Publikation Staat / Demokratie - Rassismus / Neonazismus - Westeuropa - Parteien / Wahlanalysen Was macht die politische Rechte im Europäischen Parlament?

Herausforderungen für eine demokratische Linke. Reihe «Studien» von Thilo Janssen.

Information

Reihe

Studien

Autor

Thilo Janssen,

Erschienen

Januar 2013

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Es liegt eine aktualisierte Fassung der Studie mit dem Titel "Die Europäisierung der rechten EU-Gegner. Rechte europäische Parteien und rechte Fraktionen im Europäischen Parlament vor den Europawahlen 2014" (Januar 2013) vor. 


Europa in der Krise, Renaissance des Nationalen

Gegen die «Europäische Sowjetunion» mobilisierten Neonazis im Oktober 2011 für eine Demonstration gegen die EU in Wien. In dem Aufruf dazu hieß es, wenn «Du wie wir es nicht mehr länger erträgst, wie man Dein Volk tagtäglich erpreßt und erniedrigt, dann schließe Dich uns an und kämpfe mit im nationalen Widerstand! Wir geben den Kampf für unser Vaterland nicht auf»1. Die Rückkehr zum «Vaterland» ist mit Entfaltung der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008, aus der längst eine andauernde Staatsschulden-, Euro- und Sozialkrise geworden ist, wieder eine politische Option geworden – nach 60 Jahren europäischer Einigung. Die nationalen, identitären und völkischen Programme der politischen Rechten in Europa erfreuen sich nicht nur in Ungarn, dem zurzeit wohl drastischsten Beispiel dieser Renaissance, regen Zuspruchs. Soziale Konflikte werden durch völkische verdrängt. Die Idee, dass das nationale, ethnische oder kulturelle Kollektiv in Zeiten der wirtschaftlichen Bedrohung gegen «die Anderen» zusammenhalten muss, wird von allen rechten Parteien und Gruppierungen in Europa transportiert und wurde auf der Jagt nach Wählerstimmen auch von bürgerlichen Parteien rehabilitiert. Wenn der Kapitalismus kriselt und die
Entscheidungen über die Zukunft gefühlt weit weg in Brüssel getroffen werden, versprechen rechte Parteien volksnahe Politik gegen die «EU-Eliten» zugunsten der eigenen nationalen Klientel. Schnell werden Menschen aus verschuldeten Staaten diffamiert, Einwanderer und Minderheiten zum Ziel von Kampagnen; verdeckter oder offener Rassismus und Antisemitismus brechen sich Bahn.

Der Grundtenor rechter Antworten auf die Krisen (in) der EU ist einfach: Nicht die Entscheidungsprozesse in der EU sollen demokratisiert und die sogenannte Gemeinschaftsmethode2 gestärkt, sondern Entscheidungen zurückgeholt werden in die nationalen Parlamente, zu den nationalen Regierungen, zum eigenen «Volk». Nicht die EU soll sozial werden und gleichhochwertige individuelle Entfaltungsmöglichkeiten für alle Menschen von Bulgarien bis Portugal, von Finnland bis Malta garantieren, sondern das Soziale soll national sein und bleiben. Dass die EU tatsächlich auf einem vertraglichen Fundament steht, das die Integration durch Neoliberalisierung aller Gesellschaftsbereiche vorantreibt, das oft unternehmerischen Freiheiten vor individuellen und kollektiven Sozialschutzrechten (wie etwa dem Streikrecht) Vorrang gibt, wird von der Rechten genutzt, um die Rückkehr zum Nationalen zu begründen. Die EU soll nicht in eine Solidargemeinschaft oder «Transferunion» transformiert werden; es soll keine solidarischen Lösungen der Krisen geben. Stattdessen soll jede «Nation» für sich bleiben. Zusammenarbeit soll nur dann stattfinden, wenn sich zufällig die gemeinsamen Interessen überschneiden. Soweit zur rechten Theorie. Doch ganz so einfach ist es für Anhänger des Nationalen in der politischen Praxis nicht, wie die nachfolgende Darstellung zeigen wird. Denn im europäischen Institutionengefüge ist rechte Politik eine widersprüchliche Angelegenheit. Mal gilt die EU, z. B. in den Augen des Front National und der British National Party, als supranationales Völkergefängnis des neoliberalen Finanzkapitalismus oder als «EUdSSR», als Wiedergänger der Sowjetunion; in beiden Fällen als von Marxisten und liberalen «Globalisten» gesteuerter «Superstaat». Aus anderem Blickwinkel, etwa durch die völkischen Brillen der ungarischen Jobbik und der bulgarischen Ataka betrachtet, erscheint die EU als überraschende Möglichkeit, von der Geschichte entzweite «Völker» vaterländisch wieder zusammenzuführen; die offenen Grenzen machen es möglich. Britische Nationalkonservative wollen nicht auf den gemeinsamen Binnenmarkt, tschechische und polnische Rechte nicht auf EU-Fondsmittel für die Landwirtschaft und den Aufbau der Infrastruktur verzichten. In einem aber sind sich alle Rechten, von neoliberalen Nationalkonservativen bis zu den völkisch-nationalistischen Gegnern des «Globalismus» einig: Eine Europäische Union soll, wenn überhaupt existieren, ein Bündnis nationaler Staaten, ein Staatenbund, und niemals ein politischer Raum von gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern mit eigenen demokratischen Institutionen und föderalem Staatscharakter sein. Dennoch gibt es eine starke Präsenz der Rechten in genau jener EU-Institution, die, da ihre Vertreterinnen und Vertreter direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden, einem föderal-demokratischen Staatsorgan am nächsten kommt, dem Europäischen Parlament.

Die politische Rechte im Europäischen Parlament seit 2009

Diese Studie wurde aus einer Perspektive verfasst, die eine europäische Einigung als Zurückdrängung des Nationalen und Kollektiven, als Angleichung der Lebensbedingungen und als individuellen Zuwachs von Freiheit versteht, ohne die sozialen und demokratischen Widersprüchlichkeiten und Unzulänglichkeiten des derzeitig vorherrschenden EU-Modells zu verkennen. Sie möchte einen Blick auf die europaparlamentarische Arbeit der Rechten im Zeitraum Juli 2009 bis zur Halbzeit der laufenden Legislatur im Dezember 2011 werfen. Nach der Europawahl 2009 hat sich das parlamentarische Kräfteverhältnis weiter nach rechts verschoben.

Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EPP) – mit den (vermeintlich) moderateren Konservativen – ist die bei Weitem zahlenstärkste Kraft. Rechts von ihr haben sich mit den Fraktionen Europäische Konservative und Reformisten (ECR) und Europa der Freiheit und Demokratie (EFD) zwei neue Fraktionen gegründet. Daneben gibt es im Lager der fraktionslosen Abgeordneten (NI – fr. «Non Inscrits») eine Reihe rechter Parteien, die während der letzten Legislatur 2004 bis 2009 teil- und zeitweise in der Fraktion Identität, Tradition, Souveränität (ITS) zusammengeschlossen waren. Sie wurden nicht in die EFD integriert und waren nach der Wahl 2009 zahlenmäßig zu klein und untereinander zu uneinig, um erneut eine solche Fraktion zu gründen. Vor jeder Europawahl ist es zum medialen Ritual geworden, in Artikeln und Sendungen vor möglichen Wahlerfolgen der «Rechtspopulisten» zu warnen (durch den Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde zur nächsten Europawahl 2014 steigen die Chancen auch für deutsche Rechtsparteien, einen Abgeordneten zu entsenden). Zudem gibt es eine Reihe von ausführlichen Untersuchungen und Artikeln, die sich mit rechten Parteien in Europa, mit ihren Strategien und ihrer Vernetzung befassen3. Die vorliegende Darstellung soll diese Arbeiten ergänzen, in dem sie den Blick direkt auf das Europäische Parlament im Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2011 richtet. Sie geht den Fragen nach: Was macht die politische Rechte innerhalb und mit den Mitteln des Europäischen Parlaments? Welche Inhalte werden in den parlamentarischen Prozess eingebracht? Welche Strategien werden entwickelt? Wie ist die Rechte in die  parlamentarische Arbeit eingebunden? Wer kooperiert mit wem bei welchen Themen?

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