Archiv 2011




VERANSTALTUNGSBERICHT:

Donnerstag, 22. September 2011

Sozialpolitik neu denken
Prof. em. Dr. Joachim Hirsch und Dr. Eva-Maria Krampe

„Wenn das gegenwärtige System durch vielfache Krisen ohne Ende gekennzeichnet ist – dann muss Bewegung in die Strukturen kommen“, mit dieser These untermauerten einleitend Hirsch und Krampe die Aktualität der Skizze ihres Konzeptes einer alternativen Sozialpolitik. Ausgehend von Widersprüchen und Problemen, die eine Wiederherstellung des Sozialstaates der 1970er Jahre weder möglich noch wünschbar machten, müsse über eine neue, radikal andere Ausrichtung von Sozialpolitik nachgedacht werden. Da die Abschaffung des Kapitalismus nicht unmittelbar bevorstehe bzw. machbar sei, gelte es zu untersuchen, inwiefern innerhalb des kapitalistischen Systems progressive Veränderungen möglich seien. Veränderungen, die zugleich auch die Grundfesten des Systems angreifen würden.

Das von Hirsch und Krampe mit anderen innerhalb der Gruppe Links-Netz erarbeitete Konzept der „Sozialpolitik als Bereitstellung einer sozialen Infrastruktur für alle“ versteht sich als Ansatz eines solchen radikalen Reformismus. Aufgabe von Sozialpolitik solle dabei sein, öffentliche Güter kostenlos oder kostengünstig in zentralen Lebensbereichen (Bildung, Gesundheit, Verkehr, Wohnen usw.) bereitzustellen, damit unabhängig von der Verfügung über Geld die Lebensbedingungen für den großen Teil der Bevölkerung verbessert werden können. Verbunden damit wird der Anspruch, diese öffentlichen Güter demokratisch zu kontrollieren und zu gestalten. Der Ansatz nimmt damit Forderungen nach Re-Kommunalisierung, Privatisierungskritik und Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen in sich auf, führt diese zusammen und weiter.

Für den Gesundheitsbereich skizzierte Krampe, wie das Konzept ausbuchstabiert werden könnte, wie die Gesundheitsversorgung allgemein gleichberechtigt zugänglich sowie demokratisch bestimmt werden könnte. Ein solches Gesundheitssystem würde auf drei Säulen ruhen: Auf einem weiten Verständnis von Prävention, das Krankheitsvermeidung nicht allein in die individuelle Verantwortung lege, sondern die kollektive Gestaltung von Gesellschaft und Alltag als Politik der Prävention begreife. Daneben auf einer medizinischen und pflegerischen Versorgung, die nicht allein auf Heilung abziele, sondern auch eine umfassende Pflege gewährleiste. Schließlich würde auch medizinische Heilung eine wichtige Rolle spielen – alle diese Bereiche müssten demokratisch gestaltet sein und die Mitsprache aller Beteiligten gewährleisten. Die Finanzierung des Gesundheitssystems würde auf Steuern basieren.

Diese beispielhafte Skizze wollten Hirsch und Krampe nicht als fertigen Plan für Politikberatung oder eine zukünftige gesellschaftliche Entwicklung verstanden wissen, vielmehr als ein Angebot, jenseits vorgegebener Formen über Optionen der Gestaltung von Gesellschaft nachzudenken und zu diskutieren. Um Gesellschaft zu verändern, müssten Formen des Denkens geändert werden, genauso wie die aktuelle Lebensweise infrage gestellt werden müsse. Dies sei Voraussetzung, um in einer außerparlamentarischen Bewegung Druck aufzubauen für gesellschaftliche Reformen.