Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Rassismus / Neonazismus - International / Transnational - Globalisierung - Globale Solidarität - Autoritarismus Globalisierung des Autoritarismus

Aspekte der weltweiten Krise der Demokratie

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Reihe

Studien

Autor

Wolfram Schaffar,

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Die Ausbreitung autoritärer Regierungstechniken ist ein weltweites Phänomen, das im Zusammenhang mit der globalen Krise von 2008 (Vielfachkrise) steht (Demirović et al. 2011) und als Teil zyklisch wiederkehrender Krisen der Demokratie (Demirović 2013, 2016; Buckel 2017) gesehen werden muss.

In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze diskutiert, die den Autoritarismus in engem Zusammenhang mit dem Neoliberalismus bzw. als neue Phase des Neoliberalismus interpretieren. Demirović (2018a) und Candeias (2016, 2018) erarbeiten das Konzept des autoritären Populismus oder Rechtspopulismus, Bruff (2014), Tansel (2017) und Bruff/Tansel (2019) sprechen von autoritärem Neoliberalismus. Die vorliegende Studie kommt zu einem ähnlichen Befund, jedoch mit anderer Akzentuierung. Global betrachtet erscheint als entscheidende Dynamik hinter der Globalisierung des Autoritarismus nicht eine Ausweitung und Vertiefung des Neoliberalismus, sondern die Auseinandersetzung um Neoliberalismus, bei der sich ein antineoliberaler autoritärer Populismus und ein neoliberaler autoritärer Konstitutionalismus gegenüberstehen.

Obwohl die zentralen Elemente, die als konstitutiv für den autoritären Populismus gelten können, sich auch im globalen Süden finden, treten hier andere Prozesse hervor:

  • In zahlreichen Ländern hat sich eine Krise der Demokratie bereits so weit vertieft, dass sich Ausnahmestaatsformen entwickelt und konsolidiert haben. Das heißt, ein Ausnahmezustand, bei dem die formalen demokratischen Institutionen ausgesetzt werden, hat sich verstetigt.
  • Die Prozesse, die zu diesem Zusammenbruch geführt haben, sind in den jeweiligen Ländern unterschiedlich verlaufen und haben verschiedene Arten von Ausnahmeregimen hervorgebracht. Dabei gilt es vor allem zu unterscheiden zwischen autoritär populistischen und autoritär konstitutionalistischen Ausnahmestaatsformen.

Beide Arten von Ausnahmestaatsformen zeigen deutliche Faschisierungstendenzen (Candeias 2018) bzw. Charakteristika von faschistischen Regimen. Sie entsprechen dabei unterschiedlichen Typen von Faschismus.

Um die Gleichzeitigkeit und Parallelität im Verlauf der Prozesse in den einzelnen Ländern zu erfassen, muss deren Einbettung in globale Prozesse und Zusammenhänge betrachtet werden.

  • Eine Analyse der sozialen Basis des Autoritarismus vor dem Hintergrund des Konzepts der imperialen Lebensweise (Brand/Wissen 2017) und einer Klassenanalyse (Sablowski/Thien 2018) zeigt, dass diese Perspektiven mit den Merkmalen autoritär konstitutionalistischen und autoritär populistischen Ausnahmestaatsformen korrelieren. Über eine einzelstaatliche Analyse hinaus lassen sich so auch transnationale Aspekte erfassen. Bezüglich des Nord-Süd-Verhältnisses müssen die Ansätze jedoch erweitert werden, um die spezifische Dynamik im globalen Süden ebenso wie transnationale Prozesse (Migration, Klassenbildungen) erfassen zu können.
  • Bei der Frage, ob hinter dem Autoritarismus eine einheitliche Ideologie steht, zeigen sich globale Muster und Konvergenzen der Ideologeme – es ist jedoch nicht die Entwicklung einer neuen großen politischen Ideologie zu erkennen. Vielmehr zeigen sich Bruchlinien, die jedoch ihrerseits nicht mit den identifizierten Typen von Ausnahmeregimen korrelieren.
  • China wird von vielen Akteur*innen der EU als Systemrivale und Quelle des neuen Autoritarismus identifiziert. Tatsächlich spielt der Einfluss Chinas eine zentrale Rolle in den politischen Umbrüchen, durch die sich der Autoritarismus ausbreitet. Dieser Einfluss wirkt sich jedoch nicht unmittelbar aus, sondern vermittelt über innere Faktoren (Poulantzas 1974), und führt – neben der Entstehung autoritärer Ausnahmeregime – in einzelnen Fällen auch zu einer zyklischen Erneuerung von Demokratie. Unabhängig von der jeweiligen Entwicklung in einzelnen Ländern spielt China eine maßgebliche globale Rolle bei der Entwicklung und Verbreitung von Überwachungstechnologie.

Die unterschiedlichen Entstehungspfade von Ausnahmeregimen stellen ein schwieriges Problem für die Frage nach der politischen Gegenstrategie, nach möglichen Bündnispartner*innen und Interventionen dar. Ebenso erfordern die globalen Dynamiken, die den Autoritarismus befeuern – der Einfluss Chinas, die digitalen Medien, die sozial-ökologische Transformation –, neue demokratische Handlungsformen. Die gegenwärtige multiple und existenzielle Krise verlangt mehr als nur eine zyklische Erneuerung der politischen Form der liberalen Demokratie. Vielmehr ist eine Transformation der Demokratie (Demirović 2016) nötig, die jedoch nur in globalem Maßstab erreicht werden kann.
 

Inhalt

1 Einleitung 
1.1 Autoritarismus im Süden 
1.2 Fragestellungen und Vorgehen 

2 Vorüberlegungen 
2.1 Der globale Befund 
2.2 Methodologische Überlegungen 
2.3 Begriffsgeschichte 
2.3.1 Autoritarismus 
2.3.2 Populismus 
2.3.3 Faschismus 
2.4 Theoretische Grundlagen 
2.4.1 Erklärungsansätze für die globale Ausbreitung von Autoritarismus – Wellen, Parabel und Zyklen
2.4.2 Materialistische Herangehensweisen 
2.4.3 Die gegenwärtige Krise der Demokratie und ihre politische Form: der autoritäre Populismus

3 Die Krise der Demokratie, autoritärer Populismus und Ausnahmestaatsformen außerhalb Westeuropas 
3.1 Populismus und Neoliberalismus
3.1.1 Ungarn 
3.2 Autoritärer Populismus versus autoritärer Konstitutionalismus 
3.2.1 Philippinen 
3.2.2 Thailand 
3.2.3 Türkei 
3.2.4 Ägypten 
3.3 Zwischenfazit 

4 Synchronität und Parallelität der Entwicklungen
4.1 Die soziale Basis des Autoritarismus aus globaler Perspektive
4.2 Ideologien des Autoritarismus 
4.3 Die Globalisierung des Autoritarismus – die Rolle Chinas 
4.3.1 Der Aufstieg Chinas als hegemonialer Übergang 
4.3.2 Die Dynamik von Demokratisierung und Entdemokratisierung in der Semiperipherie
4.4 Empirische Beispiele 
4.4.1 Exkurs: Autoritarismus in Lateinamerika 
4.4.2 Ecuador 
4.4.3 Thailand 
4.4.4 Ungarn 
4.4.5 Äthiopien 
4.4.6 Fazit: Ausbreitung des Autoritarismus und der Einfluss Chinas 
4.5 Überwachungstechnologie 
4.6 Historische Wende im Charakter des Kapitalismus 

5 Ergebnisse 

6 Ausblick

7 Bibliografie 

Wolfram Schaffar arbeitet als Research Fellow am International Institute for Asian Studies (IIAS) in Leiden, Niederlande und ist assoziiert am Lehrstuhl Südostasienstudien der Universität Passau. Zuvor war er als Professor für Entwicklungsforschung und Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig. Er ist seit 2004 Vertrauensdozent und seit 2016 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
 

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