Archiv 2010







Pressebericht:
"Die Linke ist jetzt die Sozialdemokratie"

Von Hans-Jörg Schneider

Wer am vergangenen Donnerstag bei der Peter-Imandt-Gesellschaft/Rosa Luxemburg-Stiftung Georg Fülberth zugehört hat konnte nicht nur mit neuen Einsichten und alten Erinnerungen nach Hause gehen, sondern sich zumindest zwei Stunden gut unterhalten wissen. Der emeritierte Professor lehrte 1972 bis 2004 an der Universität Marburg Politikwissenschaft, und ist als linkes Urgestein aus der Schule von Wolfgang Abendroth bekannt, bei dem er 1970 promovierte. Fülberth ist seit 1974 Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), deren politische Bedeutung er allerdings eher ironisch beleuchtete. Am Schluss der Diskussion ließ er auch keinen Zweifel an den Hoffnungen, die er bei allen Vorbehalten auf die Partei die Linke setzt, und sprach sich trotz Verständnis für andere Positionen eindeutig gegen eine Stimmenthaltung bei Wahlen aus.

Nach der einleitenden Bemerkung, über die Bedeutung der Linken im Saarland zu reden hieße Eulen nach Athen zu tragen, stellte Fülberth Thesen auf, die in seinem 2007 erschienen Buch über die Linke mit viel Material, auch hinsichtlich der handelnden Personen, unterfüttert sind. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beurteilte das Buch im Übrigen als „Kurz, schmissig, subjektiv“. Nach Fülberth entstand Die Linke aus dem Zerfallsprozess einerseits der SED, andererseits der SPD, damit gleichzeitig aus zwei Gesellschaftstypen: dem „Real existierenden Sozialismus“ der DDR, und dem auf schnellem Wachstum beruhenden Wohlstandskapitalismus in der Bundesrepublik. In schöner marxistischer Systematik meint Georg Fülberth, dass wie in allen Gesellschaften auch in der DDR die Besitzverhältnisse die Klasse und damit diese die dominierende Partei bedingt habe: Staatseigentum => Staatsklasse=> Staatspartei – nach Meinung des Berichterstatters eine Verengung, welche externe Faktoren, vor allem die Rolle Moskaus außen vor lässt.

Logischerweise hatte Georg Fülberth wie viele nach dem Wegfall dieser Voraussetzungen der SED-Nachfolgepartei keine Chance gegeben. Der Redner zeichnete nach, warum die PDS dann wider Erwarten zunächst ein stabiles Potential aufwies- treffend formuliert: als „Betriebsrat der ehemaligen DDR“. Im Westen stand in der SPD nach Fülberth bereits seit Godesberg eine heimatlose Linke bereit, die jedoch erst nach der neoliberalen Öffnung und dem Abschied von sozialdemokratischen Grundsätzen unter dem Kanzler Schröder genügend Potential für eine neue sozialdemokratische Partei in Form der Linken aufbrachte. Dabei spielte das Verschwinden der Arbeiterklasse zugunsten einer neuen Massenschicht der Intelligenz eine entscheidende Rolle, zunächst für die Entstehung der Grünen. Der Zerfall des sozialdemokratisch dominierten Wohlfahrtsstaates im Westen, sowie des DDR- „Sozialismus“ führte zu einer Gesellschaft mit mehr Ungleichheit als zuvor, mit einer immer mehr absinkenden Unterschicht, und in Folge zu neuen Parteien. In einer farbigen Tour d’ Horizont ließ rückte der Redner viele oft verkannte Ereignisse der bundesrepublikanischen Vergangenheit zurecht. Dazu gehört z.B. die absurde Heroisierung von Ludwig Erhard, der unter Adenauer in Wirklichkeit von einer politischen Niederlage zur anderen taumelte, von der Gründung der Montanunion bis zur Umlagefinanzierung der Renten- alles Widersprüche zur reinen Lehre.

Die eindrucksvollen Analysen des marxistischen Sozialwissenschaftlers zielen konsequent auf die durch Besitzverhältnisse bestimmte gesellschaftliche Basis politischer Veränderungen. Man könnte einwenden, dass andere Faktoren dabei aus dem Blick geraten. So machte Fülberth für die Abwendung der deutschen Arbeitnehmer vom Sozialismus den Wohlstandskapitalismus und das Entstehen einer neuen Mittelschichtklasse verantwortlich, obwohl das genügend abschreckende Zerrbild des sogenannten Realen Sozialismus im Osten ebenfalls eine entscheidende Rolle spielte. Auch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umwälzungen und politischen Entwicklungen sind ohne externe Determinanten durch internationale Wirtschaftsinteressen kaum zu verstehen, auch durch den zunehmenden Einfluss von beliebig steuerbaren Massenmedien. Fülberth machte an Hand von Beispielen wie Ludwig Erhard zwar deutlich, dass Einzelpersonen für politische Abläufe eine meist überschätzte Bedeutung haben, konzedierte jedoch z.B. die entscheidende Rolle von Oskar Lafontaine für die Linke.

Quelle: Saarländische Online Zeitung
http://www.s-o-z.de/?p=25811