Nachricht | Sozialökologischer Umbau - COP 24 - Klimagerechtigkeit Kohlekumpel und Slumbewohnerin

Der Ruf nach "just transition"darf nicht zum Feigenblatt für lasche Klimaschutzpolitik werden.

Information

Den Teilnehmenden des Gipfels, die in der kleinen Seitenstraße des verregneten Busbahnhofs ankommen, weht sofort der unverkennbare Geruch verbrannter Kohle um die Nase. 2008 Poznan, 2013 Warschau, 2018 Katowice – Polen richtet den aufwändig zu organisierenden UN-Klimagipfel nun bereits zum dritten Mal innerhalb von zehn Jahren aus. Und das, obwohl das Land in diesem Zeitraum vor allem dadurch auffiel, ambitionierte energie- und klimapolitische Maßnahmen auf europäischer Ebene zu verwässern und zu blockieren.

Dieser Text ist zuerst auf freitag.de erschienen.

Mit der Entscheidung, den Gipfel in diesem Jahr mitten ins oberschlesische Steinkohlerevier zu holen, das seit der Wende um die 320.000 Entlassungen erlebt hat, betreibt das Land gezieltes Agenda-Setting. Gleich zum Auftakt des zweiwöchigen Verhandlungsmarathons platzierte die polnische Gipfelpräsidentschaft das Thema „gerechte Übergänge“ in der fossilen Industrie an prominenter Stelle in der Gipfelchoreografie. Gemeinsam mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund sorgte sie dafür, dass das Plenum der UN-Klimakonferenz die von 29 Staaten unterzeichnete Solidarity and Just Transition Silesia Declaration zur Kenntnis nahm. Unterschrieben wurde die Erklärung vor allem von EU-Ländern, prominent unter ihnen die osteuropäischen Visegrad-Staaten, Frankreich sowie das Kohleland Deutschland. Tenor der Deklaration: Klimapolitik muss auch die Interessen derjenigen im Blick behalten, die von ihr negativ betroffen sind.

UN-Klimagipfel haben immer auch eine stark symbolische Ebene. Na und? – könnte man fragen. Die Just-Transition-Deklaration ist nicht in der Lage, den sehr komplexen, schwerfälligen, textlastigen UN-Verhandlungsprozess mit diesem Schachzug massiv zu beeinflussen. Dennoch markiert die Deklaration den Versuch, den Diskurs über gerechte Übergänge zu verengen und für den Schutz von Industriearbeitsplätzen im globalen Norden zu vereinnahmen.

Just Transition – eigentlich ein linker Begriff

In den 1990er Jahren von der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung geprägt diskutiert die Klimagerechtigkeitsbewegung den Begriff „gerechte Übergänge“ beziehungsweise „Just Transition“ schon seit geraumer Zeit. Es geht um die Frage: Welche Alternativen haben unsere Gesellschaften eigentlich denjenigen anzubieten, deren Lebensunterhalt bislang noch von den Prozessen abhängt, die unsere Biosphäre zerstören und die Welt in hohem Tempo auf eine massive Klimakatastrophe zurasen lassen? Die sozialpolitische Forderung, die dahinter steckt: Klimaschutz darf nicht auf Kosten von Arbeiterinnen und Arbeitern gehen. Die Just-Transition-Debatte kommt also von links. Nach wie vor wird dort intensiv um die Frage gerungen, wie sich gerechte Übergänge unter den Bedingungen eines aggressiven globalisierten Finanzkapitalismus gestalten lassen.

Dem liegt der Wunsch nach umfassender globaler Gerechtigkeit zugrunde. Das aber heißt unter den Bedingungen der sich zuspitzenden Klimakrise: Wir müssen zuerst einmal alles daran setzen, das 1,5-Grad-Limit nicht zu sprengen. Denn die Klimakrise ist eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit. Sie verschärft die bestehenden Ungerechtigkeiten weltweit. Dürren rauben Bäuerinnen ihre Existenzgrundlage, Taifune zerstören vor allem die Häuser der Ärmsten, Slumbewohnerinnen können bei tödlicher Hitze nicht in klimatisierte Räume fliehen.

Globale Gerechtigkeit

Dieses massive Unrecht zu verhindern ist der eigentliche Rahmen, innerhalb dessen die Frage nach gerechten Übergängen gestellt werden muss. Und genau dieser Rahmen hat mit dem Bericht des Weltklimarats zum 1,5-Grad-Limit noch einmal an Brisanz gewonnen. Um die 1,5 Grad nicht zu sprengen, muss die Welt ihren Treibhausgasausstoß in gerade einmal zwölf Jahren um sagenhafte 45 Prozent senken. Die bisher versprochenen und kaum eingehaltenen Emissionsreduktionen reichen nicht, um den gefährlichen Klimawandel zu verhindern. Und: Die Effekte des Klimawandels sind in fast jederlei Hinsicht schneller zu spüren und schlimmer, als die meisten von uns dachten. Die Klimakrise wächst uns über den Kopf! Wie kann man angesichts dieses Zeitdrucks das – sozial gut abzufedernde – Schicksal der verhältnismäßig wenigen Kollegen und Kolleginnen im sterbenden Kohlesektor des globalen Nordens zum symbolischen Aufhänger für einen Klimagipfel machen?

Die Initiative zur Just-Transition-Deklaration stammt vom Internationalen und Europäischen Gewerkschaftsbund, die den Text der polnischen Regierung bei den Zwischenverhandlungen in Bonn im Mai vorlegten, nachdem sie den Begriff „Just Transition“ 2015 erfolgreich in die Präambel des Pariser Klimaabkommens hinein verhandelt hatten. Die polnische Regierung griff diese Initiative dankbar auf. Hierbei lassen sich zwei Dinge feststellen.

Erstens, für ein Land, dessen Strommix zu 80 Prozent an der Kohle hängt, ist die Just-Transition-Debatte ein ideales Vehikel, um die eigene konservative Position mit einem progressiven Vokabular zu ummanteln und zu stabilisieren. Das Entscheidende und Gefährliche hierbei ist, dass sich die Stoßrichtung der Argumentation verschiebt, nämlich: Ja, Klimaschutz ist wichtig, aber (!) der Erhalt guter Arbeitsplätze und die Vermeidung gesellschaftlicher Verwerfungen durch die Abwicklung fossiler Industrien sind ebenso wichtig.

Zweitens kann man feststellen: Es geht um mehr als Symbolik. Das zeigt der Blick ins Kohleland Deutschland, das es trotz Ankündigung nicht geschafft hat, mit einem Kohleausstiegsfahrplan nach Katowice zu reisen. Denn: Die Möglichkeit, die deutschen Klimaziele für 2020 zu erreichen, wird durch die Frage der Kohle-Arbeitsplätze massiv blockiert.

Oberflächlich betrachtet ist die verschobene Vorstellung eines Fahrplans für den deutschen Braunkohleausstieg das Resultat einer Intervention der Ministerpräsidenten der drei ostdeutschen Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dahinter steckt aber ein sehr grundlegendes Problem. Nämlich die Tatsache, dass industrielle Großstrukturen wie Kohlereviere nicht mehr zeitgemäß sind, weil sie sich einfach nicht nachhaltig gestalten lassen. Das ist lange bekannt. Genau deswegen aber hätten Politik, Unternehmen und Gewerkschaften ihre Mitglieder und die Regionen schon seit mindestens 20 Jahren auf eine solche Transformation vorbereiten sollen. Sie hätten auf eine veränderte Einbindung in die nationale und internationale Wirtschaft drängen und alternative Modelle zur sozialen Absicherung (wie etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen) entwickeln müssen.

Strukturwandel in der Sackgasse

All dies wurde jedoch nicht nur versäumt. Es wurde in großen Teilen sogar bekämpft, teilweise genau von denen, die jetzt diese gerechten Übergänge einfordern. Genau das beschert uns die heutige Situation, in der die Arbeitenden vor Ort nicht ad hoc in alternative Sektoren umsteigen können. Mit anderen Worten: Niemand hat sich darum gekümmert, die wirtschaftliche und mentale Abhängigkeit von der höchst identitätsstiftenden, ökonomisch gut absichernden Arbeit in den Kohlegruben zu verringern. Zwar werden alle Kohlekumpel – das zeigt der Steinkohleausstieg im Ruhrgebiet – mithilfe von sozialen Transfers, Umschulungen oder Neuansiedlungen von Unternehmen sozial aufgefangen. Allerdings verdeutlicht die Erfahrung des oft als „Armenhaus Deutschlands“ bezeichneten Ruhrgebiets, dass unter den gegebenen ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen die Region als Ganzes leidet, wenn eine industrielle Monokultur dichtgemacht wird.

In dieser Situation passiert es allzu leicht, dass die Diskussion über den Strukturwandel in einer Sackgasse steckt. Auf der einen Seite der massive Zeitdruck durch die sich abzeichnende Klimakrise, auf der anderen Seite die Härten eines schnellen Kohleausstieg in den Revieren. In dieser Sackgasse wird die Höhe der Finanztransfers zur dominierenden Verhandlungsmasse. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat „Team Kohle“ beschlossen, dass das für ‚seine Leute‘ noch nicht ausreicht. Deshalb die Intervention der Ministerpräsidenten, deshalb die Unfähigkeit der Kommission, den Konflikt um die Kohle zu befrieden.

Aus einer globalen Gerechtigkeitsperspektive heraus, die die Rechte der von der Klimakrise am stärksten Betroffenen tatsächlich respektiert, muss aber die ganze Diskussion gerade gerückt werden. Denn der Erhalt der eigenen gesellschaftlichen Ordnung samt damit verbundener Arbeitsplätzen ist überhaupt nicht mit dem Erhalt eines stabilen Weltklimas gleichzusetzen. Stattdessen aber läuft der eigentlich progressive Diskurs zu gerechten Übergängen in Deutschland wie in anderen frühindustrialisierten Staaten Gefahr, die Debatte auf die Verteidigung von Industriearbeitsplätzen in klimaschädlichen Industrien zu reduzieren.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich gratulieren wir unseren Verbündeten in der Gewerkschaftsbewegung dazu, dass sie mit der Deklaration verankern können, dass die Arbeiter aus diesen Industrien mit am Tisch sitzen müssen, wenn über den Übergang von einer fossilen zu einer regenerativen Wirtschaft verhandelt wird. Wir warnen jedoch davor, dass Gerechtigkeit hier nicht heißen kann ,Jobs zuerst‘. Denn auch die Betroffenen des Klimawandels gehören mit an den Tisch. Deshalb kann keine Transformation als gerecht bezeichnet werden, die nicht zuallererst versucht, die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Es kann bei gerechten Übergängen nicht darum gehen, Industriearbeitsplätze im reichen Norden gegen den Schutz des Weltklimas und das damit zusammenhängende Leid und Unrecht abzuwägen – zumal die reichen Länder über die notwendigen Ressourcen verfügen, Umbruchprozesse sozial abzufedern. Der Schutz des Weltklimas ist nicht verhandelbar. Wenn wir uns darüber einig sind, können wir anfangen, wirklich gerechte Übergänge zu gestalten und dafür zu sorgen, dass gute Arbeit, gute Löhne und gewerkschaftliche Organisierung Hand in Hand gehen mit ambitioniertem Klimaschutz und einem guten Leben für alle.