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Vortrag und Diskussion

Dr. Erol Yildiz (Köln): "Was heißt hier Parallelgesellschaft?"

Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Forum Baden-Württemberg in Kooperation mit der Arbeitsgruppe “Ethnologie und Migration”

Termin: Montag, 29.10.2007; 20.00 Uhr

Ort: Neue Aula, HS 6, Wilhelmstr. 7, 72074 Tübingen

„Die multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert“: Das wollten uns konservative Politik und Medien nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001, dem Mord an Theo van Gogh und den Anschlägen von Madrid und London usw. glauben machen. Das weltpolitische Szenario des „Kampfs der Kulturen“ ist mit einer innenpolitischen Metapher ergänzt worden: Parallelgesellschaft. Mit diesem diskursiven Kampfbegriff sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass sich „die Migranten“, und damit waren vor allem die als kulturell anders konstruierten Muslime und Türken gemeint, nicht in die aufgeklärt, demokratische und westliche Gesellschaft integrieren bzw. assimilieren wollen. Gerade Muslime und generell Menschen, deren Wurzeln im orientalisch-arabischen Raum sind, wurden unter den Verdacht gestellt, westliche Werte, zu denen auch die hier angeblich verwirklichte Gleichberechtigung von Mann und Frau gehört, abzulehnen. Auch bezüglich des sozialen Alltagslebens wird ihnen unterstellt, sich von „den Deutschen“ in „ethnischen Kolonien“ abzuschotten.
Dabei wird z.B. ignoriert, dass bestimmte (empirisch eher selten anzutreffende) Stadtviertel Ergebnis von Gastarbeiterpolitik, Unterschichtung und (Ent-)Industrialisierung sind und dass sich selbst dort vielfältige multikulturelle Milieus gebildet haben. Es wird aber vor allem übersehen, dass nicht nur als ethnisch oder multikulturell definierte Stadtviertel, sondern die Städte an sich vor allem durch Migrationsprozesse zu dem geworden sind, was sie sind. Die Rede von der Parallelgesellschaft, schreiben die Autoren eines neu erschienenen Buches der Kölner Forschungsstelle Interkulturelle Studien „dividiert auseinander, was längst vermischt ist und appelliert an eine fiktive Eindeutigkeit. Es ist Zeit, die Diskussion zu versachlichen.“ Empirisch ist die Vorstellung der „Parallelgesellschaft“ nicht haltbar: „Wir leben längst in einer Gesellschaft, die durch Mobilität, Vielfalt und globale Vernetzung geprägt ist. Angesichts dieser Diversität ist mancher versucht, überkommene Zuordnungen zu beschwören und erlebte Mobilität, eingeübte Vielfalt und alltägliche Vernetzungen wieder aufzulösen. Auch wenn diese „Aufräumversuche“ vergeblich sind, sie richten viel Schaden an.“
Der Referent hat den urbanen Wandel durch Migration am Beispiel verschiedener multikultureller Viertel der Stadt Köln erforscht. Er wird aus dieser Perspektive die Diskrepanz zwischen Alltagsrealität und öffentlichem Diskurs aufzeigen.

Erol Yildiz ist Privatdozent am Institut für Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Forschungsstelle Interkulturelle Studien und Mitherausgeber des Buchs „Was heißt hier Parallelgesellschaft“, das im September 07 im Verlag für Sozialwissenschaften erscheint.




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