Publikation Parteien / Wahlanalysen - Rassismus / Neonazismus Der AfD soll Kreide verordnet werden

Ein Gutachten empfiehlt der AfD alles zu unterlassen, was sie eigentlich charakterisiert

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Friedrich Burschel,

Erschienen

November 2018

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Pressekonferenz der AfD am 5.11.2018, Thema ist die drohende Beobachtung der Partei durch den Verfassungschutz. V.l.n.r. Jörg Meuthen, Alexander Gauland, Sprecher der AfD, und Roland Hartwig, AfD-Bundestagsabgeordneter und Rechtsanwalt. Foto: picture alliance/dpa

Bei der AfD geht die Angst um. Und zwar vor dem «Verfassungsschutz» genannten Inlandsgeheimdienst. Denn zumindest in einigen der insgesamt 17 VS-Ämter und von einigen Bundespolitiker*innen wird, die Frage erwogen, ob es in der «Alternative für Deutschland» nicht extremistische und verfassungsfeindliche Bestrebungen gäbe, die eine amtliche Beobachtung erforderten. Solange Hans-Georg Maaßen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) war, konnte sich die AfD dort angeblich noch wohlwollend beraten lassen, wie diese Beobachtung abzuwenden sei. Nun hat die AfD intern ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass dieser Frage nachgehen und entsprechende Empfehlungen aussprechen sollte.

Beauftragt mit der Erstellung dieses Gutachtens wurde ein altes rechtskonservatives Schlachtross in der Rechtswissenschaft, Prof. Dietrich Murswiek. Murswieck kommt aus der neofaschistischen Hochschulszene seiner Studienzeit, war Mitglied des «Nationaldemokratischen Hochschulbundes» und Mitarbeiter des «Deutschen Studenten Anzeigers». Das  spätere CDU-Mitglied Murswiek geht einer dem Autor vorliegenden Zusammenfassung des AfD-MdB Roland Hartwig zufolge zunächst sachlich der Frage nach, was der Verfassungsschutz (VS) macht und welche Grundlagen er für seine Arbeit hat, um dann recht pragmatisch die Frage zu wägen, wodurch die AfD sich in die Gefahr einer Beobachtung begibt und wie - rein taktisch - diese Gefahr gebannt werden könnte.
 

Problemzonen der AfD-Rhetorik

Die Liste dessen, was Murswiek für problematisch hält, ist lang und enthält in 38 Punkten im Grunde alles, was zum buchstäblich täglichen Brot von AfD-Funktionsträger*innen auf allen Ebenen gehört und woran man sich unterdessen in Teilen der Gesellschaft schon fast zu gewöhnen beginnt: Delegitimierung des Staates; Diffamierung der «Alt-» oder «Systemparteien» und Herabwürdigung ihrer Vertreter*innen; die Anrufung eines «Systemwechsels» oder einer «Systemüberwindung», einer «Konservativen Revolution». «Pauschale negative Werturteile über Einwanderer und Menschen fremder ethnischer Zugehörigkeit» als «kriminell», «minderwertig» oder «Schmarotzer» usw. gehören nach Murswieks Meinung ebenfalls zu den Problemzonen der gängigen AfD-Rhetorik wie «antisemitische und auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte», wie etwa das des Ethnopluralismus. Auch die Forderung nach dem «Vorrang einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft» könne laut Hartwig-Papier den VS auf den Plan rufen. Natürlich gehören zu den gefährlichen Themen auch der «Volkstod», die «Umvolkung» und der ganze andere täglich auf allen sozialen Medien fleißig verbreitete Verschwörungsirrsinn der AfD. Auch die Relativierung des historischen Nationalsozialismus, revisionistische Verharmlosung der Hitler-Zeit und die extremismustheoretische Gleichsetzung von Nazismus und Kommunismus bewertet Murswiek ebenso als Trigger für die Schlapphüte wie das ungenierte Auftreten und Zusammenarbeiten von AfDler*innen mit Neonazis oder anderen völkischen Nationalist*innen wie etwa dem Pegida-Erfinder Lutz Bachmann.
 

Künftig differenzierte Statements?

Murswiek  empfiehlt Vermeidungsstrategien, um den schlafenden Hund Verfassungsschutz nicht zu wecken. Der Kern seiner 30 Empfehlungen lautet: «Generell empfiehlt es sich, alles zu unterlassen, was die Verfassungsschutzbehörden - zu Recht oder zu Unrecht - als Anhaltspunkte» für umstürzlerische Bewegungen werten könnten. So dürfe «nie der Eindruck erweckt werden, als bezeichne man alle Immigranten als kriminell, sozialschädlich oder ähnliches», heißt es in der Murswiek-Zusammenfassung.

Das dürfte schwierig werden, denn das, was AfD-Anhänger*innen so euphorisch stimmt, sind genau die im Gutachten problematisierten Äußerungen, die im AfD-Universum als Wahrheiten gelten und mit geradezu perverser Lust immer und immer wiederholt und durch die Äther der sozialen Medien gepumpt werden. Murswiek empfiehlt, die krassen Statements irgendwie differenziert rauszuhauen, um den Eindruck zu erwecken, man komme durch Abwägung und nicht etwa durch Verbohrtheit zu seinen «Wahrheiten». Es geht Murswiek also keineswegs darum, rassistische, faschistische, diskriminierende und menschenverachtende Gesinnung anzuprangern und die völkisch-nationalistische Partei zu verpflichten, gegen diese inakzeptablen Erscheinungen konsequent vorzugehen. Es geht einzig und allein darum, den Eindruck zu vermeiden, mit der Partei stimme verfassungsschutzmäßig irgendetwas nicht. 

Offensichtlich hat sich Murswiek nicht die Mühe gemacht, sich mal die ätzenden Tiraden von Fraktionschefin Alice Weidel und Fraktionseinpeitscher Gottfried Curio oder des Thüringischen Landes- und Fraktionschefs Björn Höcke oder in Sachsen-Anhalt von Ex-Fraktionschef André Poggenburg anzutun. Aber auch was im Bundestag so vom Stapel gelassen wird, ob nun in Form von Redebeiträgen oder Anträgen, dürfte schwerlich in differenzierte Form gegossen werden können, um es weniger aggressiv und staatsgefährdend erscheinen zu lassen. Oder wie könnte man diesen Satz der AfD-Abgeordneten Nicole Höchst aus der Plenarwoche vom 17. bis 19. Oktober irgendwie moderater formulieren: «Unsere Kinder dürfen niemals von Gesetz wegen in Kitas zu klimahysterischen, vielfaltsfixierten links-grünen Knock-out-Mäusen à la Kahane oder zu Digitalzombies dressiert werden.» Der Gesetzentwurf des AfD-Bundestagsabgeordneten Roman Reusch, immerhin ehemaliger Leitender Oberstaatsanwalt in Berlin, aus derselben Sitzungswoche weist vollends den Weg in die völkische Diktatur. Sein 45-seitiger «Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Inneren Sicherheit – Verfahrensbeschleunigungsgesetz und verbesserte Eingriffsrechte der Justiz» ist der Fahrplan aus dem demokratischen Rechtsstaat hin zu rassistischen und völkischen Sondergesetzen. Neben Abschaffung der Revision, Einschränkungen im Jugendstrafrecht und allgemeiner Haftorientierung statt Bewährungsstrafen richtet sich der Gesetzentwurf im Wesentlichen gegen das Hauptfeindbild der AfD: «Die Ausländer». Die Einschränkung der Rechte von und die Verschärfung der Sanktionen gegen «Ausländer» sollen durch eine im Grunde unbegrenzte Präventivhaft ohne Urteil und Tat, gerne auch in «aufnahmebereiten Drittstaaten», erreicht werden. Das «Blutrecht» soll im Staatsangehörigkeitsrecht wieder in Anschlag gebracht werden, eindeutig völkische Prinzipien obwalten. Auch bereits Eingebürgerten soll die Staatsangehörigkeit bei Straffälligkeit wieder entzogen und bei «gehäufter» Straffälligkeit in der Familie eine Einbürgerung versagt werden können. Zu diesem Zwecke soll das Bundesinnenministerium in Reuschs gefährlichen Visionen ermächtigt werden, eine entsprechende «Liste der kriminell besonders auffälligen Familien zu führen». Das wäre die Rückkehr zur nationalsozialistischen Sippenhaftung.
 

Distanz zu Grundprinzipien moderner Demokratie

Trotzdem hat es den Anschein, als seien die Sorgen der AfD, was eine Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst angeht, keineswegs unbegründet. Denn wenn selbst schon die Stichwortgeber der «Verfassungsschutz»-Szene die AfD als «rechtsextrem» einstufen, dürfte höchste Alarmstufe angesagt sein. So geschehen auf dem Internetportal Humanistischer Pressedienst, wo niemand geringerer als Armin Pfahl-Traughber die Partei offen als «rechtsextremistisch» einschätzt. Und auch wenn er sich nicht den Tort angetan hat über die hinlänglich erörterten «Vogelschiß»- und «Özoğuz entsorgen»- (Gauland), «Denkmal der Schande»- und «Verbreitungstyp»- (Höcke) oder André Poggenburgs «Kameltreiber»-Äußerungen hinaus den haarsträubenden täglichen Skandaloutput der AfD zu betrachten, ist sein Urteil von Anfang November eindeutig: «Die ‘Alternative für Deutschland’ (AfD) hat nicht nur Kontakte in den Rechtsextremismus, sie ist mittlerweile selbst eine rechtsextremistische Partei», sagt Pfahl-Traughber, der selbst zehn Jahre Referatsleiter im BfV war und seither Verfassungsschützer*innen an der Fachhochschule  des Bundes in Brühl ausbildet. Er sieht bei der AfD eine «Distanz zu den Grundprinzipien moderner Demokratie und offener Gesellschaft» und weil das bei den Wähler*innen so gut ankommt, «schwindet bei Aussagen und Handlungen immer mehr die strategische bedingte Zurückhaltung. Wenn selbst gemeinsame Demonstrationen mit Neonazis keine Stimmenrückgänge nahelegen, dann bedarf es aus Akteurs-Perspektive immer weniger einer Mäßigung».

Bleibt nur die Frage, warum sich die AfD derart vor dem Verfassungsschutz fürchtet, der ihrer Lesart nach ja zum verhassten linksgrün-versifften System gehört und eigentlich nach dem NSU-, dem Anis-Amri- und dem Maaßen-Skandal sowie nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren 2017 gründlich diskreditiert sein sollte. Außerdem zeigt auf der maximalen politischen Gegenseite das Beispiel der Punkband «Feine Sahne Fischfilet» und der Dessauer Bauhausskandal, dass die «hoheitliche Verrufserklärung» (Jürgen Seifert) durch nur einen unbedeutenden Landes-VS durchaus und nachhaltig positive Auswirkungen für die Verrufenen haben kann. Aber auch die AfD vermag zu erkennen, dass die Inlandsgeheimdienste weitgehend unbeschadet aus all den Skandalen hervorgehen und - im Gegenteil - danach, zur Heilung der zum Teil bizarren Kapriolen, in der Regel mit noch mehr Personal, Finanzmitteln und zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet werden. Das Gerücht von seiner Unersetzlichkeit und Wirksamkeit verschafft dem VS den Nimbus eines letzten Bollwerks der Freiheit, auf das die Menschen im Lande vertrauen können und das infolgedessen unverzichtbar sei. Wenn dieses zählebige Gerücht jedoch dazu beiträgt, die AfD von dem abzuhalten, was sie vorhat, nämlich einen autoritär-rassistischen Systemwechsel herbeizuführen, soll uns das nur recht sein.
 

Friedrich Burschel, 5. November 2018