgen weiter. Am Donnerstag sprach er über das Thema im Saarbrücker Filmhaus.

Frage: Warum ist die Musik ein solch wichtiger Bestandteil dieser Filme?
Vogelsang: Weil sie meist nicht aufmontiert ist, sondern vordergründig wirkt. Sie war eine Funktion der Propaganda, die die Menschen stark beeinflusste

Frage: Warum konnte sie so gut beeinflussen?
Vogelsang: Propagandafilme hatten politische Bedeutung, Revuefilme dienten der Ablenkung. Besonders ab 1942, als man das tragische Ende ahnte, war Joseph Goebbels ganz auf Revuefilme eingestellt. Millionen von Menschen sahen sie, es gab ja noch kein Fernsehen. Der Film war das entscheidende Medium, und die Spannweite der Filmmusik war ungewöhnlich groß.

Frage: Was sagen die Filme über die Nazis aus?
Vogelsang: Das ist sehr eigenartig: Wenn Sie die Filme heute nochmal sehe, dann können Sie nicht absolut orten, dass sie aus dem Dritten Reich stammen. Diese alten Filme sind in gewissem Sinne neutral, sie sehen dort nichts von Partei oder Nationalsozialismus. Es ist eine von Goebbels ganz bewusst inszenierte, perfekte Propaganda-Scheinwelt.

Frage: Wie haben die Nazis die Gestaltung der Filmmusik beeinflusst?
Vogelsang: Jeder Film musste verschiedene Zensur-Instanzen durchlaufen, und letztlich hatte Goebbels das alles natürlich selbst in der Hand. Es wurden auch Filme, die schon fertig waren, wieder verboten.

Frage: Norbert Schultze, der unter anderem Komponist des Liedes „Lilli Marleen“ war, sagt über seine Mitwirkung an Nazi-Filmen „Ich hab mir gar nichts dabei gedacht“. Welches Selbstverständnis zeichnete diese Filmkomponisten aus? Welche Rolle spielten Sie im Dritten Reich?
Vogelsang: Viele waren von einer unglaublichen Naivität. Und dann gab es welche, die absolut mitmachten. Einige haben sich dem politischen Druck entzogen, was aber äußerst schwierig war.

Frage: Was ist aus ihnen geworden?
Vogelsang: Nach dem Krieg sind viele zur DEFA gegangen, etwa Wolfgang Zeller, der die Musik zu „Jud Süß“ schrieb, oder auch Michael Jary. Die DEFA startete gleich nach dem Krieg mit sehr aufwendigen Produktionen, da haben viele der alten Komponisten wieder mitgemacht. Außerdem: Gute Filmkomponisten findet man nicht auf der Straße, bis heute nicht. Es ist ein sehr spezielles Genre, das kaum an den Hochschulen gelehrt wird.

Frage: Wie sind Sie zu diesem Gebiet gestoßen?
Vogelsang: Ich habe lange die Bibliothek im Deutschen Institut für Filmkunde geleitet, damals noch in Wiesbaden. Dort habe ich gemerkt, dass das Gebiet der Filmmusik unterentwickelt war und mich daran gemacht, es aufzuarbeiten. Das war eine absolute Marktlücke.